Urteil vom Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht (8. Kammer) - 8 A 18/10

Tenor

Der ablehnende Bauvorbescheid der Beklagten vom 18.05.2009 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 17.11.2009 wird aufgehoben.

Die Beklagte wird verpflichtet, auch Ziffer 1 und 2 der Bauvoranfrage vom 23.02.2009 positiv zu bescheiden.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Der Beklagten wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung in gleicher Höhe Sicherheit leisten.

Tatbestand

1

Die Kläger begehren die Erteilung eines positiven Bauvorbescheides zur planungsrechtlichen Zulässigkeit eines Umbaus und einer geringfügigen Erweiterung ihres Einfamilienhauses in der ... 20 in ....

2

Sie sind Eigentümer des genannten Grundstückes im unbeplanten Innenbereich von Travemünde. Das Grundstück stellt das Eckgrundstück zur Straße ... dar. Nördlich der Straße ... schließt sich ein Golfplatzgelände mit Parkplatz an, südlich der Straße ... ist reine Wohnbebauung, ganz überwiegend in Form von freistehenden Einfamilienhäusern, vorhanden. Die meisten Gebäude in der ... (wie auch in der ... und im ...) sind offen in fünfziger/sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts mehr oder weniger nach Maßgabe eines nicht übergeleiteten Durchführungsplanes (Nr. 56) genehmigt und errichtet worden. Dieser Plan sah eine bestimmte Gebäudestellung mit festgesetzter Dachneigung und Dachform vor. So sind die Gebäude ... 12-20 traufständig mit Satteldächern errichtet worden, die Gebäude auf der gegenüberliegenden Straßenseite (Nrn. 11-19) giebelständig mit Satteldächern. Im weiteren Verlauf der ... sind Walmdächer (gerade Hausnummern) bzw. einhüftige Dächer mit erhöhter Traufhöhe im rückwärtigen Bereich (ungerade Hausnummern) vorhanden. Im Bereich .../ ... ist eine einheitliche Dachform nicht mehr zu erkennen. Im insbesondere interessierenden Bereich beidseitig der ... (Nrn. 11-20) ist zumindest straßenseitig die ursprüngliche Gebäudeausrichtung und Dachform noch vorhanden.

3

Das Gebäude der Kläger selbst ist – abweichend vom Standort des Durchführungsplanes – etwa quadratisch mit kleineren Anbauten (etwas vorgezogenes Kinderzimmer im Erdgeschoss an der Süd-West-Ecke, Speisekammer im Erdgeschoss an der Nord-Ost-Ecke) errichtet worden. Es ist eingeschossig und mit einem zur ... hin traufständigen Satteldach versehen.

4

Mit Schreiben vom 23.02.2009 beantragten die Kläger über ihren Architekten die Erteilung eines positiven Bauvorbescheides in Bezug auf die planungsrechtliche Zulässigkeit zu folgenden Fragen:

5

1. Wird eine Erweiterung im EG (Windfang) sowie im DG (Baderweiterung mit Galerie) mit Giebelständigkeit zur Süd-West-Seite genehmigt?

