Beschluss vom Verwaltungsgericht Sigmaringen - A 2 K 7437/18

Tenor

Das Bundesverwaltungsgericht wird zur Bestimmung des örtlich zuständigen Verwaltungsgerichts angerufen.

Das Verfahren wird bis zur Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts über die örtliche Zuständigkeit ausgesetzt.

Gründe

 
I.
Die Kläger begehren die Übernahme von Asylverfahren zur Familienzusammenführung nach der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 – Dublin III-VO.
Die klägerische Familie stammt aus Syrien. Dem in M., A.-D.-K., wohnhaften Kläger zu 7 wurde in Deutschland bereits 2016 die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Seine Ehefrau, die Klägerin zu 1, und die gemeinsamen Kinder betreiben seit September 2017 in Griechenland Asylverfahren. Ein die Kläger zu 1 bis 6 betreffendes Aufnahmegesuch der griechischen Asylbehörde (Art. 9 Dublin III-VO) lehnte die Beklagte im Juni 2018 unter Verweis auf die versäumte Dreimonatsfrist nach Art. 21 Abs. 1 Dublin III-VO ab. Eine hiernach angetragene Übernahme im Ermessenswege (Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO, humanitäre Klausel) wurde im Juli 2018 ebenfalls abgelehnt. Am 28.09.2018 beantragte die Familie beim Verwaltungsgericht Sigmaringen den Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Sicherung ihres Übernahmeanspruchs (A 2 K 5547/18). Mit in diesem Verfahren ergangenem Eilbeschluss vom 02.11.2018 wurde der Beklagten aufgegeben, die griechische Asylbehörde darum zu ersuchen, dass über die Asylanträge der Kläger zu 1 bis 6 vor einer unanfechtbaren Entscheidung über noch zu erhebende, auf die Verfahrensübernahme gerichtete Hauptsacheklagen nicht entschieden wird. Einen am 01.12.2018 gestellten Abänderungsantrag der Beklagten lehnte das Gericht mit Beschluss vom 18.02.2019 ab (A 2 K 7416/18).
Bereits am 03.12.2018 haben die Kläger die vorliegenden Klagen erhoben, mit denen sie die Verurteilung der Beklagten zur Annahme des Aufnahmegesuchs der griechischen Asylbehörde anstreben. Zur örtlichen Zuständigkeit wird unter Verweis auf (nicht veröffentlichte) Rechtsprechung des VG Münster ausgeführt, es handele sich um eine Streitigkeit nach dem Asylgesetz i.S.v. § 52 Nr. 2 Satz 3 VwGO. Nach § 52 Nr. 2 Satz 3 Halbs. 2, Nr. 3 Satz 2 VwGO sei eine örtliche Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts Sigmaringen gegeben.
Die Beklagte ist den Klagen entgegengetreten. Sie ist der Auffassung, es bestehe wegen des Behördensitzes in Nürnberg und mangels Aufenthaltsverpflichtung der Kläger zu 1 bis 6 (§ 52 Nr. 2 Satz 3 Halbs. 1 VwGO) eine örtliche Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts Ansbach gemäß § 52 Nr. 5 VwGO. Die Klage des Klägers zu 7, der durch die Ablehnung des Aufnahmegesuchs nicht in eigenen Rechten verletzt sei, erweise sich als offensichtlich unzulässig.
Das Gericht hat die Beteiligten mit Schreiben vom 19.02.2019 darauf hingewiesen, dass für die Klagen der Kläger zu 1 bis 6 eine örtliche Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts Ansbach nach § 52 Nr. 2 Satz 3 Halbs. 2, Nr. 3 Satz 3, Nr. 5 VwGO, für diejenige des Klägers zu 7 eine örtliche Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts Sigmaringen nach § 52 Nr. 2 Satz 3 Halbs. 2, Nr. 3 Satz 2 VwGO bestehen dürfte. Die Beteiligten erhielten Gelegenheit, zur Anrufung des Bundesverwaltungsgerichts gemäß § 53 VwGO Stellung zu nehmen. Die Kläger haben sich am 01.03.2019 hierzu geäußert. Sie führen im Wesentlichen aus, das Gericht habe seine umfassende örtliche Zuständigkeit bereits mit Bindungswirkung für das Hauptsacheverfahren bejaht, indem es über das sachgleiche Eilverfahren entschieden habe.
II.
