Beschluss vom Verwaltungsgericht Osnabrück (1. Kammer) - 1 C 7/12

Gründe

I.

1

Die Beteiligten streiten über die Zulassung und den Zugang zu einem lehramtsbezogenen Masterstudiengang.

2

Der Antragsteller bewarb sich mit Antrag vom 09.02.2012 um einen Studienplatz im Masterstudiengang „Lehramt am Gymnasium“ mit den Kernfächern „Mathematik“ und „Sport“ im ersten Fachsemester zum Sommersemester 2012. Zu diesem Zeitpunkt studierte er im Zwei-Fächer-Bachelorstudiengang mit den Kernfächern „Mathematik“ und „Sport“ seit dem Wintersemester 2008/2009 und hatte 162 Leistungspunkte mit einer Durchschnittsnote im Kernfach „Mathematik“ von 3,86, im Kernfach „Sport“ von 1,82 und im „Interdisziplinären Kerncurriculum“ von 2,11 erworben. Die Antragsgegnerin lehnte die Bewerbung mit Bescheid vom 05.03.2012 unter Hinweis auf § 2 der Ordnung über den Zugang und die Zulassung für den Masterstudiengang „Lehramt am Gymnasium“ (ZZO) ab. Hiergegen erhob der Antragsteller am 20.03.2012 Klage (1 A 49/12).

3

Der Antragsteller hat am 29.03.2012 einen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz gestellt und trägt vor, dass er mit dem Bescheid der Antragsgegnerin vom 05.03.2012 von dem Masterstudiengang ausgeschlossen sei, obwohl die zur Verfügung stehende Kapazität an Studienplätzen nicht ausgeschöpft sei.

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Der Antragsteller beantragt sinngemäß,

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die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihn vorläufig zum Masterstudiengang „Lehramt am Gymnasium“ mit den Kernfächern „Mathematik“ und „Sport“ im ersten Fachsemester zum Sommersemester 2012 außerhalb der Kapazität zuzulassen.

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Die Antragsgegnerin beantragt,

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den Antrag abzulehnen.

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Sie trägt vor, dass der außerkapazitäre Zulassungsantrag unzulässig sei, weil der Studiengang nicht zulassungsbeschränkt sei.

9

Selbst wenn der Antragsteller einen Studienplatz innerhalb der Kapazität beantragen würde, was mutmaßlich sein Begehren sei, wäre ein solcher Antrag abzulehnen. Denn der Antragsteller erfülle die Zugangsvoraussetzungen nicht, weil er in Mathematik lediglich eine Fachnote von 3,86 aufweise, die ZZO jedoch eine Mindestnote von 3,0 verlange. Außerdem weise er keinen „qualifizierten Bachelorabschluss“ i.S.d. § 2 Abs. 3 ZZO auf, da er lediglich 5 von 7 dafür erforderlichen Punkten aufweise. Abgesehen davon könne der Antragsteller sein Ziel, Lehrer an einem Gymnasium zu werden, auch auf anderem Wege erreichen. Die benachbarten Universitäten Münster und Bielefeld sähen keine Zugangsbeschränkungen im Hinblick auf bestimmte Noten vor.

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Wegen des weiteren Vortrags der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze, wegen des Sachverhalts im Übrigen wird auf die Gerichtsakten sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.

II.

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A. Das Antragsbegehren des Antragstellers ist als Antrag auf vorläufige Einschreibung auszulegen (§ 122 Abs. 1, § 88 VwGO), weil der Masterstudiengang nicht zulassungsbeschränkt ist und die Antragsgegnerin seine Bewerbung auf der Grundlage der besonderen Zugangsvoraussetzungen abgelehnt hat. Soweit das Gericht im Tenorbeschluss vom 13.04.2012 die Formulierung „zuzulassen“ gewählt hat, wird dies in entsprechender Anwendung des § 80 Abs. 7 Satz 1 VwGO (vgl. Sodan / Ziekow, VwGO, 3. Aufl., § 123 Rn. 127 ff.) geändert.