6

2. Wird eine Erweiterung im DG (Ankleidekammer) mit geringer Giebelständigkeit zur Nord-Ost-Seite genehmigt?

7

3. Wird der Einbau einer Dachgaube im DG (Schlafzimmer zur Nord-Ost-Seite) genehmigt?

8

Nachdem das gemeindliche Einvernehmen zu den Fragen 1. und 2. versagt worden war, erging unter dem 18.05.2009 ein Bauvorbescheid des Inhalts, dass in Bezug auf die Frage 3. keine planungsrechtlichen Bedenken bestünden, die in den Ziffern 1. und 2. angesprochenen Umbauten jedoch aus planungsrechtlichen Gründen nicht genehmigungsfähig seien. Zur Ablehnung in Bezug auf die Frage 1. führte die Beklagte zur Begründung aus, die angefragte Dachgeschoss-Erweiterung zur Süd-West-Seite (Straßenseite) füge sich nicht in die Eigenart der näheren Umgebung ein, da die Dachgeschosswohnfläche durch die Errichtung des straßenseitigen Giebels über die „glatte“ Satteldachfläche hinaus in Anspruch genommen werden solle, wofür es in dem geplanten Umfang und in der vorgesehenen Größe bei den Gebäuden der näheren Umgebung im Verlauf der ... keine Vorbilder gebe. Das Orts- und Straßenbild in der ... sei auf der Ostseite durch traufständig zur Straße stehende Ein- bzw. Zweifamilienwohnhäuser geprägt. In diese Traufständigkeit reihe sich ohne die beantragten baulichen Veränderungen auch das Wohnhaus der Kläger harmonisch ein. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite seien die Wohngebäude zur Straße giebelständig angeordnet. Auf diese Weise entstehe durch die jeweils in die gleiche Firstrichtung ausgerichteten Gebäude für den Betrachter ein harmonisches, ausgewogenes und auch beruhigend wirkendes Orts- und Straßenbild. Bei den Gebäuden in der näheren Umgebung im Verlauf der ... seien lediglich Dachgauben allein oder mit vorgelagerten Dachterrassen vorhanden. Durch die geplante straßenseitige Giebelerrichtung werde das harmonisch, durch traufständige Gebäude geprägte Straßenbild mehr als nur geringfügig beeinträchtigt, da der geplante Giebel mit einer Breite von ca. 7 m ca. 70 % der Gebäudelänge in Anspruch nehme und somit aus einem zur Straße traufständigen Gebäude ein giebelständiges Gebäude mache. Außerdem werde die vorhandene Traufhöhe des Hauptgebäudes erheblich, nämlich um ca. 1,60 m überschritten, was ebenfalls als rahmenüberschreitend einzustufen sei. Darüber hinaus werde auch das vorhandene Ortsbild beeinträchtigt. Das Ortsbild sei in diesem Grundstücksbereich durch eine eingeschossige Einzelhausbebauung mit zur Straße traufständiger Baukörperausrichtung geprägt, die eine straßenbegleitende Grundstruktur mit Ortsbild prägendem Charakter erkennen lasse. Die Errichtung eines straßenseitigen Giebels einschließlich einer Überhöhung der Traufe um ca. 1,60 m liege außerhalb dieser Struktur und störe geradezu den Ortsbild prägenden Charakter dieser Siedlung.

9

Auch eine Zulassung des geplanten Vorhabens nach § 34 Abs. 3 a BauGB komme nicht in Betracht, da eine städtebauliche Vertretbarkeit nicht gegeben sei.

10

Im Hinblick auf eine genehmigungsfähige Planung werde empfohlen, auf die straßenseitige Dachgeschosserweiterung mit Giebelerrichtung zu verzichten und den gewünschten Erweiterungsbedarf mittels Errichtung einer entsprechend auf die Proportion des Gebäudes abgestimmten Dachgaube zu realisieren. Hinsichtlich Ziffer 2. führte die Beklagte aus, der angefragte rückwärtig geplante Giebel ordne sich zwar hinsichtlich seiner Breite unter, er füge sich jedoch hinsichtlich seiner Traufhöhe, die mit ca. 2,60 m mehr als erheblich über die Traufhöhe des Hauptgebäudes hinausrage, nicht in die eigene Art der Umgebung ein.

11

Insoweit wurde empfohlen, die Traufhöhe des Hauptgebäudes nicht zu überschreiten.

12

Gegen den ablehnenden Bauvorbescheid legten die Kläger am 02.06.2009 Widerspruch ein und führten zur Begründung aus, die nähere Umgebung im Sinne von § 34 Abs. 1 BauGB sei unzutreffend bemessen worden. Insbesondere sei auch die, von der Straße ... her gesehen schon mit dem übernächsten Grundstück beginnende Bebauung im Bereich .../ ... in die Betrachtung mit einzubeziehen. Gerade in diesem Bereich sei eine homogene Giebel- bzw. Traufständigkeit nicht zu erkennen. Auch entlang der ... könne nicht von einer homogenen Dachgestaltung ausgegangen werden. So sei das Gebäude Nr. 6 nicht traufständig und die Gebäude mit den Nummern 5, 7 und 9 nicht giebelständig. Insgesamt füge sich das geplante Vorhaben in die eigene Art der näheren Umgebung ein. Bodenrechtliche Spannungen würden nicht erzeugt, ein Planungsbedürfnis entstehe nicht. Von einer Ortsbildbeeinträchtigung könne schon deswegen keine Rede sein, weil die nähere Umgebung insoweit keine besondere Wertigkeit aufweise. Hilfsweise sei zumindest eine Zulässigkeit des geplanten Vorhabens nach § 34 Abs. 3 a BauGB gegeben.

