Beschluss vom Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht (12. Kammer) - 12 B 43/20

Tenor

Der Antrag auf einstweiligen Rechtschutz wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert beträgt 7.500,00 €.

Gründe

I.

1

Der Antragsteller begehrt mit seinem Eilantrag die Mitteilung an seinen Arbeitgeber mit der Einstufung als zuverlässig im Sinne des Gewerberechts im Hinblick auf die Durchführung von Bewachungsaufgaben.

2

Der Antragsteller hat seit dem 1. Mai 2020 einen Arbeitsvertrag mit der Firma XXXXX, bei welcher er eine Tätigkeit als Wachperson für den Schutz besonders gefährdeter Objekte übernehmen soll.

3

Aus Anlass der aufgrund des Tätigkeitsbeginns erfolgten Meldung im Bewacherregister bat die Antragsgegnerin durch E-Mail vom 16. März 2020 beim Landeskriminalamt Schleswig-Holstein (LKA SH) um die Überprüfung des Antragstellers.

4

Unter dem 16. März 2020 leitete das LKA SH die Erkenntnisse aus der letztmalig durchgeführten Sicherheitsüberprüfung vom 23. Oktober 2019 an die Antragsgegnerin weiter, weil seither keine neuen Erkenntnisse vorlägen. Aus dieser ergab sich, dass beim LKA SH bezüglich des Antragstellers neun Einträge zu polizeilichen Erkenntnissen vorlagen. Die Einträge betrafen Ermittlungsverfahren gegen den Antragsteller im Zeitraum der Jahre 2015 bis 2018 in Bezug auf Straftatbestände in Form der Bedrohung nach § 241 Strafgesetzbuch (StGB), der Körperverletzung nach § 223 StGB, der gefährlichen Körperverletzung nach § 224 StGB, der Beleidigung nach § 185 StGB sowie der Verleumdung nach § 187 StGB. Das erste Ermittlungsverfahren gegen den Antragsteller im Jahr 2015 wurde nach § 45 Abs. 1 Jugendgerichtsgesetz (JGG) wegen Geringfügigkeit, die übrigen Ermittlungsverfahren nach § 170 Abs. 2 Strafprozessordnung (stopp) mangels hinreichendem Tatverdacht eingestellt. Zudem sei laut polizeilichem Verbundsystem des Landeskriminalamts Schleswig-Holstein der Antragsteller als „gewalttätig“ bekannt.

5

Der Bundeszentralregisterauszug des Antragstellers enthielt keine Eintragungen.

6

Mit Schreiben vom 26. März 2020 teilte die Antragsgegnerin dem Antragsteller unter Gewährung der Möglichkeit zur Stellungnahme mit, dass sie beabsichtige, ihn als unzuverlässig einzustufen. Diese Einschätzung folge aus der Vielzahl der Ermittlungsverfahren in einer relativ kurzen Zeitspanne von weniger als drei Jahren, sodass Zweifel an seiner charakterlichen Eignung bestünden.

7

Mit weiterem Schreiben vom 23. April 2020 teilte die Antragsgegnerin dem Antragsteller mit, dass seitens des Landeskriminalamts mitgeteilt worden sei, dass es sich bei der mitgeteilten Personencharakterisierung als „gewalttätige“ Person um eine Charakterisierung mehrfach auffällig gewordener Personen mit in die Zukunft gerichteter Prognose handele, die ihr mitgeteilt und daher von ihr verwendet werden dürfe. Die Prognoseerteilung erfolge in der Regel nicht sofort nach der ersten Auffälligkeit, sondern nach einem Vier-Augen-Prinzip anhand erforderlicher Kriterien. Zudem würden die Eintragungen gelöscht, wenn die in Frage stehende Person über einen entsprechenden Zeitraum hinweg polizeilich nicht auffällig geworden sei. Da Wachpersonal grundsätzlich deeskalierend agieren müsse, sei in Relation auf die Qualität und Quantität der Delikte, hinsichtlich derer ein Ermittlungsverfahren gegen den Antragsteller geführt worden sei, dessen gewerberechtliche Zuverlässigkeit in Frage zu stellen.

