Beschluss vom Verwaltungsgericht Osnabrück (1. Kammer) - 1 B 11/04

Gründe

1

I. Der Antragsteller wendete sich im Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen den von der Antragsgegnerin für sofort vollziehbar erklärten Ausschluss vom Unterricht.

2

Der Antragsteller besucht die Höhere Handelsschule der Antragsgegnerin. Am 23.03.2004 traf der pädagogische Mitarbeiter für Schulsozialarbeit, D., den Antragsteller sowie einen weiteren Schüler, E., bei einer heftigen Schlägerei auf dem Schülerparkplatz hinter dem Schulgebäude an. Der Antragsteller befand sich zu diesem Zeitpunkt über seinem Widersacher, der am Boden lag; beide schlugen aufeinander ein und rangen miteinander. Sie waren von dem pädagogischen Mitarbeiter F. schwer zu trennen und gingen mit hoher aggressiver Energie aufeinander los. Befragt nach dem Anlass der Auseinandersetzung gab der Antragsteller zunächst an, G. habe seine Mutter beleidigt, später bekundete er, dieser habe ihm Geld geschuldet. Der Mitschüler G. gab später an, er habe den Antragsteller schon in der Realschule in Ankum kennen gelernt und sei von ihm in der Schule angesprochen worden, dass er ihn anrufen solle. Telefonisch seien ihm dann Drogen angeboten worden. Er habe für 40 g Marihuana 200,- EUR bezahlen sollen, die er aber schuldig geblieben sei, weil er das Marihuana selbst bzw. mit anderen geraucht und nicht weiterveräußert habe. Dieses Geld habe der Antragsteller jetzt mit Gewalt eintreiben wollen.

3

Im Rahmen der daraufhin angestellten Ermittlungen gaben andere Schüler an, vom Antragsteller Drogen bezogen zu haben. So bekundete der Mitschüler H., er habe monatlich über einen Zeitraum von einem Jahr vom Antragsteller für 200,- € jeweils 40 Gramm Marihuana bezogen. Das Geschäft sei stets außerhalb der Schule abgewickelt worden. An andere Schüler - ausgenommen vorgenannten G. - habe der Antragsteller nach seinem Kenntnisstand keine Drogen verkauft. G. gab - befragt zu den Drogengeschäften des Antragstellers - an, 40 Gramm Marihuana erworben zu haben; dabei habe ihm der Antragsteller vorgeschlagen, die Drogen in der Schule zu verkaufen. Das machten auch andere Schüler für den Antragsteller so.

4

Die gegen den Antragsteller gerichteten staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen sind noch nicht abgeschlossen.

5

Infolge der Auseinandersetzung und der aufgedeckten Drogengeschäfte des Antragstellers verhängte der Schulleiter als Eilmaßnahme nach § 43 Nds. Schulgesetz bis zur Durchführung einer Klassenkonferenz den vorläufigen Ausschluss vom Unterricht. Auf der Klassenkonferenz vom 28.04.2004, bei der auch der Antragsteller und sein Vater Gelegenheit zur Äußerung hatten, wurde beschlossen:

6

„Die Sofortmaßnahme des Schulleiters, der Ausschluss des Schülers vom Unterricht vom 23.03.2004 bis zum Beginn der Osterferien am 26.03.2004, wird bestätigt.

7

Die Sofortmaßnahme des Schulleiters, erneuter Ausschluss des Schülers vom Unterricht vom Ende der Osterferien am 15.04. bis zur Klassenkonferenz am 22.04.2004, wird bestätigt.

8

Der Schüler wird für drei Monate vom Unterricht ausgeschlossen, das sind unter Einschluss der Sofortmaßnahmen alle Unterrichtstage bis einschließlich 07.07.2004.

9

Dem Schüler wird die Verweisung von allen Schulen angedroht.

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Die sofortige Vollziehung dieses Bescheides wird angeordnet.“

11

Die Anordnung der sofortigen Vollziehung begründete die Antragsgegnerin im Wesentlichen damit, es könne nicht verantwortet werden, andere Schülerinnen und Schüler weiterhin einer erheblichen Gefährdung der Verführung zum Drogenmissbrauch und ihrer körperlichen Unversehrtheit auszusetzen. Nachahmungen gelte es zu vermeiden und der Drogenmissbrauch müsse eingedämmt werden, zumal auch der Verdacht bestehe, dass andere Schüler Drogen für den Antragsteller in Verkehr gebracht hätten. Eine Rücknahme der Maßnahme würde gefährdete Jugendliche gerade zur Nachahmung anregen.

