Urteil vom Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht (9. Kammer) - 9 A 112/17

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % der vollstreckbaren Kosten abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

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Die Kläger begehren die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, nachdem die Beklagte ihnen subsidiären Schutz gewährt hat.

2

Der Kläger zu 1., seine Ehefrau, die Klägerin zu 2. sowie deren gemeinsame Kinder, die Kläger zu 3. - 7. sind jemenitische Staatsangehörige und lebten dort zuletzt in Sanaa. Der Kläger zu 1. verließ den Jemen nach seinen Angaben zuletzt im November 2014 und hielt sich dann in Dubai auf, wohin ihm die Klägerin zu 2. im Mai 2015 mit den Kindern folgte. Alle verließen Dubai am 10.08.2015 und reisten über die Türkei auf dem Luftweg am gleichen Tag mit Touristenvisa in die Bundesrepublik Deutschland ein. Dort stellten sie am 01.12.2015 Asylanträge.

3

Bei seiner persönlichen Anhörung bei dem Bundesamt am 05.10.2016 gab der Kläger zu 1. an, er sei selbständiger Händler gewesen und habe Autos in Dubai gekauft und sie im Jemen wieder verkauft; außerdem habe er als Grundstücksmakler gearbeitet. Er habe sich überwiegend in Dubai aufgehalten. Als die Rebellen die Stadt Sanaa erobert hätten, hätten sie versucht, jeden in ihre Partei zu zwingen. Sie hätten auch seinen Sohn zwingen wollen, für sie zu kämpfen. Der Kläger zu 3. äußerte dazu, die Huthi- Rebellen hätten zu ihm gesagt, er solle mit ihnen kämpfen. Er habe sie dann hinhalten können, weil er ihnen gesagt habe, dass sein Vater in Dubai sei. Er habe eine Waffe bekommen und an einem Kontrollpunkt für die Huthi dienen sollen. Die Familie sei dann in das Dorf Al Ghayli zu den Großeltern geflohen. Grund dafür seien auch die ständigen Luftangriffe gewesen. In dem Dorf sei es aber immer schwieriger geworden, an Lebensmittel und Wasser zu kommen. Sie seien dann mit dem Bus über den Oman in die Vereinigten Arabischen Emirate ausgereist. Der Kläger zu 1. hat dazu erläutert, seine Familie habe illegal aus dem Jemen ausreisen müssen, weil sowohl er als auch sein Sohn auf einer Liste der Rebellen von Männern gestanden hätten, die mit den Rebellen hätten kämpfen sollen. Er sei auch deshalb auf der Liste der Rebellen gewesen, weil er Mitglied der Freiheitspartei sei. Der Kläger hat dazu einen Parteiausweis vorgelegt. In Dubai hätten sie nur eine bestimmte Zeit bleiben können, da dann sein Arbeitsvisum abgelaufen sei.

4

Mit Bescheid vom 10.12.2016 erkannte das Bundesamt den Klägern den subsidiären Schutzstatus zu (Ziffer 1.) und lehnte die Asylanträge im übrigen ab (Ziff. 2). Das Vorbringen der Kläger, sie hätten aus Angst vor einer Einberufung zu den kämpfenden Einheiten bzw. aus Angst vor dem Bürgerkrieg ihre Heimat verlassen, stelle offensichtlich keine asylrelevante Verfolgung dar.

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Gegen den am 14.12.2016 zugestellten Bescheid haben die Kläger am 20.12.2016 Klage erhoben. Zur Begründung führen sie ergänzend aus, der Kläger zu 1. sei mit dem Vorsitzenden der „Entwicklung-Freiheitspartei“ bekannt gewesen und deswegen Anfang 2014 in die Partei eingetreten. Er selbst sei Sunnit, sei aber während seines Aufenthalts in Dubai von dem Parteivorsitzenden mehrfach telefonisch aufgefordert worden, im Bürgerkrieg die schiitischen Huthi zu unterstützen, auf deren Seite die Partei aus taktischen Gründen stand.

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Die Kläger beantragen,

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die Beklagte unter Aufhebung von Ziff. 2 des Bescheides vom 10.12.2016 zu verpflichten, ihnen gem. § 3 AsylG die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.

8

Die Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,

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die Klage abzuweisen.

10

Sie bezieht sich zur Begründung auf den angefochtenen Bescheid.