8

Der Antragsteller teilte der Antragsgegnerin daraufhin mit Schreiben vom 29. April 2020 mit, dass das Landeskriminalamt Schleswig-Holstein ihm gegenüber bereits mit Schreiben vom 23. Februar 2020 erklärt habe, dass alle dort bezüglich der gegen ihn geführten Ermittlungsverfahren erhobenen Daten gelöscht worden seien und keine Kriminalakte in Bezug auf seine Person bestehe. Auch die im polizeilichen Informationssystem INPOL gespeicherten Daten seien entfernt worden, nachdem alle Ermittlungsverfahren gegen ihn eingestellt worden seien. Zudem habe die Landeshauptstadt Kiel in Gestalt des Ordnungsamts ihm für seine Tätigkeit als Wachperson das Führen von Schusswaffen und Munition bereits am 24. Juni 2019 erlaubt. Er habe des Weiteren auch erfolgreich an einer Unterrichtung für das Bewachungsgewerbe einschließlich des Sachgebiets „Deeskalationstechniken in Konfliktsituationen“ der Industrie- und Handelskammer zu Flensburg teilgenommen sowie sich einer psychologischen Begutachtung nach § 6 Abs. 2 Waffengesetz (WaffG) unterzogen, in welcher ihm die persönliche geistige Eignung für die Erteilung einer Waffenbesitzkarte bescheinigt worden sei. Im Rahmen seiner vorherigen Tätigkeit für das Bundeswehr-Dienstleistungszentrum A-Stadt seien ihm auch bereits Befugnisse nach dem Gesetz über die Anwendung unmittelbaren Zwangs übertragen und eine Waffe anvertraut worden.

9

Auf Anfrage der Antragsgegnerin vom 6. Mai 2020 teilte das LKA SH mit, dass der Hinweis, dass der Antragsteller als gewalttätig eingestuft werde, sowie zwei Vorgänge aus dem polizeilichen System gelöscht worden seien. Es lägen jedoch weiterhin acht Eintragungen über Ermittlungsverfahren gegen den Antragsteller vor, wobei sechs Vorfälle im Bereich der Körperverletzung lägen.

10

Mit Bescheid vom 22. Mai 2020 teilte die Antragsgegnerin mit, dass der Antragsteller nicht die erforderliche Zuverlässigkeit besitze, sodass ein Einsatz als Wachmann damit ausgeschlossen sei. Zur Begründung führte sie aus, dass allein die ungewöhnlich hohe Anzahl von acht Ermittlungsverfahren im Zeitraum von drei Jahren Zweifel an der charakterlichen Eignung des Antragstellers für die Wahrnehmung von Aufgaben im Bewachungsgewerbe wecke. Die Einschätzung des Antragstellers als „gewalttätig“ seitens des Landeskriminalamts Schleswig-Holsteins werde trotz ihrer Löschung berücksichtigt. Denn diese sei erst vor wenigen Wochen erfolgt. Maßgeblich für die Beurteilung der Zuverlässigkeit sei jedoch eine Gesamtbeurteilung aller Indizien der letzten fünf Jahre und das daraus entstandene Gesamtbild der fehlenden charakterlichen Eignung als Wachperson.

11

Hiergegen legte der Antragsteller unter dem 27. Mai 2020 Widerspruch ein. Er machte geltend, dass bereits die Löschung des polizeilichen Vermerks als „gewalttätige“ Person seine gewerberechtliche Zuverlässigkeit belege. Überdies bestehe hinsichtlich der aufgeführten Ermittlungsverfahren ein Verwertungsverbot nach § 51 Abs. 1 Bundeszentralregistergesetz (BZRG), wonach selbst tilgungsreife Vorstrafen nicht zum Nachteil der betroffenen Person verwertet werden dürften. Dies müsse erst recht für eingestellte Ermittlungsverfahren gelten. Auch gelte diesbezüglich der Grundsatz der Unschuldsvermutung.

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Die Antragsgegnerin half dem Widerspruch nicht ab und leitete den Aktenvorgang an die Widerspruchsbehörde des Kreises XXXX weiter. Diese teilte dem Antragsteller mit, dass die Bearbeitungszeit des Widerspruches voraussichtlich mehrere Monate in Anspruch nehmen werde.

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Am 10. Juli 2020 hat der Antragsteller einen Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes gestellt.

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Er trägt vor, dass er für seine Tätigkeit bei der Firma XXXXX eine Zuverlässigkeitsbescheinigung benötige. Der verwaltungsgerichtliche Eilantrag sei geboten, damit er seinem Beruf wieder nachgehen könne. Dieser stelle seine Existenzgrundlage dar. Es werde auch keine unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache begehrt, da die Einstufung als zuverlässig lediglich vorläufig und widerruflich erklärt werden solle.

