Beschluss vom Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht (7. Kammer) - 7 B 204/16

Tenor

Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 20.07.2016 wird wiederhergestellt.

Die Kosten des Verfahrens werden dem Antragsgegner auferlegt.

Der Streitwert wird auf 5.000 € festgesetzt.

Gründe

I.

1

Der Antragsteller wendet sich gegen eine mit Sofortvollzug versehene Abschussanordnung für das in seinem Eigenjagdbezirk befindliche Muffelwild.

2

Der Antragsteller ist Eigentümer des Eigenjagdbezirks A-Stadt und übt dort die Jagd selbst aus. Im Eigenjagdbezirk bestand seit Mitte der Sechzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts ein nicht genehmigtes eingefriedetes Wildgehege, welches aufgrund der damaligen Rechtslage aus Bestandsschutzgründen geduldet wurde.

3

Bei einer Wildgehegekontrolle wurde am 24.09.2004 von … (Kreisveterinär) festgestellt, dass sich dort fünf Mufflons und fünf Stück Damwild befinden. Auf Befragen gab der Eigentümer und Vater des jetzigen Antragstellers an, dass es sich nicht um ein Wildgehege handeln würde, weil das Wild an einigen Stellen rein und raus wechseln könne. Es befände sich wohl noch weiteres Wild im Wald. … hielt fest, dass es sich um eine sehr naturnahe Wildhaltung handele und die Tiere keine per Fernglas feststellbaren Auffälligkeiten zeigten.

4

Bei einem Ortstermin am 30.09.2009 mit dem Antragsteller aus Anlass einer beantragten Abschussgenehmigung (des Pächters des gemeinschaftlichen Jagdbezirks A-Stadt vom 09.06.2009) für das Muffelwild gab der Antragsteller an, dass er das Gehege seines Vaters weiterführen wolle und einen Betreiberwechsel beantragen werde. Mit Schreiben vom 11.05.2010 beantragte er die Genehmigung des Betreiberwechsels. Dabei gab er an, dass sich ca. 45 Stück Muffelwild und 25 Stück Damwild in dem Gehege befänden. Bei einer Besichtigung im September 2010 wurde festgestellt, dass erhebliche Lücken im Zaun bestanden und die Tiere das Gehege jederzeit verlassen und zurück in das Gehege kommen könnten. Die für Tierhaltung im Gehege zu berücksichtigenden Auflagen könnten aufgrund der Gehegegröße und der Haltung als Wildtiere nicht eingehalten werden; der Antragsteller kündigte an, seinen Antrag zurückzuziehen, den Gehegezaun umzugestalten und die Bewirtschaftung des Muffelwildes in Abstimmung mit der Jagdbehörde vorzunehmen. Die Antragsrücknahme erfolgte mit Schreiben vom 16.09.2010.

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Bereits im August 2010 wurde im angrenzenden Jagdbezirk A-Stadt ein Muffelwidder erlegt, der verwachsene Schalen an allen vier Läufen aufwies (Mail Herr …). Ab 2010 wurden in den angrenzenden Jagdrevieren jeweils Abschussgenehmigungen für das Muffelwild innerhalb der Jagdzeit erteilt.

6

Bereits mit Bescheid vom 13.12.2012 wurde wegen der Auflösung des Gatters und der Einbringung von Muffelwild im Raum A-Stadt eine Abschussregelung für das Muffelwild angeordnet. Gegen diese Verfügung wurde vom Antragsteller Widerspruch erhoben, der aber nicht weiter bearbeitet wurde. Der Aktenvorgang war unauffindbar. Mit Bescheid vom 13.11.2015 wurde das Widerspruchsverfahren wegen Zeitablaufs eingestellt.

7

Mit Schreiben vom 13.11.2015 wurde der Antragsteller zum Erlass einer neuen Abschussregelung angehört. Mit Schreiben vom 10.12.2015 nahm der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers dazu Stellung und verwies im Wesentlichen darauf, dass das Muffelwild nicht aus dem ehemaligen Jagdgatter stamme, sondern aus dem bereits in den fünfziger Jahren gegründeten Gehege. Schon seit Mitte bis Ende der achtziger Jahre sei dies kein Gehege mehr gewesen, weil das Muffelwild sich Wege durch den Zaun gebahnt habe und aus dem Gehege fliehen konnte. Bereits seit Ende der achtziger Jahre sei das Muffelwild verwildert und überall im Eigenjagdbezirk A-Stadt anzutreffen gewesen. Dieser Zustand habe bis Ende 2000 angedauert, ohne dass sich die Behörden des Muffelwildes angenommen hätten. Vielmehr ergebe sich aus einem Vermerk der Behörde vom 04.06.2012 dass es sich um ausgewilderte Muffeltiere handele. Es sei daher nicht nachvollziehbar, wieso jetzt der Muffelwildbestand im Wege eines Totalabschlusses ausgerottet werden solle.

