Urteil vom Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht (12. Kammer) - 12 A 125/19

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe v on 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

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Die Klägerin begehrt eine Erlaubnis nach dem Prostituiertenschutzgesetz (ProstSchG).

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Unter dem 25.09.2017 zeigte sie unter Beifügung einer Gewerbeummeldung den Betrieb eines Prostitutionsgewerbes, welches seit dem 01.05.2013 betrieben wird, an. Mit Schreiben vom 16.12.2017 beantragte sie unter Beifügung diverser Unterlagen die Erteilung einer Erlaubnis nach § 12 ProstSchG für die Wohnung,xxx3 in Xxx. Diese ist belegen im nicht beplanten Innenbereich der Stadt Xxx. In unmittelbarer Nähe befinden sich eine Orthopädiepraxis, ein Haar-, Kosmetik- und Pediküre-Studio, ein Frisörsalon und eine Goldschmiede.

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Nach Anhörung lehnte der Beklagte das Begehren der Klägerin mit Bescheid vom 04.01.2019 ab. Zur Begründung gab er im Wesentlichen an, dass die Erlaubnis zu versagen gewesen sei, weil die örtliche Lage des Prostitutionsgewerbes dem öffentlichen Interesse widerspreche. Die Wohnung liege in einem Gebiet ohne Bebauungsplan. Faktisch sei dieses Gebiet als Mischgebiet bzw. als Gebiet mit mischgebietsähnlichem Charakter anzusehen. Zulässig seien dort nur Gewerbebetriebe, die das Wohnen nicht wesentlich störten. Zu letzterem gehöre nur die sog. Wohnungsprostitution, hingegen nicht ein bordellartiger Betrieb. Ein solcher liege bei dem von der Klägerin betriebenen Gewerbe vor. In Mischgebieten sie dieser indes generell störend und damit unzulässig.

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Den dagegen erhobenen Widerspruch wies der Beklagte mit Bescheid vom 16.05.2019 zurück. Er trug im Wesentlichen vor, dass es sich um ein faktisches Mischgebiet nach § 6 Baunutzungsverordnung (BauNVO) handele. Ein bordellartiger Betrieb, wie ihn die Klägerin betreibe, sei als störend in einem solchen Gebiet anzusehen. Eine – generell zulässige – Wohnungsprostitution liege nicht vor. Von einer solchen könne nur gesprochen werden, wenn die Prostituierten in der Wohnung auch selbst wohnten. Auch die örtliche Lage des Prostitutionsgewerbes widerspreche dem öffentlichen Interesse.

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Die Klägerin hat unter dem 17.06.2020 Klage erhoben.

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Sie trägt vor, dass es sich nicht um ein Mischgebiet bzw. ein Gebiet mit mischgebietsähnlichen Charakter handele. Vielmehr sei von einem Kerngebiet auszugehen. In den Blick zu nehmen sei insbesondere, dass die Fußgängerzone der Stadt Xxx mit diversen Gewerbebetrieben das Gebiet maßgeblich präge. Im Übrigen sei bis zum Jahre 2013 in den Örtlichkeiten eine Gaststätte mit Live-Musik beheimatet gewesen. Es handele sich nicht um einen bordellartigen Betrieb, sondern um eine sog. Terminwohnung, wie sie das VG Sigmaringen in einem Urteil angenommen habe. Dabei handele es sich um einen Übergangsbereich zwischen Wohnungsprostitution und bordellartigen Betrieb, der indes eher mit der Wohnungsprostitution vergleichbar sei.

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Die Klägerin beantragt,

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den Bescheid vom 04.01.2019 und den Widerspruchsbescheid vom 16.05.2019 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, ihr die beantragte Erlaubnis zu erteilen.

