Beschluss vom Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht (12. Kammer) - 12 B 52/17

Tenor

Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragsstellers gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 03.08.2017 (Bescheid …) wird wiederhergestellt.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird auf 6.807,60 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

1

Der Antragssteller begehrt die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen die Entlassungsverfügung des Antragsgegners vom 03.08.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14.11.2017.

2

Der Antragsteller wurde mit Wirkung zum 01.08.2014 unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Widerruf zum Polizeiobermeisteranwärter ernannt und steht im Dienst des Landes Schleswig-Holstein.

3

Mit Verfügung vom 28.09.2016 leitete der Antragsgegner gegen den Antragsteller ein Disziplinarverfahren ein. Es seien Umstände bekannt geworden, die beamtenrechtliche Pflichtverstöße im Zusammenhang mit dem Verdacht einer Nötigung und Beleidigung auf sexueller Basis, mit Ruhestörungen und Hausfriedensbruch begründen könnten. Aus diesem Grund sei ein Strafverfahren eingeleitet worden. Im Einzelnen führte die Einleitungsverfügung vier Sachverhalte auf, aus denen sich der Verdacht eines Dienstvergehens ergebe. Der Antragsteller bestreitet diese Vorwürfe.

4

Mit Bescheid vom 14.10.2016 untersagte der Antragsgegner dem Antragsteller mit sofortiger Wirkung die Führung der Dienstgeschäfte. Mit Beschluss vom 16.11.2016 stellte das Verwaltungsgericht Schleswig die aufschiebende Wirkung des dagegen eingelegten Widerspruchs wieder her, weil der Bescheid sich bei summarischer Prüfung als offensichtlich rechtswidrig erweise. Es fehle an zwingenden dienstlichen Gründen. Selbst wenn sich die in der Einleitungsverfügung vorgeworfenen Taten als zutreffend erweisen würden, sei nicht ersichtlich, dass die vorerst weitere Teilnahme an der Ausbildung die Aufgabenerfüllung des Antragsgegners objektiv gefährde.

5

Mit Verfügung vom 10.11.2016 leitete der Antragsgegner gegen den Antragsteller das Entlassungsverfahren ein, da Zweifel an der charakterlichen Eignung bestünden. Mit Verfügung vom 14.11.2016 dehnte der Antragsgegner das Disziplinarverfahren gegen den Antragsteller auf weitere Vorwürfe im Zusammenhang mit einer Rangelei um eine vorgeblich beschlagnahmte Reisetasche sowie aggressivem Auftreten gegenüber Polizeibeamten aus.

6

Mit Verfügung vom 21.11.2016 enthob der Antragsgegner den Antragsteller vorläufig des Dienstes. Zur Begründung wurde ausgeführt, das gegen den Antragsteller geführte Disziplinarverfahren führe voraussichtlich zur Entlassung. Die Vorwürfe könnten ein schweres Dienstvergehen begründen. Auch wenn das Strafverfahren noch nicht abgeschlossen sei, bestünden keine Zweifel an den Vorwürfen.

7

Mit weiterem Bescheid vom 03.08.2017 verfügte der Antragsgegner die Entlassung des Antragstellers aus dem Polizeivollzugsdienst mit Ablauf des Monats August 2017, weil berechtigte Zweifel an der charakterlichen Eignung bestünden. Der Antragsgegner verweist darin unter Bezugnahme auf das Disziplinarverfahren auf die fehlende charakterliche Eignung aufgrund von fünf Vorwürfen.