12

Mit dem hiergegen eingelegten Widerspruch vom 3.5.2004 beantragte der Antragsteller ausdrücklich, den Bescheid bezüglich Ziff. 3 (i.e. der Ausschluss vom Unterricht für die Dauer von drei Monaten) aufzuheben. Zur Begründung seines Widerspruchs führte er im Wesentlichen aus, bislang bestehe nur der Verdacht, dass der Antragsteller gegen das Betäubungsmittelgesetz verstoßen haben könnte. Er sei jedoch noch nicht wegen eines entsprechenden Delikts verurteilt worden. Im Übrigen sei der Ausschluss vom Unterricht für drei Monate rechtswidrig, weil unverhältnismäßig. Bis zum Ende des Schuljahres könne der Antragsteller deshalb nicht am Unterricht teilnehmen und keine adäquaten Leistungsnachweise erbringen. Deshalb habe auch das Interesse am sofortigen Vollzug der Maßnahme hinter dem Beharrungsinteresse des Antragstellers zurückzustehen.

13

Der Antragsteller hat unter dem 13. am 14. Mai 2004 um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht. Zur Begründung wiederholt er sein Vorbringen aus der Widerspruchsbegründung.

14

Mit Bescheid vom 3.6.2004 hat die Antragsgegnerin ihre Ordnungsmaßnahme nach gerichtlichem Hinweis auf die fehlerhafte Fristberechnung berichtigt und als Ende des Ausschlusses vom Unterricht den 22.6.2004 festgesetzt.

15

Der Antragsteller hat daraufhin das Verfahren insgesamt für erledigt erklärt.

16

Die Antragsgegnerin hält durch ihren Bescheid vom 3.6.2004 keine Erledigung für gegeben. Sie meint, die Ansicht der Antragsgegnerin, den Antragsteller für 3 Monate vom Unterricht auszuschließen, habe im Vordergrund gestanden.

17

In der Sache weist sie darauf hin, dass der Antragsteller in der Schule Drogengeschäfte angebahnt und abgewickelt habe. Anlass für die Schlägerei am 23.03.2004 seien nicht beglichene Geldforderungen aus solchen Geschäften. Dies rechtfertige einen dreimonatigen Ausschluss vom Unterricht. Das besondere Vollzugsinteresse habe sie formell ordnungsgemäß begründet. Die Schwere des Verstoßes rechtfertige die ergriffene Ordnungsmaßnahme. Es bliebe dem Antragsteller möglich, über den zu erarbeitenden Lernstoff unterrichtet entsprechende Leistungsnachweise zu erbringen. Die in der Zeit seines Ausschlusses bislang erbrachten Leistungen ließen ausweislich der Stellungnahme der Antragsgegnerin vom 25.05.2004 keinen signifikanten Abfall der Noten bei den gefertigten Klassenarbeiten erkennen. Ein Schulabschluss sei wegen des Ausschlusses vom Unterricht nicht gefährdet.

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Wegen des weiteren Vortrags der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze, wegen des Sachverhalts im Übrigen wird auf die Gerichtsakten sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen; sie sind in ihren wesentlichen Bestandteilen Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.

19

II. Durch den Bescheid der Antragsgegnerin vom 3.6.2004 ist eine teilweise Erledigung des Verfahrens eingetreten.

20

Der Antragsteller hat sich im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO insbesondere gegen den Unterrichtsausschluss, wie er in Ziffer 3 der Verfügung vom 23.4.2004 geregelt worden ist, gerichtet. Dies folgt insbesondere aus seinen Ausführungen in der Antragsschrift. Die Antragsgegnerin hat dort den Ausschluss für 3 Monate und seine zeitliche Erstreckung - nämlich bis zum letzten Unterrichtstag des Schuljahres 2003/04, dem 7.7.2004, nebeneinander gestellt, ohne dass diese Fristbestimmung nur den Charakter einer Mitteilung erhalten hätte. Dann hätte es nämlich nahe gelegen, die Fristberechnung (die vorläufige Maßnahme einbeziehend), in der Begründung mitzuteilen. In dieser Form ist der Bescheid vom 3.6.2004 eine (Teil-)Neuregelung, die dem Begehren des Antragstellers, vor Ende des Schuljahres die Schule noch besuchen zu können, entspricht. Auf die einseitig gebliebene Erledigungserklärung war daher diese Wirkung insoweit festzustellen. Die Antragsgegnerin hat eindeutig einen Fehler in ihrer Verfügung berichtigen müssen und ist mit ihrem Begehren, den Antragsteller mit schulordnungsrechtlichen Mitteln für den Rest es Schulbesuchs vom Unterricht auszuschließen, aufgrund der falschen Fristberechnung, die sie in ihre Verfügung aufgenommen hat, gescheitert. Im Übrigen ist eine Erledigung indes nicht eingetreten.