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Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Er führt im Wesentlichen aus, dass das von der Klägerin betriebene Gewerbe baurechtlich unzulässig sei. Das Gebiet, in dem sich die Wohnung befinde, weise mischgebietsähnlichen Charakter auf. Eine prägende Wirkung der Fußgängerzone der Stadt Xxx sei nicht zu verzeichnen; diese läge in einer zu großen Entfernung zu der Wohnung. Auszugehen sei von einem bordellartigen Betrieb, welcher in einem Mischgebiet bzw. einem Gebiet mit mischgebietsähnlichen Charakter unzulässig sei. Maßgeblich sei wie die Prostitution bzw. die Nutzung dem Gebäude, in dem die Prostitution stattfinde, ein Gepräge gebe. Vorliegend sei nicht von einer Wohnungsprostitution auszugehen; die Nutzung werde nicht durch Wohnen geprägt, weil ein Daueraufenthalt der Prostituierten nicht zu verzeichnen sei, diese vielmehr wöchentlich wechselten. Die von der Klägerin herangezogene Rechtsprechung sei nicht einschlägig.

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Die Kammer hat den Rechtsstreit dem Berichterstatter als Einzelrichter durch Beschluss vom 27.08.2020 zur Entscheidung übertragen.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie auf den beigezogenen Verwaltungsvorgang des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist zulässig.

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Zwar hat die Klägerin ihren in der Klageschrift lediglich auf Aufhebung der streitbefangenen Bescheide gerichteten Antrag mit Schriftsatz vom 05.10.2020 dahingehend ergänzt, dass nunmehr auch die Verpflichtung begehrt wird, ihr eine Erlaubnis nach dem ProstSchG zu erteilen. Dabei handelt es sich zwar um eine Klagänderung in Form der Klagerweiterung. Diese ist indes – unabhängig von der Zustimmung des Beklagten – zulässig, weil sachdienlich. Sachdienlichkeit ist immer dann anzunehmen, wenn auch für die geänderte Klage der Streitstoff im Wesentlichen derselbe bleibt, die Klagänderung die endgültige Beilegung des Streites fördert und dazu beiträgt, dass ein weiterer sonst zu erwartender Prozess vermieden wird (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, § 91, Rn. 19).

16

Diese Voraussetzungen liegen vor.

17

Der Streitstoff bleibt im Wesentlichen der gleiche, ein weiterer Prozess wird durch die Einbeziehung des neuen Klagantrags vermieden und der ergänzende Klagantrag konnte vom Gericht im Termin mitverhandelt werden, ohne dass dies zu einer Verzögerung des Verfahrens führte.

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Die Klage ist indes unbegründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten. Sie hat keinen Anspruch darauf, dass der Beklagte verpflichtet wird, ihr eine Erlaubnis nach dem ProstSchG zu erteilen (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).

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Ausgangspunkt der rechtlichen Beurteilung ist die Vorschrift des § 14 Abs. 2 Nr. 5 ProstSchG. Danach ist die (erforderliche) Erlaubnis nach § 12 ProstSchG zu versagen, wenn das Betriebskonzept oder die örtliche Lage des Prostitutionsgewerbes dem öffentlichen Interesse widerspricht, insbesondere, wenn sich dadurch eine Gefährdung der Jugend oder schädliche Umweltwirkungen iSd Bundesimmissionsschutzgesetzes oder Gefahren oder sonstige Nachteile oder Belästigung für die Allgemeinheit befürchten lassen.

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Diese Voraussetzungen liegen hier vor.

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Die örtliche Lage der Prostitutionsstätte ist nicht mit dem öffentlichen Interesse vereinbar. Die Vorschrift des §§ 14 Abs. 2 Nr. 5 ProstSchG ist der Bestimmung des § 4 Abs. 1 Nr. 3 des Gaststättengesetzes (GastG) nachgebildet (vgl. die Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Regulierung des Prostitutionsgewerbes zum Schutz von in der Prostitution tätigen Personen vom 25.05.2016 – BT-Drs. 18/8556 S. 79). Demnach darf die zuständige Behörde in die Prüfung, ob die Prostitutionsstätte dem öffentlichen Interesse widerspricht, auch baunutzungs- und bauplanungsrechtliche Belange einbeziehen (vgl. BT-Drs. a.a.O., vgl. auch Metzner, Gaststättengesetz, § 4 Rn. 221).