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Das Gericht hat den Kläger zu 1. in der mündlichen Verhandlung informatorisch angehört. Insoweit wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen. Die Kläger zu 3. - 7. waren in der mündlichen Verhandlung nicht anwesend.

12

Die Kammer hat den Rechtsstreit der Einzelrichterin zur Entscheidung übertragen (§ 76 Abs. 1 AsylG).

13

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Akte des Bundesamtes Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

14

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der angefochtene Bescheid des Bundesamtes ist zu dem für die rechtliche Beurteilung maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (vgl. § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten. Sie haben keinen Anspruch auf die beantragte Verpflichtung des Bundesamtes und entsprechende Aufhebung des Bescheids, § 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO.

15

Weder aus den in der Anhörung gegenüber dem Bundesamt gemachten Angaben noch aus dem Vortrag gegenüber dem Gericht ergibt sich ein flüchtlingsschutzrechtlich relevantes Vorbringen. Eine relevante zielgerichtet gegenüber den Klägern erfolgte Verfolgung aufgrund eines der in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG genannten flüchtlingsschutzrechtlich relevanten Persönlichkeitsmerkmale ist nicht glaubhaft gemacht.

16

Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist der Schluss der mündlichen Verhandlung (vgl. § 77 Abs. 1 AsylG). Deshalb ist das AsylG vom 02.09.2008 (BGBl. I 1798) in der Fassung des Gesetzes zur besseren Durchsetzung der Ausreise-pflicht vom 20.07.2017 (BGBl. I S. 2780) zugrunde zu legen.

17

Rechtsgrundlage für die begehrte Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist § 3 Abs. 4 i. V. m. Abs. 1 AsylG. Nach § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer ein Flüchtling im Sinn des Abkommens vom 28.07.1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge („Genfer Flüchtlingskonvention“), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb seines Herkunftslandes befindet. Die Verfolgung kann gemäß § 3c AsylG ausgehen von dem Staat (Nr. 1), Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen (Nr. 2) oder nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in den Nrn. 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (Nr. 3). Bei der Bewertung der Frage, ob die Furcht eines Ausländers vor Verfolgung begründet ist, ist es gemäß § 3b Abs. 2 AsylG unerheblich, ob er tatsächlich die Merkmale der Rasse oder die religiösen, nationalen, sozialen oder politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden.

18

Als Verfolgungshandlungen im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG gelten nach § 3a Abs. 1 AsylG Handlungen, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen oder der Ausländer von einem Zusammentreffen unterschiedlicher Maßnahmen in ähnlich gravierender Weise betroffen ist. Zwischen den Verfolgungsgründen (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 in Verb. mit § 3b AsylG) und den in § 3a Abs. 1 und 2 AsylG als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen muss dabei eine Verknüpfung bestehen (§ 3a Abs. 3 AsylG).

19

Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft setzt stets eine individuelle Verfolgungsgefahr für den Schutzsuchenden voraus. Diese individuelle Gefahrenlage kann sich aus Maßnahmen ergeben, die gegen den Schutzsuchenden selbst gerichtet sind (sog. anlassgeprägte Einzelverfolgung) oder aus Maßnahmen, die gegen eine Gruppe gerichtet sind, der der Schutzsuchende angehört (sog. Gruppenverfolgung).

20

Die Furcht vor Verfolgung ist begründet, wenn sie aufgrund der im Herkunftsland des Betroffenen gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d. h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht (vgl. BVerwG, U. v. 20.02.2013 – 10 C 23.12 –, juris). Der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine qualifizierende Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. BVerwG, U. v. 20.02.2013 – 10 C 23.12; U. v. 27.04.2010 – 10 C 5.09 –, juris).

21

Ist der Ausländer unverfolgt ausgereist, muss er glaubhaft machen, dass ihm wegen vorgetragener Nachfluchtgründe mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr von Verfolgung droht, wenn er in sein Heimatland zurückkehrt.

22

Ist er dagegen verfolgt ausgereist, d. h. hat er Verfolgungsmaßnahmen bereits erlitten oder standen solche unmittelbar bevor, findet die in Art. 4 Abs. 4 der Qualifikationsrichtlinie 2011/95/EU vorgesehene Beweiserleichterung Anwendung. Danach ist diese Tatsache ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Schutzsuchenden vor Verfolgung begründet ist, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass er erneut von solcher Verfolgung bedroht wird (vgl. BVerwG, U. v. 27.04.2010 – 10 C 4.09 –, juris).