13

In einem internen Vermerk wies die Stadtplanungsabteilung der Beklagten am 06.08.2009 daraufhin, dass in der Widerspruchsbegründung als Haus „ ... 7“ angesprochene Gebäude habe seine tatsächliche Belegenheit und Adresse am .... Das Grundstück habe, wie dieser Irrtum belege, eine atypische Lage zwischen ... und der Straße ... und stelle insoweit einen Ausreißer dar. Die ... habe keine trennende Wirkung, so dass auch die dem klägerischen Grundstück gegenüberliegende Straßenseite mit einzubeziehen sei. Das Gebäude ... 6 sei ein Walmdachhaus, das mit der Längsseite traufständig an der Straße stehe. Erst jenseits der Einmündung der ..., also weiter entfernt vom Grundstück der Kläger, seien auch die Häuser auf der gegenüberliegenden Straßenseite traufständig.

14

Den eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 17.11.2009 zurück und führte zur Begründung aus, als nähere Umgebung im Sinne von § 34 Abs. 1 BauGB seien die Gebäude ... 12-20 sowie auf der gegenüberliegenden Seite die Gebäudenummern 19-11 (Einmündung ...) her-anzuziehen. Durch die jeweils in gleicher Firstrichtung ausgerichteten Gebäude ergebe sich für den Betrachter ein harmonisches, ausgewogenes und beruhigend wirkendes Straßenbild. Die geplante Dachgeschosserweiterung zur Süd-West-Seite füge sich aufgrund der geplanten straßenseitigen Giebelerrichtung sowie durch die von der weitestgehend einheitlichen Traufhöhe abweichende Traufhöhe nicht in die Eigenart der näheren Umgebung ein. Straßenseitig sei der giebelständige Vorbau mit über 7 m deutlich breiter als die Hälfte des Hauptgebäudes mit einer Länge von ca. 10,70 m. Überdies werde auch das Ortsbild beeinträchtigt. Der Begriff des Ortsbildes im Sinne von § 34 Abs. 1 Satz 2 BauGB stelle auf einen größeren Maßstab ab als die für das Einfügensgebot maßgebliche nähere Umgebung. Unter Ortsbild sei die bauliche Ansicht eines Ortes oder Ortsteiles bei einer Betrachtung sowohl von innen als auch von außen her zu verstehen. Dieser städtebaulich zu verstehende Begriff schließe, ähnlich dem der Erhaltungssatzung, solche Gestaltungselemente mit ein, die die Gestaltung des jeweiligen Gebäudes beträfen, wie z. B. die Dachform und die Stellung der baulichen Anlagen auf dem Grundstück, soweit dies städtebaulich von Bedeutung sei. Zum Bezugsrahmen komme insoweit die ... in Verlängerung über die Einmündung ... hinaus bis zur Einmündung ... in Betracht. Sämtliche Bebauung lasse eine einheitliche, Ortsbild prägende Grundstruktur erkennen. Die Errichtung eines straßenseitigen Giebels einschließlich einer Überhöhung der Traufe um ca. 1,60 m liege außerhalb dieser Struktur und störe dadurch den Ortsbild prägenden Charakter der Siedlung.

15

Eine Zulassung nach § 34 Abs. 3 a BauGB komme nicht in Betracht, da das geplante Vorhaben städtebaulich nicht vertretbar sei.

