Beschluss vom Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht (2. Kammer) - 2 B 40/18

Tenor

Der Antrag wird abgelehnt.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind erstattungsfähig.

Der Streitwert wird auf 7.500,-- Euro festgesetzt.

Gründe

1

Das vorläufige Rechtsschutzgesuch der Antragstellerin bleibt ohne Erfolg.

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Ihr Antrag, die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs vom 20.11.2018 gegen die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung des Antragsgegners vom 13.11.2018 anzuordnen, beurteilt sich nach §§ 80 a Abs. 3, 80 Abs. 5 S. 1, 1. Alt. VwGO; insoweit ist der Antrag statthaft und auch sonst zulässig. Denn nach § 80 Abs. 5 S. 1, 1. Alt. VwGO kann das Gericht die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs in den Fällen anordnen, in denen die aufschiebende Wirkung nach § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 – 3 VwGO entfällt. Das ist hier der Fall, da dem Widerspruch der Antragstellerin gegen die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung für die Aufstellung von Containern für die Unterbringung einer Kindergartengruppe auf dem Grundstück Schulstraße 14 a in A-Stadt nach § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 VwGO iVm § 212 a Abs. 1 BauGB keine aufschiebende Wirkung zukommt.

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Der Antrag ist indessen unbegründet. Die gerichtliche Entscheidung nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO ergeht auf der Grundlage einer umfassenden Interessenabwägung. Gegenstand der Abwägung sind das Interesse der beigeladenen Bauherrin an der sofortigen Ausnutzung der ihr erteilten Baugenehmigung einerseits und das Interesse der antragstellenden Nachbarin, von der Vollziehung der Baugenehmigung bis zur Entscheidung in der Hauptsache verschont zu bleiben, andererseits. Im Rahmen dieser Interessenabwägung können auch Erkenntnisse über die Rechtmäßigkeit oder die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes, der vollzogen werden soll, Bedeutung erlangen, allerdings nicht als unmittelbare Entscheidungsgrundlage, sondern als in die Abwägung einzustellende Gesichtspunkte. Darüber hinaus ist in die Abwägung einzustellen, dass nach dem Willen des Gesetzgebers Widerspruch und Anfechtungsklage eines Dritten gegen die bauaufsichtliche Zulassung eines Vorhabens gemäß § 212 a Abs. 1 BauGB keine aufschiebende Wirkung haben sollen und der Gesetzgeber damit dem Bauverwirklichungsinteresse grundsätzlich den Vorrang eingeräumt hat. Insofern kann das Gericht die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage nur anordnen, wenn auf Seiten der Antragstellerin geltend gemacht werden kann, dass mit überwiegender Wahrscheinlichkeit ihre Rechtsposition durch den Bau und die Nutzung des genehmigten Vorhabens unerträglich oder in einem nicht wieder gutzumachenden Maße beeinträchtigt bzw. gefährdet wird. Dabei macht der Verweis auf die Rechtsposition des antragstellenden Nachbarn allerdings deutlich, dass bei baurechtlichen Nachbarrechtsbehelfen nicht allein die objektive Rechtswidrigkeit der angefochtenen Baugenehmigung in den Blick zu nehmen ist, sondern dass Rechtsbehelfe dieser Art nur erfolgreich sein können, wenn darüber hinaus gerade der klagende bzw. widersprechende Nachbar in subjektiv- öffentlichen Nachbarrechten verletzt ist. Ob die angefochtene Baugenehmigung insgesamt objektiv rechtmäßig ist, ist nicht maßgeblich. Vielmehr ist die Baugenehmigung allein daraufhin zu untersuchen, ob sie gegen Vorschriften verstößt, die dem Schutz des um Rechtsschutz nachsuchenden Nachbarn dienen. Der Nachbar kann sich nur auf solche Interessen berufen, die das Gesetz im Verhältnis der Grundstücksnachbarn untereinander als schutzwürdig ansieht. Dabei ist für die Beurteilung der Verletzung von öffentlich-rechtlich geschützten Nachbarrechten durch eine Baugenehmigung allein der Regelungsinhalt der Genehmigungsentscheidung maßgeblich. Eine hiervon abweichende Ausführung kann die Aufhebung der Baugenehmigung demgegenüber nicht rechtfertigen.

