Beschluss vom Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht (1. Kammer) - 1 B 120/18

Tenor

Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 17. Oktober 2018 gegen die Ziffer 3 des Bescheids vom 12. Oktober 2018 wird angeordnet. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.

Die Kosten des Verfahrens tragen der Antragsteller zu 4/5 und der Antragsgegner zu 1/5.

Der Streitwert wird auf 5.000 € festgesetzt.

Dem Antragsteller wird für die erste Instanz insoweit Prozesskostenhilfe bewilligt, als er sich gegen die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots wendet.

Zur vorläufig unentgeltlichen Wahrnehmung der Rechte in der ersten Instanz wird ihm Rechtsanwalt B., A-Stadt beigeordnet.

Im Übrigen wird der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe abgelehnt.

Gründe

1

Der sinngemäße Antrag des im Jahr 1995 geborenen Antragstellers,

2

die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs vom 17. Oktober 2018 gegen die Ausweisungsverfügung (Ziffer 1 des Bescheids) vom 12. August 2018 wiederherzustellen und gegen die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots (Ziffer 3 des Bescheids) und die Abschiebungsandrohung (Ziffer 5 des Bescheids) vom 12. August 2018 anzuordnen,

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hat teilweise Erfolg. Er ist zulässig und im aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.

4

Er ist insbesondere nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) statthaft, da der Antragsgegner nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO die sofortige Vollziehung der Ausreiseverfügung angeordnet hat und der Widerspruch gegen die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 80 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 i. V. m. § 84 Abs. 1 Nr. 7 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) und gegen die Abschiebungsandrohung nach § 80 Abs. 2 Satz 2 VwGO i. V. m. § 248 Abs. 1 Satz 2 Allgemeines Verwaltungsgesetz für das Land Schleswig-Holstein (LVwG) kraft Gesetzes keine aufschiebende Wirkung hat. Der Antrag ist auch im Übrigen zulässig.

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Der Antrag ist aber nur begründet, soweit mit ihm die Anordnung der aufschiebenden Wirkung gegen die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbot begehrt wird. Im Übrigen ist er unbegründet.

6

Die gerichtliche Entscheidung nach § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO ergeht regelmäßig auf der Grundlage einer umfassenden Interessenabwägung. Gegenstand der Abwägung sind das Aufschubinteresse des Antragstellers einerseits und das öffentliche Interesse an der Voll-ziehung des streitbefangenen Verwaltungsaktes andererseits. Im Rahmen dieser Interessenabwägung können auch Erkenntnisse über die Rechtmäßigkeit und die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes, der vollzogen werden soll, Bedeutung erlangen, allerdings nicht als unmittelbare Entscheidungsgrundlage, sondern als in die Abwägung einzustellende Gesichtspunkte, wenn aufgrund der gebotenen summarischen Prüfung Erfolg oder Misserfolg des Rechtsbehelfs offensichtlich erscheinen. Lässt sich bei der summarischen Überprüfung die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides ohne weiteres feststellen, ist sie also offensichtlich, so ist die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs (wieder-)herzustellen, weil an einer sofortigen Vollziehung eines offensichtlich rechtswidrigen Bescheides kein öffentliches Interesse bestehen kann. Erweist sich der angefochtene Bescheid als offensichtlich rechtmäßig, bedarf es in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse von der Behörde im Einzelfall angeordnet wurde, noch eines besonderen Interesses an der sofortigen Vollziehung, das mit dem Interesse am Erlass eines Verwaltungsaktes in der Regel nicht identisch ist, sondern vielmehr ein qualitativ anderes Interesse ist. Insbesondere in Fällen der Gefahrenabwehr – dies gilt auch für eine zur Gefahrenabwehr ausgesprochene Ausweisung – kann dieses besondere Vollzugsinteresse aber mit dem Interesse am Erlass des Bescheides selbst identisch sein. Erweist sich nach der genannten Überprüfung der angefochtene Bescheid als offensichtlich rechtmäßig, so führt dies in Fällen des gesetzlich angeordneten Sofortvollzuges regelmäßig dazu, dass der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung abzulehnen ist (vgl. OVG Schleswig, Beschluss vom 6. August 1991, Az.: 4 M 109/91, Rn. 5,- zitiert nach juris).

