Beschluss vom Verwaltungsgericht Stuttgart - 5 K 2106/06

Tenor

Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 05.05.2006 wird bezüglich der Nr. 1 des Bescheids wiederhergestellt und hinsichtlich der Nr. 3 angeordnet.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

 
Der am 30.05.2006 gestellte Antrag, „die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 05.05.2006 ... wird wiederhergestellt“ (Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten des Antragstellers v. 29.05.2006), ist bei sachdienlicher Auslegung (§§ 88 und 86 Abs. 3 VwGO) darauf gerichtet, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen das Aufenthaltsverbot in Nr. 1 des Bescheids wiederherzustellen (§ 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4, Abs. 5 S. 1 VwGO) und gegen die Androhung eines Zwangsgelds in Höhe von 250,00 EUR in Nr. 3 des Bescheids anzuordnen (§ 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 VwGO, § 12 LVwVG). Das gegen den Antragsteller anlässlich der Fußballweltmeisterschaft 2006 verfügte Aufenthaltsverbot wegen dessen (aus der Sicht der Antragsgegnerin) Zugehörigkeit zur Hooligan-Szene betrifft drei, im Einzelnen näher umschriebene Bereiche im Stadtgebiet der Antragsgegnerin und erstreckt sich in zeitlicher Hinsicht vom 09.06. bis 09.07.2006, jeweils von 12.00 Uhr bis 3.00 Uhr des folgenden Tags. Der Aussetzungsantrag ist zulässig und begründet.
Nach § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs ganz oder teilweise wiederherstellen bzw. anordnen. Bei der Entscheidung hat das Gericht das Interesse des Antragstellers, von der Vollziehung des angegriffenen Bescheids verschont zu bleiben, gegen das öffentliche Interesse an einer sofortigen Durchsetzung des Bescheids abzuwägen. Diese Abwägung führt hier zu dem Ergebnis, dass dem Antragsteller einstweiliger Rechtsschutz zu gewähren ist. Ausschlaggebend hierfür ist, dass der angefochtene Bescheid bei der im vorliegenden Verfahren lediglich gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage rechtswidrig sein dürfte, weswegen der Widerspruch des Antragstellers erfolgreich sein wird.
Das Aufenthaltsverbot ist auf die polizeiliche Generalklausel (§§ 1 und 3 PolG) gestützt. Es erscheint fraglich, ob diese Ermächtigungsgrundlage hier anwendbar ist. Das baden-württembergische Polizeigesetz regelt bisher weder den (kurzfristigen) Platzverweis noch ein (längerfristiges) Aufenthaltsverbot als sogenannte Standardmaßnahmen. Die Kammer hat in einem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes anlässlich einer Wohnungsverweisung mit dreiwöchigem Aufenthaltsverbot im Hinblick auf die vom Bundesverfassungsgericht entwickelte Wesentlichkeitstheorie (vgl. Beschl. v. 04.05.1997 - 2 BvR 509/96 u. a. -, NJW 1998, 669, 670) wegen der Grundrechtsbetroffenheit einer solchen Maßnahme (Art. 6, 11 und 13 GG) Zweifel daran geäußert, ob ein solches Aufenthaltsverbot überhaupt auf die polizeiliche Generalklausel gestützt werden kann (vgl. Beschl. v. 17.05.2001 - 5 K 1912/01 -, VBlBW 2002, 43). Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg hat in seiner ersten Entscheidung zur Gefahrenabwehrhandlung der Polizei in Fällen häuslicher Gewalt diese Bedenken „jedenfalls zum gegenwärtigen Zeitpunkt“ (Urt. v. 22.07.2004 - 1 S 2801/03 -, NJW 2005, 88 = VBlBW 2005, 138) nicht geteilt und zur Begründung ausgeführt, die Regelungsmaterie „Gefahrenabwehr“ erfordere einen weiten Gestaltungsspielraum der Verwaltung und eine flexible Handhabung des ordnungsbehördlichen Instrumentariums. Gerade das Recht der Gefahrenabwehr mit seinen von Rechtsprechung und Schrifttum konkretisierten Leitlinien des Opportunitäts- und Verhältnismäßigkeitsprinzips könne deshalb mit sprachlich offen gefassten Ermächtigungen auskommen, die gegebenenfalls verfassungskonform auszulegen und anzuwenden seien. Bei der Wohnungsverweisung mit Rückkehrverbot handele es sich zudem um eine relativ neuartige, als Modellversuch angelegte polizeiliche Vorgehensweise zur Bekämpfung häuslicher Gewalt, so dass jedenfalls wegen des Experimentiercharakters für eine Übergangszeit der Rückgriff auf die Generalklausel hinzunehmen sei. Allerdings handele es sich angesichts der Intensität des Zugriffs auf die Individualsphäre des Betroffenen um einen Grenzfall zulässiger Ausgestaltung, weshalb eine verbleibende Zweifelsfragen klärende Normierung als Standardmaßnahme nach einer Phase der Erprobung angezeigt wäre.