8

Die oberste Forst- und Jagdbehörde vertrat in einem Vermerk vom 30.09.2015 die Auffassung, dass es in freier Wildbahn in Schleswig-Holstein lediglich noch ein legales Vorkommen von Muffelwild gebe, alle weiteren Vorkommen seien durch Entweichen aus Wildgattern bzw. Auflösung von Gattern ohne vorherige Entnahme des Muffelwildes entstanden und seien unerwünschte Vorkommen. Für diese Bestände bestünden Abschussanordnungen der jeweiligen unteren Jagdbehörden.

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Im Rahmen eines Gespräches zum Muffelwild am 20.04.2016 wurde von der Wildhegegemeinschaft ein Bewirtschaftungsvorschlag für den Muffelwildbestand unterbreitet.

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Mit Bescheid vom 20.07.2016 wurde angeordnet, dass das im Eigenjagdbezirk befindliche Muffelwild bis zum 31.12.2017 bis auf ein Restbestand von 20 Tieren zu entnehmen sei. Der Restbestand sei unter Aufhebung der Schonzeit bis zum 31.12.2018 zu entnehmen. Für den Fall der nicht fristgemäßen Ausführung wurde die Durchführung im Wege der Ersatzvornahme angedroht. Zugleich wurde die sofortige Vollziehung der getroffenen Abschussregelung angeordnet. Zur Begründung wurde im Bescheid im Wesentlichen darauf abgestellt, dass sich die Ermächtigungsgrundlage für die Verfügung in § 33 Abs. 1 LJagdG finde. Nach § 28 BJagdG sei das Aussetzen oder das Ansiedeln fremder Tiere in der freien Natur nur mit schriftlicher Genehmigung der zuständigen obersten Landesbehörde oder der von ihr bestimmten Stelle zulässig. Unter fremde Tierarten fielen alle Tiere, die nicht der natürlichen Fauna angehörten. Bei der Anwendung des Begriffes „fremd“ sei aber auch auf die örtlichen Begebenheiten abzustellen. Muffelwild sei in diesem Sinne in der Bundesrepublik zwar grundsätzlich heimisch, käme allerdings in freier Wildbahn im Bereich um den Eigenjagdbezirk A-Stadt nicht vor. In Schleswig-Holstein existiere insgesamt nur ein sehr begrenzter wilder Muffelwildbestand im Kreis Ostholstein. Daher sei das Muffelwild als „fremd“ im Sinne des § 28 BJagdG zu definieren. Der Antragsteller sei bis zum Jahr 2010 davon ausgegangen, dass ein Wildgehege existiere, anders lasse sich sein Antrag auf einen Betreiberwechsel nicht deuten. Dabei könne dahingestellt bleiben, ob in den Jahren davor Muffelwild aus dem bestehenden unter Bestandsschutz fallenden Gehege entwichen sei. Denn während das Gehege als solches betrieben worden sei, sei der jeweilige Betreiber verpflichtet gewesen, das Gelände so zu umzäunen, dass das darin gehaltene Wild nicht entweichen könne. Der Antragsteller habe nach Rücknahme des Antrags Teile der Umzäunung des Geheges entfernt und damit bewusst in Kauf genommen, dass fremde Tiere ausgesetzt werden. Sofern in den Jahren davor Wild entwichen sei, habe dies nicht den Anforderungen an einen Betrieb von Wildgehegen genügt. Das Muffelwild sei als ausgesetzt anzusehen, sodass wegen des Verstoßes gegen § 28 BJagdG die verfügte Entnahme des Muffelwildes auf der Grundlage des § 33 Abs. 1 LJagdG angeordnet werden könne.

