Beschluss vom Verwaltungsgericht Sigmaringen - 2 K 7453/18

Tenor

Der Antrag wird abgelehnt.

Das Verfahren ist gerichtskostenfrei.

Der Antragsteller trägt die außergerichtlichen Kosten der Antragsgegnerin zu 1. Der Antragsteller und der Antragsgegner zu 2 tragen die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers jeweils zur Hälfte. Der Antragsgegner zu 2 behält seine außergerichtlichen Kosten auf sich.

Gründe

 
I.
Für den am 23.08.2016 geborenen Antragsteller wird die vorläufige Zuweisung eines Betreuungsplatzes in einer Kindertageseinrichtung begehrt.
Am 11.02.2018 meldeten die in Reutlingen (Stadtteil O.-H.) wohnhaften Eltern des Antragstellers bei der Anlaufstelle Kindertagesbetreuung der Stadt Reutlingen einen Tagesbetreuungsbedarf ab dem 15.10.2018 (U3-Betreuung; präferierte Einrichtungen: Städt. Kinderkrippe N. S. XX, Kinderkrippe M. X, Kindergarten S. Str. XX) an. Dort vorgelegte Beschäftigungsnachweise bescheinigen beiden vollzeitige Erwerbstätigkeit (bei Kindsmutter: Elternzeit vom 20.10.2016 bis 19.10.2018).
Mit E-Mail vom 05.09.2018 erkundigte sich die Mutter des Antragstellers bei der Anlaufstelle der Stadt nach dem Sachstand. Daraufhin wurde ihr mit E-Mail vom selben Tag mitgeteilt, sämtliche Plätze in Reutlinger Tageseinrichtungen seien vergeben. Der Antragsteller verbleibe auf der Vormerkungsliste. Mit E-Mail vom 01.10.2018 teilte die Kindsmutter mit, sie beabsichtige, Mitte Oktober wieder ihre Arbeit aufzunehmen und benötige deshalb dringend einen wohnungsnahen Betreuungsplatz. Andernfalls drohten Verdienstausfall und Verlust der Arbeitsstelle. Sie habe Arbeitszeiten von 9 bis 13 Uhr und nutze öffentliche Verkehrsmittel. Deswegen sei sie auf eine Betreuung in einer der drei gewünschten Einrichtungen angewiesen. Mit weiterer E-Mail vom 11.10.2018 teilte die Kindsmutter drei weitere, aus ihrer Sicht in Betracht kommende Einrichtungen mit (Mütterzentrum M., Kindergarten W.., Kinderhaus B..).
Am 30.10.2018 legitimierte sich der Antragstellervertreter gegenüber der Antragsgegnerin zu 1 und bat um Nachweis eines wohnungsnahen Betreuungsplatzes (Tageseinrichtung oder Kindertagespflege) nach § 24 Abs. 2 SGB VIII im Umfang von 30 Wochenstunden, jeweils bis 13:30 Uhr, sowie um Beratung gemäß § 24 Abs. 5 SGB VIII. Mit Anwaltsschreiben vom 28.11.2018 wurde ihm mitgeteilt, es seien gegenwärtig keine Betreuungsplätze mehr verfügbar. Außerdem richte sich der Anspruch aus § 24 SGB VIII nicht gegen die Stadt, da diese nicht Jugendhilfeträger sei.
Am 28.11.2018 hat der Antragsteller beim Sozialgericht Reutlingen den Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen die Antragsgegnerin zu 1 beantragt. Zur Begründung wird ausgeführt, dem Antragsteller stehe gemäß § 24 Abs. 2 SGB VIII ein Anspruch auf frühkindliche Förderung entsprechend dem individuellen Bedarf zu. Es bestehe auch ein Anordnungsgrund. Die Kindsmutter habe am 18.10.2018 ihre Tätigkeit bei einem Rundfunkbetrieb (Lokalfernsehen) wiederaufgenommen. Sie arbeite 5 halbe Tage, jeweils 4 Stunden (geplant: 9 bis 13 Uhr). Beide Großmütter des Antragstellers seien bereits für dessen Betreuung eingesprungen. Der in L.-E. wohnhaften Großmutter mütterlicherseits sei für die Anreise finanzieller Aufwand entstanden.