Ob diese Erwägungen auch im vorliegenden Fall tragfähig sind, bedarf einer vertieften Prüfung im Hauptsacheverfahren (gegebenenfalls im Rahmen einer Fortsetzungsfeststellungsklage). Hierbei wird zu bedenken sein, dass im Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs (22.07.2004) die Phase der Erprobung schon seit mehr als 2 Jahren abgeschlossen war (vgl. Proske, VBlBW 2005, 140 [Anm. zu VGH Bad.-Württ., Urt. v. 22.07.2004, a.a.O]). Andererseits handelt es sich vorliegend um keine Verweisung aus der eigenen Wohnung, sondern um ein räumlich breiter angelegtes Aufenthaltsverbot, das „lediglich“ in Art. 11 Abs. 1 GG eingreift.
Versteht man die Ausführungen des Verwaltungsgerichtshofs dahingehend, dass eine Regelung als Standardmaßnahme dann angezeigt ist, wenn eine bestimmte polizeiliche Eingriffssituation häufig wiederkehrt (so Würtenberger/Heckmann, Polizeirecht in Baden-Württemberg, 6. Aufl., RdNr. 305), spricht vieles für die Annahme, dass ein Aufenthaltsverbot wie hier für bestimmte weiträumige Bereiche in einem Stadtgebiet mittlerweile Standard polizeilicher Praxis im Bundesgebiet ist. Ausgangspunkt dieser Praxis war in erster Linie die Dislozierung der offenen Drogenszene in den 1990er Jahren (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschluß v. 12.03.1996 - 1 S 2856/95 -, VBlBW 1996, 418 u. v. 30.09.1996 - 1 S 2531/96 -, VBlBW 1997, 66). Aufenthaltsverbote wurden aber inzwischen ebenfalls erlassen gegen Punks (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 04.10.2002 - 1 S 1963/02 -, NVwZ 2003, 115 = VBlBW 2003, 31), im Vorfeld von „Chaostagen“, Demonstrationen, Castortransporten sowie gegen die Hütchenspieler- und Tuning-Szene (vgl. Finger, Betretens- und Aufenthaltsverbote im Recht der Gefahrenabwehr, Die Polizei 2005, 82; vgl. zu Sportgroßveranstaltungen auch allgemein: Markert/Schmidbauer, Polizeirechtliche Probleme bei Sportgroßveranstaltungen, BayVBl. 1993, 517). Mittlerweile haben alle Bundesländer außer Baden-Württemberg den weniger eingriffsintensiven Platzverweis entsprechend § 12 des aus den Jahren 1976/77 stammenden Musterentwurfs für ein einheitliches Polizeigesetz (ME) als Standardmaßnahme geregelt (vgl. Rachor, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 3. Aufl., F RdNr. 453; Braun, Freizügigkeit und Platzverweis, 2000, S. 102). Etliche Bundesländer sehen mittlerweile auch für die Verhängung eines Aufenthaltsverbots, das gegenüber einem Platzverweis stärker in Grundrechte eingreift, Spezialermächtigungen vor (vgl. Merten, Platzverweise und Aufenthaltsverbote, Die Polizei 2002, 18). In den