Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 21.03.2011 wird aufgehoben.
Die Beklagte wird verpflichtet festzustellen, dass beim Kläger das Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich des Iran vorliegt. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
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| Der am ...1950 geborene Kläger ist iranischer Staatsangehöriger. Er reiste am 04.08.2001 in das Bundesgebiet ein. Am 09.08.2001 beantragte er die Gewährung von Asyl. Mit Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 03.02.2003 wurde der Asylantrag abgelehnt und festgestellt, dass weder die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG noch ein Abschiebungshindernis nach § 53 AuslG vorliegen, sowie mit einer Ausreisefrist von einem Monat die Abschiebung angedroht. Die hierauf eingelegten Rechtsmittel blieben ohne Erfolg (VG Stuttgart, Urteil vom 21.06.2004 - A 11 K 10505/03; VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 20.07.2004 - A 3 S 940/04 -). |
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| Am 21.01.2011 stellte der Kläger ein Folgeschutzgesuch im Hinblick auf Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG und brachte zur Begründung vor, er sei auf die Einnahme von Antidepressiva und Neuroleptika angewiesen. Sein Gesundheitszustand sei schwer angeschlagen. Er benötige regelmäßige therapeutische Gespräche und eine psychiatrische Behandlung. Eine derartige Behandlung im Iran sei nicht möglich. Außerdem sei er mittellos. In dem vorgelegten Gutachten des Psychosozialen Zentrums für traumatisierte Flüchtlinge e.V. (Refugio Stuttgart) vom 18.11.2010 wurde ausgeführt, beim Kläger bestehe eine chronische depressive Erkrankung, zur Zeit eine schwere Depression mit Suizidalität sowie eine Anorexie (Untergewicht). Der Kläger habe im Bundesgebiet nur wenige Sozialkontakte, verstehe und spreche kaum Deutsch. Für einen Deutschkurs habe sich keine Finanzierung gefunden. Wiederholte Anträge auf Arbeitserlaubnis seien abgelehnt worden. Er müsse von 130,-- EUR monatlich leben. Hiervon müsse er Ernährung, Kleidung, Fahrtkosten und Anwaltskosten bestreiten. Am Monatsende habe er kein Geld mehr für Nahrungsmittel und leide Hunger. Seit 2004/05 habe er ständige psychische Beschwerden. Diese bestünden in anhaltendem Stressgefühl, schwerer Niedergeschlagenheit und Todesgedanken. Der Kläger gebe sich die Schuld an der Inhaftierung, der vermuteten Folterung und letztlich am Tod seines Schwagers Mahmood. Beim Kläger bestehe ein Gefühl von Lebensüberdruss, herrührend aus der Erkenntnis, alles verloren zu haben, was das Leben einst lebenswert gemacht habe sowie aus der Ausweglosigkeit der aktuellen Lebenssituation, die von materieller Not, erzwungener Untätigkeit und sozialer Isolation gekennzeichnet sei. Regelmäßige therapeutische Gespräche seien unbedingt erforderlich. Auch eine psychiatrische Behandlung sei unumgänglich notwendig. Psychopharmaka und Schlafmittel allein reichten zur Stabilisierung nicht aus. Der Kläger sei latent suizidal. Eine zwangsweise Rückkehr in den Iran stelle eine maximale Bedrohung dar. Es sei nicht zu erwarten, dass der Kläger sich nach einer Rückkehr in den Iran in eine psychiatrische oder psychotherapeutische Behandlung begeben könne. |
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| Mit Bescheid vom 21.03.2011 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge den Antrag auf Abänderung des Bescheids vom 03.02.2003 bezüglich der Feststellung zu § 53 Abs. 1 bis 6 AuslG ab und führte zur Begründung aus, die geltend gemachte latente Suizidalität sei von der Ausländerbehörde im Rahmen der Vollstreckung der Ausreisepflicht zu berücksichtigen und könne kein Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 1 S. 1 AufenthG begründen. Die vom Kläger geltend gemachten Erkrankungen seien im Iran behandelbar. Im Iran bestünden auch Behandlungsmöglichkeiten für psychische Störungen. Depressionen könnten sehr gut und problemlos von iranischen Fachärzten sowohl ambulant als auch stationär ohne Komplikationen behandelt werden. |