Mit Beschluss vom 30.11.2018 hat das Sozialgericht Reutlingen den Rechtsstreit aus dem Sozialrechtsweg und an das Verwaltungsgericht verwiesen. Hiergegen wurden keine Rechtsmittel eingelegt.
Nach gerichtlichem Hinweis Gericht hat der Antragsteller am 09.01.2019 den Eilantrag auch gegen den Landkreis Reutlingen (Antragsgegner zu 2) gerichtet.
Der Antragsteller beantragt zuletzt, sinngemäß,
die Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache zu verpflichten, ihm einen wohnungsnahen Betreuungsplatz in einer Tageseinrichtung/Kindertagesstätte im Umfang von 30 Wochenstunden nachzuweisen und angefallene Fahrtkosten der Großmutter (L.-E. nach Reutlingen) auf Nachweis zu erstatten bzw. ihn hiervon freizustellen.
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Die Antragsgegner beantragen,
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den Antrag abzulehnen.
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Die Antragsgegnerin zu 1 führt im Wesentlichen aus, es fehle bereits an der Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes, weil zum Umfang der beruflichen Tätigkeit der Kindsmutter nicht hinreichend vorgetragen sei. Auch die Arbeitszeiten des Kinds-vaters seien nicht aufgeschlüsselt worden. Im Hinblick auf den geltend gemachten Ersatzanspruch (Fahrtkosten der Großmutter) seien zudem Eilbedürftigkeit und drohender Rechtsverlust nicht ersichtlich. Hinsichtlich des Anspruchs auf frühkindliche Förderung nach § 24 SGB VIII sei die Stadt außerdem nicht passivlegitimiert, weshalb es auch an einem Anordnungsanspruch fehle.
13 
Der Antragsgegner zu 2 trägt vor, ein Anordnungsanspruch bestehe nicht, da es dem Landkreis als Jugendhilfeträger unmöglich sei, dem Antragsteller einen zumutbaren Betreuungsplatz zuzuweisen. Der Landkreis verfüge nicht über eigene Einrichtungen. Ein Weisungsrecht gegenüber der Stadt als Trägerin der kommunalen Einrichtungen bestehe nicht. Es liege deshalb ein Fall der Unmöglichkeit vor, der den Anspruch nach § 24 Abs. 2 SGB VIII entfallen lasse. Die Stadt Reutlingen verfüge im Übrigen über ein umfangreiches Ausbauprogramm zur Schaffung von Betreuungsplätzen, zusätzliche Plätze seien in Planung.
14 
Dem Gericht liegt die Behördenakte der Stadt Reutlingen in Papierform vor. Hierauf und auf die gewechselten Schriftsätze wird wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes verwiesen.
II.
15 
Die Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs ist durch den rechtskräftigen Verweisungs-beschluss des Sozialgerichts Reutlingen vom 30.11.2018 bindend festgestellt (§ 17a Abs. 2 Satz 3 GVG).
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Der Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO bleibt ohne Erfolg.
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I. Die Zulässigkeitsvoraussetzungen des Eilantrags liegen vor. Insbesondere begegnet die durch die Einbeziehung des Antragsgegners zu 2 bewirkte subjektive Antragsänderung keinen rechtlichen Bedenken. Die Erstreckung auf den Landkreis als Träger der öffentlichen Jugendhilfe, gegen den sich - wie noch auszuführen ist - der Anspruch nach § 24 Abs. 2 SGB VIII richtet, ist sachdienlich und daher entsprechend § 91 Abs. 1 VwGO (vgl. zu dessen Anwendbarkeit im Eilverfahren trotz fehlender Erwähnung in § 122 Abs. 1 VwGO: Rennert, in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 91 Rn. 7 m.w.N.) zulässig.
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II. Der Antrag ist jedoch insgesamt unbegründet.
