Urteil vom Verwaltungsgericht Stuttgart - 18 K 1596/06

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand

 
Der Kläger wehrt sich gegen eine Anordnung zur Duldung einer öffentlichen Abwasserleitung in seinen Grundstücken.
Der Kläger ist Eigentümer der Grundstücke Flst-Nrn. ... auf der Gemarkung ..., in denen eine Abwasserleitung der Beklagten verläuft. Der Vater des Klägers als damaliger Eigentümer hatte der Verlegung der mit bestandskräftigem Bescheid des Landratsamtes ... vom 25.07.1973 wasserrechtlich genehmigten Leitung damals mündlich zugestimmt und am 23.07.1975 eine Abschlagszahlung in Höhe von 1.000 DM auf eine noch festzulegende Entschädigung sowie am 02.07.1978 einen Ausgleich für die während der Bauarbeiten entstandenen Ertragsausfälle in Höhe von 5.670,05 DM akzeptiert. Mit einer einmaligen Nutzungsentschädigung auf der Basis von 4 DM je laufenden Kanalmeter und 100 DM je Schacht, die anderen Grundstückseigentümern in ... gegen Eintragung einer Dienstbarkeit zu Gunsten der Beklagten bzw. - bei Verweigerung der Zustimmung zur Verlegung des Kanals - auf der Grundlage vollstreckbarer wasserrechtlicher Duldungsanordnungen gemäß § 88 Abs. 2 WG bezahlt worden war, erklärte sich der Vater des Klägers nicht einverstanden. In den Folgejahren wurde erfolglos über die Höhe einer endgültigen Nutzungsentschädigung verhandelt.
Im Jahr 1995 wurde der Kläger Eigentümer der genannten Grundstücke. Auch mit ihm verhandelte die Beklagte ohne Ergebnis über eine einvernehmliche Nutzungsentschädigung, obwohl sie dem Kläger eine Entschädigung von bis zu maximal 15.105,11 DM (Schreiben der Beklagten an die Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 02.04.2001) angeboten hatte.
Mit Schreiben vom 24.03.2004 an die Beklagte teilte der Kläger mit, er sehe keinen Raum für weitere Verhandlungen, und forderte die Durchführung eines Enteignungsverfahrens. Abgesehen von der ihm angebotenen unzureichenden Entschädigung sehe er seine Grundstücke durch die Leitungsführung unverhältnismäßig belastet, da durch eine andere, kürzere Leitungsführung sowohl die Anzahl der Schächte in seinen Grundstücken reduziert als auch diese Belastung auf Nachbargrundstücke besser verteilt werden könnten. In einem Enteignungsverfahren sei die Trassenführung ein wichtiges Kriterium.
Am 22.06.2004 beantragte die Klägerin beim damals zuständigen Landratsamt ... den Erlass einer Zwangsverpflichtung zur Duldung des öffentlichen Abwasserkanals auf den Grundstücken des Klägers gemäß § 88 Abs. 2 WG. Nachdem die Zuständigkeit für den Erlass einer entsprechenden Duldungsanordnung mit Wirkung ab 01.01.2005 von den unteren Wasserbehörden auf die Ortspolizeibehörden übergegangen war, verpflichtete die Beklagte den Kläger mit Bescheid vom 28.09.2005 gemäß § 88 Abs. 2 WG zur Duldung der bestehenden Abwasserleitung gegen eine Entschädigung in Höhe von 4.900 EUR. Bei der Berechnung der Entschädigung berücksichtigte die Beklagte für die Leitung 400 m x 4 DM/lfd. Meter und für Schächte 10 x 100 DM/Schacht unter Abzug der Abschlagzahlung in Höhe von 1000 DM (= 1.600 DM bzw. 818,07 EUR) und eine Verzinsung dieses Betrages seit 1975.
Den Widerspruch des Klägers wies das Regierungspräsidium Stuttgart mit Bescheid vom 22.03.2006 mit der Maßgabe zurück, dass der Entschädigungsbetrag auf 5.230,34 EUR festgesetzt werde. Das Regierungspräsidium führte insoweit aus, bei der nach § 13 Abs. 2 LEntG erforderlichen Verzinsung des Betrags von 818,07 EUR habe die Beklagte lediglich den Zeitraum bis zum 31.12.2003 berücksichtigt. Einschließlich des Jahres 2005 ergebe sich jedoch der nunmehr festgesetzte höhere Betrag. Die vom Regierungspräsidium festgesetzte Entschädigung war dem Kläger bereits am 12.01.2006 von der Beklagten überwiesen worden.
