Urteil vom Verwaltungsgericht Stade (1. Kammer) - 1 A 1350/08

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.

Dem Kläger wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der festzusetzenden Kosten abzuwenden, soweit nicht der Beklagte zuvor Sicherheit in entsprechender Höhe leistet.

Tatbestand

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Der Kläger wendet sich gegen die Anordnung zum Führen eines Fahrtenbuches für die Dauer von zwölf Monaten.

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Der Kläger ist Halter des PKW ... mit dem amtlichen Kennzeichen .... Mit diesem Fahrzeug wurde am 23. Januar 2008 um 8.25 Uhr ... auf der ... die zulässige Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften von 50 km/h um mindestens 33 km/h überschritten.

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Unter dem 30. Januar 2008 übersandte der Beklagte dem Kläger einen Anhörungsbogen wegen der Ordnungswidrigkeit. In dieses Schreiben war ein Foto eingedruckt, das dass Fahrzeug des Klägers von der Heckseite her abbildet. Eine Rücksendung des Anhörungsbogens erfolgte nicht, jedoch beantragte die Prozessbevollmächtigte des Klägers mit Schreiben vom 12. Februar 2008 die Übersendung der Verwaltungsvorgänge. Ohne eine Stellungnahme abzugeben, wurden diese nach Akteneinsicht zurückgesandt.

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Mit Verfügung vom 2. April 2008, die der Prozessbevollmächtigten des Klägers übersandt wurde, wurde das Ordnungswidrigkeitenverfahren eingestellt, weil der Fahrer nicht festgestellt werden konnte.

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Mit Schreiben vom 12. Juni 2008 hörte der Beklagte den Kläger zu der Absicht an, ihm aufzugeben, ein Fahrtenbuch zu führen. Die Prozessbevollmächtigte des Klägers erklärte daraufhin mit Schreiben vom 3. Juli 2008 die Feststellungen des verantwortlichen Fahrzeugführers seien nicht im Sinne des § 31a StVZO unmöglich gewesen. Vielmehr könne der Kläger keine Angaben zum möglichen Fahrzeugführer machen, weil dieser auf dem Foto nicht erkennbar sei.

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Mit Bescheid vom 14. Juli 2008 ordnete der Beklagte gegenüber dem Kläger die Führung eines Fahrtenbuches für die Dauer von zwölf Monaten an.

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Der Kläger hat durch Schreiben seiner Prozessbevollmächtigten vom 18. August 2008 Klage erhoben. Der Kläger habe nach Erhalt des Anhörungsbogens nicht feststellen können, ob es sich tatsächlich um sein Fahrzeug handelt oder ob sich im Fahrzeug überhaupt eine Person befunden habe. Das Fahrzeug werde auf dem Foto unerkennbar dargestellt. Weder Kennzeichen noch Fahrer seien zu identifizieren. Dem Kläger sei erst nach der Akteneinsichtnahme erkennbar geworden, dass es sich um sein Kraftfahrzeug gehandelt habe. Der Beklagte habe nicht mit der erforderlichen Sorgfalt versucht, den Fahrer festzustellen. Schon die Fertigung des Fahrerfotos sei unsorgfältig. Eine sachgemäße Befragung habe nicht stattgefunden und war auch nicht unverzüglich. Die Befragung des Klägers hätte als Zeuge stattfinden müssen. Dass die Beklagte sich nicht hinreichend bemüht habe, werde auch daran deutlich, dass das Verfahren bereits vor Ablauf der dreimonatigen Verjährungsfrist eingestellt worden sei. Dem Halter sei im Übrigen ab etwa einer Woche nicht mehr zuzumuten, sich daran zu erinnern, wem er ein Fahrzeug zur Verfügung gestellt hat. Der Kläger habe sich nach allem nicht geweigert, an der Fahrerfeststellung mitzuwirken, vielmehr sei dies aufgrund der schlechten Bildqualität gar nicht möglich gewesen. Der Kläger habe auch hinreichend auf den Anhörungsbogen reagiert, indem er seine Prozessbevollmächtigte mit der Verteidigung beauftragt habe. Eine Äußerung müsse betroffener machen, wenn nicht offenkundig sei, dass es sich um sein Fahrzeug gehandelt hat. Erst nach sechs Wochen, nämlich nach Akteneinsicht, habe er insoweit Kenntnis erlangt.