19 
Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Verwaltungsgericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn diese Regelung nötig erscheint, um - unter anderem - wesentliche Nachteile abzuwenden. Voraussetzung hierfür ist, dass der geltend gemachte materielle Anspruch (Anordnungsanspruch) und ein den Erlass einer einstweiligen Anordnung gebietendes Dringlichkeitsinteresse (Anordnungsgrund) gemäß § 123 Abs. 3 VwGO, §§ 920 Abs. 2, 294 Abs. 1 ZPO glaubhaft gemacht werden. Maßgebend sind dabei die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung.
20 
Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Im Einzelnen gilt:
21 
Dem Antragsteller steht hinsichtlich des begehrten Nachweises eines Betreuungsplatzes zwar ein Anordnungsgrund zur Seite (dazu nachfolgend 1.). Es ist jedoch weder im Verhältnis zur Antragsgegnerin zu 1 (dazu 2.) noch zum Antragsgegner zu 2 (dazu 3.) das Bestehen eines Anordnungsanspruchs glaubhaft gemacht. Im Hinblick auf den außerdem begehrten Kostenersatz fehlt es an der Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes (4.).
22 
1. Der Antragsteller hat für den Nachweis eines zumutbaren Betreuungsplatzes eine besondere Eilbedürftigkeit und damit das Bestehen eines Anordnungsgrundes glaubhaft gemacht.
23 
Für den Anordnungsgrund im Verfahren nach § 123 VwGO genügt nicht allein die irreversible Nichterfüllung des Anspruchs auf frühkindliche Förderung in einer Tages-einrichtung. Ob die begehrte Zuweisung eines Betreuungsplatzes in einer Weise dringlich ist, dass dem Anspruchsberechtigten ein Abwarten bis zur Entscheidung in der Hauptsache nicht zugemutet werden kann, ist aufgrund einer Abwägung aller konkreten Umstände des Falles zu entscheiden, wobei der Betreuungsbedarf des Kindes mit Blick auf die Arbeitssituation der Eltern eine besondere Rolle spielt (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 18.07.2018 - 12 S 643/18 -, juris Rn. 20; anders Sächs. OVG, Beschluss vom 07.06.2017 - 4 B 100/17 -, juris Rn. 10).
24 
Nach diesen Maßgaben ist vorliegend von einem besonderen Dringlichkeitsinteresse und damit einem Anordnungsgrund auszugehen. Der Antragsteller verfügt nicht über einen Betreuungsplatz in einer Tageseinrichtung oder einer Tagespflegestelle. Der Kindsvater ist, wie der vorgelegte Beschäftigungsnachweis seines Arbeitgebers belegt, in Vollzeit erwerbstätig. Dem für die Kindsmutter vorgelegten Nachweis ist zu entnehmen, dass ihre Elternzeit am 19.10.2018 endete. Hierzu wird - substantiiert und unwidersprochen - vorgetragen, dass die Beschäftigung beim Lokalfernsehen im Oktober in halbtägigem Umfang wiederaufgenommen worden ist. Einer weitergehenden Glaubhaftmachung, etwa durch Vorlage aktueller Arbeitgeberbescheinigungen, bedarf es nicht. Auf die - überobligatorische und nicht bedarfsdeckende - Betreuung durch seine Großmütter kann der Antragsteller nicht verwiesen werden.
25 
2. Dem Antragsteller steht im Verhältnis zur Antragsgegnerin zu 1 kein Anspruch auf den Nachweis eines Betreuungsplatzes nach § 24 Abs. 2 SGB VIII zu, weshalb es insoweit an einem Anordnungsanspruch fehlt.