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Gemessen an diesen Maßstäben erweist sich der Antrag als unbegründet, soweit mit ihm die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Ausweisungsverfügung und die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Abschiebungsandrohung begehrt wird. Bei der vorzunehmenden Interessenabwägung überwiegt das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts das private Interesse des Antragstellers an einem einstweiligen Aufschub der Vollziehung. Die Ausweisungsentscheidung erweist sich nämlich als offensichtlich rechtmäßig.

8

Die Anordnung der sofortigen Vollziehung ist formell ordnungsgemäß erfolgt. Der Antragsgegner hat die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit der Ziffer 1 des Bescheids vom 12. Oktober 2018 in einer den Erfordernissen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO genügenden Weise begründet. Er hat gezeigt, dass er sich des Ausnahmecharakters der Anordnung bewusst war. Insbesondere hat er in seiner Begründung ausgeführt, dass sich das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung aus der Verletzung gewichtiger Rechtsgüter und dem präventiven Schutz Dritter ergebe und dass dieser Schutz effektiv bei einer Rückfallgefahr durchgesetzt werden müsse.

9

Das dargelegte und auch bestehende besondere Vollzugsinteresse überwiegt vorliegend das Interesse des Antragstellers, von dem Vollzug der Ausweisungsverfügung vorläufig verschont zu bleiben. Die Ausweisungsverfügung vom 12. Oktober 2018 ist rechtmäßig.

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Ermächtigungsgrundlage für die Ausweisung ist § 53 Abs. 1 AufenthG i. V. m. § 54 Abs. 1 Nr. 1a AufenthG in der Fassung des Art. 1 des Gesetzes zur erleichterten Ausweisung von straffälligen Ausländern und zum erweiterten Ausschluss der Flüchtlingsanerkennung bei straffälligen Asylbewerbern vom 11. März 2016 (BGBl. I, Jahrgang 2016, Nr. 12, S. 394), in Kraft getreten am 17. März 2016.

11

Nach § 53 Abs. 1 AufenthG wird ein Ausländer ausgewiesen, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt. Dieser Grundtatbestand umreißt die Ausweisungszwecke auf tatbestandlicher Ebene, die in § 54 AufenthG in vertypter und zugleich gewichteter Form als Ausweisungsinteressen ausdifferenziert werden. Ein Ermessen ist der Ausländerbehörde aufgrund des gesetzlichen Systemwechsels, hin zu einer gebundenen Entscheidung, nicht mehr eingeräumt (VGH Mannheim, Urteil vom 13. Januar 2016, Az.:11 S 889/15, Rn. 49,- zitiert nach juris). Dem Ausweisungsinteresse gegenüberzustellen ist das Bleibeinteresse des Antragstellers nach § 55 AufenthG, das der Gesetzgeber ebenfalls vertypt und zugleich gewichtet hat.

