Beschluss vom Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht (1. Kammer) - 1 B 140/18

Tenor

Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird auf 5.000,-- EUR festgesetzt.

Gründe

1

Das Gericht legt das vorläufige Rechtsschutzbegehren des Antragstellers dahingehend aus, dass dieser einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen die Abschiebungsandrohung in demselben Bescheid stellen möchte. Der Antragsteller wendet sich im Wortlaut seines Antrages zwar gegen die ausgesprochene Ausreiseaufforderung, diese enthält jedoch im Gegensatz zur gleichzeitig ausgesprochenen Abschiebungsandrohung keine Regelung, also nicht die verbindliche Festsetzung einer Rechtsfolge durch die Behörde. Die Ausreiseaufforderung selbst ist deshalb kein Verwaltungsakt im Sinne des § 106 Abs. 1 LVwG. Sie erlegt hinsichtlich der Ausreisepflicht nicht zusätzlich etwas auf, sondern gibt lediglich wieder, was ohnehin kraft Gesetzes gilt. Als Bestandteil einer Abschiebungsandrohung unterstreicht sie die jeder Abschiebungsandrohung immanente Aufforderung, das Bundesgebiet zu verlassen (BVerwG, Beschluss vom 20. Januar 1993 - 1 zu B 149.92 -, juris, Rn. 6 zu § 12 AuslG 1965).

2

Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen die Abschiebungsandrohung in Ziffer 2 des Bescheides vom 20. November 2018 wäre zwar grundsätzlich nach § 80 Abs. 5 Satz 1 1. Alt. VwGO statthaft, da der Widerspruch hiergegen nach §§ 248 Abs. 1 S. 2 LVwG, 80 Abs. 2 Satz 2 VwGO als Maßnahme der Verwaltungsvollstreckung kraft Gesetzes keine aufschiebende Wirkung hat. Es fehlt dem Antragsteller jedoch insoweit an dem allgemeinen Rechtsschutzbedürfnis für den Antrag. Das allgemeine Rechtsschutzinteresse wird für jede gerichtliche Verfahrenshandlung verlangt, um den Missbrauch prozessualer Rechte zu verhindern. Damit sollen insbesondere solche Verfahren ausgeschlossen werden, in denen der Kläger mit der Klage eine Verbesserung seiner Rechtsstellung nicht erreichen kann, die Klage also zurzeit nutzlos ist (BVerwG, Urteil vom 08. Juli 2009 – 8 C 4/09 –, Rn. 24, juris). So liegt der Fall hier.

3

Der Antragsteller könnte mit der erstrebten Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen die Abschiebungsandrohung in Ziffer 2 des Bescheides vom 20. November 2018 seine Rechtsstellung nicht verbessern. Denn es liegt gegen den Antragsteller bereits mit dem Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 2. Februar 2016 eine bestandskräftige Abschiebungsandrohung vor, auf deren Grundlage grundsätzlich eine Abschiebung durchgeführt werden könnte. Diese Abschiebungsandrohung des Bundesamtes ist nicht unwirksam geworden. Nach § 43 Abs. 2 VwVfG des Bundes bleibt ein Verwaltungsakt wirksam, solange und soweit er nicht zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt ist. Eine Aufhebung der Abschiebungsandrohung des Bundesamtes ist nicht erfolgt, sie hat sich auch nicht auf andere Weise erledigt. Dem Antragsteller ist nach Bestandskraft der Abschiebungsandrohung des Bundesamtes durch den Antragsgegner lediglich eine Duldung, jedoch gerade keine Aufenthaltserlaubnis erteilt worden, wodurch sich die Abschiebungsandrohung des Bundesamtes erledigt hätte. Die Aussetzung der Abschiebung durch Erteilung einer Duldung lässt die Ausreisepflicht gemäß § 60a Abs. 3 AufenthG grundsätzlich unberührt. Nach Erlöschen der Duldung wird gemäß § 60a Abs. 5 Satz 3 AufenthG der Ausländer unverzüglich ohne erneute Androhung und Fristsetzung abgeschoben, es sei denn, die Aussetzung der Abschiebung wird erneuert. Es bedarf daher grundsätzlich nach Erlöschen einer Duldung keiner erneuten Abschiebungsandrohung und Fristsetzung, wie es in dem Bescheid vom 20. November 2018 geschehen ist. Ist die Abschiebung länger als ein Jahr ausgesetzt, ist die durch Widerruf der Duldung vorgesehene Abschiebung mindestens einen Monat vorher anzukündigen; die Ankündigung ist zu wiederholen, wenn die Aussetzung für als ein Jahr erneuert wird (§ 60 a Abs. 5 Satz 4 AufenthG). Die Abschiebungsandrohung des Bundesamtes ist auch durch die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung durch Erteilung einer Duldung weiterhin vollziehbar; einer Abschiebungsandrohung stehen ohnehin nach § 59 Abs. 3 AufenthG Gründe für die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nicht entgegen.