Am 18.04.2006 hat der Kläger Klage beim Verwaltungsgericht Stuttgart erhoben. Er trägt vor, seine Anhörung vor Erlass der streitigen Duldungsanordnung weise gravierende formelle Fehler auf, da weder die Baumaßnahme noch die betroffenen Grundstücke genannt worden seien. Außerdem fehle es hinsichtlich der Auflage, dass im Streitfall über die Entschädigung sowie alle damit zusammenhängenden Fragen auf Antrag zunächst der Unternehmer entscheide, an einer Rechtsgrundlage. Inhaltlich leide die Duldungsanordnung an einer fehlerhaften Abwägung von Alternativtrassen. Solche Alternativen, die deutlich kürzer und mit deutlich weniger Schächten ausführbar seien, gebe es. Im Übrigen sei auch die festgesetzte Entschädigung unzureichend. Nach den vom Zweckverband Bodensee-Wasserversorgung in ständiger Praxis angebotenen Entschädigungssätzen seien in seinem Fall für 450 m Kanallänge ein Betrag von 4 DM/lfd. Meter sowie für 5 Schächte in mittlerem Ackerland jeweils 560 DM und für 5 weitere Schächte in mittlerem Grünland jeweils 390 DM zu berücksichtigen. Hieraus ergebe sich abzüglich der Abschlagszahlung von 1.000 DM ein Betrag von 5.550 DM oder 2.846 EUR, der sich bei der gebotenen Verzinsung seit 1975 auf 17.076 EUR erhöhe. Außerdem habe die Beklagte es unterlassen, das Honorar seines Rechtsanwalts für dessen Beteiligung bei Vergleichsgesprächen in Höhe von 297 EUR einzustellen.
Der Kläger beantragt,
die Verfügung der Beklagten vom 28.09.2005 und den Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 22.03.2006 aufzuheben,
10 
hilfsweise die Beklagte zu verpflichten, die Entschädigung gemäß § 88 Abs. 2 WG auf 17.076 EUR festzusetzen.
11 
Die Beklagte beantragt,
12 
die Klage abzuweisen.
13 
Sie nimmt zur Begründung auf die angefochtenen Bescheide Bezug.
14 
Einen in der mündlichen Verhandlung vom 24.10.2006 abgeschlossen widerruflichen Vergleich, mit dem sich die Beklagte zur Zahlung weiterer 1.000 EUR verpflichtet hatte, hat der Kläger fristgerecht widerrufen.
15 
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Akten der Beklagten und des Regierungspräsidiums Stuttgart sowie auf die Gerichtsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

 
16 
Die zulässige Klage ist unbegründet. Die angefochtene Duldungsanordnung ist gemäß § 88 Abs. 2 WG rechtmäßig und dem Kläger steht auch keine höhere als die festgesetzte Entschädigung zu. Auf Grund des in § 88 VwGO enthaltenen Verbots der „reformatio in peius“ (Verböserung) ist das Gericht nicht befugt, die festgesetzte Entschädigung zu reduzieren.
17 
Es kann offen bleiben, ob die Anhörung des Klägers fehlerfrei erfolgt ist, denn ein etwaiger Mangel wäre im Widerspruchsverfahren geheilt worden. Dahingestellt bleiben kann auch, ob die vom Kläger beanstandete Auflage: „Im Streitfall entscheidet über die Entschädigung sowie über alle damit zusammenhängenden Fragen auf Antrag zunächst der Unternehmer“, rechtmäßig ist. Da vorliegend die Beklagte sowohl die für die Anordnung gemäß § 88 Abs. 2 WG zuständige Ortspolizeibehörde als auch „Unternehmerin“ der Abwasserleitung ist, kommt dieser Formulierung vorliegend keine praktische Bedeutung zu. Die Zuständigkeitsregelung des § 88 Abs. 2 WG ist auch als solche unbedenklich. Obwohl die Gemeinde als Trägerin der örtlichen Wasserversorgung und Abwasserbeseitigung in den allermeisten Fällen Unternehmerin im Sinne von § 88 Abs. 1 und 2 WG ist, hat der Gesetzgeber bewusst die Ortspolizeibehörde und damit den Bürgermeister als zuständige Behörde bestimmt, ohne in Kollisionsfällen ein Zustimmungserfordernis zu statuieren, wie dies etwa in § 96 Abs. 1 WG der Fall ist. Dies erscheint rechtlich unbedenklich, weil in dem den Betroffenen jederzeit offen stehenden Widerspruchsverfahren eine Überprüfung durch die Aufsichtsbehörde gewährleistet ist.
