Beschluss vom Verwaltungsgericht Schwerin (4. Kammer) - 4 B 2195/16 SN

Tenor

1. Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird abgelehnt.

Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

2. Der Streitwert wird auf 2500,-- € festgesetzt.

Gründe

I.

1

Der Antragsteller wendet sich im vorliegenden Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gegen die Entziehung seiner Fahrerlaubnis der Klassen A1 und B durch die Antragsgegnerin.

2

Durch Bescheid vom 4. Mai 2010 entzog die Landrätin des damaligen Landkreises Nordwestmecklenburg dem Antragssteller wegen der Einnahme berauschender Mittel (u. a. Amphetamin und Cocain) die Fahrerlaubnis. Auf seinen Antrag erteilte sie ihm am 21. Dezember 2011 eine neue Fahrerlaubnis der Klassen A1 und B.

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Unter dem 13. Juni 2016 teilte das Polizei-Autobahn- und Bezirksrevier Bad Oldesloe mit, dass der Antragsteller am gleichen Tage gegen 15:30 Uhr das Betäubungsmittel Amphetamin (Speed) zu sich genommen habe. Der Antragsteller sei Führer eines Klein-LKW der Marke Mercedes gewesen. Nach längerer Befragung habe der Antragsteller angegeben, am Freitag der Vorwoche einen Joint geraucht zu haben. Im Wagen des Antragstellers habe sich eine Dose aus einem Überraschungs-Ei mit Marihuana-Anhaftungen sowie im Aschenbecher des Fahrzeugs eine kleine Kunststoffdose mit ca. 2 Gramm verklebtem weißem Pulver angefunden. Der Antragsteller habe zum Pulver angegeben, es handele sich dabei um Fugenmasse, die er als Fliesenleger benötige. Ein Urintest sei wegen des Verhaltens des Antragstellers nicht möglich gewesen. Bezüglich des Pulvers habe der Urin-Test aber auf Amphetamin positiv reagiert. Der Antragsteller habe verwirrt und hektisch reagiert. Trotz zweier Versuche gegen 16:05 und 16.22 Uhr sei kein Richter beim Amtsgericht Lübeck erreichbar gewesen. Wegen drohenden Beweismittelverlustes habe ein Polizeibeamter die Entnahme der Blutprobe angeordnet. Das Universitätsklinikum Schleswig-Holstein teilte mit Schreiben vom 9. Juni 2016 der genannten Polizeidienststelle mit, dass im Blutserum des Antragstellers Amphetamine (110 ng/ml) und Cannabinoide (THC: 0,90 ng/ml, THC-COOH: ca. 5 ng/ml) enthalten gewesen seien.

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Darauf hörte die Antragsgegnerin den Antragsteller zur beabsichtigten neuerlichen Entziehung der Fahrerlaubnis an. Dieser teilte unter Hinweis auf seine ausführliche Einlassung im Ordnungswidrigkeitenverfahren vom 7. Juli 2016 mit, es spreche einiges dafür, dass das Ergebnis der Blutprobe nicht verwertbar sei, da der Richtervorbehalt nach § 81a Abs. 1 Satz 2 [gemeint wohl: Abs. 2] der Strafprozessordnung (StPO) nicht beachtet worden sei. Er habe der Blutentnahme widersprochen und den Polizeibeamten auf den Richtervorbehalt hingewiesen. Dieser habe geäußert, dass der Richtervorbehalt in der Praxis völlig belanglos sei. Er habe aber dann mit übertriebener Gestik zum Telefonhörer gegriffen und angekündigt, den Anruf dann eben zu tätigen, wenn er – der Antragsteller – denn darauf bestehe. Sie – seine Prozessbevollmächtigte – könne zwar den Telefonverlauf nicht bezüglich der gewählten Nummer verifizieren. Der Polizeibeamte könne es aber höchstens zwei Mal geklingelt haben lassen und habe dann wieder aufgelegt. Er habe nur einen Anruf getätigt und sodann ihm – dem Antragsteller – unter Hinweis auf eine Blutentnahme unter eventueller Gewaltanwendung zur Duldung der Blutentnahme bewegt. Die Voraussetzungen der Gefahr im Verzuge hätten nicht vorgelegen, da die Polizei sich lediglich einmal und zu kurz telefonisch um die Hinzuziehung eines Richters oder Staatsanwalts bemüht habe.