I. Das Gericht macht von der nach § 53 Abs. 3 Satz 1 VwGO eröffneten Möglichkeit Gebrauch, das Bundesverwaltungsgericht zur Bestimmung des örtlich zuständigen Verwaltungsgerichts anzurufen.
Die Voraussetzungen einer Zuständigkeitsbestimmung durch das Bundesverwaltungsgericht gemäß § 53 Abs. 1 Nr. 3 VwGO liegen vor; der Gerichtsstand für den Rechtsstreit richtet sich nach § 52 VwGO und es kommen verschiedene Gerichte in Betracht. Für die Klagen der Kläger zu 1 bis 6 besteht eine örtliche Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts Ansbach (dazu nachfolgend 1.), für die Klage des Klägers zu 7 ist das anrufende Gericht örtlich zuständig (2.). Es handelt sich um einen Fall (zumindest naheliegender) notwendiger Streitgenossenschaft, weshalb eine Zuständigkeitsbestimmung erforderlich ist (3.).
1. Hinsichtlich der Kläger zu 1 bis 6, die keinen Aufenthalt im Bundesgebiet haben, besteht eine örtliche Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts Ansbach gemäß § 52 Nr. 2 Satz 3 Halbs. 2, Nr. 3 Satz 3, Nr. 5 VwGO.
a) Es handelt sich vorliegend um eine Streitigkeit „nach dem Asylgesetz“, die der Zuständigkeitsregelung des § 52 Nr. 2 Satz 3 VwGO unterfällt. Die Kläger stützen den geltend gemachten Anspruch auf Übernahme ihrer Asylverfahren zwar nicht auf Vorschriften dieses Gesetzes, sondern auf Bestimmungen der Dublin III-VO. Auch ist der Anwendungsbereich des Asylgesetzes nicht unmittelbar eröffnet, weil die Kläger zu 1 bis 6 (noch) keinen Antrag auf internationalen Schutz in der Bundesrepublik gestellt haben (§ 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG). Sinn und Zweck des § 52 Nr. 2 Satz 3 VwGO gebieten jedoch ein weites Normverständnis. Die Zuständigkeitsregelung soll zum einen der Dezentralisierung asylrechtlicher Streitigkeiten dienen und zum anderen divergierende Zuständigkeiten für inhaltlich zusammengehörende Maßnahmen vermeiden (vgl. bereits zur Vorgängerregelung des § 52 Nr. 2 Satz 3 VwGO in der Fassung des Gesetzes über das Asylverfahren vom 16.07.1982, BGBl. I S. 946 <953>: BVerwG, Beschluss vom 27.06.1984 - 9 A 1.84 -, Buchholz 310 § 50 VwGO Nr. 11; BT-Drs. 9/875 S. 27; Kraft, in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 52 Rn. 18). Erfasst sind daher alle Streitigkeiten, die den Zugang zum Asylverfahren, seine Durchführung und seine Rechtsfolgen betreffen und nach den Regeln des Asylgesetzes entschieden werden sollen (vgl. Bergmann, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 12. Aufl. 2018, § 74 AsylG Rn. 11 m.w.N.).
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Die vorliegende Klage ist auf die Annahme eines Aufnahmegesuchs der griechischen Asylbehörde durch die Beklagte bzw. auf die Erklärung eines Selbsteintritts (Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO) gerichtet; sie hat damit den Zugang zu einem Asylverfahren in Deutschland zum Gegenstand, das seinerseits den Regelungen des Asylgesetzes unterliegt. Der gesetzgeberischen Zielsetzung, Asylstreitigkeiten zu dezentralisieren und nicht mehrere Gerichtsstände für verschiedene Verfahrensabschnitte zu begründen, entspricht es, bereits die nach dem Regime der Dublin III-VO zu beantwortende Frage des Zugangs zum nationalen Asylverfahren als asylrechtliche Streitigkeit zu behandeln. Es fehlt auch nicht an einem dem Wortlaut des § 52 Nr. 2 Satz 3 VwGO nach zu fordernden Zusammenhang zur Regelungsmaterie des Asylgesetzes. Denn das Asylgesetz weist nicht nur hinsichtlich der Behandlung in der Bundesrepublik gestellter Anträge auf internationalen Schutz enge Verknüpfungen mit den Zuständigkeitsregelungen der Dublin III-VO auf, indem es etwa in § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AsylG bestimmt, dass ein Asylantrag bei Zuständigkeit eines anderen Dublin-Staats unzulässig ist; mit § 88 Abs. 1 Nr. 2 AsylG (Verordnungsermächtigung betreffend Entscheidungen über Aufnahmegesuche anderer Staaten) greift es außerdem über die Regelung des im Bundesgebiet geführten Asylverfahrens hinaus und schafft selbst die Grundlagen für Zuständigkeiten des Bundesamts im Dublin-Verfahren (vgl. VG Freiburg, Beschluss vom 08.05.2018 - A 4 K 11125/17 -, juris Rn. 8). Diese Erwägungen belegen, dass auch der Streit um die Übernahme des in einem anderen Dublin-Staat betriebenen Asylverfahrens als Streitigkeit nach dem Asylgesetz i.S.v. § 52 Nr. 2 Satz 3 VwGO zu qualifizieren ist.