18 
Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 88 Abs. 2 WG liegen vor, insbesondere ist die vorliegend streitige Abwasserleitung als Unternehmen der öffentlichen Abwasserbeseitigung nur bei Inanspruchnahme der Grundstücke des Klägers zweckmäßig ausführbar. Hinsichtlich der vom Kläger vorgetragenen Alternativtrassen hat das Regierungspräsidium Stuttgart im Widerspruchsbescheid darauf hingewiesen, dass diese Varianten zwar gegenüber der bestehenden Leitung kürzer sind und weniger Schächte aufweisen, jedoch auch hier ausschließlich private Grundstücke in Anspruch genommen und damit die Belastungen nur auf andere Grundstückseigentümer verlagert würden. Auf diesen Gesichtspunkt kommt es letztlich jedoch nicht entscheidend an. Denn die Beklagte ist nicht verpflichtet gewesen, eine Alternativenprüfung wie bei erstmaliger Verlegung einer Abwasserleitung vorzunehmen. Vielmehr muss sich der Kläger entgegenhalten lassen, dass die Leitung auf Grund der Zustimmung seines Vaters rechtmäßig verlegt worden ist. Die Einwilligung des Vaters des Klägers ist nicht lediglich als unverbindliche Gestattung, sondern als zivilrechtlicher Vertrag über die Nutzung des Grundstücks anzusehen (vgl. zu einer ähnlichen Konstellation BGH, Urteil vom 17.03.1994 - III ZR 10/93 -, NJW 1994, 3156; OVG Lüneburg, Urteil vom 28.02.1991 - 3 A 291/88 -, NJW 1991, 3233). Diese Vereinbarung ist rechtlich gleich wie die damaligen zivilrechtlichen Nutzungsverträge mit anderen Grundsstückseigentümern zu werten, wobei lediglich im Falle des Vaters des Klägers auf Grund dessen Weigerung eine dingliche Absicherung durch Dienstbarkeit nicht erfolgt ist. Wegen der Zustimmung des Vaters des Klägers ist für die damals zuständige Behörde keine Veranlassung und auch keine Berechtigung für den Erlass einer Duldungsanordnung gemäß § 88 Abs. 2 WG entstanden. Erst auf Grund des als zivilrechtliche - wohl wirksame - Kündigung zu wertenden Schreibens des Klägers vom 24.03.2004 (vgl. BGH, a.a.O.) sind die Voraussetzungen für eine zwangsweise Duldungsanordnung entstanden.