23

Für die richterliche Überzeugungsbildung im Sinne des § 108 Abs. 1 VwGO gilt dabei folgendes: Das Gericht muss insoweit die volle Überzeugung von der Wahrheit des behaupteten individuellen Schicksals und der Richtigkeit der Prognose drohender politischer Verfolgung gewinnen. Dem persönlichen Vorbringen des Schutzsuchenden kommt dabei besondere Bedeutung zu. Ihm selbst obliegt es, seine Gründe für das Vorliegen politischer Verfolgung folgerichtig, substantiiert, widerspruchsfrei und mit genauen Einzelheiten vorzutragen (vgl. BVerwG, B. v. 21.07.1989 – 9 B 239/89 –, juris).

24

Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist das Gericht davon überzeugt, dass den Klägern in ihrem Heimatland nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung im vorstehenden Sinn droht.

25

Die Kläger sind nicht aus den in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG genannten flüchtlingsrelevanten Gründen ausgereist. Der Kläger zu 1. hat selbst nicht geltend gemacht, dass er im Jemen verfolgt worden sei, er hielt sich aus geschäftlichen Gründen überwiegend – und so auch vor der Ausreise seiner Familie – in Dubai auf. Auch die Klägerin zu 2. und ihre jüngeren Kinder haben keine eigene politische Verfolgung behauptet.

26

Hauptgrund für die Ausreise der Familie war nach den übereinstimmenden Angaben des Kl8;gers zu 1. und des Klägers zu 3. (bei dessen Anhörung vor dem Bundesamt) dessen befürchtete Zwangsrekrutierung durch die Huthi in Sanaa. Es kann unterstellt werden, dass die Angaben dazu zutreffen und der damals 12-jährige Kläger zu 3. tatsächlich „eingezogen“ und bewaffnet an Kontrollpunkten eingesetzt werden sollte. Nach den vorliegenden Erkenntnissen kommt es im Jemen zu Zwangsrekrutierungen durch die Huthi, aber auch durch andere Gruppierungen; dies betrifft auch Kinder und Jugendliche. Die UN haben im Februar 2017 mitgeteilt, zwischen März 2015 und Januar 2017 seien insgesamt 1.476 Kindersoldaten im Jemen rekrutiert worden; die Rekrutierung erfolge großenteils, aber nicht ausschließlich, durch die Huthi-Bewegung (vgl. Ausw. Amt Auskunft vom 04.08.2017; ai, Yemen: Huthi forces recruiting child soldiers for front-line combat, 28.02.2017; UN, Falling through the cracks, The children of Yemen, März 2017; ACCORD, Zwangsrekrutierungen durch die Huthi-Milizen, 10.10.2017). Zwangsrekrutierungen stellen jedoch in einer kriegerischen Auseinandersetzung, in der der Staat – bzw. die jeweils herrschenden Gruppierungen - auf eine Vielzahl von Soldaten angewiesen sind, als solche grds. schon keine Verfolgungshandlung dar (vgl. OVG Lüneburg, U. v. 27.06.2017 -2 LB 91/17 – juris Rn. 82).

27

Jedenfalls fehlt es an Anhaltspunkten dafür, dass solche Rekrutierungen in Anknüpfung an eines der in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG genannten Merkmale erfolgen würden und damit flüchtlingsschutzrelevant wären. Nach den vorliegenden Erkenntnissen ist davon auszugehen, dass die Zwangsrekrutierungen nicht aufgrund einer den Betroffenen unterstellten politischen Meinung, Grundhaltung oder Opposition gegen die Huthi erfolgen, sondern willkürlich und wahllos, um deren Bedarf an Kämpfern aufzufüllen. So wird berichtet, die Milizen seien an der Front mit einem Mangel an Kämpfern konfrontiert, da viele getötet worden oder geflohen seien, was wiederum die Milizen dazu veranlasse, Zwangsrekrutierungen einzusetzen. Auf der website der Huthi sei im März 2017 gemeldet worden, ein Revolutionsführer habe dazu aufgefordert, die Rekrutierung in die Armee auszuweiten, um die Verräter zu ersetzen, die geflohen seien oder sich dem amerikanisch-saudischen Feind angeschlossen hätten. Jungen Männern solle eine Chance gegeben werden, ihr Land zu verteidigen. Ein Gesetz, das den Wehrdienst für Schüler, die die Sekundarschule abgeschlossen hätten, einführen sollte, sei deshalb nicht ins Parlament eingebracht worden, da der ehemalige (inzwischen ermordete) Präsident Saleh eine weitere Dominanz der Huthi befürchtet habe. Es geht den Huthi offensichtlich generell um die Gewinnung von Kämpfern, wobei weder das Alter noch eine vermutete oder tatsächliche politische Haltung eine Rolle spielen (vgl. die Berichte in ACCORD, Zwangsrekrutierungen durch die Huthi-Milizen, 10.10.2017). Der Kläger zu 1. hat in der mündlichen Verhandlung selbst angegeben, es sei Krieg gewesen, und die Huthi hätten Kämpfer gebraucht. Es fehlt damit an der Anknüpfung an einen Verfolgungsgrund, nämlich einer vermuteten politischen Opposition des Betroffenen - bzw. hier des Vaters - zum Regime.