16

Gegen den ablehnenden Bauvorbescheid idF des Widerspruchsbescheides haben die Kläger am 30.11.2009 Verpflichtungsklage erhoben. In der Klagebegründung wiederholen und vertiefen sie ihr Vorbringen aus dem Verwaltungsverfahren und verweisen insbesondere erneut auf das Gebäude ... (richtig: ...) 7. Im Übrigen seien in der näheren Umgebung Gebäude mit wesentlich höheren Traufhöhen vorhanden. Das geplante Vorhaben verursache keinerlei bodenrechtliche Spannungen. Insbesondere bleibe auch die von der Beklagten angesprochen Traufständigkeit des klägerischen Gebäudes, da durch den geplanten Anbau im Südwesten die Hauptfirstrichtung nicht verändert werde.

17

Die Kläger beantragen,

18

die Beklagte zu verpflichten, unter Aufhebung des ablehnenden Bauvorbescheides vom 18.05.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.11.2009 ihre Bauvoranfrage positiv zu bescheiden.

19

Die Beklagte beantragt,

20

die Klage abzuweisen.

21

Sie verweist zur Begründung auf die angefochtenen Bescheide.

22

Im Rahmen der vor Ort durchgeführten mündlichen Verhandlung am 21.04.2010 hat das Gericht die Örtlichkeiten der Umgebung des klägerischen Grundstücks in Augenschein genommen. Insoweit wird auf das Sitzungsprotokoll und die gefertigten Fotografien Bezug genommen.

23

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge verwiesen. Diese waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

24

Die Klage ist zulässig und begründet.

25

Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig und verletzen die Kläger in ihren Rechten. Sie haben einen Anspruch darauf, dass ihre Bauvoranfrage auch bezüglich der Ziffern 1. und 2. positiv beschieden wird. Das geplante Vorhaben fügt sich im Sinne von § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB in die Eigenart der näheren Umgebung ein. Eine Ortsbildbeeinträchtigung im Sinne von § 34 Abs. 1 Satz 2 BauGB liegt nicht vor.

26

Gemäß § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist ein Vorhaben innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile zulässig, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt. Vorliegend ist allein streitig, ob sich das geplante Vorhaben nach dem Maß der baulichen Nutzung insoweit einfügt. Dies ist zur Überzeugung des erkennenden Gerichts der Fall.

27

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 23.03.1994 – 4 C 18/92 -; Juris) kommt es bei Dachgeschossaus- und –umbauten für das Einfügen nach dem Maß der baulichen Nutzung nicht auf die Feinheiten der Berechnungsregeln der Baunutzungsverordnung an. Entscheidend ist allein, ob sich das Gebäude als solches in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass § 34 BauGB insgesamt eine planersetzende Vorschrift ist. Er regelt die Bebaubarkeit der innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils liegenden Grundstücke, wenn ein Bebauungsplan für das Grundstück nicht vorhanden ist. Existiert ein Bebauungsplan, so bestimmt er, was planungsrechtlich zulässig ist. Ein Planersatz kann aber nicht mehr regeln als der Plan selbst. Im Gegenteil ist für das Einfügensgebot des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB anerkannt, dass der sich aus der vorhandenen Bebauung ergebende Maßstab notwendig grob und ungenau ist und regelmäßig hinter planerischen Festsetzungen zurückbleibt. Erst recht ist es mit dem Vorrang des Bebauungsplanes vor der Regelung des § 34 BauGB unvereinbar, wenn die Gemeinde durch Untätigkeit weitergehende Einschränkungen der Bauvorhaben bewirken könnte als durch die Aufstellung eines Bebauungsplans (vgl. BVerwG, Urteil vom 11.05.2000 – 4 C 14/98 -; Juris).

28

Was nun die von der Beklagten allein bemängelte Änderung der Dachform angeht, unterfällt dies nicht der bundesrechtlich städtebaulichen Regelungsbefugnis und unterliegt damit auch nicht dem bundesrechtlichen Einfügensgebot des § 34 Abs. 1 BauGB.

