Beschluss vom Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht (11. Kammer) - 11 B 40/22

Tenor

Der Antrag wird abgelehnt.

Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsteller.

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5.000,00 € festgesetzt.

Gründe

I.

1

Der Antragsteller wendet sich gegen die Ablehnung der Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis sowie gegen eine Ausweisungsverfügung im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes.

2

Der Antragsteller ist russischer Staatsangehöriger und reiste am 02.12.1996 im Alter von 16 Jahren erstmals in die Bundesrepublik Deutschland ein. In der Folgezeit wurden ihm fortlaufend Aufenthaltserlaubnisse erteilt, vom 19.12.2006 bis zum 02.12.2009 nach § 32 Abs. 1, 2 Satz 1 AufenthG wegen Kindernachzuges. Ab dem 07.09.2010 bis zum 08.02.2015 erhielt er wiederholt Aufenthaltserlaubnisse nach § 34 Abs. 2 AufenthG. Daraufhin wurde ihm eine Fiktionsbescheinigung nach § 81 Abs. 4 AufenthG erteilt.

3

Am 01.07.2021 beantragte der Antragsteller zuletzt die Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis.

4

Die Auskunft aus dem Bundeszentralregister der Antragsgegnerin vom 27.08.2021 ergab insgesamt 13 Eintragungen.

5

Mit Bescheid vom 22.09.2021 lehnte die Antragsgegnerin die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis des Antragstellers ab (Ziffer 1), wies den Antragsteller aus dem Bundesgebiet der Bundesrepublik Deutschland aus (Ziffer 2), forderte ihn auf, das Bundesgebiet freiwillig innerhalb von 30 Tagen zu verlassen (Ziffer 3), drohte ihm die Abschiebung nach Russland an (Ziffer 4), setzte ein Einreise- und Aufenthaltsverbot von drei Jahren fest (Ziffer 5) und setzte im Fall der Abschiebung ein Einreise- und Aufenthaltsverbot von fünf Jahren fest (Ziffer 6). Zur Begründung führte sie aus, dass einer Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis die fehlende Sicherung des Lebensunterhalts und ein vorliegendes Ausweisungsinteresse entgegenstünden. Ferner überwiege das öffentliche Interesse an einer Ausreise das private Bleibeinteresse des Antragstellers, sodass der Antragsteller auszuweisen sei. Durch die fortwährende Begehung von Straftaten liege ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse gemäß § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG vor. Der Antragsteller habe insbesondere in den Jahren 2002 bis 2007 mehrfach, aber auch noch 2014 und 2017 Straftaten begangen. Normierte Bleibeinteressen verwirkliche der Antragsteller nicht. Zwar halte sich der Antragsteller seit seinem 16. Lebensjahr in Deutschland auf, er habe sich jedoch nicht in die Gesellschaft integriert.

6

Ab dem 08.11.2021 wurde dem Antragsteller fortlaufend Duldungen erteilt, zuletzt mit Gültigkeit bis zum 10.07.2022.

7

Mit Schreiben vom 25.11.2021 legte der Antragsteller Widerspruch gegen den Bescheid ein. Er sei damals im Alter von 16 Jahren aus der damaligen Sowjetunion ausgereist und habe nie in der Russischen Föderation gelebt. Er habe dort keinen Bekannten- oder Verwandtenkreis, in Russland lebe lediglich seine 92-jährige Großmutter. Zu dieser habe er seit vielen Jahren keinen Kontakt mehr. Außerdem bestehe enger Kontakt in Deutschland zu seiner Mutter und seiner Schwester, welche in xxx lebe. Gerade seine Mutter sei für ihre psychische Stabilität auf den Kontakt zu ihm angewiesen.

8

In einer ärztlichen Bescheinigung vom 29.11.2021 wird dem Antragsteller diagnostiziert, dass er abhängig von Opioiden, Cannabinoiden und Benzodiazepinen sei und unter Kokainabusus seit seinem 19. Lebensjahr und unter Alkoholabusus leide. Er habe in der Vergangenheit drogeninduzierte Psychosen erlitten, es seien insgesamt fünf Zwangseinweisungen erfolgt. Er habe unter cerebralen Krampfanfällen im Entzug gelitten und habe eine impulsive, emotional instabile Persönlichkeitsstörung. Er werde wegen seiner Opioidabhängigkeit mit einem Morphinpräparat substituiert. Er sei schon zuvor zwei Mal in einer Substitutionsbehandlung gewesen. Es bestehe eine schwere Suchterkrankung. Aus ärztlicher Sicht sei es nicht vorstellbar, dass der Antragsteller ohne Substitution zurechtkäme. Die Gefahr, dass es zu lebensgefährlichen Situationen durch unkontrollierten Konsum käme, sei sehr groß. Es seien gravierende Folgen für seine körperliche und psychische Gesundheit zu erwarten.