28

Zwar kann unterstellt werden, dass der Kläger zu 1. Mitglied der Partei für „freie Entwicklung“ war. Wie er in der mündlichen Verhandlung angegeben hat, hat der Vorsitzende dieser Partei jedoch mit den Huthi zusammengearbeitet und Demonstrationen für sie organisiert, so dass dies kein Anknüpfungspunkt für eine vermutete politische Opposition ist.

29

 Ein Anknüpfungspunkt für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft liegt auch nicht in der Zugehörigkeit des Klägers zu 3. zu der „sozialen Gruppe“ Kinder und männliche Jugendliche unter 18. Nach § 3 b Abs. 1 Nr. 4 AsylG ist dazu erforderlich, dass die Mitglieder der Gruppe unveränderliche Merkmale gemein haben und die Gruppe eine deutlich abgegrenzte Identität hat; an beidem fehlt es hier. Das Merkmal der Minderjährigkeit entfällt mit der Volljährigkeit, und die Minderjährigen im Jemen haben auch keine deutlich abgegrenzte Identität, sie sind Teil ihrer Familien, Stämme und Volksgruppen (VG Augsburg, U. v. 12.12.2017 – Au 6 K 17.32980 – juris Rn. 19, anders VGH München U. v. 23.03.2017 – 13a B 17.30011 – juris Rn. 37). Es ist auch nicht ersichtlich, dass die Verfolgungshandlung der zwangsweisen Rekrutierung Kinder und Jugendliche gerade wegen ihrer besonderen Beeinflussbarkeit und Wehrlosigkeit in den Blick nimmt (vgl. dazu Hailbronner, AsylG, § 3a Rn. 39); vielmehr geht es den Huthi offensichtlich generell um die Gewinnung von Kämpfern, wobei das Alter keine Rolle spielt (vgl. die Berichte in ACCORD, a.a.O.).

30

 Dem Risiko des Klägers zu 3., als Minderjähriger Opfer einer Zwangsrekrutierung und damit einer schweren Menschenrechtsverletzung zu werden, ist die Beklagte durch die Gewährung subsidiären Schutzes gerecht geworden.

31

Weiterer Ausreisegrund waren nach den Angaben der Kläger die schlechten Lebensumstände nach Ausbruch des Krieges, d.h. die Bombenangriffe auf Sanaa – bei denen auch ein Auto der Familie beschädigt wurde, das im Hof des Hauses stand - und die schlechte Versorgungslage sowohl in Sanaa als auch in dem Dorf Al Ghayli. Auch dies sind jedoch keine Gründe, die zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft führen können.

32

Die Kläger sind damit nicht vorverfolgt ausgereist.

33

Es besteht auch keine beachtliche Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgung aus flüchtlingsrelevanten Gründen bei einer – unterstellten – Rückkehr.

34

Es ist zwar möglich, dass die Kläger zu 1. und 3. - und möglicherweise auch die Kläger zu 4. – 7. - bei einer Rückkehr in die von den Huthi beherrschten Gebiete zwangsrekrutiert werden würden. Der Kläger zu 1. hat dazu angegeben, auch er stehe auf einer Liste von Männern, die mit den Rebellen hätten kämpfen sollen und habe deshalb nicht in den Jemen zurückkehren können. Dies stellt aus den o.g. Gründen jedoch keine flüchtlingsrelevante Verfolgung dar. Bei Zwangsrekrutierungen handelt es sich regelmäßig um ein typisches Risiko des aktuellen bewaffneten innerstaatlichen Konflikts, dem hier durch die Gewährung subsidiären Schutzes Rechnung getragen wird.