Bundesländern, in denen der Platzverweis als Standardmaßnahme geregelt ist, die aber für ein Aufenthaltsverbot noch keine Spezialermächtigung vorsehen, stellt sich in der Rechtsprechung zunehmend die Frage, ob für den Erlass eines Aufenthaltsverbots auf die polizeiliche Generalklausel zurückgegriffen werden kann (bejahend: OVG Bremen, Urt. v. 24.03.1998 - 1 BA 27/97 -, NVwZ 1999, 314; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 06.09.2000 - 5 B 1201/00 -, DÖV 2001, 216, zur alten Rechtslage, vgl. nunmehr § 34 Abs. 2 NRWPolG und hierzu Gusy, Polizeibefugnisse im Wandel, NWVBl. 2004, 1, 6; verneinend: HessVGH, Beschl. v. 28.01.2003 - 11 TG 2548/02 -, NVwZ 2003, 1400). Die ganz herrschende Meinung in der Literatur hält die spezialgesetzliche Regelung eines Aufenthaltsverbots unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten - Rechtsklarheit und Rechtssicherheit - für zwingend geboten (vgl. Ruder/Schmitt, Polizeirecht Baden-Württemberg, 6. Aufl., Rdnrn. 200, 302 b, 302 c; Butzer, Flucht in die polizeiliche Generalklausel?, VerwArch 2002, 506, 536 ff.; Gusy, JZ 2005, 355, 357 [Anm. zu VGH Bad.-Württ., Urt. v. 22.07.2004, a.a.O.]; Merten, a.a.O., S. 24). Angesichts der in Baden-Württemberg mehr als in allen anderen Bundesländern aufgeworfenen Zweifelsfragen im Zusammenhang mit Platzverweisen und Aufenthaltsverboten dürfte ein weiteres Zurückstellen einer klärenden Normierung durch den Landesgesetzgeber verfassungsrechtlich nicht mehr länger hinnehmbar sein, zumal ihm dieses Problem seit Jahren bekannt sein müsste. Eine Klärung dieser vielschichtigen Rechtsfragen im Hinblick auf das hier verfügte, den Schutzbereich des Artikels 11 Abs. 1 GG berührende einmonatige Aufenthaltsverbot mit einer täglichen Dauer von 15 Stunden (0.00 Uhr bis 3.00 Uhr, 12.00 Uhr bis 24.00 Uhr) muss jedoch letztlich dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben. Vor dem Hintergrund, dass es bei Auseinandersetzungen durch Hooligans zu Tätlichkeiten und damit auch zu einer Gefährdung oder Verletzung hochrangiger Rechtsgüter (Leib und Leben) kommen kann, geht die Kammer - unter Zurückstellung der aufgezeigten Bedenken bezüglich der Ermächtigungsgrundlage - jedoch im vorliegenden summarischen Verfahren davon aus, dass eine solche Maßnahme zum Schutz der genannten Rechtsgüter auf die polizeiliche Generalklausel gestützt werden kann, zumal sich eine solche Maßnahme gegenüber der - beim Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen des § 28 Abs. 1 Nr. 1 PolG möglichen - Ingewahrsamnahme des Verursachers der Tätlichkeiten als milderes Mittel erweisen dürfte.