9

Mit Widerspruchsbescheid vom 01.02.2022 wies die Antragsgegnerin den Widerspruch zurück und verwies dabei im Wesentlichen auf den Ausgangsbescheid.

10

Am 03.03.2022 hat der Antragsteller Klage erhoben (Az.: 11 A 86/22) und zugleich um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht. Zur Begründung verweist er im Wesentlichen auf sein Vorbringen im Widerspruchsverfahren.

11

Der Antragsteller beantragt,

12

die aufschiebende Wirkung der Klage gemäß § 80 Abs. 5 VwGO anzuordnen und
ihm Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des Rechtsanwalts xxx zu bewilligen.

13

Die Antragsgegnerin beantragt,

14

den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage abzulehnen.

15

Sie nimmt auf die Begründung des Ausgangs- und des Widerspruchsbescheides Bezug.

16

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge verwiesen.

II.

17

Der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes ist überwiegend zulässig, aber unbegründet.

18

Ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist nur dann statthaft, wenn die Versagung des Aufenthaltstitels ein zunächst eingetretenes fiktives Bleiberecht nach § 81 AufenthG beendet hat, wenn also der Aufenthalt nach Stellung des Antrages auf Erteilung oder Verlängerung eines Aufenthaltstitels nach § 81 AufenthG zunächst als erlaubt oder als geduldet galt, d.h. die gesetzliche Erlaubnis- oder Duldungsfiktion ausgelöst hat (Dittrich/Breckwoldt in: HTK-AuslR / Rechtsschutz / 2.1.3, Stand: 23.09.2019, Rn. 30 ff. m.w.N.). Zwar lebt im Falle der Anordnung der aufschiebenden Wirkung die Fiktionswirkung des § 81 Abs. 3 AufenthG nicht (wieder) auf, denn die behördliche Ablehnung der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis ist ein Verwaltungsakt im Sinne des § 84 Abs. 2 Satz 1 AufenthG, der nach der Konzeption des Gesetzgebers unbeschadet einer gerichtlich angeordneten aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Klage die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts des Ausländers beendet (OVG Magdeburg, Beschluss vom 22.01.2007 – 2 M 318/06 –, juris Rn. 4 m.w.N.; VG Schleswig, Beschluss vom 26.11.2018 – 1 B 115/18 –, juris Rn. 21). Allerdings würde die Einstellung des Vollzugs nach § 241 Abs. 1 Nr. 3 LVwG erreicht werden können, sodass der beantragte Rechtsbehelf nicht nutzlos wäre. Deshalb wäre in diesen Fällen § 80 Abs. 5 VwGO der zutreffende Rechtsbehelf (so auch OVG Schleswig, Beschluss vom 25.7.2011 – 4 MB 40/11 –, juris Rn. 10; VG Schleswig, Beschluss vom 09.01.2019 – 1 B 137/18 –, juris Rn. 6).

19

Vorliegend entfiel die Fiktionswirkung aus § 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG durch die Ablehnung des Antrages auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis. Die Ablehnung des Antrages hat damit ein fiktives Bleiberecht des Antragstellers beendet, sodass ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO statthaft ist.

20

Soweit sich der Antrag auf die Abschiebungsandrohung und die (zweifache) Festsetzung des Einreise- und Aufenthaltsverbots bezieht, ist er ebenfalls nach § 80 Abs. 5 VwGO statthaft. Die Abschiebungsandrohung nach § 59 Abs. 1 Satz 1 AufenthG ist eine bundesrechtlich geregelte Vollzugsmaßnahme, deren Vollstreckung sich nach Landesrecht richtet, sodass Rechtsmittel hiergegen gemäß § 248 Abs. 1 Satz 2 LVwG SH keine aufschiebende Wirkung entfalten, § 80 Abs. 2 Satz 2 VwGO. Widerspruch und Klage gegen die Festsetzung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots haben nach § 84 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 AufenthG keine aufschiebende Wirkung (hierzu ausführlich: VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 13.11.2019 – 11 S 2996/19 –, juris Rn. 41 ff.).