11

Die Ermessensentscheidung wurde im Wesentlichen damit begründet, dass das Aussetzen von Tieren in freier Wildbahn nicht mit den Zielen des Landesjagdgesetzes zu vereinbaren sei und dass das Muffelwild als nicht heimische Art die heimische Flora gefährde. Muffelwild bevorzuge in seiner ursprünglichen Heimat warme, trockene Gebiete mit steinigem Gelände in Höhenlagen von über 500 m. Die hier nicht geeigneten Bodenverhältnisse führen hingegen dazu, dass die Hufe auswachsen, wodurch die Tiere vermeidbare Schmerzen erleiden und letztlich eingehen könnten. Entsprechende Verwachsungen an den Schalen seien in der Vergangenheit bei dem Muffelwild festgestellt worden. Außerdem müssten Wildschäden verhindert werden. Wegen der Gefährdung des günstigen Erhaltungszustandes der Wildarten durch das Muffelwild, der Bildung eines landesökologisch und -kulturell nicht angepassten Muffelwildbestandes, der Beeinträchtigung der land- und forstwirtschaftlichen Nutzung durch nicht heimisches Muffelwild und den Belangen des Allgemeinwohls in Form des Tierschutzes überwiege das öffentliche Interesse an der Einhaltung der einschlägigen jagdrechtlichen Normen das Interesse des Antragstellers.

12

Die Anordnung des Sofortvollzuges wurde im Wesentlichen damit begründet, dass aufgrund des nicht mehr vorhandenen Wildgeheges ein nicht genehmigtes und nicht genehmigungsfähiges Aussetzen von Muffelwild stattgefunden habe. Um eine Gefährdung des natürlichen Wildbestandes zu verhindern und um zu verhindern, dass sich das Muffelwild vermehre, und dass aufgrund der nicht geeigneten Umweltbedingungen Schalenerkrankungen auftreten und sich der Bestand verfestige und sich ausweitete, sei die Anordnung der sofortigen Vollziehung im öffentlichen Interesse geboten. Der Bestand sei von ca. 55 Tieren im Jahr 2012 auf aktuell ca. 70 Tiere im Jahr 2016 angewachsen.

13

Am 19.08.2016 hat der Antragsteller Widerspruch erhoben. Diesen begründet er mit Schreiben vom 19.10.2016. Er verwies darauf, dass das Muffelwild gemäß dem Bundesjagdgesetz deutschlandweit dem Jagdrecht unterliege. Außerdem sei es nach der Berner Konvention von 1997 geschützt. Im Übrigen ergänzt und vertieft der Antragsteller sein bisheriges Vorbringen aus dem Verwaltungsverfahren. Insbesondere handele es sich bei dem Muffelwild nicht um eine fremde Tierart. Negative Auswirkungen auf die Flora seien nicht benannt. Auswachsende Schalen würden nur vereinzelt vorkommen. Wildschäden seien in A-Stadt nicht existent. Der angebotene Kompromiss in Form des Bewirtschaftungsvorschlages vom 20.04.2016 sei missachtet worden, Alternativmöglichkeiten im Sinne einer Ermessensentscheidung seien nicht einmal angedacht worden.

14

Am 15.11.2016 hat der Antragsteller den vorliegenden Antrag gestellt.

15

Zur Begründung verweist er unter Wiederholung seines Vorbringens aus dem Verwaltungsverfahren im Wesentlichen darauf, dass das Muffelwild nicht ausgesetzt worden sei, sondern ausgebrochen sei und zumindest seit mehr als zehn Jahren nachweislich als herrenloses Wild vorhanden gewesen sei und zudem im Rahmen der Abschussplanung spätestens seit 2009 durch die Behörden berücksichtigt und bewirtschaftet worden sei. Daraus ergebe sich, dass das Muffelwild in A-Stadt als heimische Wildart seitens der Behörden genehmigt worden sei. Dies manifestiere sich insbesondere auch durch die Abschussfreigabe seitens der Behörde. Im Übrigen sei der Totalabschuss eine ungeeignete Maßnahme. Er werde nicht die Ausrottung des Muffelbestandes nach sich ziehen, da der Muffelbestand sich auf verschiedene Reviere erstrecke, für welche aber entsprechende Verfügungen über ein Totalabschlusses nicht ergangen seien. Für den Antragsteller sei es schon gar nicht möglich, den Totalabschuss durchzuführen.