19 
Das Vorhandensein einer rechtmäßig errichteten, wenn auch in Folge eines - nicht rückwirkenden - Fortfalls des Nutzungsrechts nunmehr rechtswidrigen Anlage auf einem Grundstück kann bei der Entscheidung über die Bestellung eines Zwangsrechts für die Anlage nicht unberücksichtigt bleiben. Der Fortfall des zivilrechtlichen Nutzungsrechts für die fragliche Anlage verwandelt zwar die bis dahin gesetzmäßige Inanspruchnahme des Grundstücks in eine Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche auslösende Eigentumsstörung, bei der zu treffenden Prüfung des Erlasses einer Duldungsanordnung kann aber nicht unberücksichtigt bleiben, dass die Trasse der Leitung rechtmäßig auch über die fraglichen Grundstücke geführt worden ist. Die Frage, ob die Leitung ohne eine Inanspruchnahme dieser Grundstücke anders zweckmäßig und ohne erhebliche Mehrkosten verlegt werden kann, beschränkt sich demgemäß, da ein Fortfall des Nutzungsrechts lediglich für die Zukunft die Rechtmäßigkeit der Leitungsführung außerhalb des Grundstücks nicht berührt, darauf, ob eine Änderung der Leitungsführung durch eine Entfernung des Leitungsabschnitts von den betroffenen Grundstücken zweckmäßig und ohne erhebliche Mehrkosten im Vergleich zu der bereits gegebenen Sachlage möglich ist (vgl. OVG Lüneburg, a.a.O.). Die Beklagte hat unwidersprochen vorgetragen, dass bei einer Neuverlegung der Leitung für sie ein Mehraufwand in Höhe von 180.000 EUR bzw. - bei zusätzlicher Berücksichtigung der Kosten der Entfernung der Leitung auf den Grundstücken des Klägers - sogar 200.000 EUR entstünde. Allein dieser Mehraufwand rechtfertigt die in den angefochtenen Bescheiden getroffene Einschätzung, dass nur das belassen des bestehenden Kanals eine zweckmäßige Ausführung im Sinne von § 88 Abs. 2 WG darstellt. Der Kläger verkennt, dass die Duldungsanordnung keine Enteignung darstellt, sondern lediglich die Sozialbindung seines Eigentums im öffentlichen Interesse konkretisiert.
20 
Der Hilfsantrag des Klägers ist ebenfalls unbegründet. Gemäß § 112 Abs. 1 WG ist die Beklagte auch für die Entscheidung über die Entschädigung zuständig, da es sich - wie ausgeführt - nicht um ein Enteignungsverfahren, sondern um ein Entschädigungsverfahren bei Eingriffen im Rahmen der Sozialpflichtigkeit des Eigentums handelt. Da Art. 14 Abs. 3 S. 4 GG nicht einschlägig ist, entscheiden die Verwaltungsgerichte über Streitigkeiten hinsichtlich der Höhe der Entschädigung (§ 40 Abs. 2 S. 1 2. Hs. VwGO). Der Hilfsantrag des Klägers ist unbegründet, weil bereits die vom Regierungspräsidium Stuttgart festgesetzte Entschädigung überhöht ist. Die Beklagte und das Regierungspräsidium Stuttgart sind zu Unrecht davon ausgegangen, die Entschädigung sei auf der Grundlage der Verhältnisse im Zeitpunkt der Verlegung der streitigen Abwasserleitung zu ermitteln und dann gemäß §§ 94 Abs. 1 WG, 20 WHG und 13 Abs. 2 LEntG bis zum Zeitpunkt der Bezahlung der Entschädigung (vgl. zum Ende der Zinspflicht Moldovsky/Bernstorff, Enteignungsrecht in Bayern, Art. 13 BayEntG RdNr. 3.2) zu verzinsen. Sowohl nach § 20 Abs. 1 S. 2 WHG als auch nach §§ 7 Abs. 4, 9 Abs. 2 LEntG ist bei der Festsetzung der Entschädigung eindeutig auf den Zeitpunkt des Erlasses der Duldungsanordnung abzustellen. Und auch § 13 Abs. 2 LEntG bestimmt als Beginn der Verzinsungspflicht den Zeitpunkt des Nutzungsentzuges bzw. der Nutzungsbeschränkung. Entgegen der Auffassung des Klägers liegt diese (zwangsweise) Nutzungsbeschränkung nicht in der mit Zustimmung seines Vaters erfolgten Verlegung der Abwasserleitung, sondern erst in der die vorliegend streitige Entschädigungspflicht auslösenden Duldungsanordnung der Beklagten vom 28.09.2005. Da die Leitung zu diesem Zeitpunkt bereits bestanden hat, hat die Verzinsungspflicht gemäß § 13 Abs. 2 LEntG vorliegend mit der Bekanntgabe des Ausgangsbescheids begonnen. Ob dem Kläger für den davor liegenden Zeitraum eine zusätzliche zivilrechtliche Nutzungsentschädigung zusteht, ist nicht Gegenstand der angefochtenen Entscheidung gemäß § 88 Abs. 2 WG und wäre in einem Verfahren vor den Zivilgerichten zu klären.