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| Am 30.03.2011 hat der Kläger Klage erhoben und zur Begründung vorgetragen, im Iran könne er weder psychiatrisch noch psychotherapeutisch behandelt werden. Er sei schwer chronisch depressiv mit suizidalen Gedanken. Die erforderlichen Medikamente könne er im Iran nicht erhalten, da er mittellos sei. Er befinde sich nach wie vor in Behandlung bei Refugio. |
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| den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 21.03.2011 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten festzustellen, dass bei ihm Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG vorliegen. |
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| Sie verweist auf den angefochtenen Bescheid. |
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| Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die zur Sache gehörende Akte der Beklagten Bezug genommen. |
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| Das Gericht konnte trotz Ausbleibens von Beteiligten über die Sache verhandeln und entscheiden, da sie ordnungsgemäß geladen und in der Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden sind (§ 102 Abs. 2 VwGO). |
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| Der angefochtene Bescheid des Bundesamtes ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Der Kläger hat Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. |
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| Ob das Bundesamt schon gemäß § 51 Abs. 1 - 3 VwVfG verpflichtet war, das Verfahren im Hinblick auf § 60 Abs. 2, 3, 5 oder 7 AufenthG wieder aufzugreifen, kann dahingestellt bleiben. Der Kläger hat jedenfalls unabhängig vom Vorliegen der Voraussetzungen nach § 51 Abs. 1 - 3 VwVfG einen Anspruch darauf, dass das Bundesamt eine positive Feststellung zu § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG trifft. Denn jenseits des § 71 AsylVfG, der nur den Asylantrag im Sinne von § 13 AsylVfG betrifft, kann sich aus §§ 51 Abs. 5, 48, 49 VwVfG und einer in deren Rahmen i.V.m. Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 und 2 GG gebotenen Ermessensreduzierung auf Null das Wiederaufgreifen des abgeschlossenen früheren Verwaltungsverfahrens, die Aufhebung des unanfechtbar gewordenen Verwaltungsakts und eine neue Sachentscheidung zu § 60 Abs. 2, 3, 5 oder 7 AufenthG dann ergeben, wenn tatsächlich Abschiebungsverbote vorliegen; auf die Frage, wann diese geltend gemacht worden sind, kommt es wegen des materiellen Schutzgehalts der Grundrechte nicht an (vgl. BVerfG, Beschl. v. 21.06.2000 - 2 BvR 1989/97 - DVBl. 2000, 1279; BVerwG, Urt. v. 07.09.1999 - 1 C 6/99 - InfAuslR 2000, 16 und Urt. v. 21.03.2000 - 9 C 41/99 - BVerwGE 111, 77). Einer Feststellung des geltend gemachten Abschiebungsverbots durch das Bundesamt steht auch nicht die Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidung über die negative Feststellung des Bundesamts im Asylerstverfahren entgegen. Das Bundesamt ist nicht gehindert, einen rechtskräftig abgesprochenen Anspruch auf Feststellung von Abschiebungsverboten zu erfüllen, wenn es erkennt, dass der Anspruch tatsächlich besteht und das rechtskräftige Urteil unzutreffend ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 08.12.1992 - 1 C 12/92 - BVerwGE 91, 256; Urt. v. 27.01.1994 - 2 C 12/92 - BVerwGE 95, 86 und Urt. v. 07.09.1999 - 1 C 6/99 - NVwZ 2000, 204). Ob eine Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 2, 3, 5 oder 7 AufenthG vorliegt, ist somit ohne Rücksicht auf die Versagung asylrechtlichen Verfolgungsschutzes und ohne Bindung an etwa vorliegende rechtskräftige Gerichtsentscheidungen zu beurteilen (vgl. BVerwG, Urt. v. 17.12.1996 - 9 C 20/96 - InfAuslR 1997, 284 und Urt. v. 30.03.1999 - 9 C 31/91 - BVerwGE 109, 1). |
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| Das Verwaltungsgericht ist im Hinblick auf § 60 Abs. 2, 3, 5 oder 7 AufenthG auch befugt und verpflichtet, in der Sache durchzuentscheiden (vgl. BVerwG, Urt. v. 10.02.1998 - 9 C 28/97 - BVerwGE 106, 171). |
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| Anhaltspunkte für das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2, 3, 5 oder 7 Satz 2 AufenthG bestehen allerdings nicht. Dies wird vom Kläger auch nicht geltend gemacht. |