Das verfügte Aufenthaltsverbot überschreitet jedoch aller Voraussicht nach die durch die polizeiliche Generalklausel eingeräumte Ermächtigung der Antragsgegnerin. Nach der polizeilichen Generalklausel (§§ 1, 3 PolG) hat die Polizei die Aufgabe, von dem Einzelnen und dem Gemeinwesen Gefahren abzuwehren, durch die die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bedroht wird, und Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zu beseitigen, soweit es im öffentlichen Interesse geboten ist. Dabei hat die Polizei innerhalb der durch das Recht gesetzten Schranken zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben diejenigen Maßnahmen zu treffen, die ihr nach pflichtgemäßem Ermessen erforderlich erscheinen. Ein Tätigwerden zum Zwecke der Gefahrenabwehr setzt eine konkrete Gefahr voraus. Eine solche liegt vor, wenn ein bestimmter einzelner Sachverhalt, d. h. eine konkrete Sachlage oder ein konkretes Verhalten bei ungehindertem Ablauf des objektiv zu erwartenden Geschehens mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden für die Schutzgüter der öffentlichen Sicherheit und Ordnung führen würde. Der Schadenseintritt braucht nicht mit Gewissheit zu erwarten sein. Andererseits ist aber die bloße Möglichkeit des Schadenseintritts nicht ausreichend. Der erforderliche Grad der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts ist dabei abhängig vom Rang des Rechtsgutes, in das eingegriffen werden soll, sowie vom Rang des polizeilichen Schutzgutes (vgl. Würtenberger/Heckmann, a.a.O., S. 190 ff.). Im Hinblick auf den Eingriff in das Grundrecht der Freizügigkeit (Art. 11 Abs. 1 GG; vgl. VGH Bad.-Württ., Urt. v. 22.07.2004, a.a.O.; Finger, a.a.O., S. 86 ff.) spricht viel dafür, an die Anwendung der Generalklausel insoweit strenge Anforderungen zu stellen, wie sie etwa auch bei der Gewahrsamnahme nach § 28 PolG mit dem Erfordernis einer „unmittelbaren und erheblichen Störung“ zum Ausdruck kommt.
Die Antragsgegnerin hat das Aufenthaltsverbot damit begründet, der Antragsteller sei seit Ende der 1990er Jahre im Zusammenhang mit Fußballspielen auffällig geworden. Im Jahre 2000 habe er auf dem Cannstatter Wasen eine Körperverletzung begangen, weswegen eine Strafanzeige gegen ihn ergangen sei. Am 02.10.2004 habe in Murr eine Drittortauseinandersetzung zwischen Stuttgarter und Chemnitzer Hooligans stattgefunden, bei der er als Teilnehmer identifiziert worden sei, weswegen gegen ihn strafrechtlich ermittelt werde. In den polizeilichen Dateien sei er als „Gewalttäter Sport“ erfasst. Aufgrund der Annahme, dass der Antragsteller Angehöriger einer Hooligangruppierung sei, welche sich durch Drittortauseinandersetzungen auf die Aktionen bei der Fußballweltmeisterschaft vorbereite, sowie aufgrund der Tatsache, dass er regelmäßig bei Fußballspielen in Erscheinung trete und schließlich wegen „der Erkenntnisse aus den in Stuttgart anhängigen Verfahren“, müsse mit hoher Wahrscheinlichkeit für die anstehende Weltmeisterschaft damit gerechnet werden, dass er sich an gewalttätigen Auseinandersetzungen gegen ausländische und deutsche Hooligans sowie Fußballfans beteiligen werde. Der Antragsteller gelte als äußerst gewaltbereit, so dass damit zu rechnen sei, dass er sich insbesondere in Stuttgart entsprechend darstellen möchte. Die zu befürchtenden Sicherheits- und Ordnungsstörungen seien darüber hinaus noch dazu geeignet, das Ansehen Deutschlands im Ausland zu schädigen, da aufgrund der großen Medienpräsenz über entsprechende Ausschreitungen und Vorfälle dieser Art berichtet werden würde.