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Mit Bescheid vom 21. Juli 2016 entzog die Antragsgegnerin dem Antragsteller die Fahrerlaubnis und ordnete die sofortige Vollziehung dieser Maßnahme an. Zur Begründung der Entziehung der Fahrerlaubnis legte sie im Wesentlichen dar: Nach § 3 Abs. 1 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) und § 46 Abs. 1 der Fahrerlaubnisverordnung (FeV) habe die Fahrerlaubnisbehörde jemanden die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn er sich zum Führen eines Fahrzeugs als ungeeignet oder nicht befähigt erweise. Nach Nr. 9.1 der Anlage 4 zu §§ 11, 13 und 14 FeV gelte in diesem Sinne als ungeeignet, wer Betäubungsmittel im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes (BmtG) einnehme. Nach dem vorliegenden Analyseergebnis habe der Antragsteller Amphetamin und THC eingenommen, bei denen es sich um solche Betäubungsmittel handele. Deshalb habe er sich zum Führen eines Fahrzeuges als ungeeignet erwiesen; die Fahrerlaubnis sei daher einzuziehen. Sein Einwand, dass die Blutentnahme ohne richterliche Entscheidung erfolgt sei, ändere daran nach der Rechtsprechung u. a. des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern nichts, weil das Gutachten dennoch erstellt worden sei und dies ein eindeutiges Ergebnis erbracht habe. Es gehe im vorliegenden Verfahren nicht um den Nachweis einer rechtswidrig begangenen Tat, sondern um eine präventiv in die Zukunft gerichtete Maßnahme als Instrument der Gefahrenabwehr.

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Die auf § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) gestützte Anordnung der sofortigen Vollziehung begründete die Antragsgegnerin u. a. wie folgt: Es bestehe ein berechtigtes Interesse der Allgemeinheit daran, dass ungeeignete Kraftfahrzeugführer mit sofortiger Wirkung von der Teilnahme am Straßenverkehr auszuschließen seien. Ansonsten würden der Antragsteller und andere Verkehrsteilnehmer in nicht vertretbarer Weise gefährdet werden. Bei Teilnahme des Antragstellers am Straßenverkehr unter Einfluss von Betäubungsmittel und dessen Nachwirkungen sei die Fahrtüchtigkeit definitiv nicht gegeben.

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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt des Bescheides verwiesen. Der Bescheid wurde dem Antragsteller am 23. Juli 2016 zugestellt.

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Dagegen erhob der Antragsteller am 3. August 2016 Widerspruch, den er bisher - soweit ersichtlich - nicht begründet hat.

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Gleichzeitig hat er beim Verwaltungsgericht um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht, den er ergänzend zu seinem bisherigen Vorbringen im Verwaltungsverfahren im Wesentlichen wie folgt begründet: Der Blutentnahme habe er nur mit einer Anordnung eines Richters oder Staatsanwalts zugestimmt. Der Polizeibeamte habe nur einmal versucht, einen Richter zu erreichen. Sodann habe er, weil er – der Antragsteller – sich weiter geweigert habe, der Blutentnahme zuzustimmen, ihm Gewalt angedroht. Im parallelen Ordnungswidrigkeitenverfahren sei ein Bußgeld von 500,00 € und ein Fahrverbot von einem Monat festgesetzt worden. Gegen den entsprechenden Bescheid vom 18. Juli 2016 habe er Einspruch erhoben. Die flächendeckend von den Obergerichten vertretene Auffassung, dass unter Verletzung des Richtervorbehalts gewonnene Erkenntnisse im Fahrerlaubnisverfahren verwendet werden könnten, führe nach Meinung des Bundesverfassungsgerichts im Beschluss vom 28. Juni 2014 -1 BvR 1837/12 - (juris) zu einer flächendeckenden Aushebelung der Bestimmung. Daher schlage das Beweisverwertungsverbot auch in einem Verfahren zur Entziehung der Fahrerlaubnis durch.

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Der Antragsteller beantragt,

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die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 21. Juli 2016 wiederherzustellen.