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Nach diesem Maßstab überwiegt vorliegend das Interesse der Beigeladenen, die ihr erteilte Baugenehmigung sofort, d. h. ungeachtet des Widerspruchs der Antragstellerin ausnutzen zu können. Denn bei der in diesem Verfahren nur möglichen und gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage lässt sich nicht mit hinreichender, d. h. überwiegender Wahrscheinlichkeit feststellen, dass die angefochtene Baugenehmigung des Antragsgegners vom 13.11.2018 Nachbarrechte der Antragstellerin verletzt. Es ist weder ein Verstoß gegen nachbarschützende Vorschriften des Bauordnungs- oder Bauplanungsrechts einschließlich des Gebots der Rücksichtnahme noch gegen sonstige nachbarschützende Vorschriften ersichtlich.

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Dabei kommt es vorliegend nicht darauf an, ob der Antragsgegner zu Recht die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Befreiung von dem Nachweis der erforderlichen Stellplätze durch die Beigeladene nach § 50 Abs. 1 S. 5 LBO, wonach mit Einverständnis der Gemeinde ganz oder teilweise auf die Herstellung von Stellplätzen und Garagen und die Zahlung eines Geldbetrages zur Ablösung verzichtet werden kann, als gegeben angesehen hat. Auf insoweit aus Sicht der Kammer durchaus bestehende Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Baugenehmigung braucht nicht eingegangen zu werden, weil, was auch der Prozessbevollmächtigte der Antragstellerin in der Antragsschrift nicht verkennt und in Abrede stellt, die bauordnungsrechtlichen Vorschriften über die Verpflichtung zur Errichtung der für eine ordnungsgemäße Nutzung notwendigen Stellplätze nicht nachbarschützend sind, sondern ausschließlich dem öffentlichen Interesse an der Entlastung öffentlicher Verkehrsflächen vom ruhenden Verkehr dienen. Der Nachbar kann nur mittelbar den Verzicht auf die Errichtung der nach § 50 Abs. 1 S. 1 und 2 LBO an sich erforderlichen Stellplätze rügen, nämlich dann, wenn sich hieraus ein Verstoß gegen das nachbarschützende Gebot der Rücksichtnahme ergibt. Ein Verstoß liegt vor, wenn der Mangel an Stellplätzen zu Beeinträchtigungen führt, die dem Nachbarn - auch unter Berücksichtigung einer Vorbelastung seines Grundstücks - bei Abwägung aller Umstände unzumutbar sind (vgl. dazu VGH Mannheim, Beschl. v. 10.01.2008, - 3 S 2773/07 -; Hess. VGH, Beschl. v. 12.05.2003 - 9 TG 2037/02 -; OVG Bremen, Beschl. v. 18.10.2002 - 1 B 315/02 -; OVG Münster, Urt. v. 10.07.1998 - 11 A 7238/95 -; OVG Lüneburg, Beschl. v. 14.03.1997 - 1 M 6589/96 -). Auf einen Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot kann sich der Nachbar etwa dann berufen, wenn der Stellplatzmangel geeignet ist, die bestimmungsgemäße Nutzung seines eigenen Grundstücks zu beeinträchtigen. Eine solche Beeinträchtigung liegt - jedenfalls solange der freie Zugang zum Grundstück möglich ist - allerdings nicht schon darin, dass die angrenzenden Straßen durch Fahrzeuge von Nutzern der baulichen Anlage zum Parken in Anspruch genommen werden und dem Nachbarn nur noch mit den daraus folgenden Einschränkungen zur Verfügung stehen. Das dem Nachbarn durch das Eigentum vermittelte Recht zur bestimmungsgemäßen Nutzung seines Grundstücks begründet kein Recht auf bevorzugte Nutzung des angrenzenden öffentlichen Straßenraums (vgl. BVerwG, Beschl. v. 18.03.1998, - 1 B 33/98 -). Probleme, die sich aus der Verteilung knappen öffentlichen Straßenraums auf verschiedene Verkehrsteilnehmer ergeben, sind mit den Mitteln des Straßenverkehrsrechts zu regeln. Als rücksichtslos kann der Verzicht auf die notwendigen Stellplätze allerdings dann gerügt werden, wenn der durch ihn bewirkte parkende Verkehr und Parksuchverkehr den Nachbarn in der Wohnnutzung seines Grundstücks unzumutbar beeinträchtigt. Dies setzt i.d.R. entsprechende Immissionen, insbesondere Lärm- und Abgaseinwirkungen, voraus (VGH Mannheim, Beschl. v. 10.01.2008, - 3 S 2773/07 -).