12

Der Aufenthalt des Antragstellers in der Bundesrepublik Deutschland gefährdet deren öffentliche Sicherheit und Ordnung, denn es besteht eine hinreichende Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Antragsteller erneut Straftaten gegen die körperliche Unversehrtheit und gegen das Eigentum Dritter begeht. Hierfür spricht, dass der Antragsteller bereits als Jugendlicher mehrere Eigentumsdelikte und Delikte gegen die körperliche Unversehrtheit begangen hat. So wurde er mit Urteil vom 25. Februar 2013 des Amtsgerichts Ahrensburg des Diebstahls in zwei Fällen und eines versuchten Diebstahls schuldig gesprochen. Der Schuldspruch erfolgte nach § 27 Jugendgerichtsgesetz (JGG) und dem Antragsteller wurde eine einjährige Bewährungszeit auferlegt. Mit Urteil vom 7. Oktober 2013 des Amtsgerichts Plön wurde der Antragsteller des Raubes und Diebstahls in drei Fällen schuldig gesprochen. Es erfolgte eine Verurteilung zu sechs Monaten Jugendstrafe. Diese wurde nicht zur Bewährung ausgesetzt. Mit weiteren Urteil vom 27. Mai 2014 des Amtsgerichts Plön wurde der Antragsteller zudem wegen Diebstahls in einem besonders schweren Fall, gefährlicher Körperverletzung und Körperverletzung in zwei Fällen schuldig gesprochen und zu einer Jugendstrafe von 14 Monaten verurteilt. Diese wurde nicht zur Bewährung ausgesetzt. In die Verurteilung und Strafzumessung wurden die Entscheidungen vom 25. Februar 2013 und 7. Oktober 2013 miteinbezogen. Auch wenn der Antragsteller diese Taten als Jugendlicher begangen hat und seit der Verurteilung zu 14 Monaten Jugendstrafe bereits vier Jahre vergangen sind, so ist nicht davon auszugehen, dass der Antragsteller die öffentliche Sicherheit und Ordnung nicht mehr gefährdet. Dies folgt aus dem Umstand, dass es sich bei den begangenen Straftaten – hervorzuheben sei der Raub - um erhebliche Straftaten handelt, die die Rechter Dritter in besonderen Maße verletzen und es für das Gericht nicht ersichtlich ist, dass der Antragsteller sich von seinen Taten hinreichend distanziert hat und an seinem Verhalten gearbeitet hat. Zu dieser Auffassung gelangt das Gericht insbesondere aufgrund der Tatsache, dass der Antragsteller nach seiner Haftentlassung im Februar 2015 erneut straffällig geworden ist. So wurde er mit Urteil des Amtsgerichts Plön am 19. Mai 2017 wegen unbefugten Gebrauchs eines Kraftfahrzeugs in Tateinheit mit vorsätzlichen Fahren ohne Fahrerlaubnis zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 30,00 € verurteilt. Gerade diese Tatbegehung zeigt, dass der Antragsteller weiterhin das Eigentum Dritter nicht akzeptiert und respektiert. Zudem wurde der Antragsteller mit Urteil vom 6. September 2018 zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 10,00 € wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln verurteilt. Insoweit könnte auch die für den Antragsteller im Urteil vom 27. Mai 2014, welches dem Gericht nicht vorliegt, getroffene Sozialprognose bzw. die ausführliche Darstellung der persönlichen Umstände des Antragstellers zu keiner anderen Betrachtung führen, da durch die erneute Begehung von Straftaten eben gerade nicht mehr von einer günstigen Prognose ausgegangen werden kann. Aus diesem Umstand folgt auch, dass die im Jugendalter begangenen Straftaten nicht als „Jugendsünde“ betrachtet werden können und dass aufgrund der weiteren Entwicklung des Antragstellers nunmehr nicht davon ausgegangen werden kann, dass er sich rechtstreu verhalten wird.

13

Die nach § 53 Abs. 2 AufenthG sodann vorzunehmende Abwägung der Interessen des Antragstellers an seinem Verbleib im Bundesgebiet mit den öffentlichen Interessen an seiner Ausreise ergibt ein überwiegendes Interesse an seiner Ausreise.

14

Bei dem Antragsteller liegt ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 1 Nr. 1a AufenthG vor. Demnach wiegt das Ausweisungsinteresse besonders schwer, wenn der Ausländer wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib und Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist; bei serienmäßiger Begehung von Straftaten gegen das Eigentum wiegt das Ausweisungsinteresse auch dann besonders schwer, wenn der Täter keine Gewalt, Drohung oder List angewendet hat. Dies ist bei dem Antragsteller der Fall, da er mit rechtskräftigen Urteil des Amtsgerichts Plön vom 27. Mai 2014 (Az.: 739 Js 30221/12 (35/12)) zu einer Jugendfreiheitsstrafe von 14 Monaten verurteilt wurde. Der Verurteilung lagen Delikte gegen die körperliche Unversehrtheit und das Eigentum (Raub) mit Gewalteinwirkung bzw. Drohung mit Gefahr für Leib und Leben zugrunde.