21 
Selbst unter Zugrundelegung der vom Kläger genannten und auch aktuell für anwendbar gehaltenen maximalen Entschädigungssätze beliefe sich sein Entschädigungsanspruch lediglich auf 2.846 EUR. Auch unter Berücksichtigung der von der herrschenden Meinung als erstattungsfähig angesehenen Rechtsberatungskosten (vgl. Breuer, Öffentliches und privates Wasserrecht, 3. Aufl. 2004, RdNr. 708, unter Bezugnahme auf BGH, Urteil vom 20.12.1968 - V ZR 46/65 -, NJW 1969, 1088) in Höhe von 297 EUR (Rechtsanwaltsgebühren) und bei einer Verzinsung gemäß § 13 Abs. 2 LEntG im Zeitraum von der Bekanntmachung des Ausgangsbescheids Anfang Oktober 2005 bis zur Überweisung der festgesetzten Entschädigung Mitte Januar 2006 bliebe die dem Kläger im günstigsten Falle zustehende Entschädigung weit unter der im Widerspruchsbescheid festgesetzten Summe. Der Hilfsantrag des Klägers auf eine bezifferte Mehrforderung in Höhe von weiteren 11.845,66 EUR bleibt deshalb ohne Erfolg. Wie ausgeführt, kommt andererseits eine „Verböserung“ durch das Verwaltungsgericht nicht in Betracht.
22 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
23 
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Berufung durch das Verwaltungsgericht gemäß § 124 a Abs. 1 S. 1, 124 Abs. 2 Nr. 3 oder 4 VwGO liegen nicht vor.

Gründe

 
16 
Die zulässige Klage ist unbegründet. Die angefochtene Duldungsanordnung ist gemäß § 88 Abs. 2 WG rechtmäßig und dem Kläger steht auch keine höhere als die festgesetzte Entschädigung zu. Auf Grund des in § 88 VwGO enthaltenen Verbots der „reformatio in peius“ (Verböserung) ist das Gericht nicht befugt, die festgesetzte Entschädigung zu reduzieren.
17 
Es kann offen bleiben, ob die Anhörung des Klägers fehlerfrei erfolgt ist, denn ein etwaiger Mangel wäre im Widerspruchsverfahren geheilt worden. Dahingestellt bleiben kann auch, ob die vom Kläger beanstandete Auflage: „Im Streitfall entscheidet über die Entschädigung sowie über alle damit zusammenhängenden Fragen auf Antrag zunächst der Unternehmer“, rechtmäßig ist. Da vorliegend die Beklagte sowohl die für die Anordnung gemäß § 88 Abs. 2 WG zuständige Ortspolizeibehörde als auch „Unternehmerin“ der Abwasserleitung ist, kommt dieser Formulierung vorliegend keine praktische Bedeutung zu. Die Zuständigkeitsregelung des § 88 Abs. 2 WG ist auch als solche unbedenklich. Obwohl die Gemeinde als Trägerin der örtlichen Wasserversorgung und Abwasserbeseitigung in den allermeisten Fällen Unternehmerin im Sinne von § 88 Abs. 1 und 2 WG ist, hat der Gesetzgeber bewusst die Ortspolizeibehörde und damit den Bürgermeister als zuständige Behörde bestimmt, ohne in Kollisionsfällen ein Zustimmungserfordernis zu statuieren, wie dies etwa in § 96 Abs. 1 WG der Fall ist. Dies erscheint rechtlich unbedenklich, weil in dem den Betroffenen jederzeit offen stehenden Widerspruchsverfahren eine Überprüfung durch die Aufsichtsbehörde gewährleistet ist.