4

Die Vollziehbarkeit des Bescheides des Bundesamtes ist auch nicht durch den zumindest im anwaltlichen Widerspruchsschreiben vom 14. Dezember 2018 gestellten Antrag auf eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG beeinträchtigt worden. Mit der Antragstellung auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis kann eine Erlaubnis- oder Duldungsfiktion nach § 81 Abs. 3 Satz 1 oder 2 AufenthG nur dann eintreten, wenn sich der Ausländer ohne Aufenthaltstitel rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält. Die dem Antragsteller erteilten Duldungen begründeten jedoch keinen rechtmäßigen Aufenthalt. Duldungen lassen die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht vielmehr unberührt (§ 60a Abs. 3 AufenthG; vgl. BayVGH, Beschluss vom 26. September 2005 – 24 C 05.1851 –, Juris; OVG Hamburg, Beschluss vom 21. April 2005 – 3 Bs 40.05 –, InfAuslR 2005, 306; vgl. auch zur Duldung nach § 55 Abs. 2 AuslG: BVerwG, Urteil vom 25. September 1994 – 1 C 3.97 –, BVerwGE 105, 232 [235]). Von § 81 Abs. 3 Satz 1 AufenthG erfasst werden andere Fälle, insbesondere die des § 81 Abs. 2 AufenthG sowie die Fälle, in denen gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 AufenthG zunächst eine Befreiung vom Erfordernis eines Aufenthaltstitels gegeben war (vgl. den Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 07.02.2003, BT-Drucks. 15/420, S. 96). Eine Fortgeltungsfiktion nach § 81 Abs. 4 AufenthG konnte mit der Antragstellung nicht eintreten. Beantragt ein Ausländer vor Ablauf seines Aufenthaltstitels dessen Verlängerung oder die Erteilung eines anderen Aufenthaltstitels, gilt nach dieser Vorschrift der bisherige Aufenthaltstitel vom Zeitpunkt seines Ablaufs bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde als fortbestehend. Dem Antragsteller ist jedoch zuvor noch keine Aufenthaltserlaubnis erteilt worden.

5

Ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Ziel der Verpflichtung des Antragsgegners, dem Antragsteller weiterhin eine Duldung zu erteilen, ist bislang nicht gestellt worden; das Gericht hat darauf in der Zustellungsverfügung von 20. Dezember 2018 ausdrücklich hingewiesen. Dem Antragsteller wird gegenwärtig noch aufgrund der Passlosigkeit eine Duldung erteilt.

6

Lediglich ergänzend im Hinblick auf das Vorbringen des Antragstellers sei erwähnt, dass der Antragsgegner in aufenthaltsrechtlichen Verfahren sog. zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote (z. B nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG), etwa eine mögliche drohende Gefährdung der Gesundheit oder des Lebens durch die im Zielstaat der Abschiebung (Albanien) bestehenden Verhältnisse nicht berücksichtigen darf. Nach § 42 AsylG ist die Ausländerbehörde an die Entscheidung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge über das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 oder 7 des Aufenthaltsgesetzes gebunden. Insoweit ist bestandskräftig festgestellt, dass keine Abschiebungsverbote vorliegen; ein weiterer Asylfolgeantrag oder ein Antrag auf Abänderung der Entscheidung des Bundesamtes zu den Voraussetzungen nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG ist nicht gestellt worden.