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Der Antragsteller beantragt,

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die Antragsgegnerin im Rahmen einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 S. 2 VwGO zu verpflichten, ihm mitzuteilen, ihn im Hinblick auf die Durchführung von Bewachungsaufgaben vorläufig und widerruflich als zuverlässig einzustufen.

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Die Antragsgegnerin beantragt,

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den Antrag zurückzuweisen.

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Sie verweist auf ihren Vortrag aus dem Verwaltungsverfahren. Ergänzend meint sie, dass der Antragsteller eine unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache durch seinen Antrag begehre. Es fehle nämlich an einer dafür erforderlichen, schweren und unzumutbaren Beeinträchtigung seitens des Antragstellers. Dieser habe weder dargelegt, dass ihm ohne die begehrte Maßnahme unzumutbare Nachteile drohten noch glaubhaft gemacht, dass er mit überwiegender Wahrscheinlichkeit einen Anspruch auf die Erteilung eines Zuverlässigkeit-Attestes habe. Da sich das Verwaltungsverfahren bereits zur Prüfung und Bearbeitung bei der Widerspruchsbehörde befinde, sei nicht zu befürchten, dass der Antragsteller keinen wirksamen Rechtsschutz erhalten werde.

20

Wegen des weiteren Vortrags der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze, wegen des Sachverhalts im Übrigen wird auf die Gerichtsakte sowie den beigezogenen Verwaltungsvorgang der Antragsgegnerin (Beiakte A) Bezug genommen.

II.

21

Der Antrag des Antragstellers ist nach den §§ 122 und 88 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) dahin auszulegen, dass er auf vorläufige und widerrufliche Mitteilung seiner gewerberechtlichen Zuverlässigkeit durch die Antragsgegnerin gegenüber seinem Arbeitgeber gerichtet ist. Bei der Mitteilung handelt es sich nicht um einen Verwaltungsakt im Sinne des § 106 Abs. 1 LVwG, da es an der Regelungswirkung fehlt. Denn dem Arbeitgeber wird nicht die Beschäftigung des Antragstellers wegen dessen gewerberechtlicher Unzuverlässigkeit untersagt (VG Regensburg, Urt. v. 1. August 2013 - RN 5 K 12.1881, juris; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 17. Januar 2019 - 4 E 779/18 - Rn. 9 ff.). Der Antragsteller kann sein Ziel, im Bewachungsgewerbe arbeiten zu dürfen, auch nicht durch eine bloße Aufhebung der Entscheidung des Antragsgegners vom 22. Mai 2020 erreichen. Denn die Zuverlässigkeit der Wachperson muss von der Behörde mit positivem Ergebnis überprüft werden, bevor ein Bewerber mit der Durchführung von Bewachungsaufgaben betraut werden darf. Bis zur behördlichen Feststellung der Zuverlässigkeit eines Wachpersonal-Bewerbers besteht gemäß § 34a Abs. 1a Satz 1 Nr. 1 Gewerbeordnung (GewO) in Verb. mit § 16 Abs. 1 Nr. 1 Bewachungsverordnung (BewachV) für diesen ein präventives Beschäftigungsverbot (VG Regensburg, a.a.O., Rn. 20 m.w.N.). Die danach erforderliche Feststellung kann grundsätzlich mittels einer gerichtlichen Regelungsanordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO zur Erweiterung des Rechtskreises des Antragstellers erlangt werden (VG Gelsenkirchen, Beschl. v. 19. April 2016 - 7 L 278/16 - juris, Rn. 4). Die Erteilung eines Zuverlässigkeitsattests gegenüber dem Antragsteller selbst wäre hingegen nicht zielführend, da erst mit Mitteilung an den Gewerbetreibenden die Tätigkeit aufgenommen werden kann.

22

Der insofern zulässige Antrag bleibt jedoch ohne Erfolg. Er ist unbegründet.

23

Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Verwaltungsgericht eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Voraussetzung dafür ist, dass der Antragsteller einen Anordnungsanspruch sowie einen Anordnungsgrund, das heißt die Eilbedürftigkeit seines Rechtsschutzbegehrens, glaubhaft machen kann (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung - ZPO).

