Beschluss vom Verwaltungsgericht Stuttgart - 6 K 4778/03

Tenor

Auf die Erinnerung der Beigeladenen (Erinnerungsführerin) wird der Kostenfestsetzungsbeschluss des Urkundsbeamten vom 29. Juli 2004 aufgehoben, soweit darin keine volle Verhandlungsgebühr nach § 31 Abs. 1 Nr. 2 BRAGO berücksichtigt wird. Die Festsetzung der Verhandlungsgebühr wird dem Urkundsbeamten übertragen.

Der Kläger (Erinnerungsgegner) trägt die Kosten des Erinnerungsverfahrens.

Gründe

 
Die Erinnerung ist nach §§ 165, 151 VwGO zulässig; sie ist auch begründet. Dem Prozessbevollmächtigten der Beigeladenen steht die volle Verhandlungsgebühr zu (entsprechend § 31 Abs. 1 Nr. 2 BRAGO, vgl. hierzu die Übergangsvorschrift des § 61 RVG).
Durch das seit 27.07.2004 rechtskräftige Urteil des beschließenden Kammervorsitzenden vom 08.06.2004 wurden dem Kläger die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen auferlegt. § 162 VwGO bestimmt, welche Kosten erstattungsfähig sind. Im vorliegenden Fall ist § 162 Abs. 1 VwGO einschlägig. Danach sind Kosten die Gerichtskosten und die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten einschließlich der Kosten des Vorverfahrens. § 162 Abs. 2 Satz 1 VwGO ist hingegen nicht anwendbar, da diese Vorschrift die Erstattungsfähigkeit der Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts oder eines Angehörigen einer in der Vorschrift genannten anderen Berufsgruppe regelt, zu der Prof. Dr. ..., der die Beigeladene in der mündlichen Verhandlung vertreten hat, nicht gehört. Er ist vielmehr Professor an der Fachhochschule ... - Hochschule für öffentliche Verwaltung und Finanzen -, wo er u.a. im öffentlichen Baurecht tätig ist. Die Bedeutung des § 162 Abs. 2 Satz 1 VwGO erschöpft sich aber darin, dass diese Vorschrift für einen dort genannten Bevollmächtigten die Prüfung, ob seine Beauftragung zweckentsprechend war und ob die Aufwendungen für die Vertretung dem Umfang nach notwendig waren, entbehrlich macht. Nur in dieser Hinsicht, nicht aber bezüglich der grundsätzlichen Erstattungsfähigkeit der Aufwendungen für Bevollmächtigte stellt sich § 162 Abs. 2 Satz 1 VwGO als Ausnahmevorschrift zu § 162 Abs. 1 VwGO dar. Die Auslegungsregel, dass Ausnahmevorschriften grundsätzlich nicht erweiterungsfähig sind, hindert folglich nicht die Annahme, auch die an einem nicht in § 162 Abs. 2 Satz 1 VwGO erfassten Bevollmächtigten zu leistende Vergütung sei dem Grunde nach erstattungsfähig, wenn seine Beauftragung zweckentsprechend war (so zutreffend Bayerischer VGH, Beschluss vom 24.10.1991, NJW 1992, 853).
Die Rechtsverteidigung der Beigeladenen war auch zweckentsprechend im Sinne von § 162 Abs. 1 VwGO, da es bei der vorliegenden Baunachbarklage um nicht einfach zu beantwortende Fragen aus dem Bauplanungs- und Bauordnungsrecht ging und Prof. Dr. ... gerade auch im öffentlichen Baurecht ein Fachmann ist.
Die mit dem Auftrag an Prof. Dr. ... verbundenen Aufwendungen der Beigeladenen waren auch dem Umfang nach notwendig im Sinne von § 162 Abs. 1 VwGO. Für die Beigeladene wurde vorgetragen, sie sei damit einverstanden gewesen, dass Prof. Dr. ... den Verhandlungstermin am 08.06.2004 wahrnahm und dass die Rechtsanwaltskanzlei, für die er in Untervollmacht tätig war, ihr Mandat nach der BRAGO abrechnete. Das Gericht hat keine Zweifel an der Richtigkeit dieses Vorbringens. Es hält es für rechtlich geboten, dass der geltend gemachte Erstattungsanspruch der Beigeladenen gegen den Kläger nach den Gebühren (und Auslagen) berechnet wird, die einem Rechtsanwalt zustehen, auch wenn die BRAGO für Prof. Dr. ... unstreitig nicht unmittelbar anzuwenden ist (vgl. § 4 BRAGO und nunmehr auch § 5 RVG). § 67 Abs. 1 Satz 1 VwGO hält Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule im Sinne des Hochschulrahmengesetzes (wozu auch Fachhochschulprofessoren gehören) für gleich geeignet wie einen Rechtsanwalt, Beteiligte vor dem Bundesverwaltungsgericht und dem Oberverwaltungsgericht zu vertreten. Es sind keinerlei Gründe dafür ersichtlich, dass dies für eine Vertretung beim Verwaltungsgericht nicht gelten sollte, auch wenn es beim Verwaltungsgericht keinen Vertretungszwang gibt. Ein Rechtslehrer im Sinne von § 67 Abs. 1 Satz 1 VwGO, dessen Tätigkeit - wie im vorliegenden Fall - der Tätigkeit eines Rechtsanwalts gleichwertig ist, muss dann aber auch Anspruch auf gleich hohe Gebühren wie ein Rechtsanwalt haben. Der Bayerische VGH (Beschluss vom 24.10.1991 aaO) führt hierzu zutreffend aus, mangels geeigneter anderer Maßstäbe dränge es sich schon aus praktischen Erwägungen heraus auf, die Aufwendungen für die Vertretung durch einen Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule in Höhe der einem Rechtsanwalt gesetzlich zustehenden Gebühren und Auslagen als erstattungsfähig anzuerkennen. Der Obsiegende, der sich durch einen Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule habe vertreten lassen, müsse sich in der Regel nicht mit einem Erstattungsanspruch begnügen, der der Höhe nach unter dem Erstattungsanspruch liege, der ihm bei Beauftragung eines Rechtsanwalts erwachsen wäre.
Hingegen hält das Gericht es nicht für sachgerecht, das ZSEG (nunmehr: JVEG) entsprechend heranzuziehen, wie der Urkundsbeamte dies wohl im Anschluss an den Beschluss des VGH Baden-Württemberg vom 11.05.1988 - 5 S 2475/87 -, VBlBW 1989, 56) getan hat. Dieses Gesetz hat mit der Entschädigung von Zeugen und Sachverständigen eine ganz andere Zielrichtung, während die BRAGO bzw. das RVG gerade den Fall betreffen, dass sich ein Beteiligter vor Gericht vertreten lässt. Die entsprechende Anwendung der BRAGO dürfte auch die überwiegende Meinung in Rechtsprechung und Literatur sein (vgl. BVerwG, Beschluss vom 19.01.1978 - 7 A 3/75 -, NJW 1978, 1173; Bayerischer VGH, Beschluss vom 24.10.1991 aaO; Verwaltungsgericht Weimar, Beschluss vom 16.06.2004 - 6 K 1201/01. We - ; Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, Kommentar zur VwGO, § 162 Rdnr. 43; Mußgnug, Das Recht der Hochschullehrer zur Liquidation nach der BRAGO, NJW 1989, 2037; Nomos-Kommentar zur VwGO, § 162 Rdnr. 108; a.A.: VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 11.05.1988 aaO; Eyermann, Kommentar zur VwGO, 11. Auflage, § 162 Rdnr. 11; a. A. wohl auch Bader/Funke-Kaiser/Kuntze/von Albedyll, Kommentar zur VwGO, 2. Auflage, § 162 Rdnr. 14).
Das Gericht hält es für zweckmäßig, die Kosten nicht selbst neu festzusetzen, sondern diese Aufgabe nach § 173 VwGO, § 573 Abs. 1 Satz 3 ZPO i.V.m. § 572 Abs. 3 ZPO dem Urkundsbeamten zu übertragen (vgl. hierzu bereits Beschluss des Kammervorsitzenden vom 17.10.2001 - A 6 K 13436/00 - VENSA). Nach dem Kommentar von Thomas/Putzo zur ZPO, 24. Auflage, § 573 Rdnr. 7 ist diese „Zurückverweisung“ der Regelfall, wenn die Erinnerung begründet ist. Hierbei ist der Urkundsbeamte an die Auffassung des Gerichts gebunden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

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