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Nach diesen Maßstäben kann die Kammer einen Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot durch den von der Antragstellerin allein gerügten Stellplatzmangel nicht feststellen. Soweit die Antragstellerin rügt, dass es schon in der Vergangenheit zu chaotischen Verkehrsverhältnissen dadurch gekommen ist, dass Eltern der Kinder des Kindergartens diese mit dem Pkw bis zum Kindergartengebäude fahren oder von dort abholen und ihre Pkws dort vorübergehend abstellen, ist zunächst darauf hinzuweisen, dass entsprechende Einwendungen der Antragstellerin verwirkt sein dürften. Soweit ersichtlich existiert der Kindergarten schon bereits seit vielen Jahren. Der Betrieb des Kindergartens wurde durch die Baugenehmigung vom 12.08.2015 bezüglich der bis dahin erfolgten Betreuung von ca. 65 Kindern legalisiert. In den Blick zu nehmen ist vorliegend nur die angefochtene Baugenehmigung, die die Aufstellung von Containern für die Einrichtung einer weiteren Kindergartengruppe mit 15 Kindern zum Gegenstand hat. Es ist daher zu prüfen und zu prognostizieren, ob sich nunmehr durch den Betrieb des Kindergartens in diesem Umfange ein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot ergibt. Das ist nicht der Fall. Die Beigeladene hat im Einzelnen dargestellt, welche Maßnahmen sie zur Sicherstellung der Feuerwehrzufahrt zum Kindergarten und zur Wahrung der berechtigten Belange der angesiedelten Nachbarn eingeleitet hat. Diese Maßnahmen erschöpfen sich aus Sicht der Kammer auch nicht in – wie die Antragstellerin meint – „wolkigen Ankündigungen, guten Hoffnungen und vagen Annahmen“. Vielmehr sind konkrete Maßnahmen durchgeführt worden, die bereits Erfolge gezeitigt haben. So sind in dem maßgebenden Bereich der Schulstraße und in der Stichstraße zum Kindergarten und zum Grundstück der Antragstellerin hin Halteverbotsschilder aufgestellt worden. Die Eltern der Kindergartenkinder sind vom Kindergarten selbst mit Schreiben vom 15.09.2018 erneut darauf hingewiesen worden, dass ein widerrechtliches Parken in der Stichstraße unzulässig sei und dadurch der erforderliche Rettungsweg und die Zufahrt für die Feuerwehr blockiert werden. Durch dieses Verhalten gefährdeten die betroffenen Eltern das Leben aller Kinder in dieser Kindertagesstätte. Das Ordnungsamt wie auch die Polizei würden die Beachtung des Halteverbotes insbesondere zu den „Bring- und Abholzeiten“ überwachen und entsprechende Verstöße zur Anzeige bringen, welches mit einem empfindlichen Bußgeld verbunden sein werde. Dieses Hinweisschreiben des Kindergartens lässt aus Sicht der Kammer durchaus erwarten, dass die Eltern sich zukünftig hieran halten werden, wobei es nicht darauf ankommt, dass dies vermutlich bei einigen Eltern bedauerlicherweise nur deshalb geschehen wird, weil sie sich ein Verwarnungsgeld ersparen wollen. Angesichts dieser durchgeführten Maßnahmen besteht auch kein Anlass zu der Annahme, dass die Beigeladene entgegen ihrer Erklärung, sie werde die Verkehrsüberwachung in diesem Bereich noch weiter intensivieren, den Ankündigungen keine Taten wird folgen lassen. Auch die Antragstellerin selbst räumt in der Antragsschrift ein, dass es durch die Aufstellung der Halteverbotsschilder im Stichweg seit September 2018 zum Eintritt eines positiven Effekts gekommen ist. Ihre Befürchtung, dass dieser Effekt schnell wieder verpufft sein werde, wäre nur dann berechtigt, wenn die Beigeladene