24

Bereits im Hinblick auf den Anordnungsgrund ergeben sich für die Kammer erhebliche Zweifel. Wie sie schon in ihrem Beschluss vom 9. Januar 2020 (Az.: 12 B 96/19) ausführte, in dem sie ein einstweiliges Rechtsschutzbegehren des Antragstellers auf Mitteilung gegenüber seinem Arbeitgeber, dass er zuverlässig sei, abgelehnt hat, dürfte keine Eilbedürftigkeit bestehen. Der Antragsteller ist XX Jahre alt und entgegen seiner Ausführungen zur Sicherung seiner Existenzgrundlage nicht auf die von ihm angestrebte Tätigkeit angewiesen. Es dürfte ihm vielmehr zuzumuten sein, sich nach einer anderen Beschäftigungsmöglichkeit umzusehen.

25

Darüber hinaus dürfte eine unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache vorliegen. Der Antragsteller möchte mit seinem Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes erreichen, dass er seinen am 1. Mai 2020 geschlossenen Arbeitsvertrag mit seinem Arbeitgeber erfüllen kann. Dies kann er nur, wenn die Antragsgegnerin mitteilt, dass der Antragsteller im Hinblick auf die Durchführung von Bewachungsaufgaben als zuverlässig angesehen wird. Würde dies der Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung aufgegeben, läge darin eine Vorwegnahme der Hauptsache. Diese ist im Hinblick auf die Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG grundsätzlich dem Hauptsacheverfahren (Klageverfahren) vorbehalten. Eine Vorwegnahme der Hauptsache ist dann ausnahmsweise zulässig, wenn wirksamer Rechtsschutz im Hauptsacheverfahren nicht zu erreichen ist, dem Antragsteller ohne den Erlass der einstweiligen Anordnung schlechthin unzumutbare Nachteile drohen und er im Hauptsacheverfahren voraussichtlich obsiegen wird (vgl. OVG Münster, Beschl. v. 30. Juni 2008 - 6 B 971/08 - juris, Rn. 2) oder wenn der Erfolg in der Hauptsache überwiegend wahrscheinlich ist, die Sache also bei Anlegung eines strengen Maßstabes an die Erfolgsaussichten erkennbar Erfolg haben wird (so OVG Schleswig, Beschl. v. 10. Januar 2017 - 2 MB 33/16 - juris, Rn. 26, m.w.N.).

26

Dies ist hier zu verneinen, da dem Antragsteller in jedem Fall ein Anordnungsanspruch nicht zur Seite steht. Er hat nicht glaubhaft gemacht, dass ihm mit überwiegender Wahrscheinlichkeit ein Anspruch auf Erteilung eines Zuverlässigkeits-Attests zusteht.

27

Nach § 34a Abs. 1a S. 1 Ziffer 1, Abs. 3 GewO in Verbindung mit § 16 Abs.1 Ziffer 1 BewachV darf ein Gewerbetreibender mit der Durchführung von Bewachungsaufgaben nur Personen beschäftigen (Wachpersonen), deren Zuverlässigkeit zuvor durch die Behörde mit positivem Ergebnis überprüft wurde. Es handelt sich bei dem Begriff der Zuverlässigkeit um einen gerichtlich voll überprüfbaren unbestimmten Rechtsbegriff ohne Beurteilungsspielraum, bei welchem zu beurteilen ist, ob der Gewerbetriebende nach dem Gesamteindruck seines Verhaltens die Gewähr dafür bietet, dass er sein Gewerbe künftig ordnungsgemäß betreibt (vgl. BVerwG, Urt. v. 2. Februar 1982 - 1 C 146/80, juris; BVerwG, Beschl. v. 26. Februar 1997 - 1 B 34.97, juris; VGH Mannheim, Beschl. v. 4. März 2014 - 10 S 1127/13, juris). Die entsprechende Unzuverlässigkeit kann sich durch die Verweisung des § 34a Abs. 1a S. 7 GewO aus den in § 34a Abs. 1 S. 4 GewO aufgezählten Regelbeispielen ergeben. Zugleich eröffnet die Vorschrift jedoch die Möglichkeit, die Zuverlässigkeit aus anderen als den dort aufgezählten Gründen zu verneinen (vgl. VG Regensburg, Urt. v. 1. August 2013 - RN 5 K 12.1881, juris).