16

Die angeordnete sofortige Vollziehung entbehre nach alledem jedweder rechtlichen Grundlage. Eine sachlich korrekte Begründung hierfür fehle völlig. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung sei schon deshalb aufzuheben, da das Muffelwild keinerlei negative Auswirkungen auf die Umwelt ausübe. Es bestehe keine Eilbedürftigkeit für die Klärung der Frage, welches Interesse überwiege. Die untere Naturschutzbehörde habe keinen Handlungsbedarf nach § 40 BNatschG gesehen. Weiter legte der Antragsteller Erklärungen vor, dass das Muffelwild bereits seit den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts in freier Wildbahn vorhanden gewesen sei.

17

Der Antragsteller beantragt,

18

die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen die Verfügung des Totalabschusses der Antragsgegnerin vom 20.07.2016 wiederherzustellen.

19

Der Antragsgegner beantragt,

20

den Antrag abzulehnen.

21

Zur Begründung verweist der Antragsgegner insbesondere darauf, dass dem damaligen Eigentümer im Jahr 2004 bewusst gewesen sei, dass das Wild aus dem Gehege auswechseln könne. Gleichwohl sei er seiner Verpflichtung nicht nachgekommen, die Umzäunung instandzuhalten. Er habe die Tiere bewusst, also vorsätzlich, durch Unterlassung der Reparatur der Einfriedung, entweichen lassen, sodass ein Aussetzen der Tiere im Sinne des § 28 BJagdG vorliege. Der Antragsteller habe das Gehege übernommen und dieses Verhalten fortgesetzt.

22

Bei dem Muffelwild handele es sich auch um fremde Tiere, da ein natürlicher Muffelwildbestand im gesamten Kreis Rendsburg-Eckernförde und auch im Land Schleswig-Holstein nicht bestehe. Lediglich für einen vor Inkrafttreten des Landesjagdgesetzes ausgebildeten Bestand im Kreis Ostholstein seien keine Anordnungen erlassen worden, da dieser Bestandsschutz genieße. Selbst wenn das Muffelwild nicht als fremde Tierart anzusehen wäre, wäre für das Aussetzen gemäß § 19 LJagdG eine Genehmigung erforderlich gewesen, die nicht erteilt worden sei. Ein behördliches Einschreiten wäre somit auch deshalb möglich.

23

Der Bestand sei auch nicht durch die untere Jagdbehörde geduldet worden, es seien vielmehr seit dem Bekanntwerden entsprechende Anordnungen zum Abschuss erlassen worden. Es gebe im Übrigen kein gleich geeignetes, milderes Mittel zur Erreichung der Grundsatzziele der Hege in § 1 Bundes- und § 1 LJagdG. Insbesondere seien Verwachsungen an den Schalen beim Muffelwild in der Vergangenheit und nach entsprechender Beobachtung in Nachbarrevieren auch aktuell aufgrund der hier nicht geeigneten Bodenverhältnisse bei etlichen Tieren aufgetreten. Außerdem müsse vermieden werden, das Land- und Forstwirte Beeinträchtigungen der ordnungsgemäßen Nutzung ihrer Flächen durch Wildschäden von nicht heimischen Wild hinnehmen müssten (§ 1 Abs. 2 BJagdG). Da bisher keine Wildschafe im Kreis existierten, erhöhe sich zudem das Risiko des Eintrags von ansteckenden Krankheiten in Nutztierbestände. Es sei auch nicht zu beanstanden, dass der Antragsteller als Eigentümer des Eigenjagdbezirkes und Inhaber des Jagdausübungsrechtes als Pflichtiger für die Umsetzung der Maßnahmen Anspruch genommen worden sei. Es sei ein ausreichend bemessener Zeitraum für die Umsetzung der Maßnahme gesetzt worden.

24

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des übrigen Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und den der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.

II.

25

Der zulässige Antrag ist begründet. Zum einen bestehen Bedenken hinsichtlich einer offensichtlichen Rechtmäßigkeit der angegriffenen Verfügung, sodass die gebotene Interessenabwägung zu Gunsten des Antragstellers ausfällt, zum anderen genügt die Sofortvollzugsbegründung nicht den gesetzlichen Anforderungen.