26 
Der Rechtsanspruch nach § 24 Abs. 2 SGB VIII - zu dessen Inhalt im Folgenden mehr - richtet sich gemäß § 3 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII gegen den Träger der örtlichen Jugendhilfe. Wer Träger der öffentlichen Jugendhilfe ist, wird durch Landesrecht bestimmt (§ 69 Abs. 1 SGB VIII). Nach § 1 Abs. 1 des Kinder- und Jugendhilfegesetzes für Baden-Württemberg (LKJHG) in der Fassung vom 23.02.2017 (GBl. S. 104) sind, von hier nicht einschlägigen Ausnahmen abgesehen, die Landkreise örtliche Träger der öffentlichen Jugendhilfe. Anderes folgt für den Bereich der Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen und Kindertagespflege auch nicht aus den Regelungen in § 3 KiTaG, mit denen den Gemeinden in diesem Zusammenhang objektiv-rechtliche Verpflichtungen auferlegt werden (vgl. dazu ausführlich und überzeugend VG Freiburg, Beschluss vom 12.04.2016 - 4 K 338/16 -, juris Rn. 6 ff.).
27 
Die Antragsgegnerin zu 1 ist für den geltend gemachten Anspruch daher nicht passiv-legitimiert.
28 
Einen kommunalrechtlichen Anspruch auf Zugang zu städtischen Kinderbetreuungs-einrichtungen (§ 10 Abs. 2 GemO; vgl. zu Kindertagesstätten als öffentliche Einrichtungen VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 15.03.2018 - 12 S 1644/18 -, juris Rn. 59 m.w.N.; zum Nebeneinander von § 24 Abs. 2 SGB VIII und kommunalem Nutzungs-anspruch Rixen, in: JurisPK-SGB VIII, 2. Aufl. 2018, § 24 Rn. 17) macht der Antragsteller nicht geltend. Mit dem allein auf § 24 Abs. 2 SGB VIII gestützten Anspruch wird der Nachweis eines wohnungsnahen Betreuungsplatzes, nicht jedoch die Zulassung zu einer bestimmten Einrichtung nach Maßgabe des § 10 Abs. 2 Satz 2 GemO i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG begehrt.
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3. Im Verhältnis zum Antragsgegner zu 2 ist ein Anordnungsanspruch ebenfalls nicht glaubhaft gemacht. Dem Antragsteller steht gegen den Landkreis als Träger der öffentlichen Jugendhilfe zwar ein Anspruch auf Nachweis eines bedarfsgerechten Betreuungsplatzes gemäß § 24 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII zu (dazu Buchst. a); eine dahingehende vorläufige Verpflichtung durch einstweilige Anordnung scheitert jedoch gegenwärtig an dessen tatsächlicher Undurchsetzbarkeit (Buchst. b).
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a) Nach § 24 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII in der Fassung durch das Gesetz zur Förderung von Kindern unter drei Jahren in Tageseinrichtungen und in Kindertagespflege - Kinderförderungsgesetz – KiföG - vom 10.12.2008 (BGBl. I S. 2403), in Kraft getreten am 01.08.2013, hat ein Kind, das das erste Lebensjahr vollendet hat, bis zur Vollendung des dritten Lebensjahrs Anspruch auf frühkindliche Förderung in einer Tageseinrichtung oder in Kindertagespflege. Gem. § 24 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 3 SGB VIII richtet sich der Umfang der täglichen Förderung nach dem individuellen Bedarf. Aus der Regelung des § 24 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII erwächst für den Jugendhilfeträger die (Amts-)Pflicht, im Rahmen seiner Gesamtverantwortung sicherzustellen, dass für jedes anspruchsberechtigte Kind, für das ein entsprechender Bedarf rechtzeitig angemeldet worden ist (vgl. § 24 Abs. 5 Satz 2 SGB VIII und § 3 Abs. 2a Satz 1 KiTaG), ein Betreuungsplatz zur Verfügung steht; insoweit trifft ihn eine unbedingte Gewährleistungspflicht. Die vorbezeichnete Pflicht besteht nicht nur im Rahmen der vorhandenen Kapazitäten. Vielmehr ist der gesamtverantwortliche Jugendhilfeträger seit dem 01.08.2013 verpflichtet, eine ausreichende Zahl von Betreuungsplätzen selbst zu schaffen oder durch geeignete Dritte - freie Träger der Jugendhilfe, Kommunen oder Tagespflegepersonen - bereitzustellen, d.h. ggf. vorhandene Kapazitäten zu erweitern (BVerfG, Urteile vom 21.11.2017 - 2 BvR 2177/16 -, BVerfGE 147, 185 = juris Rn. 134, und vom 21.07.2015 - 1 BvF 2/13 -, BVerfGE 140, 65 = juris Rn. 43; BVerwG, Urteil vom 26.10.2017 - 5 C 19.16 -, BVerwGE 160, 212 = juris Rn. 35; BGH, Urteil vom 20.10.2016 - III ZR 278/15 -, BGHZ 212, 303 = juris Rn. 18, vgl. auch Rixen, NJW 2012, 2839 <2840 f.>).