8

- Sachverhalt 1:

9

An einem Abend Ende August 2016 habe der Antragsteller zusammen mit anderen Bekannten eine Steueranwärterin bei ihrer Rückkehr zu ihrer Wohnung angetroffen, sie am Weitergehen gehindert, körperliche Annäherungsversuche unternommen und eine bedrohliche Stimmung geschaffen. Aufgrund dieser Situation habe sich die Steueranwärterin veranlasst gesehen, aus Angst vor Repressalien gemeinsam mit dem Antragsteller und seinen Bekannten mit auf ein Hochhausdach zu gehen. Eine Erlaubnis zum Betreten des Daches habe der Antragsteller nicht gehabt, sondern sich Zugang mithilfe des nötigen Schlüssels verschafft, dessen Aufbewahrungsort ihm bekannt sei. Dort habe er weitere Annäherungsversuche unternommen, die die Steueranwärterin stets abgelehnt habe. Versuche, sich zu entfernen seien mit der Ankündigung der Bekannten verhindert worden, ihr dann nach Hause zu folgen. Der Widerstand der Steueranwärterin sei mit Unmut quittiert worden und insgesamt sei eine bedrohliche sexuelle Stimmung geschaffen worden. Der Antragsteller habe versucht, die Steueranwärterin zu küssen. Dem habe sich die Steueranwärterin entziehen können.

10

- Sachverhalt 2:

11

Anfang September 2016 habe die gleiche Steueranwärterin den Antragsteller sowie einen seiner Bekannten auf einer Party wieder getroffen. Ein mit dem Antragsteller befreundeter anderer Polizeianwärter sei gegenüber der Steueranwärterin handgreiflich geworden, so dass diese gegangen sei.

12

- Sachverhalt 3:

13

Mitte September 2016 soll der Antragsteller gegen 00:30 Uhr an einer Ruhestörung in der Wohnanlage der Polizeidirektion für Aus- und Fortbildung beteiligt gewesen sein. Er habe zusammen mit Freunden laut Musik gespielt und auf Bitte um Ruhe die Musik noch lauter gestellt. Die Leiterin des der Wohnanlage der Polizeidirektion naheliegenden Bildungszentrums der Steuerverwaltung habe mitgeteilt, dass sich mehrere Steueranwärterinnen wiederholt über Ruhestörungen und Klopfen und Klingeln an den Wohnungstüren durch den Antragsteller beschwert hätten.

14

- Sachverhalt 4:

15

Der Antragsteller soll sich während seiner Ausbildung mehrfach Zugang zu dem Hochhaus verschafft haben, auf dem sich auch die Ereignisse aus Sachverhalt 1 abgespielt hätten, um auf dem Dach Alkohol zu konsumieren und zu feiern. Dabei seien auch Flaschen vom Hochhausdach geworfen worden.

16

- Sachverhalt 5:

17

Am 11.11.2016 gegen 01:22 Uhr sei der Antragsteller bei einer lauten Streiterei beteiligt gewesen, in dessen Zusammenhang zwei Personen um eine Reisetasche gekämpft hätten. Gegenüber herbeigerufenen Polizeibeamten habe er einen alkoholisierten Eindruck gemacht. Der Eigentümer der Tasche habe geschildert, dass der anwesende Bekannte des Antragstellers den Vorwurf erhoben habe, es befänden sich Drogen in der Tasche. Der Antragsteller habe dabei unbeteiligt daneben gestanden. Eine freiwillige Sichtung der Tasche durch die herbeigerufenen Polizeibeamten habe keine Hinweise auf Drogen ergeben und der Eigentümer der Tasche sei entlassen worden. Der Antragsteller sowie sein Bekannter hätten sich jedoch weiter äußerst respektlos und aggressiv gegenüber den anwesenden Polizeibeamten beschwert und sich uneinsichtig gezeigt. Ein gegenüber dem Antragsteller und seinem Bekannten ausgesprochener Platzverweis sei von beiden als unrechtmäßig bezeichnet worden. Erst nach weiterer Diskussion sei der Platzverweis widerwillig befolgt worden.

18

Der Antragsteller widerspricht den Darstellungen, insbesondere habe der Abend Ende August 2016 mit einem einvernehmlichen Kuss zwischen ihm und der Steueranwärterin geendet. Gegen seine Entlassung legte er mit Schreiben vom 25.08.2017 Widerspruch ein.