26

Die gerichtliche Entscheidung nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO ergeht auf der Grundlage einer umfassenden Interessenabwägung. Gegenstand der Abwägung sind das private Aufschubinteresse und das öffentliche Interesse an der Vollziehung des Verwaltungsaktes. Hat die Behörde die sofortige Vollziehung gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO angeordnet, kommt es darauf an, ob die Behörde zu Recht das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung höher gewichtet hat als das private Interesse, bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens den Verwaltungsakt nicht befolgen zu müssen. Im Rahmen dieser Interessenabwägung können auch Erkenntnisse über die Rechtmäßigkeit und die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes, der vollzogen werden soll, Bedeutung erlangen, allerdings nicht als unmittelbare Entscheidungsgrundlage, sondern als in die Abwägung einzustellende Gesichtspunkte, wenn aufgrund der gebotenen summarischen Prüfung Erfolg oder Misserfolg des Rechtsbehelfs offensichtlich erscheinen. Lässt sich bei der summarischen Überprüfung die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides ohne Weiteres feststellen, ist sie also offensichtlich, so ist die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs wiederherzustellen, weil an einer sofortigen Vollziehung eines offensichtlich rechtswidrigen Bescheides kein öffentliches Interesse bestehen kann.

27

Erweist sich nach der genannten Überprüfung der angefochtene Bescheid als offensichtlich rechtmäßig, ist zu differenzieren zwischen dem gesetzlich angeordneten Sofortvollzug und den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse von der Behörde im Einzelfall angeordnet wurde. Im letztgenannten Falle bedarf es neben der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides noch eines besonderen öffentlichen Vollzugsinteresse, das mit dem Interesse am Erlass des Verwaltungsaktes nicht identisch, sondern vielmehr ein qualitativ anderes Interesse ist. Dieses besondere öffentliche Vollziehungsinteresse ist von der Behörde gemäß § 80 Abs. 3 VwGO besonders zu begründen ( vgl. OVG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 06.08.1991 – 4 M 109/91 – SchlHAnz. 1991, 220f ).

28

Eine offensichtliche Rechtmäßigkeit des Bescheides lässt sich nicht feststellen. Ermächtigungsgrundlage für die Abschussanordnung ist § 33 Abs. 1 LJagdG. Danach hat die Jagdbehörde darüber zu wachen, dass die jagdrechtlichen Bestimmungen erfüllt werden und zu diesem Zweck die nach pflichtgemäßem Ermessen notwendigen Anordnung zu treffen.

29

Nach § 28 Abs. 3 BJagdG ist das Aussetzen oder Ansiedeln fremder Tiere in der freien Natur nur mit schriftlicher Genehmigung der zuständigen obersten Landesbehörde oder der von ihr bestimmten Stelle zulässig. Eine solche Genehmigung liegt hier nicht vor. Nach § 28 Abs. 4 BJagdG kann das Hegen oder Aussetzen weiterer Tierarten durch die Länder beschränkt oder verboten werden. § 19 LJagdG bestimmt, dass heimisches Wild nur mit Genehmigung der Jagdbehörde ausgesetzt werden darf.

30

Wild wird ausgesetzt, indem es bewusst, unter Aufgabe der unmittelbaren Sachherrschaft mit dem Ziel, dass es herrenlos wird, in die freie Natur entlassen wird. Gelangt ein Tier aufgrund fahrlässigen Verhaltens des Besitzers (vgl. § 960 Abs. 2 und 3 BGB) in die Freiheit, liegt kein Aussetzen vor (vgl. Schuck, Bundesjagdgesetz, 2. Aufl.,§ 28 Rn.3).

31

Danach ist es bereits zweifelhaft, ob der Antragsteller als Rechtsnachfolger seines Vaters als jemand angesehen werden kann, der das Muffelwild „ausgesetzt“ hat. Nach Aktenlage befand sich Muffelwild bereits seit den achtziger Jahren außerhalb des Geheges. Darin mag ein fahrlässiges Verhalten des Rechtsvorgängers des Antragstellers oder in neuerer Zeit des Antragstellers selbst gesehen werden, was aber nicht den Tatbestand des Aussetzen erfüllen dürfte. Der Verstoß gegen naturschutzrechtliche Regelungen zum Betreiben eines Geheges ist in diesem Rechtsrahmen zu würdigen, dürfte ein Aussetzen im Sinne jagdrechtlicher Vorschriften aber wohl nicht begründen.