29

Was bundesrechtlich aus städtebaulichen Gründen in einem Bebauungsplan regelbar ist, ergibt sich aus § 9 Abs. 1 BauGB, vorliegend interessierend aus den dortigen Ziffern 1 (Art und Maß der baulichen Nutzung) und 2 (die Bauweise, die überbaubaren und nicht überbaubaren Grundstücksflächen sowie die Stellung der baulichen Anlagen ). Soweit in Ziffer 2 die Stellung der baulichen Anlage angesprochen wird, ist dies eine Bestimmung über die Ausrichtung der Längsachse eines Gebäudes (vgl. Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 9, Rd. 41).

30

Ist wie vorliegend bei einem nahezu quadratischen Grundriss eine Bestimmung der Längsachse aus dem Verhältnis der Seiten zueinander nicht möglich und zudem ein Satteldach vorhanden, ist die Längsachse mit der Firstrichtung identisch. An dieser Grundausrichtung des Gebäudes der Kläger ändert sich jedoch nichts dadurch, dass im Dachbereich giebelständige Um- und Anbauten erfolgen sollen, da die neuen Quergiebel sowohl einzeln (mit ca. 5,20 m und ca. 3,80 m) als auch zusammen hinter der Hauptfirstlänge (von ca. 10,70 m) zurückbleiben und sich auch sonst, da sie die Höhe des Hauptfirstes nicht erreichen, dem Hauptfirst unterordnen.

31

Eine weitergehende Befugnis zur Festsetzung von Dachformen und anderen Einzelheiten der Dachgestaltung (z. B. Traufhöhe) ist aus § 1 Abs. 9 BauGB nicht abzuleiten (vgl. Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 9, Rd. 258). Derartige Regelungen sind vielmehr landesrechtlich gestalterischer Natur (vgl. § 84 LBO). Dass derartige Vorschriften über § 9 Abs. 4 BauGB, § 84 Abs. 3 LBO als Festsetzung in einen Bebauungsplan aufgenommen werden können, ändert nichts daran, dass sie keine bundesrechtlich städtebaulichen Gründe für einen Bebauungsplan sind und deshalb (erst recht) auch nicht dem bundesrechtlichen Einfügensgebot des § 34 Abs. 1 BauGB unterfallen.

32

Soweit die Beklagte somit darauf abstellt, dass in der näheren Umgebung eine Dachform bzw. eine Dachgestaltung, wie sie die Kläger planen, nicht vorhanden sei, ist dies kein Argument, dass bei einer Prüfung der Voraussetzungen des § 34 Abs. 1 BauGB zu berücksichtigen wäre. Insoweit bedarf es deshalb auch keiner genauen Festlegung der näheren Umgebung im Sinne von § 34 Abs. 1 BauGB, insbesondere kann insoweit offenbleiben, ob das Gebäude ... 7 (postalisch korrekt wohl: ... 7) mit in die Betrachtung einzubeziehen ist.

33

Was das eigentliche Maß der baulichen Nutzung im Sinne eines Einfügens nach § 34 Abs. 1 BauGB angeht, ergeben sich – offenbar auch nach Auffassung der Beklagten – keine Bedenken. Sowohl den „Empfehlungen“ in den angefochtenen Bescheiden als auch den Äußerungen der Vertreter der Beklagten in der mündlichen Verhandlung ist zu entnehmen, dass gegen die Umbauten als solche und die damit verbundene Vergrößerung der Wohnfläche keinerlei Bedenken im Sinne eines Einfügens bestehen, sondern sich diese allein auf die Form der Dachgestaltung beziehen.