21

Soweit sich der Antrag jedoch auf die Ausweisungsverfügung bezieht, ist er unzulässig. Widerspruch und Klage gegen eine Ausweisungsverfügung haben grundsätzlich aufschiebende Wirkung (vgl. Breckwoldt in: HTK-AuslR / § 84 AufenthG, Stand: 18.11.2016, Rn. 48 m.w.N.). Ein gesetzlicher Ausschluss der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Klage gemäß § 84 Abs. 1 AufenthG ist im Fall der Ausweisung nicht gegeben. Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des § 84 Abs. 2 Satz 1 AufenthG, da dort die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Klage gegen eine Ausweisung vorausgesetzt werden. Soweit sich der Antragsteller daher gegen die Ausweisungsverfügung in Ziffer 2 des Bescheides wendet, ist er auf das Hauptsacheverfahren zu verweisen.

22

Der Antrag ist im Übrigen unbegründet. Die in Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO gebotene Interessenabwägung ist in erster Linie an den Erfolgsaussichten in der Hauptsache auszurichten. Sie fällt regelmäßig zugunsten der Behörde aus, wenn der angefochtene Verwaltungsakt offensichtlich rechtmäßig ist und ein besonderes Interesse an seiner sofortigen Vollziehung besteht oder der Sofortvollzug gesetzlich angeordnet ist. Dagegen ist dem Aussetzungsantrag stattzugeben, wenn der Verwaltungsakt offensichtlich rechtswidrig ist, da an der sofortigen Vollziehung eines solchen Verwaltungsakts kein öffentliches Interesse bestehen kann. Lässt die im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO gebotene summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage eine abschließende Beurteilung der Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts nicht zu, so hat das Gericht eine eigenständige, von den Erfolgsaussichten unabhängige Abwägung der widerstreitenden Interessen vorzunehmen (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 02.03.2016 – 1 B 1375/15 –, juris Rn. 9; OVG Schleswig, Beschluss vom 06.08.1991 – 4 M 109/91 –, SchlHA 1991, 220).

23

Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache ist die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Eilentscheidung (vgl. Beschluss der Kammer vom 26.11.2019 – 11 B 129/19 –, juris Rn. 19; OVG Schleswig, Beschlüsse vom 16.01.2020 – 4 MB 98/19 –, juris Rn. 10 und vom 03.07.2018 – 1 MB 7/18 –, n.v.; Schenke in: Kopp/Schenke, Verwaltungsgerichtsordnung, 25. Auflage 2019, § 80 Rn. 147, m.w.N.; a.A.: Schoch in: Schoch/Schneider, Verwaltungsgerichtsordnung: VwGO, Werkstand: 39. EL Juli 2020, § 80 Rn. 413 ff., m.w.N.). Da es sich bei der Entscheidung im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO um eine eigene Ermessensentscheidung des Gerichts handelt und nicht etwa um eine reine Rechtmäßigkeitskontrolle, ist maßgebend auf diesen Zeitpunkt abzustellen.

24

Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist der Bescheid vom 22.09.2021, soweit er die Ziffern 1 und 3 bis 6 betrifft, in Gestalt des Widerspruchbescheides vom 01.02.2022 offensichtlich rechtmäßig.

25

Der Antragsteller hat keinen Anspruch auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis nach § 34 Abs. 2 Satz 1 AufenthG. Nach § 34 Abs. 3 AufenthG kann die Aufenthaltserlaubnis verlängert werden, solange die Voraussetzungen für die Erteilung der Niederlassungserlaubnis und der Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU noch nicht vorliegen. Weiterhin sind die allgemeinen Regelerteilungsvoraussetzungen des § 5 AufenthG zu erfüllen. Danach setzt die Erteilung eines Aufenthaltstitels unter anderem in der Regel voraus, dass der Lebensunterhalt gesichert ist (Nr. 1) und dass kein Ausweisungsinteresse besteht (Nr. 2). Der Antragsteller erfüllt beide Voraussetzungen nicht.

26

Der Lebensunterhalt eines Ausländers ist gemäß § 2 Abs. 3 Satz 1 AufenthG gesichert, wenn er ihn einschließlich ausreichenden Krankenversicherungsschutzes ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel bestreiten kann. Der Antragsteller bestreitet seinen Lebensunterhalt zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung durch Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz.