28

Für die gewerbsmäßige Bewachung von Leben und Eigentum fremder Personen bedarf es dabei einer spezifischen Zuverlässigkeit, die aus der besonderen Stellung dieses Gewerbes mit Blick auf seine Konfliktträchtigkeit und „Nähe“ zur Ausübung von Gewalt resultiert.

29

Die spezifischen Pflichten eines Bewachungsunternehmers ergeben sich zunächst aus der Gefahrgeneigtheit der Bewachungstätigkeit auf Grund der Schutzbedürftigkeit der Bewachungsobjekte sowie aus der Konfliktträchtigkeit der Erfüllung des Schutzauftrags gegenüber rechtswidrigen Angriffen Dritter. Darüber hinaus besteht eine strenge Rechtsbindung insbesondere bei der Ausübung der so genannten „Jedermann-Rechte“ unter Anwendung von körperlicher Gewalt nur in den engen Grenzen des Erforderlichen. Bereits im Vorfeld seiner Tätigkeit muss ein das Bewachungsgewerbe Ausübender daher etwaige Gefahren erkennen und ihnen vorbeugen, potenzielle Konflikte aufspüren und ihnen durch deeskalierendes Verhalten so entgegentreten, dass sich das Konfliktpotenzial gar nicht erst entlädt, sowie jegliche Provokationen unterlassen, um Gewalt zu vermeiden. (vgl. VGH München, Urt. v. 20. Februar 2014 – 22 BV 13.1909, juris).

30

Da § 34aAbs. 1 Satz 3 Nr. 1 GewO insoweit auf Tatsachen abstellt, die die Annahme rechtfertigen, dass der Antragsteller die für den Gewerbebetrieb erforderliche Zuverlässigkeit nicht besitzt, ist im Rahmen einer Prognose aus den vorliegenden tatsächlichen Umständen der Vergangenheit oder Gegenwart auf ein wahrscheinliches zukünftiges Verhalten des Gewerbetreibenden zu schließen. Dabei sind sowohl strafrechtlich relevante Tatsachen als auch ein sonstiges Verhalten des Antragstellers außerhalb der Gewerbeausübung heranzuziehen, soweit sich daraus Rückschlüsse auf dessen Charakter oder Verhaltensweisen ziehen lassen, die ihrerseits auch für sein Gewerbe relevant werden können. Insoweit sind die Verhältnisse des Einzelfalles unter strikter Beachtung der Berufsfreiheit aus Art. 12 GG maßgebend (vgl. VGH München, Urt. v. 20. Februar 2014 – 22 BV 13.1909, juris; VG Neustadt an der Weinstraße, Beschl. v. 5. Juli 2007 - 4 L 704/07, juris).

31

An diesen Maßstäben gemessen ist beim Antragsteller nach dem Gesamteindruck seines Verhaltens eine Unzuverlässigkeit in Bezug auf das Bewachungsgewerbe anzunehmen.Diese stützt sich maßgeblich auf die nach § 34a Abs. 1a Satz 3 GewO beim LKA SH durch die Antragsgegnerin eingeholte Auskunft vom 6. Mai 2020 bezüglich des Antragstellers.

32

Diese ergab, dass dem LKA SH polizeiliche Erkenntnisse über acht Vorfälle im Zeitraum von September 2015 bis Juli 2018 vorliegen, in welchen gegen den Antragsteller wegen der Straftatbestände der Körperverletzung (§ 223 StGB), der schweren Körperverletzung (§ 224 StGB), der Verleumdung (§ 187 StGB) sowie der Beleidigung (§ 185 StGB) Ermittlungsverfahren geführt wurden.Anders als von dem Antragsteller vorgetragen, besteht damit weiterhin eine Kriminalakte bei dem LKA SH.

33

Zwar wurden alle Ermittlungsverfahren nach § 45 JGG bzw. § 170 Abs. 2 StPO eingestellt, sodass es zu keiner Anklageerhebung kam. Jedoch ist der Antragsteller diesbezüglich jeweils als Beschuldigter und nicht lediglich als Zeuge in Erscheinung getreten. Ermittlungsverfahren, in welchen er Zeuge bzw. Geschädigter war, sind bei der Ermittlung der Zuverlässigkeit vielmehr außer Acht geblieben. Darüber hinaus wurde der Antragsteller jedenfalls bis zum 23. Oktober 2019 beim LKA SH als eine aus dem polizeilichen Verbundsystem als gewalttätig bekannte Person geführt.