15

Diesem besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresse steht kein vertyptes Bleibeinteresse im Sinne des § 55 AufenthG gegenüber. Insbesondere liegt bei dem Antragsteller kein besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse nach § 55 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG vor. Der Antragsteller ist nicht im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis. Eine Fiktionsbescheinigung genügt nicht, um die Tatbestandsvoraussetzungen des § 55 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG zu erfüllen (Bauer/Dillinger, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 12. Auflage 2018, § 55, Rn. 4 und 6).

16

§ 53 Abs. 1 AufenthG verlangt ein Überwiegen des Interesses an der Ausreise, das im Rahmen einer umfassenden Verhältnismäßigkeitsprüfung festzustellen ist, wobei in die hierbei vorzunehmende umfassende und abschließende Abwägung des Ausweisungsinteresses mit dem Bleibeinteresse die in § 53 Abs. 2 AufenthG niedergelegten Umstände einzubeziehen sind. Nach Absatz 2 sind bei der Abwägung nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthaltes, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat zu berücksichtigen. Dabei darf weder eine schematische Betrachtungsweise erfolgen, die einer umfassenden Bewertung der den Fall prägenden Umstände zuwiderlaufen würde, noch eine mathematische Abwägung im Sinne eines bloßen Abzählens von Umständen, die das Ausweisungsinteresse einerseits und das Bleibeinteresse andererseits begründen (vgl. VGH Mannheim, Urteil vom 13. Januar 2016, Az.: 11 S 889/15, Rn. 142,- zitiert nach juris; OVG Münster, Urteil vom 10. Mai 2016, Az.: 18 A 610/14 , Rn. 79,- zitiert nach juris). Die Aufzählung der in § 53 Abs. 2 AufenthG genannten Kriterien ist aber nicht abschließend (BT-Drucks. 18/4097, S. 50). Es sind für die Überprüfung der Verhältnismäßigkeit der Ausweisung maßgeblich auch die Kriterien des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte heranzuziehen (vgl. nur EGMR, Urteil vom 18. Oktober 2006, Üner - Nr. 46410/99, Rn. 57 ff.,- zitiert nach juris; EGMR, Urteil vom 2. August 2001, Boultif - Nr. 54273/00, Rn. 47 ff., abrufbar in englischer Sprache unter http://hudoc.echr.coe.int/eng?i=001-59621). Hiernach sind vor allem die Art und die Schwere der vom Ausländer begangenen Straftaten, die Dauer des Aufenthaltes in dem Land, aus dem er ausgewiesen werden soll, die seit der Begehung der Straftat verstrichene Zeit und das seitherige Verhalten des Ausländers, die Staatsangehörigkeit der betroffenen Personen, die familiäre Situation des Ausländers, ob zu der Familie Kinder gehören und welches Alter diese haben, sowie die Ernsthaftigkeit der Schwierigkeiten, welche die Familienangehörigen voraussichtlich in dem Staat ausgesetzt wären, in den der Ausländer ausgewiesen werden soll, die Belange und das Wohl der Kinder und die Stabilität der sozialen, kulturellen und familiären Bindungen zum Gastland und zum Zielland zu berücksichtigen (vgl. VGH Mannheim, Urteil vom 15. April 2011, Az.: 11 S 189/11, Rn. 57 m. w. N. zur Rechtsprechung des EGMR,- zitiert nach juris).