27

Außerdem besteht zulasten des Antragstellers ein Ausweisungsinteresse gemäß § 54 AufenthG. Bei der Prüfung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ist es unbeachtlich, ob ein Bleibeinteresse i.S.d. § 55 AufenthG vorliegt. Maßgeblich ist allein, ob ein Ausweisungsinteresse gegeben ist (Zeitler in: HTK-AuslR / § 5 AufenthG / zu Abs. 1 Nr. 2, Stand: 06.01.2022, Rn. 10). Gemäß § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG wiegt das Ausweisungsinteresse schwer, wenn der Ausländer einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften oder gerichtliche oder behördliche Entscheidungen oder Verfügungen begangen oder außerhalb des Bundesgebietes eine Handlung begangen hat, die im Bundesgebiet als vorsätzliche schwere Straftat anzusehen ist. Diese Voraussetzungen erfüllt der Antragsteller durch seine strafrechtlichen Verurteilungen. Nach einer längeren Zäsur wurde der Antragsteller zuletzt am 17.06.2014 wegen versuchten Wohnungseinbruchsdiebstahls zu vier Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung und am 28.01.2020 wegen Diebstahls, unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln und wegen vorsätzlichen unerlaubten Besitzes eines verbotenen Gegenstandes in Tateinheit mit vorsätzlichem unerlaubten Besitz von Schusswaffen und mit vorsätzlich unerlaubtem Besitz von Munition zu 115 Tagessätzen Geldstrafe verurteilt. Letzteres Urteil bezieht sich dabei auf eine Tat aus dem Jahr 2017. Zu Recht geht die Antragsgegnerin davon aus, dass es sich bei beiden Straftaten um keine geringfügigen Straftaten handelt, da sie jeweils vorsätzlich begangen wurden (vgl. Beschluss der Kammer vom 31.03.2021 – 11 B 112/20 –, juris Rn. 32). Darüber hinaus handelt es sich auch nicht um vereinzelte Verstöße gegen die Rechtsordnung. Der Antragsteller begeht ausweislich der Auskunft aus dem Bundeszentralregister vom 28.08.2021 seit 2002 regelmäßig Straftaten, wovon die meisten einen suchtbedingten Hintergrund hatten.

28

Die Antragsgegnerin stützt sich zu Recht auf Gründe der Spezialprävention. Dabei bedarf es stets der Feststellung, dass die von dem Ausländer ausgehende Gefahr im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt fortbesteht (vgl. BVerwG, Urteil vom 22.02.2017 – 1 C 3.16 –, juris Rn. 26). Dabei ist eine gerichtlich voll überprüfbare Prognose zu treffen. Bei der Prüfung, ob Wiederholungsgefahr besteht, ist maßgeblich abzustellen auf die Gesamtpersönlichkeit des Täters, das abgeurteilte Verhalten, Art und Ausmaß der möglichen Schäden, die Persönlichkeitsentwicklung nach der Straftat bis zum maßgeblichen Zeitpunkt (Neidhardt in: HTK-AuslR / § 53 AufenthG / Abs. 1 (Spezialprävention), Stand: 03.02.2022, Rn. 9). Eine Bindungswirkung der Feststellungen und Beurteilungen der Strafgerichte besteht nicht. Sie stellen bei der ausländerrechtlichen Prognose jedoch ein wesentliches Indiz dar, insbesondere Entscheidungen über die Aussetzung der Vollstreckung der Strafe zur Bewährung nach § 56 ff. StGB (BVerwG, Urteil vom 15.01.2013 – 1 C 10.12 –, juris Rn. 18; Urteil vom 28.01.1997 – 1 C 17.94 –, juris). Unter Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes sind die Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit des Gefahreintritts entsprechend geringer, wenn ein erheblicher Schaden droht. Ein erheblicher Schaden droht insbesondere dann, wenn besonders schwere und schädliche Delikte begangen wurden. Ein ausreichender spezialpräventiver Ausweisungsanlass liegt bereits dann vor, wenn lediglich eine entfernte Möglichkeit weiterer Straftaten besteht bzw. sich eine Wiederholungsgefahr nicht ausschließen lässt (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 09.07.2003 – 11 S 420/03 –, juris Rn. 26 m.w.N.).