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Der so ausgelegte Antrag ist zulässig und begründet. Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes ergehen, wenn diese Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder aus anderen Gründen notwendig erscheint. Der Antragsteller hat dabei gemäß § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO den zu sichernden Anspruch (Anordnungsanspruch) und dessen Gefährdung (Anordnungsgrund) glaubhaft zu machen.

13

1. Ob der Antragsteller einen Anspruch auf Einschreibung gemäß § 19 Abs. 1 Satz 1 NHG besitzt, kann im vorläufigen Rechtsschutzverfahren nicht abschließend geklärt werden.

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Zwar erfüllt er nicht die besonderen Zugangsvoraussetzungen nach § 18 Abs. 8 Satz 1 NHG i.V.m. § 2 Abs. 2 a) und b), Abs. 3 Satz 1 und 2 ZZO, weil er weder die danach erforderliche Mindestnote von 3,0 im Fach „Mathematik“ noch die für die Einstufung als „qualifizierten Bachelorabschluss“ notwendige Mindestpunktzahl von 7 aufweist. Die Kammer hat jedoch ernstliche Zweifel, ob diese Zugangsregelungen über die besondere Eignung im Falle des streitgegenständlichen lehramtsbezogenen Masterstudiengangs den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügen (dagegen von der Verfassungsmäßigkeit ausgehend: Hailbronner, WissR 2008, 106 ff.).

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a. Grundsätzlich hält die Kammer Regelungen über die besondere Eignung als Zugangsvoraussetzung für Masterstudiengänge für rechtlich unbedenklich, soweit der Bachelorabschluss nicht nur nach seiner rechtlichen Definition (vgl. § 8 Abs. 1 Satz 1 NHG, § 1 Abs. 1 Satz 1 Prüfungsordnung der Antragsgegnerin für den 2-Fächer-Bachelor-Studiengang), sondern auch tatsächlich “berufsqualifizierend“ in dem Sinne ist, dass mit ihm ein relevantes Berufsbild (mit entsprechenden Arbeitsmarktchancen) korrespondiert. In diesen Fällen wird den verfassungsrechtlichen Anforderungen des Art. 12 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG genüge getan. Denn das daraus folgende Teilhaberecht hochschulzugangsberechtigter Bewerber auf freien Zugang zu einem berufsqualifizierendem Studium innerhalb der vorhandenen Kapazitäten gilt nicht mit dem gleichen strengen Maßstab für weiterführende Studiengänge, die auf einem bereits berufsqualifizierendem Studiengang aufbauen (vgl. zum Zweitstudium: BVerfG, B. v. 03.11.1982, 1 BvR 900/78, juris Rn. 65). Zugangsbeschränkungen von Masterstudiengängen auf besonders geeignete Absolventen der vorausgehenden Bachelorstudiengänge stellen subjektive Berufszulassungsschranken dar, die nur gerechtfertigt sind, wenn sie dem Schutz besonders gewichtiger Gemeinwohlbelange zu dienen bestimmt sind und zur Erreichung des verfolgten Zwecks nicht außer Verhältnis stehen (vgl. BVerfG, B. v. 25.07.1996, 1 BvR 638/96, juris Rn. 20). Eine solche Rechtfertigung kann sich grundsätzlich aus der Struktur der (konsekutiven) Bachelor- und Masterstudiengänge ergeben (vgl. Nds. OVG, B. v. 07.06.2010, 2 NB 375/09, juris Rn. 9). Während der Bachelorabschluss den ersten berufsqualifizierenden Regelabschluss darstellen soll, ist dem Masterabschluss die Funktion eines weiteren berufsqualifizierenden Abschlusses zugedacht, der im Interesse der internationalen Reputation und der Akzeptanz der Abschlüsse durch den Arbeitsmarkt ein hohes fachliches und wissenschaftliches Niveau haben und deshalb von weiteren besonderen Zugangsvoraussetzungen abhängig gemacht werden soll (KMK-Beschluss vom 10.10.2003 i.d.F. vom 04.02.2010 „Ländergemeinsame Strukturvorgaben gemäß § 9 Abs. 2 HRG für die Akkreditierung von Bachelor- und Masterstudiengängen“). Dem liegt die Bestrebung zugrunde, im Rahmen des Bologna-Prozesses einen europäischen Hochschulraum zu errichten, dessen Studiengänge aus zwei Hauptzyklen bestehen sollen, wobei der erste Zyklus bereits eine für den europäischen Arbeitsmarkt relevante Qualifikationsebene garantieren soll (Gemeinsame Erklärung der Europäischen Bildungsminister vom 19.06.1999). Dementsprechend soll nach der Gesetzesbegründung nur ein „qualifizierter“ Bachelorabschluss die Zugangsberechtigung für einen konsekutiven Masterstudiengang geben (LT-Drs. 15/2670, S.48). Ohne die Einführung einer auf die besondere Eignung abstellenden weiteren Zulassungsvoraussetzung wäre das gesetzgeberische Ziel, den Masterstudiengang nicht als Regelabschluss, sondern als qualitativ herausgehobenen Zusatzabschluss auszugestalten, nicht zu verwirklichen.