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Die Antragsgegnerin beantragt,

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den Antrag abzulehnen.

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Sie verteidigt den angegriffenen Bescheid.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Antragsgegnerin verwiesen.

II.

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Der Antrag ist zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung durch die Antragsgegnerin ist sowohl formell (im Folgenden: 1.) als auch materiell (2.) rechtmäßig.

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1. Die Fahrerlaubnisbehörde hat das besondere öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Verfügung schriftlich ausreichend begründet.

18

Nach § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO ist das besondere öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung in den Fällen der Anordnung durch die Behörde (vgl. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO) schriftlich zu begründen. Dabei muss die Begründung eindeutig erkennen lassen, dass sich die Behörde bei ihrer Entscheidung in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht hinreichend mit den Besonderheiten des konkreten Einzelfalls auseinandergesetzt hat.

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Vgl. Oberverwaltungsgericht (OVG) für das Land Schleswig-Holstein, Beschluss vom 19. Juni 1991 - 4 M 43/91 -, NVwZ 1992, 688, 689; Thüringer OVG, Beschluss vom 01. März 1994 - 1 EO 40/94 -, juris Rn. 24; Kopp/Schenke, VwGO, 22. Auflage 2016, § 80 Rn. 85 mwN.

20

Sinn und Zweck der Begründungspflicht ist, dass sich die Behörde der besonderen Ausnahmesituation bei Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit bewusst wird (sog. "Warnfunktion"), und sowohl der Betroffene - zwecks Abschätzung der Erfolgsaussichten eines Rechtsmittels - als auch das Verwaltungsgericht über die Gründe, die nach Ansicht der Behörde das sofortige Einschreiten rechtfertigen oder gebieten, unterrichtet werden.

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Vgl. OVG Schleswig-Holstein, a.a.O., S. 689; ThürOVG, a.a.O., Rn. 25; Kopp/Schenke, VwGO, § 80 Rn. 84.

22

Im Bereich des Sicherheitsrechts - wie vorliegend bei der Entziehung einer Fahrerlaubnis - ergibt sich das besondere öffentliche Interesse häufig gerade aus den Gesichtspunkten, die für den Erlass des Verwaltungsakts selbst maßgebend sind,

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- vgl. Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 27. Mai 2015 – 11 CS 15.645 –, juris Rn. 8 –

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so dass auch von daher an den Inhalt der Begründung keine allzu hohen Anforderungen zu stellen sind.

25

Bei Beachtung dieser Maßstäbe hat die Antragsgegnerin die sofortige Vollziehung der Entziehung der Fahrerlaubnis des Antragstellers ausreichend und einzelfallbezogen begründet. Sie hat dabei dargelegt, dass der Antragsteller bei einer weiteren Verkehrsteilnahme sich und andere Verkehrsteilnehmer in nicht vertretbarer Weise gefährden würde. Er sei Konsument von verschiedenen Betäubungsmitteln und habe unter deren Wirkungen am Straßenverkehr teilgenommen.

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2. Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO, wonach das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs ganz oder teilweise wiederherstellen bzw. anordnen kann, ist unbegründet.

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Der Erfolg eines solchen Antrags in der Sache hängt vom Ausgang einer Interessenabwägung ab. Das Gericht hat dabei eine eigene Ermessensentscheidung zu treffen, wobei alle in der Sache betroffenen Interessen zu berücksichtigen sind. Regelmäßig werden die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs, dessen aufschiebende Wirkung angeordnet oder wiederhergestellt werden soll, als erstes Kriterium herangezogen. Denn es kann kein öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung eines eindeutig rechtswidrigen Verwaltungsakts bestehen, während umgekehrt der Bürger grundsätzlich kein schutzwürdiges privates Interesse haben kann, von der Vollziehung eines offensichtlich rechtmäßigen Verwaltungsakts verschont zu bleiben, sofern ein öffentliches Interesse daran besteht, diesen Verwaltungsakt vor Eintritt seiner Bestandskraft zu vollziehen. Sind die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs im Rahmen der nach § 80 Abs. 5 VwGO notwendigen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung offen, so ist eine Interessenabwägung erforderlich, die auch gesetzgeberische Entscheidungen zugunsten bzw. entgegen der sofortigen Vollziehbarkeit mit gewichtet.