17

Auch unter Anwendung dieser Maßstäbe ergibt sich kein Bleibeinteresse des Antragstellers, welches das Ausweisungsinteresse überwiegt. Die begangenen Straftaten sind insgesamt von ganz erheblichem Gewicht. Bei dem begangenen Raub handelt sich um ein Verbrechen (vgl. § 12 Strafgesetzbuch (StGB)), welches die öffentliche Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland in besonderem Maße verletzt. Zudem ist anzuführen, dass der Antragsteller auch nach seiner Haftentlassung weiterhin Straftaten begangen hat (vgl. obige Ausführungen). Er ist offensichtlich nicht bereit, sich in die bestehende Rechtsordnung in Deutschland einzufügen. Die zuletzt begangene Straftat liegt auch noch nicht so weit zurück, dass man nunmehr davon ausgehen kann, dass der Antragsteller sich endgültig von der Begehung von Straftaten abgewandt hat. Auch verletzt die Ausweisung nicht in unverhältnismäßiger Weise das in Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) geschützte Recht des Antragstellers auf Achtung seines Privatlebens. Hierbei ist zwar zu berücksichtigen, dass der Antragsteller seit dem Jahr 2005 in Deutschland lebt, seine Mutter und Geschwister in Deutschland leben, seine sozialen Kontakte und seine Freundin hier sind und er einen wesentlichen Teil seines Lebens in Deutschland verbracht hat und somit keine Bindungen in der Russischen Föderation hat. Unter Berücksichtigung der Gesamtumstände führen aber auch diese Umstände nicht zu der Annahme, dass das Bleibeinteresse das besonders schwerwiegende Ausweisungsinteresse überwiegt. Hierbei ist auch anzumerken, dass der Kläger zwar einen deutschen Hauptschulabschluss hat, er aber weder eine Ausbildung absolviert hat, noch derzeit eine Arbeitsstelle hat. Die bloße Aussicht auf eine Arbeitsstelle bei Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis begründet keine schützenswerte Rechtsposition. Zumal überhaupt nicht erkennbar ist, auf welcher rechtlichen Grundlage dem Antragsteller eine solche erteilt werden sollte. Weiter ist davon auszugehen, dass der Antragsteller in der Russischen Föderation seinen Lebensunterhalt erwirtschaften kann. Er dürfte auch der russischen Sprache mächtig sein, da er zehn Jahre lang in der Russischen Föderation lebte. Der Kontakt zu seiner Familie ist ihm über Telefon und Internet auch von dort aus möglich und zumutbar.

18

Die in Ziffer 5 des Bescheides vom 12. Oktober 2018 erlassene Abschiebungsandrohung ist ebenfalls offensichtlich rechtmäßig. Die gesetzlichen Voraussetzungen für den Erlass einer Abschiebungsandrohung nach §§ 50, 58, 59, AufenthG sind erfüllt. Insbesondere ist der Antragsteller auch nach § 50 Abs. 1 AufenthG zur Ausreise verpflichtet. Nach § 50 Abs. 1 AufenthG ist ein Ausländer zur Ausreise verpflichtet, wenn er einen erforderlichen Aufenthaltstitel nicht oder nicht mehr besitzt und ein Aufenthaltsrecht nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei nicht oder nicht mehr besteht. Der Antragsgegner hat den Antragsteller aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen. Ein noch bestehender Aufenthaltstitel wäre damit nach § 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG durch die verfügte Ausweisung erloschen. Entsprechendes gilt auch für die Fortbestehensfiktion nach § 81 Abs. 4 AufenthG, da ein Ausländer in diesem Zusammenhang nicht besser behandelt werden kann, als wenn er bereits im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis gewesen wäre (vgl. OVG Hamburg, Beschluss vom 18. Januar 1995, Az.: Bs V 262/94, Rn. 3, zitiert nach juris). Der Widerspruch gegen die Ausweisung lässt nach § 84 Abs. 2 AufenthG die Wirksamkeit der Ausweisung unberührt; der Widerspruch hindert demnach nicht das Entstehen der Ausreisepflicht durch die verfügte Ausweisung.

19

Dass der Antragsteller vor Erlass der Ausweisungsverfügung nicht ordnungsgemäß angehört wurde, steht der Rechtmäßigkeit der Ausweisungsverfügung nicht entgegen. Gemäß § 114 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 Satz 1 LVwG kann diese bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nachgeholt werden.

20

Der Antrag ist aber begründet, soweit der Antragsteller sich gegen die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots wendet. Der Bescheid vom 12. Oktober 2018 ist insoweit rechtswidrig. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbot war daher anzuordnen.