19

Er stellte am 28.08.2017 sodann einen Antrag auf Aufhebung der vorläufigen Dienstenthebung. Mit Beschluss vom 18.10.2017 setzte die 17. Kammer des Verwaltungsgerichts Schleswig die Anordnung der vorläufigen Dienstenthebung aus und führte dabei aus, dass der Verdacht eines Dienstvergehens insgesamt zweifelhaft sei und daher ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der vorläufigen Dienstenthebung bestünden. Das Gericht wies in seiner Entscheidung jedoch auch darauf hin, dass Gegenstand des Verfahrens nicht die charakterliche Eignung gewesen sei. Der Antragsgegner legte gegen die Entscheidung die Beschwerde ein.

20

Mit Bescheid vom 14.11.2017 lehnte der Antragsgegner den Widerspruch gegen die Entlassungsverfügung vom 03.08.2017 ab und ordne zugleich erstmals die sofortige Vollziehung der Entlassung an, da die Öffentlichkeit kein Verständnis dafür hätte, wenn ein Beamter, der offenkundig den dienstlichen Anforderungen des Polizeivollzugsdienstes aufgrund charakterlicher Ungeeignetheit nicht genüge, bis zum rechtskräftigen Abschluss eines möglichen Verwaltungsverfahrens weiterhin im Polizeidienst verbliebe. Zudem stehe die Anordnung der sofortigen Vollziehung auch im fiskalischen Interesse, da es nicht vertretbar sei, einem eindeutig den Anforderungen des Polizeivollzugsdienstes nicht genügenden Anwärter weiterhin Bezüge zu zahlen.

21

Mit Schreiben vom 07.12.2017 erhob der Antragsteller Klage auf Aufhebung der Entlassungsverfügung in Form des Widerspruchsbescheids.

22

Mit Schriftsatz vom gleichen Tag hat der Antragsteller Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen die Entlassungsverfügung vom 03.08.2017 gestellt. Er verweist unter Wiederholung seines Vorbringens aus dem Disziplinarverfahren sowie aus der Klage darauf, dass die erhobenen Vorwürfe haltlos seien und dass sie weder die Disziplinarmaßnahme noch eine Entlassung aus dem Polizeidienst rechtfertigen würden. Es gebe mit Hinblick darauf folglich auch keine Begründung für die Anordnung der sofortigen Vollziehung. Vielmehr erfolge diese nunmehr ein Jahr nach der vorläufigen Dienstenthebung einzig als Reaktion auf den Beschluss der 17. Kammer des Verwaltungsgerichts Schleswig. Zudem hätten fiskalische Interessen auch bisher keine Anordnung der sofortigen Vollziehung bedingt, so dass es nicht ersichtlich sei, inwiefern dafür nun ein berechtigtes Interesse bestehe.

23

Der Antragsteller beantragt,

24

die aufschiebende Wirkung der eingereichten Klage gegen die Entlassung aus dem Beamtenverhältnis wiederherzustellen.

25

Der Antragsgegner beantragt,

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den Antrag abzulehnen.

27

Zur Begründung verweist er auf darauf, dass weiterhin an den Vorwürfen festgehalten werde und mit der Anordnung des Sofortvollzuges nunmehr darauf reagiert werden müsse, dass nach Wegfall der vorläufigen Dienstenthebung aufgrund des Beschlusses des Verwaltungsgerichts ansonsten die Wiederaufnahme der Ausbildung stattfinden müsste. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung sei zudem auch deshalb rechtmäßig, weil das mittlerweile gestörte Verhältnis des Antragstellers zu den übrigen Auszubildenden und Lehrern seine Reintegration in den Ausbildungsbetrieb erschweren, ihn voraussichtlich sehr belasten und im Ergebnis den erfolgreichen Abschluss seiner Ausbildung erheblich gefährden würde. Es stünde auch zu befürchten dass der Ausbildungsbetrieb durch die Integration des Antragstellers nachhaltig gestört würde. Bei einer Abwägung der Interessen des Antragstellers an der erneuten Teilnahme an der Ausbildung mit dem Interesse des Antragsgegners an einem geordneten Ausbildungsbetrieb müsse das Interesse des Antragstellers daher zurücktreten.