21

Ohne den umfassenden Erledigungsantrag wäre das Antragsbegehren allerdings in der Sache erfolglos geblieben:

22

Nach § 80 Abs. 5 Satz 1, 2. Alt. VwGO kann das Gericht die aufschiebende Wirkung eines Widerspruchs wiederherstellen, wenn die sofortige Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4, Abs. 3 VwGO angeordnet worden ist. Dabei prüft das Gericht die ordnungsgemäße Begründung, aus der sich das besondere Interesse an der Vollziehung des angegriffenen Verwaltungsakts ergeben muss, und wägt das Interesse des Antragstellers, zunächst von der Wirkung des angefochtenen Verwaltungsakts verschont zu bleiben, gegen das besondere Vollzugsinteresse, das die sofortige Vollziehung des Verwaltungsakts veranlasst auf der anderen Seite, ab. Maßgebliche Bedeutung kommt dabei der Erfolgsaussicht des Rechtsbehelfs im Hauptsacheverfahren zu. Ein besonderes Vollzugsinteresse kann es dann nicht geben, wenn sich die angegriffene Verfügung bei summarischer Prüfung als voraussichtlich rechtswidrig erweist; andererseits muss das Interesse des Antragstellers, zunächst von Wirkungen der Verfügung verschont zu bleiben, zurückstehen, wenn die Entscheidung, der die Anordnung beigegeben worden ist, in der Hauptsache offensichtlich rechtmäßig ist.

23

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze erweist sich bei der gebotenen summarischen Prüfung die angefochtene Verfügung weder in formeller noch in materieller Hinsicht als offensichtlich rechtswidrig. Grundlage für den Ausschluss das Antragstellers vom Unterricht ist § 61 Abs. 2, 3 Nr. 4, 4 Satz 1 Nds. Schulgesetz. Danach kann ein Schüler vom Unterricht für bis zu drei Monaten ausgeschlossen werden, wenn er seine Pflichten grob verletzt, insbesondere gegen rechtliche Bestimmungen verstößt, den Unterricht nachhaltig stört, die von ihm geforderte Leistung verweigert oder dem Unterricht unentschuldigt fernbleibt. Eine solche Maßnahme setzt voraus, dass der Schüler durch den Schulbesuch die Sicherheit von Menschen ernstlich gefährdet oder den Unterricht nachhaltig und schwer beeinträchtigt hat. Ihm und seinen Erziehungsberechtigten ist Gelegenheit zu geben, sich in der Sitzung der Klassenkonferenz, die über die Maßnahme zu entscheiden hat, zu äußern.

24

Die für die Verhängung einer solchen Ordnungsmaßnahme einzuhaltenden formellen Zuständigkeits-, Verfahrens- und Formvorschriften, wie sie § 61 Abs. 5 Satz 1 und Abs. 6 Satz 1 und 2 Nds. Schulgesetz vorsehen, sind beachtet worden. Der Antragsteller wie sein Vater hatten Gelegenheit, zu den erhobenen Anschuldigungen in der Klassenkonferenz Stellung zu nehmen und haben davon auch Gebrauch gemacht.