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Das Gewerbe der Klägerin widerspricht dem öffentlichen Interesse. Vorliegend ist - weil ein Bebauungsplan nicht besteht - nicht von einem Mischgebiet nach § 6 BauNVO, aber von einem Gebiet mit mischgebietsähnlichen Charakter auszugehen. Einen Kerngebietscharakter weist es indes nicht auf, insbesondere geht vom xxx, in dem sich die Fußgängerzone der Stadt Xxx befindet, wegen der viel zu großen Entfernung keine prägende Wirkung aus. Vielmehr bestimmen Wohnbebauung und einige nicht störende Betriebe die Umgebung der Wohnung.

23

Bei dem von der Klägerin betriebenen Prostitutionsgewerbe handelt es sich auch nicht um eine sog. Wohnungsprostitution, sondern um eine unzulässige, weil die dortige Wohnnutzung störend, nicht erlaubnisfähige Prostitution in Form eines bordellartigen Betriebes

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Wohnungsprostitution, deren Mischgebietsverträglichkeit in der Rechtsprechung bereits bejaht worden ist (vgl. VGH Mannheim, Urteil vom 13.02.1998 – 5 S 2570.96 -, juris Rn. 16, vgl. auch BVerwG, Beschluss vom 28.06.1995 – 4 B 197.95 -, juris Rn. 3 und OVG Münster, Beschluss vom 12.02.2020 – 2 A 287/20 -, juris Rn. 7) setzt begrifflich voraus, dass die Prostitution in einer einzelnen Wohnung ausgeübt wird, in der die Prostituierte wohnt und dabei nebenher der Prostitution nachgeht (vgl. BVerwG, Urteil vom 17.12.2014 – 6 C 28.13 -, juris Rn. 21). Außerdem darf die gewerbliche Nutzung nach außen nur wohnähnlich in Erscheinung treten. Sie darf dem Gebäude, in dem sie ausgeübt wird, nicht das „Gepräge“ geben (vgl. OVG Münster, Beschluss vom 24.06.2015 – 2 A 325.15 – Nr. 17). Gehen die Aktivitäten der Prostituierten unter dauerhafter Nutzung der Räumlichkeiten nach Art und Umfang hierüber hinaus, liegt keine Wohnungsprostitution mehr vor. Ein solcher Betrieb ist dann zu den bordellartigen Betrieben (oder sogar zu den Bordellen) zu zählen. Bordellartigen Betriebe sind mit der im Mischgebiet bzw. in einem Gebiet mit mischgebietsähnlichen Charakter zulässigen Wohnnutzung unverträglich (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 29.10.2019 – juris, Rn. 52 m.w.N. aus der Rechtsprechung). Sie sind regelmäßig mit nach außen wirkenden Begleiterscheinungen verbunden (sog. „milieubedingte Unruhe“). Ihr belästigender Charakter folgt aus dem städtebaulichen Konfliktpotential, welches das Nebeneinander von Prostitutionstätigkeit und Wohnen begründet. Bei der gebotenen typisierenden Betrachtungsweise ist mit milieutypischen Begleiterscheinungen wie Belästigungen durch alkoholisierte oder unzufriedene Kunden, organisierter Kriminalität, Menschen- und Drogenhandel, ausbeutender Zuhälterei, Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung, Verstößen gegen das Waffenrecht und Gewaltkriminalität zu rechnen. Hinzukommt ein mit der Ansiedlung von bordellartigen Betrieben verbundener und möglicher sog. „Trading - Down - Effekt“ (typischer Entwicklungstrend vom vollständigen Angebot mit pulsierendem Leben zu zunehmenden Leerständen inklusive ausbleibender Kundschaft bzw. Mieter, vgl. https://de.linkfang.org/wiki/Trading-Down_(Raumplanung); vgl. zum Ganzen auch: OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 29.10.2019 a.a.O.).