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| Es liegt jedoch ein Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG hinsichtlich des Iran vor. Das dem Bundesamt eingeräumte Ermessen auf Wiederaufgreifen des Verfahrens im Hinblick auf die Feststellung von Abschiebungsverboten ist deshalb auf Null reduziert (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 04.01.2000 - A 14 S 786/99 -NVwZ-RR 2000, 261). Die Beklagte ist somit zu verpflichten festzustellen, dass beim Kläger ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG vorliegt. |
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| Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Diese Bestimmung fragt nicht danach, von wem die Gefahr ausgeht oder wodurch sie hervorgerufen wird; die Regelung stellt vielmehr lediglich auf das Bestehen einer konkreten Gefahr ab ohne Rücksicht darauf, ob sie vom Staat ausgeht oder ihm zumindest zuzurechnen ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 17.10.1995 - 9 C 9/95 - BVerwGE 99, 324). Eine Aussetzung der Abschiebung nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG kommt jedoch nicht in Betracht, wenn die geltend gemachten Gefahren nicht landesweit drohen und der Ausländer sich ihnen durch Ausweichen in sichere Gebiete seines Herkunftslandes entziehen kann (vgl. BVerwG, Urt. v. 17.10.1995 - 9 C 9/95 - a.a.O.). Die Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit muss mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit bestehen. Die besondere Schwere eines drohenden Eingriffs ist im Rahmen der gebotenen qualifizierenden Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung, Abwägung und zusammenfassenden Bewertung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts vermittels des Kriteriums, ob die Wahrscheinlichkeit der Rechtsgutverletzung beachtlich ist, zu berücksichtigen (vgl. BVerwG, Urt. v. 17.10.1995 - 9 C 9/95 - a.a.O. und Urt. v. 05.07.1994 - 9 C 1/94 - InfAuslR 1995, 24). Dieser Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit ist auch in Fällen bereits erlittener gleichartiger Gefahrenlagen nicht herabzusetzen (vgl. BVerwG, Urt. v. 17.10.1995 - 9 C 9/95 - a.a.O.) |
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| Auch die drohende Verschlimmerung einer Krankheit wegen ihrer nur unzureichenden medizinischen Behandlung im Zielstaat der Abschiebung kann ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG darstellen (vgl. BVerwG, Urt. v. 25.11.1997 - 9 C 58/96 - BVerwGE 105, 383; Urt. v. 27.04.1998 - 9 C 13/97 - NVwZ 1998, 973 und Urt. v. 21.09.1999 -9 C 8/99 - NVwZ 2000, 206). Von einer Verschlimmerung ist auszugehen, wenn eine wesentliche oder gar lebensbedrohliche Verschlechterung des Gesundheitszustands droht; konkret ist diese Gefahr, wenn die Verschlechterung alsbald nach der Rückkehr in den Heimatstaat eintreten würde (vgl. BVerwG, Urt. v. 25.11.1997 - 9 C 58/96 - a.a.O. und Urt. v. 29.07.1999 - 9 C 2/99 - juris -). Ob die Gefahr der Verschlechterung der Gesundheit durch die individuelle Konstitution des Ausländers bedingt oder mitbedingt ist, ist unerheblich (vgl. BVerwG, Urt. v. 29.07.1999 - 9 C 2/99 - a.a.O.). Eine zielstaatsbezogene Gefahr für Leib und Leben besteht auch dann, wenn die notwendige Behandlung oder Medikation im Zielstaat zwar allgemein zur Verfügung steht, dem betroffenen Ausländer individuell jedoch aus finanziellen oder sonstigen Gründen nicht zugänglich ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 29.10.2002 - 1 C 1/02 - DVBl 2003, 463 und Beschl. v. 29.04.2002 - 1 B 59/02 - Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 60; VGH Kassel, Urt. v. 24.06.2003 - 7 UE 3606/99.A - AuAS 2004, 20). Die mögliche Unterstützung durch Angehörige im In- oder Ausland ist in die gerichtliche Prognose, ob bei Rückkehr eine Gefahr für Leib oder Leben besteht, mit einzubeziehen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 01.10.2001 - 1 B 185/01 - Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 51). An die Qualität und Dichte der Gesundheitsversorgung im Abschiebungszielland einschließlich Kostenbeteiligung des Betroffenen können allerdings keine der hiesigen Gesundheitsversorgung entsprechenden Anforderungen gestellt werden (vgl. OVG Münster, Beschl. v. 06.09.2004 - 18 B 2661/03 - AuAS 2005, 31). |