32

Dabei kann in diesem Zusammenhang dahinstehen, ob ein Aussetzen im Sinne der Vorschrift bereits durch ein Unterlassen der Pflege und Instandhaltung der Einfriedung verwirklicht werden kann. Zum einen ist nicht geklärt, seit wann die Unterhaltung der Einfriedung unvollkommen war und zum anderen erfüllt allein ein Entweichen des Wildes gegen den Willen des Unterhaltungspflichtigen nicht den Tatbestand des „Aussetzens“. Vielmehr ist derzeit ungeklärt, seit wann sich außerhalb des Geheges ein Muffelwildbestand nachhaltig etabliert hat.

33

Für die Entscheidung wesentlich ist indes, dass nicht im Sinne einer Offensichtlichkeit eindeutig feststeht, ob es sich bei dem Muffelwild um eine fremde Tierart i.S.v § 28 Abs. 3 BJagdG handelt. Das Muffelwild unterliegt in Deutschland dem Jagdrecht nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 BJagdG. Fremde Tierarten sind in jedem Fall Tierarten, die in Deutschland bei Inkrafttreten des Bundesjagdgesetzes nicht heimisch gewesen sind. Damit kommt es auf den Zeitpunkt des 01.04.1953 an, wonach Muffelwild in Deutschland bereits heimisch war. Indes ist, wenn die Länder den Begriff fremd nicht weiter konkretisiert haben, auf die örtlichen Begebenheiten abzustellen und nicht auf den Umstand, ob das Wild zu den bejagdbaren Tieren zählt oder überregional nicht vorkommt. In Nordrhein-Westfalen gilt Muffelwild nicht als fremde Tierart (vgl. insgesamt Schuck, Bundesjagdgesetz, 2. Aufl.,§ 28 Rn.4).

34

Nach dem Wildtier-Kataster (2016) Schleswig-Holstein (Landesjägerschaft in Zusammenarbeit mit Uni Kiel, Institut für Natur-&Ressourcenschutz) wurde das Muffelwild um 1900 als Park- und Jagdwild eingebürgert. Bemerkenswert seien die alten Vorkommen in Ostholstein. Eine weitere Mufflonpopulation existiere im Landkreis Steinburg und neuerdings im A-Stadt, die noch 1998 beschriebenen Vorkommen im A Forst seien erloschen. Weiter gab es in Schleswig-Holstein Einbürgerungsversuche des Mufflons (Heidemann, Witt, Einbürgerung des Mufflons in Schleswig-Holstein, Z.Jagdwiss. 24 1978, S. 24-26), die zum Teil erfolgreich verliefen. Auch im Jahresbericht 2016 zur biologischen Vielfalt - Jagd und Artenschutz - des MELUR wird lediglich formuliert, das Muffelwild in Schleswig-Holstein überwiegend als nicht heimisch zu betrachten sei. Hierfür spreche auch, dass das Problem mit auswachsenden Schalen, mit Ausnahme eines Vorkommens in Ostholstein, angesichts der Bodenverhältnisse in Schleswig Holstein weit verbreitet sei, zum Teil seien Abschussanordnungen erforderlich.

35

Danach kann nicht ohne Weiteres davon ausgegangen werden, dass es sich bei dem Muffelwild um eine in Schleswig-Holstein fremde Tierart handelt. Vielmehr gibt es genügende Anhaltspunkte, von einer einheimischen Tierart auszugehen. Insbesondere der tierschutzrechtliche Aspekt der Schalenverwachsungen wird lediglich problematisiert, aber quantitativ nicht nachgewiesen. Daher ist unklar, ob es sich um Einzelfälle handelt oder ein generelles Problem vorliegt. Nach Aktenlage wird unterschiedlich von einer gesunden Population ausgegangen und es werden lediglich Einzelfälle von Schalenverwachsungen dokumentiert.

36

Ebenso verhält es sich mit den befürchteten Folgen für die Fauna, Wildschäden und Einschleppen von Erkrankungen in Nutztierbestände. Diese Folgen und Gefährdungen werden lediglich behauptet, aber nicht mal ansatzweise substantiiert aufgezeigt und nachgewiesen.