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a) Bei Beachtung dieser Maßstäbe ist die angegriffene Entziehung der Fahrerlaubnis mit hoher Wahrscheinlichkeit rechtmäßig und verletzt den Antragsteller daher nicht in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen ist nach § 46 Abs. 1 Satz 2 1. Alt. FeV insbesondere derjenige, bei dem Erkrankungen oder Mängel nach den dortigen Anlagen 4, 5 oder 6 vorliegen. In Anlage 4 zu §§ 11, 13 und 14 FeV sind häufiger vorkommende Erkrankungen und Mängel aufgeführt, die die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen längere Zeit beeinträchtigen oder aufheben können. Die Einnahme von Betäubungsmitteln im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes (mit Ausnahme von Cannabis) schließt die Fahreignung nach Nr. 9.1 Anlage 4 FeV aus. Dazu genügt die einmalige – bewusste – Einnahme dieser „harten Drogen“ und muss nicht im Zusammenhang mit der Teilnahme am Straßenverkehr gestanden haben.

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Vgl. in ständiger Rechtsprechung etwa Oberverwaltungsgericht für das Land Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 04. Oktober 2011 – 1 M 19/11 –, juris Rn. 6.; Beschluss vom 20. Mai 2010 – 1 M 103/10 –, juris LS 1 und Rn. 10 mwN auch aus der Rechtsprechung anderer Obergerichte; vgl. auch Dauer, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Aufl. 2015, StVG § 2 Rn. 51 ff.; Koehl, in: Haus/Krumm/Quarch, Gesamtes Verkehrsrecht, 1. Aufl. 2014, § 11 FeV Rn. 26 je mwN.

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b) Nach den vorliegenden Ergebnissen der Blutprobe, wie sie im Gutachten des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein mitgeteilt worden sind, ist der Antragsteller Konsument harter Drogen (hier: Amphetamin) und daher nach den vorstehenden Regeln als Führer eines Kraftfahrzeuges ungeeignet.

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c) Die Ergebnisse des Gutachtens des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein sind nach Auffassung der Kammer im vorliegenden Fall verwertbar.

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aa) Es spricht bei summarischer Wertung derzeit Überwiegendes dafür, dass der ermittelnde Polizeibeamte sich bei der Anordnung der Blutprobe an die Vorgaben des § 81a Abs. 2 StPO gehalten hat. Danach steht die Anordnung der Blutprobenentnahme dem Richter, bei Gefährdung des Untersuchungserfolges durch Verzögerung auch dem Staatsanwalt oder ihren Ermittlungspersonen zu. Bei den Letzteren handelt es sich um die Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft nach § 152 des Gerichtsverfassungsgesetzes. Dazu gehören in Schleswig-Holstein auch Beamte der Polizei (näher § 1 Abs. 1 Nr. 3 der [schleswig-holsteinischen] Landesverordnung über Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft vom 23. August 2010 [GVOBl. S. 568]).

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bb) Die Voraussetzung der Gefährdung des Untersuchungserfolges war gegeben. Nach dem am 19. April 2016 gespeicherten Vermerk der Polizei habe sich der Antragsteller mit der Blutprobe nicht einverstanden erklärt. Trotz zweier Versuche (16.05 und 16.22 Uhr) habe der Beamte keinen Richter am Amtsgericht Lübeck erreicht. Aus dem Umstand, dass der Antragssteller nur von einem Anruf weiß, folgt nicht ohne weiteres, dass kein zweiter Anruf erfolgt ist. Dieser kann auch in Abwesenheit des Antragstellers erfolgt sein, ohne dass er davon etwas mitbekommen hat. Dazu hat er Antragsteller auch nichts substantiiert vorgetragen. Seine Behauptung, er wisse nicht, ob der Polizeibeamte überhaupt die Telefonnummer des Amtsgerichts Lübeck gewählt habe und dass der (einzige) Anruf viel zu kurz gewesen sei, um jemanden erreichen zu können, wird ersichtlich „ins Blaue hinein“ vorgetragen. Die Prozessbevollmächtigte des Antragstellers trägt insoweit im Ordnungswidrigkeitenverfahren vor, dies nicht näher „verifiziert“ zu haben. Die Vorgänge sind auch nicht glaubhaft gemacht worden, da es an einer entsprechenden eidesstattlichen Versicherung des Antragstellers fehlt. Die Kammer glaubt daher jedenfalls im vorliegenden Verfahren dem zur Einhaltung von Recht und Gesetz verpflichteten Polizeibeamten, dass er sich zweimal telefonisch um einen Richter bemüht hat. Dies muss aber ggf. einer Beweisaufnahme im Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben.