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b. Ob diese Grundsätze auch für lehramtsbezogene Masterstudiengänge Geltung beanspruchen können, wird im Hauptsacheverfahren zu klären sein. Im Gegensatz zu der überwiegenden Anzahl der Bachelorabschlüsse in anderen Studiengängen erscheint es bei Lehramtsstudiengängen fraglich, ob der Bachelorabschluss auch in tatsächlicher Hinsicht ein erster berufsqualifizierender Abschluss ist, insbesondere ob es für Bachelorabsolventen überhaupt ein relevantes Berufsbild gibt, oder ob der Bachelorabschluss bei lehramtsgerichteten Studiengängen letztlich – von seiner tatsächlichen Bedeutung her betrachtet – lediglich eine Art „Zwischenprüfung“ auf dem Weg zum Erhalt der Lehrbefähigung darstellt (die Frage nach dem Zusammenhang mit der Berufswirklichkeit ebenfalls aufwerfend: OVG NRW, B. v. 26.01.2011, 13 B 1640/10, juris Rn. 19). Der Beruf des Lehrers setzt an öffentlichen Schulen nach § 51 Abs. 1 Satz 1 NSchG die Lehrbefähigung für die entsprechenden Fächer und für die jeweilige Schulform voraus. Die Lehrbefähigung erhält gemäß § 6 Abs. 1 NLVO-Bildung, wer ein für das betreffende Lehramt vorgeschriebene Studium mit einem Mastergrad („Master of Education“) absolviert und den Vorbereitungsdienst mit einer Prüfung erfolgreich abgeschlossen hat. Auch an Schulen in freier Trägerschaft müssen Lehrkräfte über eine Ausbildung und Prüfungen, die denjenigen von Lehrkräften an den entsprechenden öffentlichen Schulen gleichwertig sind, verfügen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 NSchG). Aus dem Blickwinkel des Berufsbildes „Lehrer an einer öffentlichen oder privaten Schule“ stellt der Masterstudiengang daher keine Zusatzqualifikation, sondern lediglich einen notwendigen Ausbildungsabschnitt dar.

17

Im Hauptsacheverfahren wird dementsprechend zunächst – durch Einholung von Stellungnahmen und Sachverständigengutachten – zu klären sein, welche Berufsmöglichkeiten sich Bachelorabsolventen lehramtsbezogener Studiengänge – sowohl in qualitativer als auch in quantitativer Hinsicht – eröffnen. Sollte es für Absolventen lehramtsbezogener Studiengänge kein praktisch relevantes Berufsfeld geben, wäre ein Bachelorabschluss, der die besonderen Eignungsanforderungen nicht erfüllt, faktisch wertlos und aus der Perspektive der Berufswirklichkeit auch nicht „berufsqualifizierend“. Die besonderen Eignungsvoraussetzungen des Masterstudiengangs würden zu einer Art erhöhter Bestehensgrenze für den Bachelorstudiengang. Bachelorabsolventen, denen durch den Erwerb des Bachelorabschlusses das grundsätzliche Erreichen des Ausbildungsziels bestätigt worden ist, würde letztlich gleichwohl die Fortsetzung ihrer Ausbildung verwehrt werden.