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Der Kläger beantragt,

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den Bescheid des Beklagten vom 14. Juli 2008 aufzuheben.

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Der Beklagte beantragt,

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Die Klage abzuweisen.

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Er verteidigt den ergangenen Bescheid. Das Ordnungswidrigkeitenverfahren sei zu Recht eingestellt worden, weil nicht mehr ersichtlich war, welche Ermittlungen noch durchgeführt werden konnte, nachdem der Kläger keinen konkreten Personenkreis benannt hat, wer möglicherweise das Fahrzeug geführt haben konnte. Alle weiteren Ermittlungen wären insoweit sinnlos gewesen.

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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Streitakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage hat keinen Erfolg. Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger daher nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Der Beklagte hat zum maßgebenden Zeitpunkt des Erlasses der Verfügung vom 14. Juli 2008 zu Recht angeordnet, dass der Kläger für seinen PKW mit dem amtlichen Kennzeichen ... und für jedes an dessen Stelle für ihn zugelassene Fahrzeug für die Dauer von zwölf Monaten ein Fahrtenbuch zu führen hat.

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Rechtsgrundlage der angefochtenen Fahrtenbuchanordnung ist § 31a der Straßenverkehrszulassungsordnung, StVZO. Danach kann die Verwaltungsbehörde gegenüber einem Fahrzeughalter für ein oder mehrere auf ihn zugelassene oder künftig zuzulassende Fahrzeuge die Führung eines Fahrtenbuches anordnen, wenn die Feststellung eines Fahrzeugführers nach einer Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften nicht möglich war. Die Voraussetzungen sind hier erfüllt.

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Mit dem Fahrzeug des Klägers wurde am 23. Januar 2008 um 8.25 Uhr, durch überschreiten der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h innerhalb geschlossener Ortschaften um 33 km/h gegen Verkehrsvorschriften nach §§ 3 Abs. 3, 49 StVO und § 24 StVG erheblich verstoßen.

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Die Feststellung des Fahrzeugführers war im Sinne des § 31a StVZO nicht möglich. Die in § 31a StVZO geforderte Unmöglichkeit der Feststellung des Fahrzeugführers liegt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und Oberverwaltungsgerichts Lüneburg sowie des Verwaltungsgerichts Stade vor, wenn die Behörde nach den Umständen des Einzelfalles nicht in der Lage ist, den Täter zu ermitteln, obwohl sie alle angemessenen unzumutbaren Maßnahmen ergriffen hat (vgl. VG Stade, zuletzt Urteil vom 8. Dezember 2008 – 1 A 84/08 – m.w.Nw.). Dabei entspricht es ständiger Rechtsprechung dass dann, wenn der Halter die Mitwirkung bei der Ermittlung des Fahrers verweigert, weitergehende Nachforschungen in der Regel nicht zumutbar sind (vgl. etwa OVG Lüneburg, Beschluss vom 2. März 2000 – 12 M 756/00 –, zitiert nach Juris). An einer solchen hinreichenden Mitwirkung fehlt es bereits dann, wenn der Halter des Fahrzeuges den Anhörungsbogen nicht zurücksendet (OVG Lüneburg, Beschluss vom 15. Oktober 2003 – 12 LA 416/03 –, zitiert nach Juris) oder wenn er keine Angaben zur Sache macht (OVG Lüneburg, Beschluss vom 11. Mai 1999 – 12 L 2087/99 –, OVG Lüneburg, Beschluss vom 2. März 2000 – 12 M 756/00 – und OVG Lüneburg, Beschluss vom 15. Oktober 2003 – 12 LA 416/03 –, alle zitiert nach Juris). Im vorliegenden Fall war die Ermittlung des Fahrers nicht möglich, weil zum einen das Fahrzeug nur von der Heckseite fotografiert worden war, so dass ein Fotoabgleich des Fahrers mit den Personalausweisdaten oder durch Vernehmung von Nachbarn, wie es sonst üblich ist, nicht möglich war. Im Hinblick darauf, dass der Kläger selbst der Ermittlung des verantwortlichen Fahrzeugführers nicht mitgewirkt hat, weil er sich zur Sache gar nicht geäußert hatte, war für den Beklagten keine noch eine einigermaßen Erfolg versprechende Möglichkeit gegeben, die Person des Fahrzeugführers zu ermitteln. Es war daher auch nichts dagegen einzuwenden, dass der Beklagte das Verfahren bereits vor Eintritt der Verjährungsfrist eingestellt hat. Vielmehr musste der Beklagte aufgrund der zu diesem Zeitpunkt bestehenden Sachlage davon ausgehen, dass sich auch bis zum Ablauf der Verjährungsfrist keine Möglichkeit eröffnen würde, die Fahreridentifizierung vorzunehmen.