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cc) Da Amphetamine („Speed“) im Urin nur ein bis drei Tage und im Blut nur 6 bis 24 Stunden nachweisbar sind,

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- vgl. dazu die Darstellung bei Hans Sachs, Forensisch Toxikologisches Zentrum, Drogen und Medikamente, München, Drogen und Medikamente, (16. April 2013), S. 53 ff.; ferner Drogenberatung Wolfsburg: Wie lange können Drogen im Körper nachgewiesen werden? http://www.drogenberatung-wolfsburg.de/faq/20-wie-lange-koennen-drogen-im-koerper-nachgewiesen-werden (Zugriff: 14. Oktober 2016) -

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war - auch angesichts des Umstandes, dass der Antragsteller gegenüber dem Beamten angegeben hatte, am Freitag der Vorwoche (dem 9. April) einen Joint geraucht zu haben - wegen Beweismittelverlustes Eile geboten. Der Polizeibeamte musste nach dem Wortlaut des § 81a Abs. 2 StPO („Staatsanwaltschaft oder ihren Ermittlungspersonen“) deshalb nicht noch zusätzlich versuchen, einen Staatsanwalt zu erreichen, sondern konnte selbst die erforderliche Anordnung treffen.

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Ebenso Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, Strafprozessordnung (StPO), 59. Aufl. 2016, § 81a Rn. 32a mwN; König, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, § 81a StPO Rn. 5; ohne nähere Begründung a. A. z. B.BVerfG, Kammerbeschluss vom 12. Februar 2007 – 2 BvR 273/06 –, juris Rn. 17 und vom 11. Juni 2010 – 2 BvR 1046/08 - juris Rn 31. („nachrangig“).

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dd) Selbst wenn diese Einschätzung des Beamten fehlerhaft gewesen sein sollte, führt dies auch nach Auffassung der Strafgerichtsbarkeit nicht zur (strafprozessualen) Unverwertbarkeit des gutachterlichen Ergebnisses. Denn der Richtervorbehalt und damit die möglicherweise damit verbundene Verletzung des Betroffenen in seinem Grundrecht aus Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes auf effektiven Rechtsschutz war nicht verletzt. Dies würde nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die Missachtung der Kompetenz des Richters voraussetzen, nicht aber die Kompetenzen des Staatsanwalts oder des Ermittlungsbeamten. Die Entnahme einer Blutprobe ist nach dem Gesetz den Ermittlungsbeamten auch nicht generell verboten, sondern ihm in Eilfällen gestattet.

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Vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 14. Oktober 2009 – 1 Ss 310/09 –, juris Rn. 13 ff. OLG Celle, Beschluss vom 25. Januar 2010 – 322 SsBs 315/09 -, juris LS und Rn. 5 mwN.

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ee) Im Übrigen kann im vorliegenden Fall dahinstehen, ob im vorliegenden Fall gegen § 81a StPO verstoßen worden ist. Auch in Ansehung der vom Antragsteller zitierten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 28. Juni 2014 - 1 BvR 1837/12 -, juris) hält die Kammer daran fest, dass eine Verwertbarkeit der Ergebnisse von Gutachten im Verfahren zur Entziehung der Fahrerlaubnis im Regelfall auch möglich ist, wenn diese unter Verstoß gegen strafprozessuale Verfahrensbestimmungen angeordnet worden sind. Der Umstand, dass ein Gutachten über die Fahreignung unberechtigterweise angeordnet worden ist, wirkt sich auf die Entscheidung über die Entziehung der Fahrerlaubnis nicht aus, wenn das Gutachten dennoch erstellt worden ist und ein negatives Ergebnis ausweist. Zur Begründung hat das Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern ausgeführt:

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„Zunächst ist festzuhalten, dass sich die Grundsätze, nach denen die Ergebnisse einer Blutuntersuchung nach §§ 46 Abs. 1 OWiG, 81a Abs. 2 StPO einem Verwertungsverbot unterliegen können (s. dazu OLG Stuttgart, 26.11.2007 - 1 Ss 532/07 -, juris m. Hinweisen auf die einschlägige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofes), im Bereich der Strafprozessordnung herausgebildet haben und nicht ohne Weiteres auf das Verwaltungsverfahrens-, insbesondere das Fahrerlaubnisrecht übertragen werden können (vgl. Hufen, Fehler im Verwaltungsverfahren, 4. Aufl., Rn. 146ff). Beweisverwertungsverbote bestehen im Strafprozess in dem besonderen Spannungsfeld zwischen dem staatlichen Strafverfolgungsanspruch auf der einen und dem Schutz von Grundrechten des Betroffenen auf der anderen Seite. Die Informationsgewinnung im Strafverfahren ist aus rechtsstaatlichen Gründen in besonderem Maße formalisiert und die Rechtfertigung von Verwertungsverboten, wie etwa die Sicherung der Legitimation des staatlichen Strafanspruches (vgl. dazu etwa Amelung, Grundfragen der Verwertungsverbote bei beweissichernden Haussuchungen im Strafverfahren, NJW 1991, 2533), kann im Verwaltungsverfahren allenfalls eingeschränkt Gültigkeit haben. Im Unterschied zum strafprozessualen Verfahren hat jedenfalls im Verfahren zur Entziehung der Fahrerlaubnis die Behörde maßgeblich weitere Rechtsgüter auch Drittbetroffener wie das öffentliche Interesse am Schutz der Allgemeinheit vor Fahrerlaubnisinhabern, die sich als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen haben, zu beachten. Dieser Gesichtspunkt rechtfertigt es, dass sich etwa der Umstand, dass ein Gutachten über die Fahreignung unberechtigterweise von der Fahrerlaubnisbehörde angeordnet wurde, dann auf die Entscheidung über die Entziehung der Fahrerlaubnis nicht auswirkt, wenn das Gutachten dennoch erstellt worden ist und ein eindeutig negatives Ergebnis ausweist. Ein Verbot, diese Tatsache für die Entscheidung über die Fahrerlaubnisentziehung zu verwerten, ergibt sich weder aus den Vorschriften der Straßenverkehrszulassungsordnung noch aus dem sonstigen Recht. Ihm steht auch das Interesse der Allgemeinheit, vor ungeeigneten Kraftfahrern geschützt zu werden, entgegen (BVerwG, 18.03.1982 - 7 C 69/81 -, NJW 1982, 2885, 2887; hierzu kritisch Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, Kommentar, 6. Aufl., § 24 Rn 32ff). In der Rechtsprechung wird sogar angenommen (OVG Lüneburg, 27.10.2000 - 12 M 3738/00 -, NJW 2001, 459), dass das Verwertungsverbot des § 136a Abs. 3 Satz 2 StPO gegenüber dem Interesse der Allgemeinheit an der Sicherheit des Straßenverkehrs nach Maßgabe einer Abwägung zwischen den widerstreitenden Interessen zurückzutreten habe. Unter den heutigen Verkehrsbedingungen überwiege das Interesse, fahruntaugliche Personen von der Teilnahme am motorisierten Straßenverkehr auszuschließen, das Interesse des Einzelnen an der Beachtung des § 136a Abs. 3 Satz 2 StPO.