29

Gemessen an diesen Maßstäben liegt eine Wiederholungsgefahr im Falle des Antragstellers vor. In dem Urteil des Amtsgerichts A-Stadt vom 28.01.2020 wird ausgeführt, dass der Antragsteller im Alter von ca. 15 Jahren noch in Russland anfing, Betäubungsmittel zu konsumieren. Im Alter von 19/20 Jahren befand sich der Antragsteller in einem Methadonprogramm, welches er innerhalb eines Jahres abschloss. Ca. ein Jahr später begann er wieder Drogen zu konsumieren, insbesondere Heroin. Seit 2008 befand sich der Antragsteller wieder in einer Substitutionstherapie. Dies hielt ihn jedoch nicht davon ab, erneut Straftaten in den Jahren 2013 und 2017 zu begehen. Die ärztliche Bescheinigung vom 29.11.2021 attestiert, dass der Antragsteller weiterhin drogenabhängig ist. Eine positive Prognose dahingehend, dass der Antragsteller nicht wieder in alte Verhaltensmuster fallen wird und insbesondere Straftaten zur Erfüllung seiner Drogensucht begehen wird, kann unter diesen Voraussetzungen nicht getroffen werden. Zulasten des Antragstellers ist insbesondere auch zu berücksichtigen, dass die letzten Straftaten eine erhöhte kriminelle Energie aufweisen. Der versuchte Wohnungseinbruchsdiebstahl stellt nach heutigen Maßstäben ein Verbrechen dar (§ 244 Abs. 4, § 12 Abs. 1 StGB). Bei einer Wohnungsdurchsuchung am 12.05.2017 wurden mehrere verschiedene Waffen und gefährliche Gegenstände, sowie Munition gefunden. Daraus folgt jedenfalls, dass ein erhöhtes Gefahrpotenzial im Fall des Antragstellers gegeben ist. Zugunsten des Antragstellers spricht zwar, dass seine letzte Straftat bereits etwa fünf Jahre zurückliegt. Hieraus kann allerdings noch nicht geschlossen werden, dass der Antragsteller nicht mehr straffällig werden wird. Dies ergibt sich schon aus dem Auszug aus dem Bundeszentralregister vom 27.08.2021, aus dem hervorgeht, dass es bereits in der Vergangenheit längere Perioden gab, in denen der Antragsteller straffrei geblieben ist. Die letzten Straftaten stammen aus den Jahren 2017, 2013 und 2007. Das bloße Verstreichen eines längeren straffreien Zeitraums kann die Wiederholungsgefahr im Fall des Antragstellers daher nicht ausräumen. Auch die Durchführung einer Therapie ist zugunsten des Antragstellers zu berücksichtigen. Da der Antragsteller aber ausweislich der ärztlichen Bescheinigung vom 29.11.2021 schon seit 2006 in medizinischer Behandlung ist, kann nicht mit Sicherheit davon ausgegangen werden, dass der Antragsteller nicht wieder rückfällig wird. Dies ist bereits in der Vergangenheit wiederholt geschehen.

30

Ob das Ausweisungsinteresse darüber hinaus auf generalpräventive Gründe gestützt werden kann, kann hier offenbleiben. Hierbei ist durch die Antragsgegnerin jedoch zu beachten, dass jedes generalpräventive Ausweisungsinteresse mit zunehmendem Zeitabstand an Bedeutung verliert und ab einem bestimmten Zeitpunkt nicht mehr herangezogen werden kann (BVerwG, Urteil vom 09.05.2019 – 1 C 21.18 –, juris Rn. 18). Auf diese vom Bundesverwaltungsgericht entwickelten Maßstäbe geht die Antragsgegnerin in ihrer Verwaltungsentscheidung nicht ein.

31

Soweit sich der Antragsteller auf Tatsachen stützt, die eine Ausreise bzw. Abschiebung nach Russland unmöglich machen könnten, sind diese für die gerichtliche Entscheidung nicht relevant. Gegenstand der Verwaltungsentscheidung war die Prüfung der Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis nach § 34 Abs. 2 AufenthG und nicht etwa die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen.

32

Die Abschiebungsandrohung ist nach § 59 Abs. 1 AufenthG ebenfalls offensichtlich rechtmäßig. Da dem Antragsteller kein Anspruch auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis zusteht, ist er gemäß § 50 Abs. 1, § 58 Abs. 1 Satz 1 AufenthG nach Ablauf der Ausreisefrist vollziehbar ausreisepflichtig.

33

Auch die Einreise- und Aufenthaltsverbote in den Ziffern 5 und 6 des Bescheides vom 22.09.2021 sind nicht zu beanstanden. Sie sind rechtmäßig festgesetzt worden gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG. Ermessensfehler bezüglich der Länge der Verbote gemäß § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG sind nicht ersichtlich und wurden auch nicht geltend gemacht.

34

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

35

Die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe sind mangels hinreichender Erfolgsaussichten des Antrags auf einstweiligen Rechtsschutz nicht gegeben, § 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO.

36

Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 52 Abs. 2, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG.


Verwandte Urteile

Keine verwandten Inhalte vorhanden.

Referenzen