18

Die Unmöglichkeit der Feststellung des Fahrzeugführers war im vorliegenden Fall überwiegend auf das Verhalten des Klägers als Fahrzeughalter zurückzuführen. Dieser hat den Anhörungsbogen nicht zurückgesandt, hat zunächst auch keine Anmerkungen dazu gemacht, dass er daran zweifele, ob es sich tatsächlich um sein Fahrzeug handele noch sonstige Angaben dazu gemacht, weshalb sein Fahrzeug möglicherweise von verschiedenen Personen geführt werden konnte und weshalb er zu dem Personenkreis Angaben nicht machen könne. Er hat vielmehr lediglich über seine Prozessbevollmächtigte um Akteneinsicht gebeten. Auch nach Einsichtnahme in die Akten, die am 13. März wieder an den Beklagten zurückgesandt wurden, wurde bis zum 2. April 2008 keine Stellungnahme zu dem Vorfall abgegeben.

19

Die sodann im Rahmen der Anhörung zur beabsichtigten Anordnung eines Fahrtenbuches vorgebrachten Argumente konnten den Beklagten nicht von dem Erlass eines Fahrtenbuches abhalten. Vielmehr machen diese Äußerungen deutlich, dass der Kläger nicht bereit war, an der Feststellung der Identität des Fahrzeugführers mitzuwirken. Zu Recht stellt der Kläger dar, dass das gefertigte Foto zur Identifizierung des Fahrers nicht geeignet ist. Das ist bei Vorliegen eines Heckfotos selbstverständlich, ändert aber nichts daran, dass das Fahrzeug selbst eindeutig identifiziert werden konnte. Genau aus diesem Grunde war der Kläger als Halter gebeten worden anzugeben, wer sein Fahrzeug an dem Tag des Begehens der Ordnungswidrigkeit geführt hat. Wenn er sodann darstellt, dass er sich zu diesem Zeitpunkt auf seiner Arbeitsstelle in ... aufgehalten habe und deshalb mangels Erkennbarkeit des Fahrzeugführers keine Angaben machen könne, wer das Fahrzeug zum fraglichen Zeitpunkt geführt hat, ist dies ebenfalls offenkundig Ausdruck mangelnder Mitwirkungsbereitschaft. Selbstverständlich ist der Kläger als Halter eines Fahrzeuges regelmäßig in der Lage, Aussagen darüber zu machen, wem der Fahrzeugschlüssel und Fahrzeugpapiere zugänglich sind, selbst oder gerade wenn er sich tatsächlich für längere Zeit von seinem Wohnort entfernt. Wenn der Kläger die fehlende Möglichkeit zur Feststellung im Wesentlichen auf die schlechte Bildqualität zurückführt, ist auch dies Ausdruck fehlender Mitwirkungsbereitschaft. Bei einem Heckfoto beruht die fehlende Möglichkeit der Fahrerfeststellung nie auf der mangelnden Qualität. Dies ändert aber nichts an dessen Verwertbarkeit, die dazu führt, den Fahrer mit Hilfe des Halters zu ermitteln. Gerade in diesen Fällen ist das Mitwirken des Halters in besonderer Weise gefragt. Anderenfalls könnten zum Beispiel Zweiradfahrer nie erfasst werden. In dem Unterlassen einer Angabe zum Personenkreis der Fahrzeugbenutzer durch den Halter liegt zugleich die Erklärung, sich zur Sache nicht äußern zu wollen. In diesen Fällen kann die Behörde ohne weiteres davon ausgehen, dass der Fahrzeughalter nicht bereit ist, an der Aufklärung mitzuwirken.