31 
Dass der Antragsteller die Voraussetzungen des § 24 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII erfüllt und der Bedarf nach Maßgabe des § 3 Abs. 2a Satz 1 KiTaG rechtzeitig an die Stadt Reutlingen herangetragen worden ist, geht aus den vorgelegten Unterlagen hervor und ist zwischen den Beteiligten unstreitig. Indem der Antragsgegner zu 2 dem anspruchsberechtigten Antragsteller gleichwohl keinen bedarfsgerechten Betreuungsplatz nachweist, verhält er sich rechtswidrig. Nach dem Vorstehenden kann er dem Anspruch auf frühkindliche Förderung eine Unmöglichkeit wegen Kapazitätserschöpfung nicht entgegenhalten. Ihn trifft seit dem 01.08.2013 die Pflicht, die erforderlichen Kapazitäten so zu erweitern, dass sämtlichen anspruchsberechtigten Kindern ein bedarfsdecken-der Betreuungsplatz in einer Tageseinrichtung oder in Tagespflege nachgewiesen werden kann. Von dieser Verpflichtung hatte der Antragsgegner zu 2 seit dem Erlass des Gesetzes im Jahr 2008 Kenntnis. Er hatte damit mehr als 10 Jahre Zeit, um sich rechtzeitig auf künftige Bedarfe einzustellen. Dass dies pflichtwidrig unterlassen wurde, kann der Antragsgegner zu 2 dem Antragsteller nicht mit Erfolg entgegenhalten.
32 
Die Argumentation des Antragsgegners, es bestehe keine Weisungsbefugnis des Landkreises als Jugendhilfeträger gegenüber der Stadt als Trägerin der in Aussicht genommenen Tageseinrichtungen, weshalb der Anspruch nach § 24 Abs. 2 SGB VIII rechtlich und tatsächlich nicht durchsetzbar sei, verfängt nicht. Denn der Anspruch richtet sich nicht auf die „Zuweisung“ eines konkreten Platzes in einer bestimmten Einrichtung (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 19.12.2018 - 10 ME 395/18 -, juris), die ggf. durch Einwirkung auf den Einrichtungsträger erzwungen werden müsste. Anspruchs-inhalt ist vielmehr, wie vorstehend ausgeführt, der Nachweis eines kommunalen oder öffentlich geförderten privaten Betreuungsplatzes in einer Tageseinrichtung oder in Tagespflege. Das Fehlen eines (unmittelbaren) Zwangsinstrumentariums des Jugendhilfeträgers schließt eine stattgebende Entscheidung im Verfahren nach § 123 VwGO daher nicht aus (vgl. Schübel-Pfister, NVwZ 2013, 385 <387 f.>).