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Selbst wenn man aber den Aspekt des Interesses der Allgemeinheit an der Sicherheit des Straßenverkehrs bei der Frage der Verwertbarkeit einer rechtswidrig unter Verstoß gegen §§ 46 Abs. 1 OWiG, 86a Abs. 2 StPO gewonnenen Blutuntersuchung zurückstellte und einen allein strafprozessrechtliche Maßstab anlegte, könnte im vorliegenden Fall bei gebotener summarischer Betrachtung kein Verwertungsverbot angenommen werden. Das Verwaltungsgericht hat unter Hinweis auf höchstrichterliche Rechtsprechung (s. BGH, 18.04.2007 - 5 StR 546/06 -, juris; s. auch OLG Stuttgart, 26.11.2007 - 1 Ss 532/07 -, juris) zutreffend und im Übrigen auch in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (16.03.2006 - 2BvR 954/02 -, NJW 2006, 2684, 2686) ausgeführt, dass lediglich grobe Verstöße gegen den sog. Richtervorbehalt bzw. Willkür oder besonders schwerwiegende Fehler bei der Annahme der Voraussetzungen, unter denen von der richterlichen Anordnung abgesehen werden könne, ein Verwertungsverbot der erlangten Untersuchungsergebnisse begründen. Ebenso zutreffend hat es ausgeführt, dass hier eine solche schwerwiegende Fehleinschätzung hinsichtlich des Überganges der Anordnungsbefugnis von dem Richter auf die Polizeibeamten als Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft (§ 1 Nr. 2 b. der Verordnung über die Hilfsbeamten der Staatsanwaltschaft v. 2. Juli 1996, GVOBl. 1996, 311) nicht vorgelegen habe. […]“

43

Oberverwaltungsgericht für das Land Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 20. März 2008 – 1 M 12/08 –, juris Rn. 7 f.; vgl. auch die vom BVerfG im soeben genannten Beschluss vom 28. Juni 2014 bei Rn. 13 zitierte obergerichtliche Rechtsprechung.

44

Ein eventuelles Beweisverwertungsverbot wegen Verstoßes gegen den Richtervorbehalt nach § 81a StPO im Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren führt aufgrund der unterschiedlichen Schutzrichtungen der jeweiligen Verfahrensordnungen nicht zur Unverwertbarkeit im fahrerlaubnisrechtlichen Verfahren. Es geht im Fahrerlaubnisrecht nicht um die Sicherung von Beweisen für eine eventuelle Bestrafung des Betroffenen. Vielmehr geht es um die Frage, ob er auch künftig als Führer eines Kraftfahrzeuges am Straßenverkehr teilnehmen kann, ohne sich oder andere wegen seines Drogenkonsums zu gefährden. Hieran hält die Kammer auch unter Berücksichtigung der Bedenken fest, die das Bundesverfassungsgericht gegen die verwaltungsgerichtliche Praxis geäußert hat. Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts beschränkt sich zudem auf ein obiter dictum. Die Bedenken werden nicht näher begründet. Das BVerfG setzt sich auch nicht mit der seit langem gefestigten Rechtsprechung auseinander, die u.a. von verschiedenen Obergerichten eingehend mit der allgemeinen Bedeutung von Beweisverwertungsgeboten im Gefahrenabwehrrecht begründet wird.

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So auch VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 25. Mai 2016 – 7 L 772/16 –, juris Rn. 9 ff. unter Hinweis auf Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 26. November 2015 – 16 E 648/15 –, juris LS 2 und Rn. 12.

46

d) Ob in einem Fall, in dem bewusst oder in grober Weise gegen die in § 81a StPO vorgeschriebenen Richtervorbehalt verstoßen wird, anders zu entscheiden wäre, kann im vorliegenden Fall offenbleiben. Wie oben bereits ausgeführt, war hier die Blutentnahme angesichts des drohenden Beweismittelverlustes äußerst dringlich gewesen. Die Anordnung der Blutentnahme beruht daher jedenfalls nicht auf einer absolut unvertretbaren Auffassung. Die Voraussetzungen für eine grobe Verkennung der Rechtslage sind daher nicht gegeben.

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3. Die Kosten des Verfahrens hat der Antragsteller als Unterliegender gemäß § 154 Abs. 1 VwGO zu tragen.

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4. Die Festsetzung des Streitwerts gründet sich auf den §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Absätze 1 und 2 GKG i.V.m. den Empfehlungen des sog. Streitwertkatalogs 2013, wonach im Hauptsacheverfahren der Streitwert für die Fahrerlaubnis der Klassen A1 und B in Höhe des Auffangwertes von 5.000,-- € (vgl. Ziffer II. 46.4) anzusetzen wäre. Im Hinblick auf die Vorläufigkeit des vorliegenden Rechtsschutzverfahrens ist dieser Betrag auf 2.500,-- € zu halbieren (vgl. Ziffer I. 1.5 des Streitwertkatalogs).

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