28

Mit Beschluss vom 05.01.2018 hat das Schleswig-Holsteinische Oberverwaltungsgericht die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss der 17. Kammer des Verwaltungsgerichts Schleswig zurückgewiesen. Es hat in seinem Beschluss darauf hingewiesen, dass mit Blick auf den Vorbereitungsdienst bloße ernsthafte Zweifel an der Laufbahnbefähigung nicht ausreichten. Es sei stattdessen grundsätzlich die Beendigung der Ausbildung zu ermöglichen und nur ausnahmsweise bei Vorliegen besonderer Vorwürfe eine vorherige Entlassung zu rechtfertigen. Da der Antragsgegner dem Antragsteller im Beschwerdeverfahren die Vorwürfe der Sachverhalte 2 bis 5 nicht mehr anlaste, sei dieser Maßstab für eine mögliche Entlassung nicht erfüllt gewesen, so dass es nicht überwiegend wahrscheinlich sei, dass sich eine spätere Entlassung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit als rechtmäßig erweise. Im Ergebnis hat das Oberverwaltungsgericht die ernstlichen Zweifel des Verwaltungsgerichts an der Rechtmäßigkeit der Dienstenthebung bestätigt.

29

Mit Schreiben vom 16.01.2018 hat die zuständige Staatsanwältin mitgeteilt, dass das wegen der sachgleichen Vorwürfe geführte Strafverfahren mangels hinreichendem Tatverdacht eingestellt wurde.

30

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Akte und des Verwaltungsvorgangs des Antragsgegners sowie die beigezogenen Gerichtsakte des Hauptsacheverfahren (Az. 12 A 207/17) Bezug genommen.

II.

31

Der gemäß § 80 Abs. 5 VwGO statthafte Antrag ist zulässig und begründet. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung hält zwar in formeller, nicht aber in materieller Hinsicht der gerichtlichen Kontrolle stand.

32

Die Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung im Widerspruchsbescheid vom 14.11.2017 genügt den formellen Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO. Die Begründung legt als Ergebnis einer Abwägung der im konkreten Fall betroffenen öffentlichen und privaten Interessen und im Einzelnen dar, aus welchen Gründen das Vollzugsinteresse dringlich ist und das Suspensivinteresse der Antragstellerin zurückzustehen hat. Es begegnet dabei auch keinen Bedenken, dass sich der Antragsgegner erst nach der Entscheidung der 17. Kammer vom 18.10.2017 dazu veranlasst sah, die sofortige Vollziehung anzuordnen. Nach der Aufhebung der vorläufigen Dienstenthebung war die sofortige Vollziehung der Entlassungsverfügung ein erforderliches Mittel, um die Wiederaufnahme der Ausbildung zu verhindern. Damit ist den formellen Anforderungen, die § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO stellt, genüge getan. Ob die Begründung im Einzelnen zutrifft, ist eine Frage materiellen Rechts.

33

Gemäß § 80 Absatz 5 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs gegen einen Verwaltungsakt ganz oder teilweise wiederherstellen, wenn die sonst nach § 80 Absatz 1 VwGO eintretende aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs dadurch entfallen ist, dass die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, nach § 80 Absatz 2 Nummer 4 VwGO die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten besonders angeordnet hat.