Soweit die Antragsgegnerin außer einer Störung der öffentlichen Sicherheit auch von einer Störung der öffentlichen Ordnung ausgeht, vermag diese Erwägung wegen des Eingriffs in die Freizügigkeit (Art. 11 Abs. 1 GG) und des diesbezüglichen Vorbehalts (Art. 11 Abs. 2 GG) das Aufenthaltsverbot von vornherein nicht zu rechtfertigen. Nach Art. 11 Abs. 2 GG darf das Recht auf Freizügigkeit nur durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes und nur für die Fälle eingeschränkt werden, in denen eine ausreichende Lebensgrundlage nicht vorhanden ist und der Allgemeinheit daraus besondere Lasten entstehen würden oder in denen es zur Abwehr einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes, zur Bekämpfung von Seuchengefahr, Naturkatastrophen oder besonders schweren Unglücksfällen, zum Schutze der Jugend vor Verwahrlosung oder um strafbaren Handlungen vorzubeugen, erforderlich ist. Die öffentliche Ordnung als der Inbegriff all jener ungeschriebenen Regeln, „deren Befolgung nach den jeweils herrschenden und mit dem Wertgehalt des Grundgesetzes zu vereinbarenden sozialen und ethischen Anschauungen als unerlässliche Voraussetzung eines geordneten menschlichen Zusammenlebens innerhalb eines bestimmten Gebietes angesehen wird“ (vgl. BVerfG, Beschl. v. 07.04.2001 - 1 BvQ 17/01, 18/01 -, DVBl. 2001, 1054; Würtenberger/Heckmann, a.a.O., RdNr. 408), gehört nicht zum Bestand des Gesetzesvorbehalts nach Art. 11 Abs. 2 GG. Die polizeiliche Generalklausel bedarf daher wegen dieses Gesetzesvorbehalts einer verfassungskonformen Auslegung und Anwendung (vgl. VGH Bad.-Württ., Urt. v. 22.07.2004, a.a.O.). Der qualifizierte Gesetzesvorbehalt des Art. 11 Abs. 2 GG wirkt sich in der Praxis in erster Linie unter dem Gesichtspunkt des Kriminalvorbehalts („um strafbaren Handlungen vorzubeugen“, Art. 11 Abs. 2 a. E. GG) aus (vgl. Finger, a.a.O., S. 82).
Die von der Antragsgegnerin bejahte konkrete Gefahr der Störung der öffentlichen Sicherheit durch Straftaten - Körperverletzungen mit schweren, möglicherweise gar tödlichen Folgen - des Antragstellers vermag die Kammer nicht zu erkennen. Der angefochtene Bescheid weist bereits gewisse Mängel bezüglich der Feststellung des Sachverhalts (S. 2 bis 5) und der rechtlichen Würdigung (S. 5 ff.) auf. Die Feststellung auf Seite 6 des Bescheids, der Antragsteller trete „regelmäßig bei Fußballspielen in Erscheinung“, deckt sich nicht mit den im Sachverhalt genannten zwei Ereignissen (Körperverletzung im Jahre 2000 auf dem Cannstatter Wasen, Beteiligung an einer Drittortauseinandersetzung am 02.10.2004 in Murr zwischen Stuttgarter und Chemnitzer Hooligans). Ausführungen dazu, welche Umstände die Regelmäßigkeit kennzeichnen und durch welche konkreten Verhaltensweisen das In-Erscheinungs-Treten bei Fußballspielen geprägt sein soll, enthält der Bescheid nicht. Dies gilt auch hinsichtlich der dem Antragsteller des Weiteren auf Seite 6 des Bescheids zugeschriebenen Eigenschaft, er sei „äußerst gewaltbereit“. Nicht näher dargelegt ist überdies die Feststellung des „wiederholten Aufenthalts im Bereich von Gewalttätigkeiten bei Sport-Großveranstaltungen“ (S. 6 des Bescheids).
