Beschluss vom Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht (12. Kammer) - 12 B 10/21
Tenor
Der auf den Erlass einer Zwischenentscheidung gerichtete Antrag wird abgelehnt.
Die Kostenentscheidung bleibt der abschließenden Entscheidung in dem Verfahren 12 B 10/21 vorbehalten.
Gründe
- 1
Der sinngemäße Antrag,
- 2
die Vollziehbarkeit der Besitzeinweisungsbeschlüsse vom 10.02.2021 – IV XXX-XXX.X-X.X-XX-XX/XX und IV XXX-XXX.X-X.X-XX-XX/XX – vorläufig im Wege der Zwischenentscheidung („Hängebeschluss“) bis zur jeweiligen Entscheidung über den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage auszusetzen,
- 3
hat keinen Erfolg.
- 4
Im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes kann das Gericht zum vorläufigen Schutz der Rechtsstellung eines Beteiligten vor dem Eintritt unumkehrbarer Tatsachen bis zu einer abschließenden Entscheidung über den Antrag nach §§ 80a Abs. 3 S. 2, 80 Abs. 5 S. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) durch Beschluss eine Zwischenentscheidung (sog. „Hängebeschluss“) treffen. Die Befugnis zum Erlass einer solchen Zwischenentscheidung ergibt sich unmittelbar aus dem verfassungsrechtlichen Gebot der Gewährung effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG; vgl. OVG Lüneburg, Beschl. v. 02.09.2014 – 5 ME 142/14 –, Rn. 7, juris).
- 5
Das Erfordernis einer Zwischenentscheidung ist nach dieser Maßgabe im Wege einer Interessenabwägung zu ermitteln (BVerwG, Beschl. v. 20.08.2012 – 7 VR 7/12 –, Rn. 2, juris). Der Erlass einer Zwischenentscheidung ist erforderlich, wenn ein Verfahren im vorläufigen Rechtsschutz ungeachtet seines summarischen Charakters nicht entscheidungsreif und der diesem Verfahren zugrundeliegende Antrag nicht offensichtlich aussichtslos ist. Dabei genügt es, wenn der Ausgang des Verfahrens zumindest offen ist. Ihr Erlass muss zur Vermeidung irreversibler Zustände oder schwerer und unabwendbarer Nachteile geboten sein, weil eine abschließende Sachentscheidung im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nicht abgewartet werden kann und insoweit kein überwiegendes Interesse an der sofortigen Vollziehung der insoweit angegriffenen Maßnahme besteht (vgl. BVerfG, Beschl. v. 11.10. 2013 – 1 BvR 2616/13 –, Rn. 7; OVG Greifswald, Beschl. v. 04.04.2017 – 3 M 195/17 –, Rn. 11; VGH Kassel, Beschl. v. 28.04.2017 – 1 B 947/17 –, Rn. 11; VGH Mannheim, Beschl. v. 26.09.2017 – 2 S 1916/17 –, Rn. 6, jeweils juris).
- 6
Diese Voraussetzungen liegen nur teilweise vor.
- 7
Zwar kann das Verfahren noch keiner abschließenden Entscheidung im vorläufigen Rechtsschutz zugeführt werden. Denn der Umfang des Verfahrens sowie die insoweit aufgeworfenen Rechtsfragen erlauben es der Kammer nicht, die streitbefangenen Besitzeinweisungsbeschlüsse binnen weniger Tage auch nur summarisch zu prüfen. Gleichwohl hat die Kammer zwischenzeitlich die Verwaltungsvorgänge sowie eine erste Stellungnahme des Antragsgegners sowie der Beigeladenen zu 1. erhalten. Weitere Stellungnahmen der Beteiligten liegen indes nicht vor. Nach diesem Verfahrensstand geht die Kammer derzeit davon aus, dass die Erfolgsaussichten des Antrages auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Besitzeinweisungsbeschlüsse offen sind.
- 8
Jedoch geht die vorzunehmende Abwägung der beiderseitigen Interessen zugunsten der Beigeladenen aus, die als Vorhabenträgerinnen Adressatinnen des in § 21 Abs. 7 S. 1 des Allgemeinen Eisenbahngesetzes (AEG) bzw. § 18f Abs. 6a S. 1 des Fernstraßengesetzes (FStrG) zum Ausdruck kommenden öffentlichen Interesses am Sofortvollzug sind.
- 9
Das Interesse der Antragstellerinnen ist vorliegend darin begründet, Eingriffe in ihre von Art. 14 Abs. 1 i.V.m. Art. 19 Abs. 3 GG geschützte Eigentumsgarantie abzuwenden, welche mit dem Wirksamwerden der Besitzeinweisungsbeschlüsse durch die damit verbundene Befugnis zum Beginn des Bauvorhabens sowie der dafür erforderlichen Maßnahmen zu erwarten ist. Demgegenüber ist das Interesse der Beigeladenen auf die Durchführung des Bauvorhabens sowie der dafür erforderlichen Maßnahmen gerichtet.
- 10
Das Aussetzungsinteresse der Antragstellerinnen vermag hier jedoch nicht das öffentliche Vollzugsinteresse zu überwiegen. Denn durch den Beginn der (vorbereitenden) Baumaßnahmen, wie sie ausweislich des Terminplans beabsichtigt sind, entstehen den Antragstellerinnen bis zu einer abschließenden Entscheidung der Kammer über den Antrag nach §§ 80a Abs. 3 S. 2, 80 Abs. 5 S. 1 Alt. 1 VwGO voraussichtlich keine derartigen Nachteile, die den Erlass der begehrten Zwischenentscheidung rechtfertigen würden. Es ist insbesondere nicht zu erkennen, dass hierdurch unzumutbare, irreversible Zustände geschaffen würden.