7

Die Abschiebung des Antragstellers, der vollziehbar ausreisepflichtig ist, wäre nach § 60 a Abs. 2 Satz 1 AufenthG auszusetzen, solange die Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Eine akute Reiseunfähigkeit ist derzeit nicht erkennbar, im Gegensatz zum Jahre 2016 erfolgt gegenwärtig offenbar keine psychiatrische Behandlung. Die in den vorgelegten Bescheinigungen des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein vom 19. Oktober 2018 und 26. November 2018 beschriebenen Behandlungen begründen keine Reiseunfähigkeit Eine rechtliche Unmöglichkeit im Sinne von § 60 a Abs. 2 Satz 1 AufenthG kann sich daneben aus inlandsbezogenen Abschiebungsverboten ergeben, die aus Verfassungsrecht etwa mit Blick auf Art. 6 Abs. 1 GG oder aus Art. 8 Abs. 1 EMRK herzuleiten sind. Nach Art. 6 Abs. 1 GG schutzwürdige Belange können einer Beendigung des Aufenthalts dann entgegenstehen, wenn es dem Ausländer nicht zuzumuten ist, seine familiären Bindungen durch Ausreise auch nur kurzfristig zu unterbrechen (vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Juni 1997 – 1 C 9.95 –, BVerwGE 105, 35, 39 f.; Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 20. Mai 2009 – 11 ME 110/09 –, juris Rn. 10; jeweils m.w.N.). Der Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG umfasst das Recht auf ein familiäres Zusammenleben (vgl. BVerfG, Beschl. v. 12.5.1987 - 2 BvR 1226/83 u.a. -, BVerfGE 76, 1, 42). Er knüpft dabei nicht an bloße formal-rechtliche familiäre Bindungen an. Entscheidend ist vielmehr die tatsächliche Verbundenheit zwischen den Familienmitgliedern, mithin eine tatsächlich bestehende familiäre Lebensgemeinschaft (vgl. Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 2. Februar 2011 – 8 ME 305/10 –, InfAuslR 2011, 151 m.w.N.).

8

Art. 6 Abs. 1 GG schützt die Familie zunächst als tatsächliche Lebens- und Erziehungsgemeinschaft der Kinder und ihrer Eltern. Der Schutz des Familiengrundrechts zielt darüber hinaus aber auch generell auf den Schutz spezifisch familiärer Bindungen, wie sie auch zwischen erwachsenen Familienmitgliedern, zwischen Enkeln und Großeltern oder zwischen nahen Verwandten in der Seitenlinie bestehen können. In den so beschriebenen Schutzbereich des Art. 6 Abs. 1 GG fallen – wie der Antragsteller zu Recht ausführt – auch die Beziehungen zwischen volljährigen Familienmitgliedern. Diesen kommt im Verhältnis zu den widerstreitenden einwanderungspolitischen Belangen aber in der Regel nur ein geringeres Gewicht zu. Allenfalls dann, wenn beispielsweise ein erwachsenes Familienmitglied zwingend auf die Lebenshilfe eines anderen Familienmitglieds angewiesen ist und diese Hilfe sich nur in der Bundesrepublik Deutschland erbringen lässt, kann dies einwanderungspolitische Belange zurückdrängen (Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 9. August 2017 – 13 ME 167/17 – juris); die tatsächlich geleistete Hilfe muss eine wesentliche sein (Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 30. Mai 2018 – 8 ME 3/18 – juris). Eine solche Beziehung liegt zwischen dem volljährig gewordenen Antragsteller und den Eltern jedoch nicht vor. Im Übrigen hat der Antragsteller fast die Hälfte seines Lebens in Albanien verbracht, spricht die Sprache und ist mit den kulturellen Gegebenheiten dort vertraut. Eine Eingliederung in die dortige Gesellschaft ist deshalb nicht wegen einer Entwurzelung unzumutbar.

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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

10

Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 1 i. V. m. § 52 Abs. 1, Abs. 2 GKG.


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