34

Auch eine Ortsbildbeeinträchtigung im Sinne von § 34 Abs. 1 Satz 2 BauGB liegt nicht vor. Dies ergibt sich bereits daraus, dass die Auswirkungen des klägerischen Vorhabens schon den Grad einer „Beeinträchtigung“ nicht erreichen. Beim Beeinträchtigen des Ortsbildes kommt es nicht – wie beim Einfügensgebot – auf (fehlende) Übereinstimmung in den einzelnen Merkmalen der Bebauung an, sondern darauf, ob ein Gesamtbild, dass durch unterschiedliche Elemente geprägt sein kann, gestört wird. Dies ist nach dem ästhetischen Empfinden eines für Fragen der Ortsbildgestaltung aufgeschlossenen Betrachters zu beurteilen, das nicht verletzt sein darf. Zu beachten ist, dass nicht jedes Ortsbild schützenswert ist, nur weil es durch eine gewisse Einheitlichkeit oder Gleichartigkeit der Bebauung oder einzelner Elemente der Bebauung geprägt ist. Eine Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums muss für Einschränkungen seines Gebrauchs (hier: der Baufreiheit) hinreichend gewichtige Gemeinwohlbelange auf ihrer Seite haben. Sie darf nicht darauf hinauslaufen, dass im ungeplanten Innenbereich das Vorhandene in jeder Beziehung das Maß des Zulässigen bestimmt, nur weil es schon vorhanden ist. Das Ortsbild muss, um schützenswert zu sein und die Bau(gestaltungs)freiheit des Eigentümers einschränken zu können, eine gewisse Wertigkeit für die Allgemeinheit haben. Dies ist nicht das Ortsbild, wie es überall anzutreffen sein könnte. Es muss einen besonderen Charakter, eine gewisse Eigenheit haben, die dem Ort oder dem Ortsteil eine aus dem Üblichen herausragende Prägung verleiht (vgl. BVerwG, Urteil vom 11.05.2000 – 4 C 14/98 -; Juris).

35

Ein derartiges schützenswertes Ortsbild ist vorliegend – wiederum gleichgültig inwieweit der Rahmen der zu berücksichtigenden Umgebung zu ziehen ist – nicht ansatzweise vorhanden ist. Selbst die Vertreter der Beklagten haben in der mündlichen Verhandlung eingeräumt, dass sich die Umgebung des klägerischen Grundstückes als typische Wohnsiedlung wie viele andere auch darstellt. Irgendwelche Besonderheiten sind insoweit nicht benannt worden und waren auch nicht erkennbar. Es handelt sich vielmehr um eine typische Wohnsiedlung, deren Gebäude aufgrund ihres Alters von ca. 50 Jahren offenbar in den letzten Jahren bzw. in der näheren Zukunft ständigen Umbauten, Renovierungen und Änderungen unterlegen haben bzw. unterliegen werden, ohne dass dadurch ein besonderer Charakter verloren ginge.

36

Hinzu kommt, dass ein – schützenswertes – Ortsbild im Rahmen von § 34 BauGB wiederum nur in dem Umfang vor Beeinträchtigungen geschützt wird, wie dies im Geltungsbereich eines Bebauungsplanes durch Festsetzungen nach § 9 Abs. 1 BauGB und den ergänzenden Vorschriften der Baunutzungsverordnung möglich wäre. Bundesrechtlich nicht festsetzbare Dachformen (siehe oben) sind damit keine das Ortsbild im Sinne von § 34 BauGB prägenden Elemente. Nach § 1 Abs. 6 Nr. 5 BauGB ist zwar bei der Aufstellung der Bauleitpläne auch die Gestaltung des Ortsbildes zu berücksichtigen. Daraus folgt, dass grundsätzlich auch die Gestaltung des Ortsbildes bauplanerische Relevanz besitzt. § 1 Abs. 6 BauGB enthält jedoch keine Zulässigkeitsvoraussetzungen für Vorhaben im unbeplanten Innenbereich. Aus ihm ergibt sich nur, dass im Falle der Planung auch die Gestaltung des Ortsbildes beachtet werden muss. In welcher Weise dies rechtlich möglich ist, wird dagegen in § 9 Abs. 1 BauGB geregelt. Soweit sich – wie oben ausgeführt – gemäß § 9 Abs. 1 BauGB Dachformen in einem Bebauungsplan nicht festsetzen lassen, sind diese Dachformen damit auch kein Belang im Sinne eines Ortsbildes, dessen Sicherung das Bauplanungsrecht mit § 1 Abs. 6 Nr. 5 normativ vorgibt (vgl. BVerwG, Urteil vom 11.05.2000 – 4 C 14/98 -; Juris).

37

Nach alledem erweist sich das geplante Vorhaben der Kläger auch bezüglich der Ziffern 1. und 2. ihrer Bauvoranfrage als im Sinne von § 34 Abs. 1 BauGB zulässig, so dass der vorliegenden Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben war.

38

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO iVm §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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