34

Im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach § 80 Absatz 5 VwGO nimmt das Gericht eine summarische Überprüfung der Sach- und Rechtslage vor. Maßgeblich ist hierbei die sich im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung darbietende Sach- und Rechtslage (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, Rn. 147 zu § 80 m.w.N.). Erweist sich hiernach der angefochtene Verwaltungsakt als offensichtlich rechtswidrig, so ist die aufschiebende Wirkung wiederherzustellen, weil am Vollzug offensichtlich rechtswidriger Verwaltungsakte kein öffentliches Interesse bestehen kann. Der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz ist dagegen abzulehnen, wenn der angefochtene Verwaltungsakt als offensichtlich rechtmäßig und seine Vollziehung als eilbedürftig erscheint. Lässt sich dagegen bei summarischer Überprüfung weder die offensichtliche Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts noch dessen offensichtliche Rechtswidrigkeit feststellen, so trifft das Gericht seine Entscheidung im Wege der Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse am Sofortvollzug und dem privaten Interesse an der aufschiebenden Wirkung des Rechtsbehelfs (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, Rn. 152 ff. zu § 80). Bei seiner Entscheidung hat das Gericht zu berücksichtigen, dass das allgemeine, jedem Gesetz innewohnende Interesse am Vollzug des Gesetzes allein grundsätzlich die Anordnung der sofortigen Vollziehung nicht rechtfertigt. Diese setzt vielmehr ein besonderes Interesse an der sofortigen Vollziehung voraus, das sich letztlich als Ergebnis einer Abwägung aller im konkreten Fall betroffenen öffentlichen und privaten Interessen unter Berücksichtigung der Art, Schwere und Dringlichkeit des Interesses an der Vollziehung bzw. an der aufschiebenden Wirkung und der Möglichkeit oder Unmöglichkeit einer etwaigen Rückgängigmachung der betreffenden Regelung und ihrer Folgen sowie der Erfolgsaussichten des in der Hauptsache eingelegten Rechtsbehelfs, soweit sich diese bereits übersehen lassen, darstellt (Kopp/Schenke, a.a.O.).

35

Der Antragsgegner stützt die Entlassung des Antragstellers auf § 23 BeamtStG i.V.m. § 31 LBG. Danach können Beamtinnen auf Widerruf und Beamte auf Widerruf jederzeit entlassen werden, wenn sie sich in der Probezeit nicht bewährt haben. Insofern genügen berechtigte Zweifel an der persönlichen Eignung des Beamten. Das dem Dienstherrn eingeräumte Ermessen wird allerdings durch § 23 Abs. 4 Satz 2 BeamtStG insoweit eingeschränkt, als dass Beamten auf Widerruf im Vorbereitungsdienst Gelegenheit zur Beendigung des Vorbereitungsdienstes und zur Ablegung der Prüfung gegeben werden soll. Da der erfolgreiche Abschluss des Vorbereitungsdienstes den Zugang zum Beamtenberuf überhaupt erst ermöglicht und der Antragsgegner insofern (zusammen mit anderen Dienstherren) eine Art Ausbildungsmonopol hat, ist die vorzeitige Entlassung aus dem Vorbereitungsdienst im Hinblick auf Art. 12 Abs. 1 GG besonders sorgfältig zu prüfen. Dafür, dass diese Ermessensreduktion im vorliegenden Fall keine Anwendung finden würde, weil die Ausbildung für den Polizeivollzugsdienst keine Zugangsvoraussetzung auch für andere Berufe außerhalb des Beamtenverhältnissen bilde, findet sich im Gesetz keine Stütze (OVG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 05.01.2018 – 14 MB 2/17 –, S. 3). Stattdessen legt § 23 Abs. 4 Satz 2 BeamtStG als Leitlinie fest, dass dem Beamten Gelegenheit zur Ableistung des Vorbereitungsdienstes und zur Ablegung der Prüfung gegeben werden soll und schränkt die Entlassbarkeit insoweit ein (OVG Schleswig-Holstein, a.a.O., S. 3 mit Verweis auf Zängl, in: Fürst u.a., GKÖD, Stand 2017, BBG § 37 Rn. 11). Gleichwohl ist eine Entlassung dann ermessensgerecht, wenn besondere Gründe in Übereinstimmung mit Sinn und Zweck des Vorbereitungsdienstes für eine vorzeitige Beendigung des Beamtenverhältnisses sprechen (VG Aachen, Beschluss vom 20. Juli 2017 – 1 L 981/17 –, juris Rn. 15). Die dabei anzulegenden Ermessensmaßstäbe hängen von den Anforderungen des Vorbereitungsdienstes und des angestrebten Berufs ab (BVerwG, Urteil vom 09. Juni 1981 – 2 C 48-78 –, juris Rn. 22).