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b) Nachdem für die Kläger zu 1 bis 6 eine Zuständigkeit nach § 52 Nr. 2 Satz 3 Halbs. 1 VwGO wegen fehlender Aufenthaltsverpflichtung nicht gegeben ist, bestimmt sich die örtliche Zuständigkeit gemäß § 52 Nr. 2 Satz 3 Halbs. 2 VwGO nach § 52 Nr. 3 VwGO. Dem steht nicht entgegen, dass es sich mangels Verwaltungsaktqualität der erstrebten zwischenstaatlichen Erklärungen nicht um eine Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage (§ 52 Nr. 3 Sätze 1 und 5 VwGO), sondern um ein im Wege der allgemeinen Leistungsklage zu verfolgendes Begehren handeln dürfte. Denn § 52 Nr. 2 Satz 3 VwGO enthält eine Spezialregelung für asylrechtliche Streitigkeiten, die sämtliche Klagearten umfasst (BVerwG, Beschluss vom 27.06.1984, a.a.O.). Halbsatz 2 dieser Vorschrift ist als Rechtsfolgenverweisung zu verstehen, weshalb in solchen Streitigkeiten auch die in Bezug genommenen Regelungen des § 52 Nr. 3 VwGO ungeachtet der Klageart Anwendung finden (ebenso im Ergebnis VG München, Beschluss vom 09.05.2012 - M 22 K 12.30228 -, juris Rn. 14; Ziekow, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 52 Rn. 21; wohl auch Funke-Kaiser, in: GK-AsylG, Stand 11/2014, § 74 Rn. 65). Für eine unterschiedliche inhaltliche Reichweite der Regelungen in den beiden Halbsätzen findet sich im Wortlaut des § 52 Nr. 2 Satz 3 VwGO kein Anhaltspunkt. Die innere Systematik der Zuständigkeitsnorm (zusammenhängende Regelung für Asylstreitigkeiten) und der oben beschriebene Regelungszweck streiten für ein Verständnis als Rechtsfolgenverweisung. Mit der gesetzgeberischen Intention einer Dezentralisierung, d.h. einer Verteilung von Asylprozessen auf die nach dem Aufenthalt der Asylbewerber zuständigen Gerichte, ließe es sich schwerlich in Einklang bringen, wenn in den Fällen eines klageartbedingten Leerlaufens der Verweisung nicht der Sitz des Beschwerten (§ 52 Nr. 3 Satz 2 VwGO), sondern stets derjenige der Beklagten (§ 52 Nr. 5 VwGO) zuständigkeitsbegründend wäre.
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c) Da ein Wohnsitz der Kläger zu 1 bis 6 im Bundesgebiet (§ 52 Nr. 3 Satz 2 VwGO) nicht besteht, bestimmt sich die Zuständigkeit hier gemäß § 52 Nr. 3 Satz 3 VwGO nach § 52 Nr. 5 VwGO. Der danach maßgebliche Beklagtensitz (Sitz des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge in Nürnberg) liegt im Bezirk des Verwaltungsgerichts Ans- bach.
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Für die Klagen der Kläger zu 1 bis 6 ist daher das Verwaltungsgericht Ansbach örtlich zuständig.