25

In materieller Hinsicht ist davon auszugehen, dass der Sachverhalt so, wie die als Zeugen vernommenen Schüler I. G. und H. ihm geschildert haben, tatsächlich zutrifft. Danach hat der Antragsteller einerseits in der Schule Drogengeschäfte angebahnt und Mitschüler animiert, Rauschmittel in der Schule zu vertreiben. Die Abwicklung dieser Geschäfte hat er -zumindest was deren Bezahlung angeht- auch auf dem Schulgelände fortgesetzt. Die Maßnahme eines Ausschlusses vom Unterricht nach Nr. 4 setzt zwar voraus, dass sie zum Schutze der Mitschülerinnen, Mitschüler und Lehrkräfte aber auch anderer Personen erforderlich ist, wenn deren Sicherheit ernstlich gefährdet worden ist. Eine solche Gefährdung liegt insbesondere bei Gewalttätigkeiten aber auch z.B. bei Verführung zum Drogengebrauch vor (Littmann in: Seyderhelm/Nagel, NSchG § 61 Rdnr. 6.1). Der Ausschluss des Antragstellers vom Schulbesuch war deshalb eine noch als angemessen zu betrachtende Reaktion auf die ihm mit großer Wahrscheinlichkeit zu Recht zur Last zu legenden Verfehlungen.

26

Die Antragsgegnerin hat auch nicht verkannt, dass die von ihr ergriffenen Maßnahmen einen weitreichenden Eingriff in die Bildungsmöglichkeit des Antragstellers darstellen. Wegen dieser weitreichenden Folgen der Maßnahmen nach Abs. 3 Nrn. 3 - 6 ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit der Mittel besonders zu beachten (vgl. Littmann, aaO., § 61 Rdnr. 6.2). Sie hatte dabei auch zu berücksichtigen, dass grobe Pflichtverletzungen in Form von Gewalttätigkeiten gegenüber Mitschülern vorliegen (vgl. VG Hannover, Kammern Hildesheim, Beschluss vom 13.12.1995 - 2 B 1848/95.Hi -) und der Rauschgiftkonsum und Handel im Umfeld einer Schule zu Lasten des Antragstellers zu berücksichtigen sind (vgl. dazu Littmann, aaO., § 61 Rdnr. 4.1 m.w.N.). Ausweislich der jetzigen Stellungnahme der Antragsgegnerin vom 25.05.2004 ist es dem Antragsteller jedoch weiter möglich gewesen, sich über den Inhalt des behandelten Stoffes zu informieren und sich entsprechend auf die zu erbringenden Leistungsnachweise vorzubereiten. Dies ist ihm offensichtlich in hinreichendem Maße gelungen. Gewisse Benachteiligungen muss er sich im Hinblick auf sein vorhergehendes Fehlverhalten gefallen lassen. Danach scheint es für den Antragsteller trotz des Ausschlusses vom Unterricht weiterhin möglich, das Klassenziel und damit einen dem Bildungsgang entsprechenden Schulabschluss zu erreichen.

27

Die angegriffene Maßnahme erscheint auch nicht deshalb unverhältnismäßig, weil die Antragsgegnerin das Höchstmaß des Unterrichtsausschlusses ergriffen hat. Diese Ahndung ist zwar hart, dürfte aber letztlich noch zu vertreten sein. Die Antragsgegnerin durfte nämlich bei der Wahl des Ordnungsmittels nach dem Stand der Ermittlungen, soweit dies im vorliegenden summarischen Verfahren beurteilt werden kann, davon ausgehen, dass die Bekundungen der Zeugen, dies sich teilweise durch ihre Ausführungen selbst belasten, zutreffend sind. Danach ist der Entscheidung zugrunde zu legen, dass der Antragsteller im Umfeld und in der Schule Drogengeschäfte angebahnt und abgewickelt hat bzw. lassen hat und mit massiver körperlicher Gewalt Forderungen aus diesem Drogenhandel durchzusetzen bereitet war und dies tatsächlich getan hat. Er hat sich danach für die Antragsgegnerin nahezu untragbar gemacht. Damit ist auch ein Ausschluss vom Unterricht im Höchstmaß der Möglichkeiten der Nummer 4 letztlich gerechtfertigt. Allerdings - und dies hat letztlich zur Teilerledigung des Antrages geführt - ist die unter Berücksichtigung der vorläufigen Maßnahme getroffene Ausschlussfrist in ihrem Umfang kalendermäßig zu bestimmen; allgemein schulfreie Tage aus ihrem Umfang herauszurechnen widerspräche der gesetzgeberischen Absicht, eine ihrem Umfange nach kalendermäßig festgesetzte Obergrenze zu schaffen.

28

Im Hinblick darauf erscheint die von der Antragsgegnerin gegebene Begründung für die Anordnung der sofortigen Vollziehung in formeller (§ 80 Abs. 3 VwGO) wie materieller Hinsicht rechtmäßig.

 


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