34

In der Gesamtschau ergeben sich hierdurch Zweifel an der charakterlichen Eignung des Antragstellers. Die Wertigkeit der bedrohten Rechtsgüter und das besondere Maß an Vertrauen, welches in eine Wachperson insbesondere in Hinblick auf den Schutz vor körperlichen Auseinandersetzungen gesetzt wird, verlangen es, eine Zuverlässigkeit bei Personen zu verneinen, die eine Neigung zu gewaltbereitem Verhalten aufweisen. Diese Neigung ist bei dem Antragsteller bereits aufgrund der Vielzahl der gegen ihn in der Vergangenheit geführten Ermittlungsverfahren anzunehmen. Denn gegen ihn wurden im Zeitraum der letzten fünf Jahre regelmäßig und daher über einen erheblichen Zeitraum polizeiliche Ermittlungsverfahren als Beschuldigter geführt, auch wenn es abschließend zu keiner Verurteilung kam. Insbesondere den vorliegend mehrfach einschlägigen Straftatbeständen der Körperverletzung liegen regelmäßig Umstände zu Grunde, die darauf schließen lassen, dass es den beteiligten Personen an deeskalierenden Fähigkeiten mangelt und Provokationen nicht gelassen entgegengetreten werden kann. Gerade diese Eigenschaften, die dazu führen strafrechtlich relevante Zwischenfälle im Voraus zu vermeiden und zu einer gewaltfreien Konfliktlösung beizutragen, werden aber von einer mit Bewachungsaufgaben betrauten Person gefordert. Der Antragsteller ist dieser Indizwirkung vorliegend auch nicht entgegengetreten. Im Speziellen hat er nicht vorgetragen, dass sich die Vorfälle aufgrund besonderer Umstände ereignet haben oder er nicht maßgeblich daran beteiligt war.

35

Eine gegenteilige Auffassung folgt auch nicht daraus, dass nunmehr die Löschung des Vermerks des LKA SH, dass es sich bei dem Antragsteller nach polizeilicher Einschätzung um eine „gewalttätige“ Person handele, sowie hinsichtlich zweier früherer Ermittlungsverfahren erfolgt ist.

36

Die Einstufung der Zuverlässigkeit hat sämtliche Anhaltspunkte seitens des Landeskriminalamts einzubeziehen, die Bedenken gegen die Zuverlässigkeit begründen können. Auch wenn eine Löschung des Vermerks darauf beruht, dass der Antragsteller in den letzten zwei Jahren strafrechtlich nicht mehr in Erscheinung getreten ist, so kann dieser als Tatsache der näheren Vergangenheit weiterhin in die anzustellende Prognose einbezogen werden. Zudem wird der Gesamteindruck des unzuverlässigen Verhaltens des Antragstellers durch die weiterhin vermerkten, mehrfachen Ermittlungsverfahren nicht vollständig beseitigt, zumal diese weniger als fünf Jahre zurückliegen und relevante Straftatbestände betreffen.

37

Ebenfalls schlägt der Einwand des Antragstellers fehl, dass der Berücksichtigung der polizeilichen Erkenntnisse des Landeskriminalamts Schleswig-Holstein das Verwertungsverbot des § 51 Abs. 1 BZRG entgegenstehe. Hieraus ergibt sich eine äußerste zeitliche Grenze der Verwertbarkeit, sofern eine getilgte oder zu tilgende Eintragung im Bundeszentralregister besteht. Danach kann eine Tat oder Verurteilung, über die eine getilgte oder zu tilgende Eintragung im Register besteht, dem Betroffenen im Rechtsverkehr aus Gründen der gesellschaftlichen Wiedereingliederung nicht mehr vorgehalten oder zu seinem Nachteil verwertet werden. Fehlt es an einer eintragungsfähigen Verurteilung gilt das Verwertungsverbot zwar nicht unmittelbar oder analog. Aber dennoch ist eine Orientierung an den Tilgungsfristen des BZRG sachgerecht, soweit sich nicht ein die Bagatellschwelle überschreitendes Verhalten bis in die Gegenwart hinzieht. (vgl. BVerwG, Urt. v. 26. März 1996 - 1 C 12/95, juris; Brüningin: BeckOK GewO, Pielow, 50. Edition, § 35 Rn. 23e).