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d) Fehl geht demgegenüber die Argumentation der Kläger, das anrufende Gericht sei wegen der im Eilverfahren getroffene Sachentscheidung für die Klagen insgesamt örtlich zuständig. Eine gemäß § 83 Satz 1 VwGO i.V.m. § 17a Abs. 3 Satz 1 GVG bindende Entscheidung zur örtlichen Zuständigkeit für das Klageverfahren liegt nicht vor. Die im Eilverfahren getroffene Entscheidung, die einen selbstständigen Ausspruch zur örtlichen Zuständigkeit des angegangenen Gerichts entsprechend § 17a Abs. 3 Satz 1 GVG nicht enthält, vermag eine solche Bindungswirkung nicht zu entfalten. Selbst die - hier nicht eingetretene - Bindungswirkung einer förmlichen Feststellung der eigenen örtlichen Zuständigkeit im Eilverfahren oder einer Verweisung des Eilverfahrens wegen örtlicher Unzuständigkeit erstreckt sich nicht auf das sachgleiche Hauptsacheverfahren (vgl. BVerwG, Urteil vom 06.07.2005 - 3 B 77.05 -, Buchholz 300 § 17a GVG Nr. 24 = juris Rn. 4; Rennert, in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 41 Rn. 21; Ehlers, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand 09/2018, Vorb. zu § 17 GVG Rn. 21 m.w.N.).
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2. Für die Klage des Klägers zu 7 besteht hingegen eine örtliche Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts Sigmaringen nach § 52 Nr. 2 Satz 3 Halbs. 2, Nr. 3 Satz 2 VwGO. Eine Aufenthaltsverpflichtung besteht für ihn als anerkannten Flüchtling nicht, weshalb sich die örtliche Zuständigkeit auch in seinem Fall nach § 52 Nr. 3 VwGO richtet. Nach § 52 Nr. 3 Satz 2 VwGO (Wohnsitz des Klägers zu 7 als Beschwertem) ist für seine Klage das Verwaltungsgericht Sigmaringen örtlich zuständig. Auf das zwischen den Beteiligten umstrittene Vorliegen einer Klagebefugnis kommt es für die Bestimmung des örtlich zuständigen Gerichts nicht an.
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Für die Kläger zu 1 bis 6 einerseits und den Kläger zu 7 andererseits bestehen danach divergierende örtliche Gerichtszuständigkeiten.
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3. Es liegt auch ein Fall des § 53 Abs. 1 Nr. 3 VwGO vor. Bei Klagen notwendiger Streitgenossen (§ 64 VwGO, § 62 Abs. 1 ZPO) mit unterschiedlichen Gerichtsständen kommen verschiedene Gerichte in Betracht und ist ein gemeinsames Verwaltungsgericht zu bestimmen (BVerwG, Beschlüsse vom 10.04.2018 - 6 AV 1.18 -, juris Rn. 7, vom 12.10.2010 - 2 AV 1.10 -, juris, vom 17.07.2002 - 6 AV 1.02 -, Buchholz 310 § 53 VwGO Nr. 29, vom 22.11.1999 - 11 AV 2.99 -, NVwZ-RR 2000, 261, vom 07.05.1996 - 2 AV 1.95 -, juris, und vom 14.05.1992 - 4 ER 403.91 -, Buchholz 310 § 53 VwGO Nr. 18). Nach den zitierten Entscheidungen muss im Verfahren nach § 53 VwGO nicht feststehen, dass eine notwendige Streitgenossenschaft vorliegt. Es genügt vielmehr, dass ihre Annahme nicht fernliegt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 14.05.1992, a.a.O.). Diese Voraussetzung ist hier erfüllt. Es liegt nahe, dass eine Verpflichtung der Beklagten zur Übernahme der Asylverfahren der klägerischen Familie gegenüber nur einheitlich festgestellt werden kann (§ 62 Abs. 1 ZPO).
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Zur Entscheidung nach § 53 VwGO ist das Bundesverwaltungsgericht als nächsthöheres gemeinschaftlich übergeordnetes Gericht berufen, weil Gerichtsstände in verschiedenen Bundesländern bestehen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 14.05.1992, a.a.O.).
19 
II. Aufgrund der bislang ungeklärten örtlichen Gerichtszuständigkeit entspricht es pflichtgemäßem Ermessen, das Verfahren bis zur Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts über den Antrag auf Zuständigkeitsbestimmung entsprechend § 94 VwGO auszusetzen.
20 
Der Beschluss ist unanfechtbar. Dies folgt aus § 80 AsylG, wonach Entscheidungen in Rechtsstreitigkeiten nach dem Asylgesetz vorbehaltlich des § 133 Abs. 1 VwGO nicht mit der Beschwerde angefochten werden können. Nach den vorangegangenen Ausführungen handelt es sich vorliegend um eine Streitigkeit nach dem Asylgesetz. Die auf § 52 Nr. 2 Satz 3 VwGO bezogene Bewertung ist auf die im Asylgesetz selbst enthaltene, wortlautidentische Regelung des § 80 zu übertragen.

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