tatsächlich ihren Überwachungsdruck aufgeben würde. Dies anzunehmen besteht indes keine Veranlassung. Auch in ihrem letzten Schriftsatz vom 02.01.2019 bestreitet die Antragstellerin nicht, dass es gegenwärtig in dem Stichweg keine beklagenswerten Verkehrsverhältnisse mehr gibt. Vielmehr macht sie geltend, dass es durch diese Maßnahmen letztlich nur zu einer Problemverlagerung in die eigentliche Schulstraße selbst hineingekommen sei. So habe sie am 21.12.2018 feststellen müssen, dass ein Durchkommen in der Schulstraße kaum möglich gewesen sei. Vier Fahrzeuge hätten im absoluten Halteverbot geparkt, teilweise über Stunden, wobei es sich um ein Fahrzeug eines KiTa-Mitarbeiters gehandelt habe. Mit diesem Vorbringen verkennt die Antragstellerin, dass sie im Grunde die allgemeinen Verkehrsverhältnisse in der an sich beengten Schulstraße rügt, die nicht unmittelbar mit der Einrichtung einer weiteren Kindergartengruppe durch die angefochtene Baugenehmigung im Zusammenhang stehen. Gerade ihre Behauptung, es hätten mehrere Fahrzeuge am 21.12.2018 in der Schulstraße im absoluten Halteverbot über mehrere Stunden gestanden, zeigt, dass dies keine Folge der Einrichtung der weiteren Kindergartengruppe ist, weil die Eltern, die ihre Kinder bringen oder abholen, dort regelmäßig nur für wenige Minuten - wenn auch gelegentlich illegal - in der Schulstraße parken werden. Aus Sicht der Kammer lässt sich jedenfalls nach den von der Beigeladenen bereits durchgeführten und in Aussicht gestellten Überwachungsmaßnahmen nicht die Prognose anstellen, die Antragstellerin und ihr Ehemann oder die Eltern würden die Wohnhäuser Schulstraße 14 und 14 b wegen illegal in der Schulstraße oder im Stichweg parkender Pkws nicht erreichen oder verlassen können. Dabei will die Kammer nicht ausschließen, dass es trotz der Bemühungen der Beigeladenen in seltenen Fällen vorkommen kann, dass unbelehrbare ignorante Eltern im Halteverbot im Bereich der Stichstraße bzw. der dortigen Schulstraße parken werden, jedoch ist auch zu berücksichtigen, dass die Beeinträchtigungen der Antragstellerin durch derartige seltene Verstöße nur temporär geringfügig wären, weil die Eltern sich dort im Kindergarten nur ganz kurz aufhalten werden, um z.B. ihre Kinder aus- oder anzukleiden. Eine nachhaltige Beeinträchtigung der Feuerwehrzufahrt ist aus den vorgenannten Gründen ebenfalls nicht zu befürchten. Das es in der Schulstraße im Bereich der Stichstraße „Dauerparker“ geben mag, die die Zufahrt beeinträchtigen könnten, wäre nicht Folge des Betriebs des Kindergartens, insbesondere nicht der hier streitgegenständlichen Einrichtung einer neuen Gruppe mit 15 Kindern. Auch die eingereichten Fotos bestätigen nur, dass es sich im Bereich der Schulstraße um beengte Verkehrsverhältnisse handelt, die in Städten in vielen Bereichen anzutreffen sind und naturgemäß eine allgemeine besondere Rücksicht von den Anliegern und Nutzern abverlangen.

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Danach ist der Antrag mit der sich aus § 154 Abs. 1 VwGO ergebenden Kostenfolge abzulehnen. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind gem. § 162 Abs. 3 VwGO für erstattungsfähig zu erklären, weil sie sich durch Stellung eines Sachantrages am Kostenrisiko beteiligt hat.

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Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1, 63 Abs. 2 GKG.


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