37

Weiter leidet die Ausgangsverfügung an einem Ermessensfehler im Sinne des § 114 VwGO. Der Antragsgegner hat die Verhältnismäßigkeit des Eingriffs vor dem Hintergrund, dass das Muffelwild inzwischen nicht allein im Eigenjagdbezirk des Antragstellers vorkommt, sondern sich in die umliegenden Jagdbezirke ausgebreitet hat, nicht genügend gewürdigt. Insbesondere hat der Antragsgegner nicht abgewogen, ob eine intensive Bewirtschaftung des Muffelwildbestandes im Rahmen der Hegegemeinschaft dem Ziel der Bestandsreduzierung nicht näher kommt, als allein ein auf den Eigenjagdbezirk beschränktes Abschussgebot, welches den Muffeltierbestand außerhalb des Eigenjagdbezirkes nicht berührt. Insbesondere ist der Vorschlag der Hegegemeinschaft zu einer Abschussplanung entsprechend dem Bewirtschaftungsvorschlag vom 20.04.2016 nicht ausreichend gewürdigt und in die Entscheidung einbezogen worden.

38

Die danach zu erfolgende Interessenabwägung fällt zu Gunsten des Antragstellers aus. Ein vollzogener Abschuss lässt sich nicht rückgängig machen, sollte sich die Anordnung als rechtswidrig erweisen. Daher überwiegt das private Interesse des Antragstellers am Erhalt und der weiteren jagdlichen Nutzung des Muffelwildes das öffentliche Interesse an einem sofortigen Totalabschuss. Die Folgen eines Abwartens der Entscheidung in der Hauptsache sind nicht derart belegt, dass das öffentliche Interesse den Sofortvollzug rechtfertigen kann.

39

Weiter fehlt es in der Begründung des Sofortvollzugs an der Darlegung des besonderen Vollzugsinteresses. Nach § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO ist das besondere öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung schriftlich zu begründen. Diese Begründungspflicht dient zum einen dazu, den Betroffenen in die Lage zu versetzen, durch Kenntnis der Gründe, die die Behörde zur Anordnung veranlasst haben, seine Rechte wirksam wahrzunehmen und die Erfolgsaussichten seines Rechtsmittels abzuschätzen. Da einem Widerspruch gemäß § 80 Abs. 1 VwGO grundsätzlich aufschiebende Wirkung zukommt, soll die Begründungspflicht darüber hinaus der Behörde den Ausnahmecharakter der Vollziehungsanordnung vor Augen führen und sie veranlassen, sorgfältig zu prüfen, ob tatsächlich ein überwiegendes Vollzugsinteresse den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung erfordert.

40

Aus den vorgenannten Zweckbestimmungen ergibt sich, dass das Erfordernis einer schriftlichen Begründung nicht nur formeller Natur ist, dem bereits genügt wird, wenn überhaupt eine Begründung vorhanden ist. Es bedarf vielmehr einer konkreten Auseinandersetzung im Einzelfall unter Darlegung der wesentlichen Erwägungen, die zur Annahme eines besonderen öffentlichen Interesses an der sofortigen Vollziehung und damit zum Gebrauch der Anordnungsmöglichkeit des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO geführt hat; die Bezugnahme auf die den Verwaltungsakt aus Sicht der Behörde rechtfertigenden Gründe genügen der Begründungspflicht des § 80 Abs. 3 VwGO grundsätzlich nicht. Dies gilt im vorliegenden Fall umso mehr, da die Anordnung die unwiderrufliche Auslöschung des Tierbestandes beabsichtigt.

41

In der Sofortvollzugsbegründung werden im Wesentlichen die die Ausgangsverfügung tragenden Gründe wiederholt. Diese Erwägungen genügen angesichts der Schwere des mit der sofortigen Vollziehung des Abschusses verbundenen Eingriffs nicht dem Begründungserfordernis gemäß § 80 Abs. 3 VwGO. Eine besondere Begründung für die Erforderlichkeit des Sofortvollzuges wird nicht genannt, sondern es werden allein die die Grundverfügung tragenden Gesichtspunkte nochmals genannt. Auch in zeitlicher Hinsicht ist nicht zu erkennen, warum die Behörde jahrelang zugewartet hat, insbesondere das Widerspruchsverfahren nicht bearbeitet hat, und nunmehr mit der Umsetzung eines Abschussgebotes teilweise vollendete Tatsachen schaffen will.

42

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Der Wert des Streitgegenstandes wird gemäß §§ 52 Abs. 1, 63 Abs. 2 GKG festgesetzt (entsprechend Nr. 35.1, Nr. 1.5 Satz 2 Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit, Fassung Juli 2013).


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