35

Der Kläger hat darüber hinaus geltend gemacht, dass er bei einer Rückkehr in die „befreiten Gebiete“ im Süden aufgrund seiner Parteimitgliedschaft als Freund der Huthi angesehen würde. In diesen Gebieten seien häufig Personen, die aus den Huthi-Gebieten geflohen seien, ermordet worden, weil sie als Sympathisanten der Huthi gelten würden. Dies betreffe nicht alle, aber einige. Eine Verfolgung aus diesem Grund ist nicht auszuschließen. Erkenntnisse dafür, dass asylerhebliche Verfolgungsmaßnahmen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit allen drohen, die aus den Huthi-Gebieten kommen oder zu sympathisierenden Parteien gehören, liegen jedoch nicht vor.

36

Weiter besteht für die Annahme, dass den Klägern Verfolgung allein aufgrund ihres Auslandsaufenthaltes und der Asylantragstellung droht, was als Nachfluchtgrund i. S. d. § 28 Abs. 1a AsylG zu berücksichtigen wäre, nach der Erkenntnislage keine beachtliche Wahrscheinlichkeit. Nach der von der Kammer eingeholten Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 04.08.2017 liegen keine Erkenntnisse über Rückkehrer vor. Reisen in den Jemen seien zum gegenwärtigen Zeitpunkt nur sehr eingeschränkt möglich und darüber hinaus mit erheblichen Risiken verbunden. Nach der Auskunft des Deutschen Orient Instituts vom 20.03.2018 kann eine Gefährdung nach mehrjährigem Aufenthalt nicht abschließend beurteilt, aber nicht ausgeschlossen werden; dies reicht für die Annahme einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit jedoch nicht aus. Der UNHCR hat in seiner Auskunft an die Kammer vom 13.09.2018 mitgeteilt, dass keine Informationen darüber vorlägen, ob bei einer etwaigen Rückkehr nach mehrjährigem Aufenthalt in Deutschland mit einer Verfolgung zu rechnen sei.

37

Selbst wenn man Verfolgungshandlungen bei Rückkehr unterstellen würde, ist eine Anknüpfung an Verfolgungsgründe des § 3b AsylG nicht beachtlich wahrscheinlich. Es ist im Hinblick auf die katastrophale humanitäre Situation, die sich seit Beginn des Krieges Ende 2014/Anfang 2015 im Jemen entwickelt hat (Auswärtiges Amt a. a. O.), nicht zu erwarten, dass die als Verfolger in Betracht kommenden staatlichen oder nichtstaatlichen Akteure einen Auslandsaufenthalt bzw. eine Asylantragstellung als Ausdruck einer abweichenden politischen Gesinnung werten könnten. Es ist höchst unwahrscheinlich, dass die potentiellen Verfolger, insbesondere die Huthi-Rebellen im Norden und die Regierung des von der Militärkoalition unterstützten Präsidenten Hadi im Süden, davon ausgehen könnten, dass es sich bei den Geflüchteten jedenfalls mehrheitlich um Regimegegner handeln könnte. Naheliegender ist die Annahme, dass diese wie die ca. 2,9 Millionen Binnenflüchtlinge, die in Lagern versorgt werden müssen (bei einer Gesamtbevölkerung von knapp 27 Millionen, vgl. Konfliktporträt Jemen, Bundeszentrale für politische Bildung, 16.11.2017, www.bpb.de), vor Kampfhandlungen, Hunger und Krankheiten geflohen sind, aber anders als diese die Möglichkeit hatten, das Land zu verlassen und im Ausland Zuflucht zu finden. In einer Auskunft des „Immigration and Refugee Board of Canada“ – IRB – vom 13.04.2017 wird berichtet, dass regelmäßig Jemeniten nach Saudi-Arabien ausreisten und auch zurückkehrten. Es sei möglich, dass es Fälle von Misshandlungen durch die Huthi bei Rückkehrern gebe, dies sei aber bei solchen Rückkehrern nicht anders als bei allen anderen, die im Machtgebiet der Huthi lebten. Auch dies spricht gegen eine Anknüpfung an die Verfolgungsgründe des § 3b AsylG.

38

Den erheblichen Risiken aufgrund der Bürgerkriegssituation und der bedrohlichen humanitären Situation im Jemen ist die Beklagte durch die Gewährung subsidiären Schutzes gerecht geworden.

39

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. den §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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