33 
b) Dem behaupteten Anordnungsanspruch steht jedoch entgegen, dass die Kapazitäten in sämtlichen Tageseinrichtungen in Reutlingen gegenwärtig erschöpft sind. Die Kapazitätserschöpfung ergibt sich hinsichtlich der von den Eltern des Antragstellers benannten Einrichtungen aus den Vorgängen der Stadt (BAS 15) und deren Stellungnahmen im Verwaltungsverfahren. Aus dem Parallelverfahren (2 K 7488/18, Stellungnahme der dort beigeladenen Stadt Reutlingen vom 04.01.2019) ist außerdem gerichtsbekannt, dass aktuell alle Tagesbetreuungsplätze bei sämtlichen städtischen und privaten Trägern im Stadtgebiet Reutlingen vergeben sind. Können neue Kapazitäten - wovon hier auszugehen ist - nicht so kurzfristig geschaffen werden, dass dem Antragsteller umgehend ein Betreuungsplatz nachgewiesen werden kann, scheidet eine dahingehende Verpflichtung im Verfahren nach § 123 VwGO aus; sie wäre in unzulässiger Weise auf etwas Unmögliches gerichtet (vgl. VG Mainz, Beschluss vom 27.04.2018 - 1 L 279/18.MZ -, juris Rn. 6, dort als Fall fehlender Spruchreife behandelt; VG Berlin, Beschluss vom 21.02.2018 - 18 L 43.18 -, juris Rn. 13; Kaiser, in: Kun-kel/Kepert/Pattar, SGB VIII, 7. Aufl. 2018, § 24 Rn. 21; Meysen/Beckmann, Rechtsanspruch U3: Förderung in Kita und Kindertagespflege, 2013, Rn. 390 und 395).
34 
Soweit in der Rechtsprechung vertreten wird, der Anordnungsanspruch werde durch eine Erschöpfung der Betreuungsplatzkapazitäten nicht berührt, weil den Jugendhilfeträger eine Pflicht zur Kapazitätserweiterung treffe (OVG Berl.-Bbg., Beschlüsse vom 12.12.2018 - OVG 6 S 55.18 -, juris Rn. 11 und vom 22.03.2018 - OVG 6 S 2.18 -, juris Rn. 11 ff.; Sächs. OVG, Beschluss vom 07.06.2017 - 4 B 112/17 -, juris Rn. 7; anders wohl OVG NRW, Urteil vom 20.04.2016 - 12 A 1262/14 -, juris Rn. 44 a.E.), kann dem jedenfalls in dieser Pauschalität und unter Geltung baden-württembergischen Landesrechts nicht gefolgt werden. Die in den zitierten Entscheidungen enthaltene Argumentationslinie blendet aus, dass auch bei materiell-rechtlichem Fehlgehen des Unmöglichkeitseinwandes (kein Kapazitätsvorbehalt) tatsächlich fehlende Betreuungsplätze nicht ohne weiteres kurzfristig geschaffen und im Wege einstweiliger Anordnung zu-gesprochen werden können. Hinzu kommt, dass die aufgrund von § 2a Abs. 4 KiTaG erlassene KiTaVO vom 25.11.2010 (GBl. S. 1031), in deren § 1 verbindliche Vorgaben zum Mindestpersonalschlüssel für Tageseinrichtungen enthalten sind, dem Antrags-gegner bzw. den Einrichtungsträgern weder eigene Spielräume hinsichtlich der Gruppenbelegung belässt (anders wohl bei OVG Berl.-Bbg., Beschluss vom 22.03.2018, a.a.O., Rn.13), noch die vorübergehende Überbelegung von Betreuungsgruppen im Wege einer Ausnahmegenehmigung (vgl. Kaiser, a.a.O. m.w.N.) oder gar ad hoc ein-gerichtete Interimsgruppen (dazu Sächs. OVG, Beschluss vom 07.06.2017, a.a.O., Rn. 8) zulassen dürfte.
35 
Dem begehrten Nachweis eines Betreuungsplatzes in einer Tageseinrichtung steht daher mit der Kapazitätserschöpfung in sämtlichen in Frage kommenden Tageseinrichtungen gegenwärtig ein nicht ausräumbares tatsächliches Hindernis entgegen, weshalb eine entsprechende vorläufige Verpflichtung des Antragsgegners zu 2 ausscheidet. Der Antragsteller wäre in der Hauptsache auf mögliche Sekundäransprüche zu verweisen.