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| Nach diesen Grundsätzen droht dem Kläger eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib und Leben im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG bei einer Rückkehr in den Iran, weil er aufgrund seiner psychischen Erkrankung derzeit im Iran mit schwersten gesundheitlichen Beeinträchtigungen zu rechnen hätte. |
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| Nach dem vom Kläger vorgelegten Gutachten des Psychosozialen Zentrums für traumatisierte Flüchtlinge e. V. vom 18.11.2010 wurde bei ihm eine chronische depressive Erkrankung und eine schwere Depression mit Suizidalität diagnostiziert. Der Kläger sei nicht nur auf Antidepressiva und Neuroleptika angewiesen, sondern eine psychiatrische Behandlung sei unumgänglich, regelmäßige therapeutische Gespräche seien unbedingt erforderlich. Das Gericht hat keinen Anlass, an der Richtigkeit dieser ärztlichen Feststellung zu zweifeln. Auch die Beklagte hat keine Einwendungen gegen das vorgelegte Gutachten erhoben. |
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| Zwar ist die medizinische Versorgung im Iran grundsätzlich ausreichend bis - vor allem in Teheran - befriedigend, wenn sie auch nicht internationalen Anforderungen entspricht. Die Versorgung mit Medikamenten ist weitgehend gewährleistet (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 04.11.2011 S. 49). Ob bzw. wie psychische Erkrankungen im Iran behandelbar sind, ist der Auskunftslage nicht eindeutig zu entnehmen. So teilte das Deutsche Orient-Institut in seinem Gutachten vom 03.06.2002 an das VG Mainz mit, Psychotherapie werde im Iran - sie gelte als „westliche Unkultur“ - nicht praktiziert. Andererseits heißt es im Gutachten des Deutschen Orient-Instituts vom 22.12.2003 an das VG Aachen, im Iran seien auch anspruchsvolle psychiatrische Behandlungen möglich. Auch die Schweizerische Flüchtlingshilfe teilt in ihrer Auskunft vom 20.11.2008 mit, die therapeutischen Behandlungsmethoden für psychisch kranke Menschen beinhalteten im Iran vorwiegend Pharmakotherapie sowie Psychotherapie; in den größeren Städten des Irans seien auch psychotherapeutische Sitzungen möglich. Selbst wenn danach davon auszugehen wäre, dass es die erforderliche psychiatrische/psychotherapeutische Behandlung für den Kläger im Iran gäbe, wäre diese, aber auch die erforderliche medikamentöse Behandlung für den Kläger im Iran nicht verfügbar. |
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| Der Iran verfügt über ein ausgebautes staatliches Versicherungswesen, welches prinzipiell auch die Deckung von Krankheitskosten umfasst; allerdings müssen Patienten hohe Eigenaufwendungen leisten, da die Behandlungskosten die Versicherungsleistungen in vielen Fällen deutlich übersteigen (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 04.11.2011 S. 49). Das Versicherungswesen im Iran ist aber so geordnet, dass vom Versicherungsschutz grundsätzlich nur die Behandlung umfasst ist, so dass Medikamente grundsätzlich selbst bezahlt werden müssen (vgl. Deutsches Orient-Institut, Gutachten vom 22.12.2003 an VG Aachen). Diesen Versicherungsschutz haben alle Staatsangestellten, die Bediensteten des Militärs, Angestellte und Arbeiter in staatlichen Firmen, aber auch für in der Privatwirtschaft angestellte Personen gibt es einen gesetzlichen Versicherungsschutz (vgl. Deutsches Orient-Institut, Gutachten vom 22.12.2003 an VG Aachen). Weiter müssen Patienten massiv Vorauszahlungen leisten, damit eine Behandlung überhaupt in Angriff genommen wird (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Auskunft vom 20.11.2008). |
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| Nach dieser Auskunftslage ist davon auszugehen, dass die notwendige Behandlung und Medikation des Klägers im Iran ihm aus finanziellen Gründen nicht zugänglich ist. Von dem im Iran bestehenden Krankenversicherungsschutz wird der Kläger, der aufgrund seiner Erkrankungen und seines Alters nicht mehr arbeiten kann, nicht erfasst. Dies bedeutet, dass er sowohl für seine Behandlung als auch für die erforderlichen Medikamente selbst aufkommen müsste. Selbst wenn er aber Krankenversicherungsschutz erhalten würde, wäre er auf hohe Eigenaufwendungen angewiesen, da die Behandlungskosten deutlich über den Versicherungsleistungen liegen und Medikamente selbst bezahlt werden müssen. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung glaubhaft und substantiiert dargelegt, dass er mit einer verlässlichen finanziellen Unterstützung von Angehörigen nicht rechnen könne. Es kann somit nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger die erforderliche psychiatrische und medikamentöse Behandlung im Iran erhalten wird. Für den Kläger besteht folglich bei einer Rückkehr in den Iran eine ganz konkrete individuelle Gefahrensituation. |