18 
Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 88 Abs. 2 WG liegen vor, insbesondere ist die vorliegend streitige Abwasserleitung als Unternehmen der öffentlichen Abwasserbeseitigung nur bei Inanspruchnahme der Grundstücke des Klägers zweckmäßig ausführbar. Hinsichtlich der vom Kläger vorgetragenen Alternativtrassen hat das Regierungspräsidium Stuttgart im Widerspruchsbescheid darauf hingewiesen, dass diese Varianten zwar gegenüber der bestehenden Leitung kürzer sind und weniger Schächte aufweisen, jedoch auch hier ausschließlich private Grundstücke in Anspruch genommen und damit die Belastungen nur auf andere Grundstückseigentümer verlagert würden. Auf diesen Gesichtspunkt kommt es letztlich jedoch nicht entscheidend an. Denn die Beklagte ist nicht verpflichtet gewesen, eine Alternativenprüfung wie bei erstmaliger Verlegung einer Abwasserleitung vorzunehmen. Vielmehr muss sich der Kläger entgegenhalten lassen, dass die Leitung auf Grund der Zustimmung seines Vaters rechtmäßig verlegt worden ist. Die Einwilligung des Vaters des Klägers ist nicht lediglich als unverbindliche Gestattung, sondern als zivilrechtlicher Vertrag über die Nutzung des Grundstücks anzusehen (vgl. zu einer ähnlichen Konstellation BGH, Urteil vom 17.03.1994 - III ZR 10/93 -, NJW 1994, 3156; OVG Lüneburg, Urteil vom 28.02.1991 - 3 A 291/88 -, NJW 1991, 3233). Diese Vereinbarung ist rechtlich gleich wie die damaligen zivilrechtlichen Nutzungsverträge mit anderen Grundsstückseigentümern zu werten, wobei lediglich im Falle des Vaters des Klägers auf Grund dessen Weigerung eine dingliche Absicherung durch Dienstbarkeit nicht erfolgt ist. Wegen der Zustimmung des Vaters des Klägers ist für die damals zuständige Behörde keine Veranlassung und auch keine Berechtigung für den Erlass einer Duldungsanordnung gemäß § 88 Abs. 2 WG entstanden. Erst auf Grund des als zivilrechtliche - wohl wirksame - Kündigung zu wertenden Schreibens des Klägers vom 24.03.2004 (vgl. BGH, a.a.O.) sind die Voraussetzungen für eine zwangsweise Duldungsanordnung entstanden.
19 
Das Vorhandensein einer rechtmäßig errichteten, wenn auch in Folge eines - nicht rückwirkenden - Fortfalls des Nutzungsrechts nunmehr rechtswidrigen Anlage auf einem Grundstück kann bei der Entscheidung über die Bestellung eines Zwangsrechts für die Anlage nicht unberücksichtigt bleiben. Der Fortfall des zivilrechtlichen Nutzungsrechts für die fragliche Anlage verwandelt zwar die bis dahin gesetzmäßige Inanspruchnahme des Grundstücks in eine Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche auslösende Eigentumsstörung, bei der zu treffenden Prüfung des Erlasses einer Duldungsanordnung kann aber nicht unberücksichtigt bleiben, dass die Trasse der Leitung rechtmäßig auch über die fraglichen Grundstücke geführt worden ist. Die Frage, ob die Leitung ohne eine Inanspruchnahme dieser Grundstücke anders zweckmäßig und ohne erhebliche Mehrkosten verlegt werden kann, beschränkt sich demgemäß, da ein Fortfall des Nutzungsrechts lediglich für die Zukunft die Rechtmäßigkeit der Leitungsführung außerhalb des Grundstücks nicht berührt, darauf, ob eine Änderung der Leitungsführung durch eine Entfernung des Leitungsabschnitts von den betroffenen Grundstücken zweckmäßig und ohne erhebliche Mehrkosten im Vergleich zu der bereits gegebenen Sachlage möglich ist (vgl. OVG Lüneburg, a.a.O.). Die Beklagte hat unwidersprochen vorgetragen, dass bei einer Neuverlegung der Leitung für sie ein Mehraufwand in Höhe von 180.000 EUR bzw. - bei zusätzlicher Berücksichtigung der Kosten der Entfernung der Leitung auf den Grundstücken des Klägers - sogar 200.000 EUR entstünde. Allein dieser Mehraufwand rechtfertigt die in den angefochtenen Bescheiden getroffene Einschätzung, dass nur das belassen des bestehenden Kanals eine zweckmäßige Ausführung im Sinne von § 88 Abs. 2 WG darstellt. Der Kläger verkennt, dass die Duldungsanordnung keine Enteignung darstellt, sondern lediglich die Sozialbindung seines Eigentums im öffentlichen Interesse konkretisiert.