36 
Keiner Klärung bedarf, wie es sich mit dem aus § 24 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII folgenden Anspruch auf Nachweis einer Tagespflegestelle - auf den sich der Eilantrag nicht bezieht - verhält, insbesondere, ob auch insofern eine Kapazitätserschöpfung vorliegt. Das Gericht weist jedoch darauf hin, dass sich aus den vorliegenden Unterlagen nicht ergibt, ob insofern eine rechtzeitige Bedarfsanmeldung beim Landkreis (vgl. § 3 Abs. 2a Satz 1 KiTaG) vorgenommen worden ist.
37 
4. Soweit der Antragsteller einen Anspruch auf Erstattung der bei seiner Großmutter angefallenen Fahrtkosten bzw. auf „Freistellung“ hiervon geltend macht, ist das Bestehen eines Anordnungsgrundes nicht glaubhaft gemacht. Dass eine Vereitelung des behaupteten Ersatzanspruchs bzw. seiner Durchsetzbarkeit zu besorgen wäre und deshalb Anlass zu dessen vorläufiger Sicherung durch eine einstweilige Anordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO bestünde, ist weder vorgetragen noch ersichtlich.
38 
Der Eilantrag ist daher insgesamt abzulehnen.
39 
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 155 Abs. 1 Satz 3, Abs. 4 VwGO. Die außergerichtlichen Kosten der Antragsgegnerin zu 1 sind nach § 154 Abs. 1 VwGO dem Antragsteller aufzuerlegen, weil er mit dem gegen jene gerichteten Eilantrag unterliegt. Wegen seines Unterliegens im Verhältnis zur Antragsgegnerin zu 1 hat er auch seine eigenen außergerichtlichen Kosten hälftig zu tragen. Im Übrigen - ungeachtet des Unterliegens auch in diesem Prozessrechtsverhältnis - werden dem Antragsgegner zu 2 die Kosten auferlegt. Dabei macht das Gericht von seiner Befugnis nach § 155 Abs. 4 VwGO Gebrauch, wonach einem Beteiligten Kosten auferlegt werden können, die durch dessen Verschulden entstanden sind. Die Kostenregelung des § 155 Abs. 4 VwGO, die als Spezialnorm allen übrigen Kostenregelungen (einschließlich § 154 Abs. 1 VwGO) vorgeht, kann nicht nur die ausscheidbaren Mehrkosten für einzelne Prozesshandlungen erfassen, sondern die gesamten Prozesskosten, wenn durch ein schuldhaftes vorprozessuales Verhalten die Erhebung eines an sich vermeidbaren Rechtsschutzbegehrens verursacht wurde (vgl. Bay. VGH, Beschluss vom 26.09.2016 - 15 CE 16.1333 -, BayVBl 2017, 565; Rennert, in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 155 Rn. 10). So liegt der Fall hier. Der Antragsgegner zu 2, der seiner Pflicht zur Bereitstellung ausreichender Betreuungsplatzkapazitäten trotz rechtzeitiger Bedarfsmeldung in vorwerfbarer Weise nicht nachgekommen ist, und den insofern eine Garantiehaftung trifft, hat den Rechtsstreit schuldhaft i.S.v. § 155 Abs. 4 VwGO veranlasst. Soweit dem Antragsteller wegen der fehlenden Antizipation des negativen Prozessausgangs - der Einwand der Kapazitätserschöpfung war durch die Stadt bereits vorprozessual erhoben worden - gleichfalls ein Verschulden vorgeworfen werden könnte, fiele dieses gegenüber dem Versäumnis des Antragsgegners zu 2 nicht ins Gewicht. Der Antragsgegner zu 2 ist seiner seit 2013 bestehenden Verpflichtung - die Neufassung des § 24 Abs. 2 SGB VIII durch das KiföG ist bereits 2008 beschlossen worden - bis heute schuldhaft nicht nachgekommen. Im Hinblick auf den zweiten Streitgegenstand (Kostenersatz), bezüglich dessen den Antragsgegner zu 2 kein Verschul-den trifft, sieht das Gericht entsprechend § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO (geringfügiges Unterliegen) von einer Kostenteilung ab.
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Die Gerichtskostenfreiheit des Verfahrens folgt aus § 188 Satz 2 Halbs. 1 VwGO.

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