38

Diese Anforderungen an ein Verwertungsverbot sind vorliegend nicht erfüllt. Es fehlt bereits an einem Ablauf der Tilgungsfristen im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung. Die verbleibenden, im polizeilichen Informationssystem gespeicherten Daten über Ermittlungsverfahren gegen den Antragsteller unterliegen bei entsprechender Berücksichtigung der Tilgungsfristen nach § 46 BZRG in den von der Antragsgegnerin berücksichtigten acht Fällen, welche im frühesten Fall der Ermittlung wegen Beleidigung gemäß § 185 StGB wegen eines Vorfalls am 3. August 2017 der Löschung zum 4. August 2020 unterliegen.

39

Demgegenüber verfängt auch der Vortrag des Antragstellers nicht, dass in Bezug auf ihn alle übrigen Voraussetzungen des § 34a Abs. 1a GewO, insbesondere ein Nachweis über notwendigen rechtlichen und fachlichen Grundlagen gemäß § 34a Abs. 1 a S. 1 Ziffer 2 GewO gegeben seien, er gemäß § 6 Abs. 2 WaffG fachpsychologisch untersucht worden sei und ihm frühere Arbeitgeber durch Zeugnisse ein gewissenhaftes und zuverlässiges Arbeiten als Sicherheitskraft bescheinigten.

40

Der Gesetzgeber hat die weiteren Anforderungen nach § 34a Abs. 1a S. 1 Ziffer 2 GewO ausdrücklich als kumulatives Erfordernis neben der Prüfung der Zuverlässigkeit der Wachperson vorgesehen. Entsprechende weitere Kenntnisse über rechtliche und fachliche Grundlagen vermögen daher nicht bereits die gewerberechtliche Zuverlässigkeit zu begründen (vgl. OVG Münster, Beschl. v. 15. September 2016 – 4 B 515/16). Die Ermittlung der Zuverlässigkeit im Sinne des Gewerberechts stellt nicht auf das Bestehen von Kenntnissen, sondern die charakterliche Eignung zur Übernahme von Bewachungsaufgaben ab. Gleiches gilt für eine fachpsychologische Untersuchung im Sinne des Waffengesetzes, da bei dieser keine spezifische Prüfung in Hinblick auf die Gefahrgeneigtheit der Bewachungstätigkeit sowie der Konfliktträchtigkeit bei Ausführung der Bewachungstätigkeit erfolgt. Die Erkenntnisse der Arbeitgeber des Antragstellers stammen zudem lediglich aus dem Jahre 2019 und erfassen daher nur einen Zeitraum von einem Jahr seit dem letzten Ermittlungsverfahren gegen den Antragsteller. Sie vermögen daher nicht den aus den polizeilichen Erkenntnissen aus einem deutlich längeren Zeitraum von fünf Jahren gewonnenen Eindruck der Gewaltbereitschaft und -neigung des Antragstellers zu relativieren.

41

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

42

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 1 in Verb. mit § 52 Abs. 1 GKG. Der Kammer erscheint für das Hauptsacheverfahren ein Streitwert von 7.500,00 EUR angemessen. Der in Nr. 54.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit im Hauptsacheverfahren vorgesehene Streitwert für die Gewerbeerlaubnis (15.000,00 EUR) ist im vorliegenden Fall nicht direkt anwendbar und kann nur als Orientierungsrahmen dienen. Das Zuverlässigkeits-Attest kommt der Gewerbeerlaubnis nicht gleich, da der Antragsteller selbst nicht als Gewerbetreibender, sondern als angestellte Wachperson tätig werden möchte. Bei der Bestimmung der Bedeutung der Sache für den Antragsteller wurde aber andererseits berücksichtigt, dass die Feststellung der Zuverlässigkeit in ihrer Wirkweise und ihrer Bedeutung als Zugangsvoraussetzung zur Tätigkeit im Bewachungsgewerbe mit dem Auffangstreitwert nur unzureichend erfasst wäre (vgl. VG Gelsenkirchen, a.a.O., Rn. 53; VG Regensburg, a.a.O., Rn. 62). Da es hier um eine Vorwegnahme der Hauptsache geht, war auch für das auf vorläufigen Rechtsschutz gerichtete Verfahren der Streitwert für ein Klageverfahren anzusetzen.


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