20 
Der Hilfsantrag des Klägers ist ebenfalls unbegründet. Gemäß § 112 Abs. 1 WG ist die Beklagte auch für die Entscheidung über die Entschädigung zuständig, da es sich - wie ausgeführt - nicht um ein Enteignungsverfahren, sondern um ein Entschädigungsverfahren bei Eingriffen im Rahmen der Sozialpflichtigkeit des Eigentums handelt. Da Art. 14 Abs. 3 S. 4 GG nicht einschlägig ist, entscheiden die Verwaltungsgerichte über Streitigkeiten hinsichtlich der Höhe der Entschädigung (§ 40 Abs. 2 S. 1 2. Hs. VwGO). Der Hilfsantrag des Klägers ist unbegründet, weil bereits die vom Regierungspräsidium Stuttgart festgesetzte Entschädigung überhöht ist. Die Beklagte und das Regierungspräsidium Stuttgart sind zu Unrecht davon ausgegangen, die Entschädigung sei auf der Grundlage der Verhältnisse im Zeitpunkt der Verlegung der streitigen Abwasserleitung zu ermitteln und dann gemäß §§ 94 Abs. 1 WG, 20 WHG und 13 Abs. 2 LEntG bis zum Zeitpunkt der Bezahlung der Entschädigung (vgl. zum Ende der Zinspflicht Moldovsky/Bernstorff, Enteignungsrecht in Bayern, Art. 13 BayEntG RdNr. 3.2) zu verzinsen. Sowohl nach § 20 Abs. 1 S. 2 WHG als auch nach §§ 7 Abs. 4, 9 Abs. 2 LEntG ist bei der Festsetzung der Entschädigung eindeutig auf den Zeitpunkt des Erlasses der Duldungsanordnung abzustellen. Und auch § 13 Abs. 2 LEntG bestimmt als Beginn der Verzinsungspflicht den Zeitpunkt des Nutzungsentzuges bzw. der Nutzungsbeschränkung. Entgegen der Auffassung des Klägers liegt diese (zwangsweise) Nutzungsbeschränkung nicht in der mit Zustimmung seines Vaters erfolgten Verlegung der Abwasserleitung, sondern erst in der die vorliegend streitige Entschädigungspflicht auslösenden Duldungsanordnung der Beklagten vom 28.09.2005. Da die Leitung zu diesem Zeitpunkt bereits bestanden hat, hat die Verzinsungspflicht gemäß § 13 Abs. 2 LEntG vorliegend mit der Bekanntgabe des Ausgangsbescheids begonnen. Ob dem Kläger für den davor liegenden Zeitraum eine zusätzliche zivilrechtliche Nutzungsentschädigung zusteht, ist nicht Gegenstand der angefochtenen Entscheidung gemäß § 88 Abs. 2 WG und wäre in einem Verfahren vor den Zivilgerichten zu klären.
21 
Selbst unter Zugrundelegung der vom Kläger genannten und auch aktuell für anwendbar gehaltenen maximalen Entschädigungssätze beliefe sich sein Entschädigungsanspruch lediglich auf 2.846 EUR. Auch unter Berücksichtigung der von der herrschenden Meinung als erstattungsfähig angesehenen Rechtsberatungskosten (vgl. Breuer, Öffentliches und privates Wasserrecht, 3. Aufl. 2004, RdNr. 708, unter Bezugnahme auf BGH, Urteil vom 20.12.1968 - V ZR 46/65 -, NJW 1969, 1088) in Höhe von 297 EUR (Rechtsanwaltsgebühren) und bei einer Verzinsung gemäß § 13 Abs. 2 LEntG im Zeitraum von der Bekanntmachung des Ausgangsbescheids Anfang Oktober 2005 bis zur Überweisung der festgesetzten Entschädigung Mitte Januar 2006 bliebe die dem Kläger im günstigsten Falle zustehende Entschädigung weit unter der im Widerspruchsbescheid festgesetzten Summe. Der Hilfsantrag des Klägers auf eine bezifferte Mehrforderung in Höhe von weiteren 11.845,66 EUR bleibt deshalb ohne Erfolg. Wie ausgeführt, kommt andererseits eine „Verböserung“ durch das Verwaltungsgericht nicht in Betracht.
22 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
23 
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Berufung durch das Verwaltungsgericht gemäß § 124 a Abs. 1 S. 1, 124 Abs. 2 Nr. 3 oder 4 VwGO liegen nicht vor.

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