21

Die Ausländerbehörde hat bei der Befristung des mit einer Ausweisung verbundenen gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots über die Länge der Frist nach Ermessen zu entscheiden (BVerwG, Urteile vom 22. Februar 2017, Az.: 1 C 27/16, Rn. 19 ff. und 1 C 3/16, Rn. 65 f., - beide zitiert nach juris). Die Befristung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 AufenthG geht regelmäßig im Anwendungsbereich der Rückkehrrichtlinie mit einem behördlich ausgesprochenen Einreise- und Aufenthaltsverbot einher (vgl. BVerwG, Urteil vom 21. August 2018, Az.: 1 C 21/17). Nach § 11 Abs. 3 AufenthG darf die Frist fünf Jahre nur überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Diese Frist soll zehn Jahre nicht überschreiten. Für die Festsetzung der allein unter präventiven Gesichtspunkten zu ermittelnden Frist sind das Gewicht des Ausweisungsinteresses und der mit der Ausweisung verfolgte Zweck zu berücksichtigen. Hierzu bedarf es in einem ersten Schritt der prognostischen Einschätzung im Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen, das seiner Ausweisung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag. Die auf diese Weise an der Erreichung des Ausweisungszwecks ermittelte Höchstfrist muss von der Behörde in einem zweiten Schritt an höherrangigem Recht, d.h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen (Art. 2 Abs. 1, Art. 6 GG) und den unions- und konventionsrechtlichen Vorgaben aus Art. 7 GRC und Art. 8 EMRK, gemessen und gegebenenfalls relativiert werden. Dabei sind von der Ausländerbehörde nicht nur die nach § 55 Abs. 1 und 2 AufenthG schutzwürdigen Bleibeinteressen des Ausländers in den Blick zu nehmen, sondern bedarf es nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalles einer umfassenden Abwägung aller betroffenen Belange (BVerwG, Urteile vom 22. Februar 2017, Az.: 1 C 27/16, Rn. 23 ff. und 1 C 3/16, Rn. 66,- beide zitiert nach juris).

22

Davon ausgehend erfolgte die Befristung auf acht Jahre vorliegend nicht anhand dieser Maßstäbe. Bei Ermessensentscheidungen ist der Verwaltung ein Handlungsspielraum eingeräumt. Das Gericht darf bei der Überprüfung einer Ermessensentscheidung nicht seine Vorstellungen hinsichtlich einer zweckmäßigen Entscheidung an die Stelle des Verwaltungsermessens setzen. Es findet mithin nur eine gerichtliche Rechtskontrolle, nicht aber eine Zweckmäßigkeitskontrolle statt. Bei einem Streit über die Gewährung von Ermessensleistungen hat das Gericht im Streitfall nach § 114 Satz 1 VwGO zu prüfen, ob die Behörde die gesetzlichen Grenzen ihres Ermessens überschritten oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat. Vorliegend ist nach summarischer Prüfung davon auszugehen, dass der Antragsgegner das ihm eingeräumte Ermessen nicht entsprechend dem Zweck der Ermächtigung ausgeübt hat. Insbesondere ist nicht erkennbar, welche persönlichen Belange des Antragsstellers der Antragsgegner konkret in die Ermessenserwägungen mit einbezogen hat. Die Begründung der Ermessensentscheidung ist sehr oberflächlich und formelhaft erfolgt. So legt der Antragsgegner nur dar, dass aufgrund der begangenen Straftaten auch unter Berücksichtigung der persönlichen Situation des Antragstellers die Frist von acht Jahren angemessen sei. Welche persönlichen Belange mit in die Abwägung eingeflossen sind, ist nicht ersichtlich. Der Antragsgegner hätte hier aber erkennbar berücksichtigen müssen, dass der Antragsteller seit seinem zehnten Lebensjahr in Deutschland lebt, seine Familie hier ist und er keine Bindungen in der Russischen Föderation hat. Vor diesem Hintergrund erweist sich die Befristung auf acht Jahre als unverhältnismäßig.

23

Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 2, 52 Abs. 2, 63 Abs. 2 Gerichtskostengesetz (GKG).

24

Die Ablehnung und teilweise Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt B beruht auf § 166 Abs. 1 VwGO i. V. m. § 114 Abs. 1 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO). Die beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet, wie sich aus dem Vorstehenden ergibt, nur zum Teil hinreichende Aussicht auf Erfolg.


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