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| Der Anspruch des Klägers auf Feststellung des Vorliegens eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG wird nicht durch § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG gesperrt. Es kann nicht angenommen werden, dass hinsichtlich des vielfältigen Symptombildes psychischer Erkrankungen ein Bedürfnis nach einer ausländerpolitischen Leitentscheidung nach § 60 a Abs. 1 AufenthG besteht (vgl. BVerwG, Urt. v. 18.07.2006 - 1 C 16/05 - Buchholz 402.242 § 60 Abs. 2 ff AufenthG Nr. 18). |
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| Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO, § 83 b AsylVfG. |
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| Das Gericht konnte trotz Ausbleibens von Beteiligten über die Sache verhandeln und entscheiden, da sie ordnungsgemäß geladen und in der Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden sind (§ 102 Abs. 2 VwGO). |
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| Der angefochtene Bescheid des Bundesamtes ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Der Kläger hat Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. |
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| Ob das Bundesamt schon gemäß § 51 Abs. 1 - 3 VwVfG verpflichtet war, das Verfahren im Hinblick auf § 60 Abs. 2, 3, 5 oder 7 AufenthG wieder aufzugreifen, kann dahingestellt bleiben. Der Kläger hat jedenfalls unabhängig vom Vorliegen der Voraussetzungen nach § 51 Abs. 1 - 3 VwVfG einen Anspruch darauf, dass das Bundesamt eine positive Feststellung zu § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG trifft. Denn jenseits des § 71 AsylVfG, der nur den Asylantrag im Sinne von § 13 AsylVfG betrifft, kann sich aus §§ 51 Abs. 5, 48, 49 VwVfG und einer in deren Rahmen i.V.m. Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 und 2 GG gebotenen Ermessensreduzierung auf Null das Wiederaufgreifen des abgeschlossenen früheren Verwaltungsverfahrens, die Aufhebung des unanfechtbar gewordenen Verwaltungsakts und eine neue Sachentscheidung zu § 60 Abs. 2, 3, 5 oder 7 AufenthG dann ergeben, wenn tatsächlich Abschiebungsverbote vorliegen; auf die Frage, wann diese geltend gemacht worden sind, kommt es wegen des materiellen Schutzgehalts der Grundrechte nicht an (vgl. BVerfG, Beschl. v. 21.06.2000 - 2 BvR 1989/97 - DVBl. 2000, 1279; BVerwG, Urt. v. 07.09.1999 - 1 C 6/99 - InfAuslR 2000, 16 und Urt. v. 21.03.2000 - 9 C 41/99 - BVerwGE 111, 77). Einer Feststellung des geltend gemachten Abschiebungsverbots durch das Bundesamt steht auch nicht die Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidung über die negative Feststellung des Bundesamts im Asylerstverfahren entgegen. Das Bundesamt ist nicht gehindert, einen rechtskräftig abgesprochenen Anspruch auf Feststellung von Abschiebungsverboten zu erfüllen, wenn es erkennt, dass der Anspruch tatsächlich besteht und das rechtskräftige Urteil unzutreffend ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 08.12.1992 - 1 C 12/92 - BVerwGE 91, 256; Urt. v. 27.01.1994 - 2 C 12/92 - BVerwGE 95, 86 und Urt. v. 07.09.1999 - 1 C 6/99 - NVwZ 2000, 204). Ob eine Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 2, 3, 5 oder 7 AufenthG vorliegt, ist somit ohne Rücksicht auf die Versagung asylrechtlichen Verfolgungsschutzes und ohne Bindung an etwa vorliegende rechtskräftige Gerichtsentscheidungen zu beurteilen (vgl. BVerwG, Urt. v. 17.12.1996 - 9 C 20/96 - InfAuslR 1997, 284 und Urt. v. 30.03.1999 - 9 C 31/91 - BVerwGE 109, 1). |
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| Das Verwaltungsgericht ist im Hinblick auf § 60 Abs. 2, 3, 5 oder 7 AufenthG auch befugt und verpflichtet, in der Sache durchzuentscheiden (vgl. BVerwG, Urt. v. 10.02.1998 - 9 C 28/97 - BVerwGE 106, 171). |