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Insofern würde sich die Frage stellen, ob ein Ausschluss vom „weiteren“ Studium, der nicht durch eine (Zwischen-)Prüfung erfolgt, in der die Eignung zur Fortsetzung des Studiums festgestellt wird, sondern auf einer von der Hochschule festgesetzten Qualitätsanforderung beruht, verhältnismäßig ist. Besondere Eignungsanforderungen sollen ihrer Funktion nach deutlich über den für das Bestehen erforderlichen Noten liegen und damit gerade jenen Teil der Bachelorabsolventen ausschließen, der mit den schlechtesten Ergebnissen „gerade so“ bestanden hat. Eine Orientierung kann dabei das ECTS-Bewertungssystem („European Credit Transfer System“) bieten, indem die besondere Eignungsnote beispielsweise nach der Maßgabe festgesetzt wird, dass nur diejenigen Studenten, die einen ECTS-Grad von „C“ oder besser erreicht haben, d.h. zu den besten 65 % ihrer Vergleichsgruppe gehören, die besondere Eignung erfüllen (vgl. OVG Rh-Pf, B. v. 21.07.2010, 10 D 10792/10, juris Rn. 15-18). Dementsprechend dienen besondere Eignungsvoraussetzungen der Qualitätssicherung weiterführender, Zusatzqualifikationen vermittelnder Studiengänge und nicht der Feststellung des Erreichens von (Zwischen-) Ausbildungszielen. Es bestehen daher erhebliche Zweifel, ob sie ihrer Funktion nach überhaupt geeignet wären, einen faktischen Ausschluss von der Fortsetzung einer einheitlichen Ausbildung zu regeln.

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2. Vor diesem Hintergrund sind die Erfolgsaussichten im Hauptsacheverfahren als offen zu bewerten, so dass die Kammer auf der Grundlage einer Interessenabwägung zu entscheiden hat. Dabei ist – unter Berücksichtigung der Bedeutung der verfassungsrechtlich garantierten Berufsausbildungsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 GG und dem Gebot des effektiven Rechtsschutzes aus Art. 19 Abs. 4 GG – das Interesse des Antragstellers, seine Lehramtsausbildung durch Aufnahme des Masterstudiums fortzusetzen, gegenüber dem Interesse der Hochschule, einen Bewerber, der die von ihr festgesetzten besonderen Eignungsvoraussetzungen nicht erfüllt, in einem ohnehin nicht zulassungsbeschränkten Studiengang nicht aufzunehmen zu müssen, von erheblich größerem Gewicht. Der Antragsteller könnte andernfalls sein Masterstudium erst nach einem sich möglicherweise über einen längeren Zeitraum durch mehrere Instanzen hinziehenden Gerichtsverfahren aufnehmen, während die Antragsgegnerin nur einen von ihr nicht für „besonders geeignet“ gehaltenen Studierenden ausbilden muss, der jedoch keinem anderen Bewerber einen Studienplatz „wegnimmt“. Unter diesen Umständen muss sich der Antragsteller auch nicht auf lehramtsbezogene Masterstudiengänge anderer Universitäten, für die keine besonderen Zugangsvoraussetzungen festgesetzt worden sind, verweisen lassen. Zum einen steht dadurch noch nicht fest, dass der Antragsteller dort einen Studienplatz bekäme, weil diese Studiengänge zulassungsbeschränkt sein können. Zum anderen ist der Antragsteller auch kein Ortswechseler, der bereits an einer anderen Hochschule in dem begehrten Studiengang studiert und dem daher bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache die Fortsetzung seines Studiums an der anderen Hochschule grundsätzlich zumutbar ist (vgl. VG Hannover, B. v. 12.05.2004, 6 C 1864/04, juris Rn. 12). Er hat vielmehr sein Bachelorstudium bei der Antragsgegnerin absolviert und ist ortsansässig.

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B. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung erfolgt gemäß § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1 und 2 GKG i.V.m. Nr. 18.1, Nr. 1.5 Satz 2 Streitwertkatalog.

 


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