10 
Der Antragsteller hat demgegenüber in der eidesstattlichen Versicherung vom 30.05.2006 im Rahmen der Begründung des vorliegenden Aussetzungsantrags geltend gemacht, es sei unzutreffend, dass er im Jahre 2000 im Zusammenhang mit Fußballspielen straffällig geworden sei. Vielmehr sei es nach seinem Besuch des Cannstatter Volksfests auf dem Weg zum Bahnhof zu einem Streit mit zwei Männern gekommen, die ihn körperlich angegriffen hätten. Er habe sich gegen diese körperliche Attacke gewehrt und sei davongelaufen. Hierauf sei er jedoch von der Polizei festgehalten und zu seiner Person und zur Sache vernommen worden. Danach habe er von dieser Angelegenheit nichts mehr gehört; insbesondere sei gegen ihn keine strafrechtliche Maßnahme ergangen. Hinsichtlich des Vorfalls vom 02.10.2004 führt der Antragsteller in der eidesstattlichen Versicherung aus, er sei an jenem Tag nicht an einer Drittortauseinandersetzung in Murr beteiligt gewesen. Er habe sich am 02.10.2004 zusammen mit Familienangehörigen ab ca. 13.00 Uhr bis abends auf dem Cannstatter Wasen beim dortigen Volksfest aufgehalten. Richtig sei lediglich, dass er am 20.05.2005 im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens wegen gefährlicher Körperverletzung vom Polizeipräsidium ... als Zeuge vernommen worden sei. Zur Glaubhaftmachung hierfür hat der Antragsteller das an ihn adressierte Schreiben des Polizeipräsidiums ... vom 11.05.2005 vorgelegt.
11 
Die Antragsgegnerin hat hierzu im Rahmen der Antragserwiderung mit Schreiben vom 07.06.2006 vorgebracht, bei der Staatsanwaltschaft ... sei gegen den Antragsteller ein Ermittlungsverfahren anhängig (Az.: ...). Aus der dortigen Ermittlungsakte ergebe sich nach Auskunft der Polizei die Zugehörigkeit des Antragstellers zur Hooligan-Szene. Hinsichtlich des Vorfalls in Murr am 02.10.2004 werte die Polizei derzeit noch verschiedene Zeugenaussagen aus. Sobald diese abgeschlossen seien, werde dazu weiter Stellung genommen werden. Ergänzend habe das Polizeipräsidium ... mitgeteilt, dass der Antragsteller am 19.05.2001 neben anderen Personen in Frankfurt festgenommen worden sei. Es habe sich eine Drittortschlägerei mit Frankfurter Hooligans abgezeichnet, die durch die Festnahme im Vorfeld verhindert worden sei.
12 
Der entscheidungserhebliche Sachverhalt bedarf nach alledem im Hauptsacheverfahren der weiteren Aufklärung. Die dem Gericht unterbreitete Tatsachengrundlage ist jedenfalls bisher zu dürftig und bietet keine verlässliche Grundlage für die von der Antragsgegnerin getroffene Prognose, der Antragsteller werde mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch künftig ohne Grund Körperverletzungen in Gestalt von Schlägereien und damit Straftaten begehen. Im Rahmen des Kriminalvorbehalts des Art. 11 Abs. 2 GG ist es erforderlich, dass die handelnde Behörde der notwendigen Prognose eine gesicherte Tatsachenbasis zugrundelegt. Hierbei verbieten sich reine Vermutungen; es müssen aussagekräftige, tatsächliche Hinweise dafür vorliegen, dass eine Straftat begangen werden soll, wobei kleinste tatsächliche Anhaltspunkte nicht genügen (vgl. Merten, a.a.O., S. 23). Selbst wenn zu Lasten des Antragstellers davon ausgegangen würde, er habe sich im Jahre 2001 in Frankfurt an der Vorbereitung einer Drittortschlägerei beteiligt und sei bei einer solchen Auseinandersetzung am 02.10.2004 in Murr beteiligt gewesen, erschiene es zweifelhaft, diese Beteiligungen als Vorbereitungen auf Aktionen bei der Fußballweltmeisterschaft 2006 zu erachten, worauf die Ausführungen der Antragsgegnerin im Bescheid vom 05.05.2006 (S. 6) deuten. Im Übrigen vermisst die Kammer sowohl in diesem Bescheid als auch in dem ihm zugrunde liegenden Antrag des Polizeipräsidiums ... vom 24.04.2006 nähere Ausführungen dazu, anhand welcher allgemeiner Merkmale eine Erfassung in der polizeilichen Datei „Gewalttäter Sport“ erfolgt, wann der Antragsteller in dieser Datei erstmals erfasst wurde, ob spätere Eintragungen hinzugekommen sind und welchen genauen Inhalt die Eintragung(en) etwa zur Rechtfertigung der Erfassung aufweist. Der Bescheid und der genannte Antrag des Polizeipräsidiums vermitteln schließlich auch keine weiteren Erkenntnisse zum Verhalten von Hooligans, die bisher nur im Rahmen von sogenannten Drittortauseinandersetzungen (nachvollziehbarer auch „Feld-Wald-und-Wiesenauseinandersetzungen“ genannt, vgl. Stuttgarter Zeitung v. 09.05.2006, S. 35, zu Erfahrungen eines Sozialarbeiters dieser Szene) aufgefallen sind. Aus einer solchen Beteiligung kann nach den der Kammer bisher vorliegenden Erkenntnissen bei summarischer Bewertung der Sachlage gerade nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit angenommen werden, dass der betreffende Hooligan bewusst im Umfeld von Stadien und im näheren und weiteren Bereich der Orte öffentlicher Fernsehübertragungen von Fußballspielen die tätliche Auseinandersetzung mit anderen Hooligans oder Fußballfans sucht. Dies belegen etwa Erfahrungen der Gewalt- und Konfliktforschung zu dieser Szene. Insbesondere Hooligans, die einen Beruf ausüben und über eine höhere Bildung verfügen (etwa 30 % in den alten Bundesländern) „brauchen Wiesen, Felder und Wälder“ und meiden „Public-Viewing-Plätze wie die Pest“ (vgl. Gunter A. Pilz, Universität Hannover, Konfliktforscher in den Bereichen Sport und Gesellschaft, Interview in der Schwäbischen Zeitung v. 03.06.2006). Diese Erkenntnisse werden aus der Sicht der Polizeipraxis bestätigt. Nach Schmidbauer, Polizeipräsident in München, liegt die Stärke der Hooligans in ihrer Anonymität; Randalierer werden meist nur dann aktiv, wenn sie sich sicher fühlen können, nicht erkannt und nicht für die Taten belangt zu werden; Hooligans wissen, dass sie sich etwa wegen einer Video-Überwachung zu keiner Zeit in Anonymität und Sicherheit wiegen können (vgl. Schmidbauer, Sportgroßveranstaltungen als Herausforderung für Polizei und Sicherheitsbehörden, KommunalPraxis spezial, 2005, 47). Unter Würdigung des Einsatzes von Polizeikräften - auch in Zivil sich unter das Fußballvolk mischenden - und zusätzlichen Ordnern sowie bei Berücksichtigung der geplanten Videoüberwachung des Stuttgarter Schlossplatzes (vgl. zu den vorgesehenen Sicherheitsmaßnahmen Stuttgarter Zeitung v. 27.12.2005, S. 19, v. 02.05.2006, S. 20 u. v. 20.05.2006, S. 29) dürfte für Hooligans in den drei von der Antragsgegnerin verfügten räumlichen Bereichen des Aufenthaltsverbots kaum mehr Raum für Anonymität verbleiben.
13 
Nach alledem ist die Kammer bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage davon überzeugt, dass das vom Antragsteller angegriffene Aufenthaltsverbot mangels Vorliegens einer konkreten Gefahr nicht von der polizeilichen Generalklausel gedeckt ist.
14 
Durch die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen das Aufenthaltsverbot entfällt dessen sofortige Vollziehbarkeit und damit die allgemeine Vollstreckungsvoraussetzung nach § 2 Nr. 2 LVwVG, weswegen auch die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen die Androhung eines Zwangsgelds in Höhe von 250,00 EUR (Nr. 3 des angefochtenen Bescheids) anzuordnen ist (§ 12 S. 2 LVwVG, § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO).
15 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
16 
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf den §§ 52 Abs. 1 und 2, 53 Abs. 3 Nr. 2, 63 Abs. 2 S. 1 GKG, wobei mit der Hälfte des Auffangwerts für das Hauptsacheverfahren berücksichtigt ist, dass Gegenstand des vorliegenden Verfahrens lediglich die Gewährung vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutzes ist.

Verwandte Urteile

Keine verwandten Inhalte vorhanden.

Referenzen

This content does not contain any references.