- 11
Die Beigeladenen beabsichtigen mit der Wirksamkeit der Besitzeinweisung kurzfristig – binnen der Monate Februar und März – insbesondere die Vermessung der Bauflächen, die Rodung eines Gehölzstreifens, den Abtrag von Oberboden, die Sicherung und Umverlegung von Felddrainagen sowie die Erschließung von (späteren) Baustellenflächen, unter anderem durch die Verlegung der erforderlichen Leitungen sowie durch die Herrichtung von Wegeverbindungen. Weitergehende, substantiellere Eingriffe wie etwa durch den Beginn der Errichtung eines Betonmischwerks oder eines Arbeitshafens, sind indes erst zu einem späteren Zeitpunkt, namentlich ab September und Oktober dieses Jahres, beabsichtigt.
- 12
Die in der Ausführung dieser kurzfristig durchzuführenden Maßnahmen liegenden Nachteile stellen sich für die Antragstellerinnen als zumutbar dar. Durch die Rodung des Gehölzstreifens ist lediglich ein von ihnen ungenutztes Flurstück, das sich zwischen der im Eigentum der DB Netz AG stehenden Bahntrasse und einer nicht (mehr) genutzten landwirtschaftlichen Nutzfläche befindet, betroffen. Es ist insoweit weder ersichtlich noch durch die Antragstellerinnen vorgetragen, dass sie hierdurch erhebliche wirtschaftliche Nachteile erleiden würden. Auch ist nicht zu erkennen, dass sie hierdurch sowie durch die weiteren kurzfristig geplanten Maßnahmen in der Aufrechterhaltung ihres Fährbetriebs sowie der damit im Zusammenhang stehenden Tätigkeiten beeinträchtigt werden. Sofern sie ihren Antrag auf Erlass einer Zwischenentscheidung mit der Nutzbarkeit der Grundflächen begründen, ist derzeit nicht zu erkennen, welcher Nutzung die kurzfristig benötigten Flurstücke ihrerseits unterliegen und welche konkreten, sich nicht alleine auf ihr Vermögen beziehenden Nachteile durch die Besitzeinweisung drohen würden.
- 13
Sollte die Kammer im Rahmen einer abschließenden Entscheidung im vorläufigen Rechtsschutz zu dem Ergebnis kommen, dass sich die Besitzeinweisung voraussichtlich als rechtswidrig erweist, wären die durch den Vollzug der Besitzeinweisung geschaffenen Zustände für sie zudem auch nicht unumkehrbar. Denn die kurzfristig beabsichtigten Eingriffe lassen sich durch Entschädigungen sowie Rekultivierungsmaßnahmen ausgleichen, ohne dass sich dies nachhaltig für die Antragstellerinnen auswirken würde.
- 14
Diesen Nachteilen steht ein überwiegendes öffentliches Interesse an der Beibehaltung des gesetzlichen Sofortvollzugs der Besitzeinweisungsbeschlüsse und damit der Aufnahme des Bauvorhabens gegenüber. Denn die Beigeladenen sind insbesondere auf die Rodung des vorbezeichneten Gehölzstreifens angewiesen, um dort die notwendigen Erschließungsarbeiten für die Anlage der weiteren Baustelleneinrichtungsflächen durchzuführen. Diese Rodungsarbeiten sind aufgrund des landschaftspflegerischen Begleitplans zum Planfeststellungsbeschluss auf die Zeit von Dezember bis Februar beschränkt. Sie stellen sich sowohl nach dem Vortrag der Beigeladenen zu 1. als auch nach dem oben genannten Terminplan als grundlegend für das Gesamtvorhaben dar. Sie sind demnach Voraussetzung für alle weiteren Baumaßnahmen. Würde die Kammer daher durch den Erlass einer Zwischenentscheidung die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerinnen vorläufig anordnen, hätte dies demgemäß nicht nur eine Verzögerung dieser Arbeiten, sondern auch der hieran anknüpfenden Maßnahmen um ein Dreivierteljahr zur Folge. Hierdurch würden die Beigeladenen den vorgesehenen Zeitplan nicht einhalten, wodurch ihnen wiederum (erhebliche) wirtschaftliche Nachteile drohen dürften, die die zumutbaren Nachteile der Antragstellerinnen in der Folge überwiegen.
- 15
Die Zwischenentscheidung ergeht im Rahmen des Verfahrens nach §§ 80a Abs. 3 S. 2, 80 Abs. 5 S. 1 VwGO. Es liegt insofern kein selbstständiges Nebenverfahren vor, weshalb eine gesonderte Kostenentscheidung nicht erforderlich ist.
Verwandte Urteile
Keine verwandten Inhalte vorhanden.
Referenzen
- 12 B 10/21 1x (nicht zugeordnet)
- 1 B 947/17 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 80a 2x
- 3 M 195/17 1x (nicht zugeordnet)
- 1 BvR 2616/13 1x (nicht zugeordnet)
- 2 S 1916/17 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 80 2x
- 7 VR 7/12 1x (nicht zugeordnet)
- 5 ME 142/14 1x (nicht zugeordnet)