20

Nach allem war danach von der Unmöglichkeit der Fahrzeugführerfeststellung auszugehen.

21

Die angeordnete Führung eines Fahrtenbuches für die Dauer von zwölf Monaten ist auch unter dem Gesichtspunkt des der Verwaltungsbehörde im Rahmen des § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO eingeräumten Ermessens nicht zu beanstanden. Der Beklagte hat sein Ermessen vielmehr entsprechend dem Zweck der Ermächtigung ausgeübt und die gesetzlichen Ermessensgrenzen eingehalten.

22

Nach dem Zweck des § 31a StVZO sollen insbesondere Fahrer erfasst werden, die Leben, Gesundheit und Eigentum anderer Verkehrsteilnehmer gefährden (Hentschel-Dauer, Straßenverkehrsrecht, § 31a StVZO Rdnr. 2). Die Vorschrift des § 31a StVZO soll dabei helfen, dass in Zukunft der Täter einer Verkehrsordnungswidrigkeit im Hinblick auf die kurze Verjährung rechtzeitig ermittelt werden kann; die Besorgnis künftiger Verstöße durch den Halter selbst ist nicht Voraussetzung. Im Hinblick auf den Gesetzeszweck rechtfertigt nur ein Verkehrsverstoß von einigem Gewicht die Verhängung einer Fahrtenbuchauflage. Wird nur ein einmaliger, unwesentlicher Verstoß festgestellt, der sich weder verkehrsgefährdend auswirken kann noch Rückschlüsse auf die charakterliche Unzuverlässigkeit des Kraftfahrers zulässt, ist die Fahrtenbuchauflage unverhältnismäßig (BVerwG, Beschluss vom 9. September 1999 – 3 B 94/99 –, zitiert nach Juris). Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Wesentlichkeit des Verstoßes nicht davon abhängt, ob er zu einer konkreten Gefährdung anderer Verkehrsteilnahmeer geführt hat (BVerwG, Urteil vom 17. Mai 1995 – 11 C 12/94 –, OVG Lüneburg, Beschluss vom 15. Oktober 2003 – 12 LA 416/03 –). Nach diesen Maßstäben erweist sich der Vorfall am 23. Januar 2008 als eine Verkehrsgefährdung von einigem Gewicht, so dass der Beklagte hieran zu Recht die Fahrtenbuchauflage geknüpft hat. Die Rechtsprechung geht regelmäßig bereits dann von einer Verhältnismäßigkeit der Fahrtenbuchauflage aus, wenn die Entscheidung über die Ordnungswidrigkeit ins Verkehrszentralregister einzutragen und daher mit wenigstens einem Punkt nach dem Punktesystem zu bewerten wäre (BVerwG, Beschluss vom 9. September 1999 – 3 B 94/99 – und OVG Lüneburg, Beschluss vom 15. Oktober 2003 – 12 LA 416/03 –). Im vorliegenden Fall wäre die Geschwindigkeitsüberschreitung vom 23. Januar 2008 mit 3 Punkten (vgl. 5.4 der Anlage 13 zur FeV) einzutragen gewesen, so dass an der Verhältnismäßigkeit der Auflage keinerlei Zweifel besteht.

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Dies gilt auch hinsichtlich der Dauer der Auflage, weil die Rechtsprechung bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung von 31 km/h bereits die Verhängung einer Auflage von einem Jahr als nicht übermäßig angesehen hat (vgl. VGH Mannheim, Beschluss vom 1. Oktober 1992 – 10 S 2173/92 –, Hentschel-Dauer, § 31a StVZO Rdnr. 8 m.w.Nw., wonach bei Geschwindigkeitsüberschreitungen von mehr als 20 km/h die Auflage für ein Jahr nicht übermäßig sei).

24

Andere Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Fahrtenbuchauflage sind nicht ersichtlich, so dass die Klage insgesamt abzuweisen war. Die Entscheidung über die Kosten ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

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Gründe für eine Zulassung der Berufung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3, 4 i.V.m. § 124a Abs. 1 Satz 1 VwGO) liegen nicht vor.

 


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