25

Nach ihren eigenen Angaben der Klägerin vermietet die Klägerin nicht nur an eine Prostituierte, sondern die Wohnung wird an unterschiedliche Prostituierte im wöchentlichen Wechsel vermietet. Nicht ausreichend ist in diesem Zusammenhang, dass diese sich dort (zeitweise) ganztägig aufhalten, Essen zu sich nehmen und dort übernachten. Denn maßgeblich ist, dass der zeitliche Aufenthalt der Prostituierten in der Wohnung von vornherein stark begrenzt ist. Ein Daueraufenthalt besteht nicht, die Wohnung wird – wie ausgeführt – nur vorübergehend, typischerweise für eine Woche, von derselben Person gemietet. Auch wenn die Damen über einen Hausschlüssel verfügen, ein Aufenthaltsraum sowie Küche sowie Bad vorhanden sind, fehlt es an einer auf Dauer angelegten Häuslichkeit. Eine Nutzung, die darauf beruht, die betreffenden Räume einem ständig wechselnden Personenkreis gegen Entgelt zu überlassen, weist auch kein wohnähnliches Erscheinungsbild auf. Damit scheidet eine Wohnungsprostitution aus. Der insoweit dann anzunehmende bordellartige Betrieb ist aber – wie ausgeführt – in dem hier vorhandenen Gebiet unzulässig. Unerheblich ist dabei - in diese Richtung deutet der Vortrag des Ehemannes der Klägerin in der mündlichen Verhandlung - das Fehlen konkreter Beschwerden der Nachbarschaft sowie der Umstand, dass die Fenster gegen unbefugte Einsichtnahme Dritter abgedunkelt sind. Entscheidend ist, dass eine typisierende Betrachtungsweise geboten ist, wonach es auf die Umstände des Einzelfalles nicht ankommt und dessen Besonderheiten nicht geeignet sind, die planungsrechtliche Unzulässigkeit der hier streitbefangenen Nutzung zu beseitigen (vgl. OVG Münster, Beschluss vom 12.05.2020 a.a.O.; OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 29.10.2019 a.a.O., Rn. 61; vgl. auch VGH Mannheim, Urteil vom 13.02.1998 a.a.O., Rn. 16).

26

Die von der Klägerin in Bezug genommene Entscheidung des VG Sigmaringen (Urteil vom 23.04.2009 - 6 K 2729/07 - juris) führt zu keinem anderen Ergebnis. Der dortige Sachverhalt ist mit dem vorliegenden nicht vergleichbar (das dortige Vorhaben richtete sich nach der Ortsbausatzung der dortigen Beklagten, wonach in den sog. Gemischten Gebieten vorrangig gewerbliche Nutzungen bis zur Grenze des Industrieviertels zulässig sein sollten).

27

Den Hinweis der Klägerin auf die vorherige Nutzung der Räumlichkeiten (Gaststättenbetrieb mit Live-Musik) hält das Gericht für die hier zu entscheidende Frage für unerheblich. Zum einen enthielte auch ein solches Vorhaben Störpotenzial. Dessen ungeachtet kann für die hier maßgebliche Entscheidung aus früheren Nutzungen nicht eine wie auch immer geartete Bindungswirkung angenommen werden. Das gilt auch, wenn eine solche Nutzung möglicherweise zuvor von der Stadt Xxx geduldet worden war.

28

Im Übrigen verweist das Gericht auf den Inhalt des Widerspruchsbescheides des Beklagten vom 16.05.2019 und nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen auf die dortigen Ausführungen Bezug (§ 117 Abs. 5 VwGO).

29

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 VwGO, sie ist gemäß §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO vorläufig vollstreckbar.


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