36

Gemessen an diesen Maßstäben erweist sich die Entlassungsverfügung als offensichtlich rechtswidrig, da sich zwar Bedenken an der charakterlichen Eignung des Antragstellers nicht vollständig verneinen lassen, diese sind jedoch nicht von derartigem Gewicht, dass sie ausnahmsweise eine Entlassung rechtfertigen, bevor Gelegenheit zur Beendigung der Ausbildung im Sinne des § 23 Abs. 4 Satz 2 BeamtStG gegeben wurde.

37

Dem Dienstherrn ist bei der Prognoseentscheidung über die Eignung eines Beamten ein Beurteilungsspielraum zuzubilligen, der nur eingeschränkt gerichtlich darauf überprüfbar ist, ob der unbestimmte Rechtsbegriff der mangelnden Eignung und gesetzliche Grenzen des Beurteilungsspielraum erkannt worden sind, ob der Beurteilung ein unrichtiger Sachverhalt zu Grunde liegt und ob allgemeingültige Wertmaßstäbe nicht beachtet oder sachwidrige Erwägungen angestellt wurden (BVerwG, Urteil vom 27. November 1980 – 2 C 38.79 –, juris Rn. 38 ff.).

38

Insoweit hat die 17. Kammer des Verwaltungsgerichts hinsichtlich der sachgleichen Vorwürfe im Disziplinarverfahren ausgeführt, dass für die vorläufige Dienstenthebung eines Beamten auf Widerruf das Vorliegen des Verdachts eines Dienstvergehens schlechthin genüge, woran vorliegend aber ernstliche Zweifel bestehen (VG Schleswig, Beschluss vom 18.10.2017 – 17 B 2/17), da die vorgeworfenen Sachverhalte durch die Erkenntnisse im Ermittlungsverfahren größtenteils widerlegt wurden. Die erkennende Kammer sieht keine Veranlassung von den dortigen Feststellungen abzuweichen, zumal die zuständige Staatsanwaltschaft entsprechend ihrer Ankündigung mittlerweile das Ermittlungsverfahrens wegen fehlendem Tatverdacht nach § 170 Abs. 2 i.V.m. § 203 StPO eingestellt hat. Dabei gilt allerdings, dass die charakterliche Eignung des Anwärters unabhängig von einer parallelen disziplinarrechtlichen oder strafrechtlichen Bewertung der einschlägigen Tatsachen und Tatumstände (VG Würzburg, Beschluss vom 16. Dezember 2008 – W 1 S 08.2212 –, juris Rn. 15 m.w.N.) zu prüfen ist und es verbleiben aus Sicht der erkennenden Kammer durchaus Restzweifel daran, dass der Antragsteller den an ihn zu stellenden Anforderungen persönlich und fachlich gewachsen sein wird. Zwar hat der Antragsgegner im Laufe des Disziplinarverfahrens klargestellt, dass Anlass für die Feststellung der fehlenden charakterlichen Eignung des Antragsstellers nur noch das Verhalten im Rahmen des Sachverhalts 1 sei. Dies mag für die Frage eines vorwerfbaren schweren Dienstvergehens zu einer Aussetzung der vorläufigen Diensterhebung führen und die insgesamt gemachten Vorwürfe mögen im Ergebnis keinen strafbaren Sachverhalt darstellen. Bedenken hinsichtlich charakterlicher Mängel vermag dies jedoch nicht vollständig in gleicher Weise auszuschließen, denn die Verneinung disziplinar- und strafrechtlicher Vorwürfe hatte zum Teil auch formelle Gründe. Soweit es etwa für die in den Sachverhalten 1 und 4 vorgeworfenen Hausfriedensbrüche an einem Strafantrag fehlte, ändert dies nichts daran, dass sich der Antragsteller auch nach eigenem Bekunden ohne Erlaubnis Zutritt zu dem Hochhausdach verschafft hat und damit ein gewisses Fehlen von Respekt gegenüber dem Eigentum Dritter an den Tag gelegt hat. In gleicher Weise mag der Verstoß gegen die Hausordnung durch wiederholtes lautes Musikspielen (Sachverhalt 3) keine Straftat und auch kein Dienstvergehen darstellen, es wäre – den Beweis der Ergebnisse vorausgesetzt – aber durchaus dazu geeignet, charakterliche Eigenschaften wie soziales Auftreten und Rücksichtnahme in Frage zu stellen. Ob sich aus den Sachverhalten 1 bis 5 damit insgesamt Umstände ergeben, aus denen auf eine künftige Entwicklung geschlossen werden könnte, die die spätere Ernennung zum Beamten auf Lebenszeit ausschließen würden, kann im Ergebnis allerdings offen bleiben, da sie jedenfalls nicht von derartigem Gewicht sind, dass eine ausnahmsweise Entlassung vor Ermöglichung der Ablegung der Prüfung gerechtfertigt wäre. Diesbezüglich hat die 17. Kammer das Geschehen des Sachverhalts 1 in seinem Beschluss vom 18.10.2018 (Az. 17 B 2/17) in nicht zu beanstandender Weise gewürdigt und festgestellt:

39

„Die Anwendung von Gewalt sei nicht nachweisbar. Die Angaben des in dem Strafverfahren ebenfalls Beschuldigten Petersen hat die Staatsanwaltschaft als glaubhaft eingestuft. Dieser habe sich an körperliche Übergriffe der Zeugin …….. gegenüber nicht erinnern können. Die ihm in Erinnerung gebliebene Aussage „Wir schlafen gleich mit dir“ habe die Zeugin gerade nicht bestätigen können. Auch der Beschuldigte ……… habe, wie auch der Zeuge ……., derartige Verhaltensweisen nicht bestätigen können. Hinsichtlich eines vom Antragsteller behaupteten einvernehmlichen Kusses mit der Zeugin ……… stehen sich die Aussagen der in dieser Situation allein Anwesenden unvereinbar gegenüber.

40

Angesichts der dezidierten strafrechtlichen Bewertung einschließlich der Beurteilung der Glaubwürdigkeit der Zeugen hat die Kammer keine Veranlassung zu einer anderweitigen Bewertung.“

41

Damit verbleibt lediglich Raum für den möglichen Vorwurf von Unreife und Aufdringlichkeit im Umgang mit der Zeugin, der zwar durchaus Zweifel an der charakterlichen Eignung rechtfertigen könnte, jedoch kein besonders intensives Maß im Sinne des § 23 Abs. 4 Satz 2 BeamtStG erreicht.

42

Bezüglich der Vorwürfe hinsichtlich Sachverhalt 5 führt die 17. Kammer in seinem Beschluss aus:

43

„Es ist im Grundsatz hinzunehmen, dass gegen eine polizeiliche Maßnahme statthafte Rechtsmittel ergriffen werden, zumal nach Auswertung der vorhandene Erkenntnismittel die Voraussetzungen für die Erteilung eines Platzverweises – Abwehr einer im einzelnen Falle bevorstehenden Gefahr oder Behinderung eines Einsatzes der Feuerwehr oder von Hilfs- oder Rettungsdiensten – gegenüber dem Antragsteller tatsächlich nicht vorgelegen haben dürften. In dem Polizeibericht ist auch lediglich dokumentiert, dass der Antragsteller die Beamten „belehrt“ habe, dass der Platzverweis ihm gegenüber „unrechtmäßig“ sei. Diese Formulierungen sind sachlich und beinhalten keine Schmähkritik, sodass auch aus Art und Weise des Widerspruchs kein Dienstvergehen hergeleitet werden kann.“

44

Zu den Vorwürfen im Zusammenhang mit der Feier Anfang September 2016 (Sachverhalt 2) stellt die 17. Kammer in ihrem Beschluss fest:

45

„Soweit der Antragsgegner dem Antragsteller das Geschehen anlässlich eines Vorfalls Anfang September 2016 in ……, im Wohnpark „……..“, im Haus 15 zur ……., fehlt es bereits an einer konkreten Verknüpfung mit einem Verhalten des Antragstellers. In diesem Absatz der Einleitungsverfügung wird lediglich Verhalten von Herrn S. beschrieben.“

46

Auch bezüglich der Vorwürfe im Rahmen der Sachverhalte 5 und 2 bleibt also möglicher Anlass dazu, das Verhalten des Antragstellers kritisch zu hinterfragen. Die ausnahmsweise Entlassung vor Einräumung der Möglichkeit zur Beendigung der Ausbildung vermögen sie jedoch nicht zu rechtfertigen.

47

Besondere, die unverzügliche Entlassung rechtfertigende, Gründe vermag die Kammer schließlich auch nicht in den Ausführungen des Antragsgegners im Schriftsatz vom 22.10.2017 zu erkennen. Es erscheint der Kammer bereits tatsächlich nicht nachvollziehbar, dass dem Antragsteller von Seiten der übrigen Auszubildenden und Fachlehrer ein derartiges Misstrauen entgegentreten werde, dass seine Integration schwierig oder gar ausgeschlossen sein sollte. Insofern hat der Antragsteller glaubhaft gemacht, dass er davon ausgeht, dass es ihm gelingen werde, die möglichen Vorbehalte gegen seine Person auf Seiten der Leitung der Fachinspektion für Aus- und Fortbildung aufzulösen und seine Ausbildung abzuschließen. Soweit der Antragsteller vorträgt, dass ihm diverse Lehrkräfte ausdrücklich Mut zugesprochen hätten, er auch von der Polizeibeauftragten, die sich ein ausführliches Bild seines Charakters habe machen können, Unterstützung erfahren habe und ihm auch eine Vielzahl von Kolleginnen und Kollegen zur Seite gestanden hätten, ist der Antragsgegner dem weder entgegengetreten noch bestehen für die Kammer Anhaltspunkte dafür, diesen Vortrag nicht für glaubhaft zu erachten. Dass die verbliebenen Vorwürfe es Lehrern und den übrigen Auszubildenden unmöglich machen würden, den Antragsteller fair zu behandeln und jedenfalls im für die Ausbildung nötigen Umfang zu integrieren, ist nicht ersichtlich. Soweit der Antragsgegner vorträgt, dass im Rahmen der Abschlussausbildung vertrauliche Unterlagen, polizeiinterne taktische Aspekte, persönlichkeitsnahe, sensible Trainingsbereiche sowie die Waffenausbildung in besonderem Maße ein derartiges Vertrauen erfordern würden, dass allein diese Ausbildungsinhalte vor dem Hintergrund der Vorwürfe gegen den Antragsteller seine weiteren Ausbildung ausschließen würden, erschließt sich dies nicht. Worin die insoweit besonders sensible Vertrauenswürdigkeit der Abschlussausbildung genau bestehen soll, hat der Antragsgegner nicht vorgetragen. Der Antragsteller hingegen hat ausführlich dargelegt, welche Inhalte, welcher Unterrichtsstoff und welche Lehrgänge im Rahmen der Abschlussausbildung relevant werden. Weder der insofern angesprochene Umgang mit anonymisierten Anzeigentexten noch der theoretische Unterricht sowie der Sportunterricht lassen eine derartige Sensibilität erkennen, dass für die Ausbildung des Antragstellers die nötige Vertrauensgrundlage fehlen würde. Die Schusswaffenprüfung und den Schusswaffengebrauchstest hat der Antragsteller zudem bereits abgelegt und bestanden.

48

Dem Antrag des Antragstellers war nach alledem stattzugeben.

49

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

50

Die Streitwertfestsetzung beruht, ausgehend von monatlichen Dienstbezügen des Antragstellers in Höhe von 1.134,60 € gemäß Anlage 7 SHBesG i.V.m. Anlage 1 zu § 3 Abs. 1, § 13 PolLVO-SH auf § 52 Absatz 6 S. 1 Nr. 2 GKG; mithin 1.134,60 x 6 = 6.807,60 €.


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