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| Anhaltspunkte für das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2, 3, 5 oder 7 Satz 2 AufenthG bestehen allerdings nicht. Dies wird vom Kläger auch nicht geltend gemacht. |
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| Es liegt jedoch ein Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG hinsichtlich des Iran vor. Das dem Bundesamt eingeräumte Ermessen auf Wiederaufgreifen des Verfahrens im Hinblick auf die Feststellung von Abschiebungsverboten ist deshalb auf Null reduziert (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 04.01.2000 - A 14 S 786/99 -NVwZ-RR 2000, 261). Die Beklagte ist somit zu verpflichten festzustellen, dass beim Kläger ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG vorliegt. |
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| Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Diese Bestimmung fragt nicht danach, von wem die Gefahr ausgeht oder wodurch sie hervorgerufen wird; die Regelung stellt vielmehr lediglich auf das Bestehen einer konkreten Gefahr ab ohne Rücksicht darauf, ob sie vom Staat ausgeht oder ihm zumindest zuzurechnen ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 17.10.1995 - 9 C 9/95 - BVerwGE 99, 324). Eine Aussetzung der Abschiebung nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG kommt jedoch nicht in Betracht, wenn die geltend gemachten Gefahren nicht landesweit drohen und der Ausländer sich ihnen durch Ausweichen in sichere Gebiete seines Herkunftslandes entziehen kann (vgl. BVerwG, Urt. v. 17.10.1995 - 9 C 9/95 - a.a.O.). Die Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit muss mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit bestehen. Die besondere Schwere eines drohenden Eingriffs ist im Rahmen der gebotenen qualifizierenden Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung, Abwägung und zusammenfassenden Bewertung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts vermittels des Kriteriums, ob die Wahrscheinlichkeit der Rechtsgutverletzung beachtlich ist, zu berücksichtigen (vgl. BVerwG, Urt. v. 17.10.1995 - 9 C 9/95 - a.a.O. und Urt. v. 05.07.1994 - 9 C 1/94 - InfAuslR 1995, 24). Dieser Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit ist auch in Fällen bereits erlittener gleichartiger Gefahrenlagen nicht herabzusetzen (vgl. BVerwG, Urt. v. 17.10.1995 - 9 C 9/95 - a.a.O.) |
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| Auch die drohende Verschlimmerung einer Krankheit wegen ihrer nur unzureichenden medizinischen Behandlung im Zielstaat der Abschiebung kann ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG darstellen (vgl. BVerwG, Urt. v. 25.11.1997 - 9 C 58/96 - BVerwGE 105, 383; Urt. v. 27.04.1998 - 9 C 13/97 - NVwZ 1998, 973 und Urt. v. 21.09.1999 -9 C 8/99 - NVwZ 2000, 206). Von einer Verschlimmerung ist auszugehen, wenn eine wesentliche oder gar lebensbedrohliche Verschlechterung des Gesundheitszustands droht; konkret ist diese Gefahr, wenn die Verschlechterung alsbald nach der Rückkehr in den Heimatstaat eintreten würde (vgl. BVerwG, Urt. v. 25.11.1997 - 9 C 58/96 - a.a.O. und Urt. v. 29.07.1999 - 9 C 2/99 - juris -). Ob die Gefahr der Verschlechterung der Gesundheit durch die individuelle Konstitution des Ausländers bedingt oder mitbedingt ist, ist unerheblich (vgl. BVerwG, Urt. v. 29.07.1999 - 9 C 2/99 - a.a.O.). Eine zielstaatsbezogene Gefahr für Leib und Leben besteht auch dann, wenn die notwendige Behandlung oder Medikation im Zielstaat zwar allgemein zur Verfügung steht, dem betroffenen Ausländer individuell jedoch aus finanziellen oder sonstigen Gründen nicht zugänglich ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 29.10.2002 - 1 C 1/02 - DVBl 2003, 463 und Beschl. v. 29.04.2002 - 1 B 59/02 - Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 60; VGH Kassel, Urt. v. 24.06.2003 - 7 UE 3606/99.A - AuAS 2004, 20). Die mögliche Unterstützung durch Angehörige im In- oder Ausland ist in die gerichtliche Prognose, ob bei Rückkehr eine Gefahr für Leib oder Leben besteht, mit einzubeziehen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 01.10.2001 - 1 B 185/01 - Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 51). An die Qualität und Dichte der Gesundheitsversorgung im Abschiebungszielland einschließlich Kostenbeteiligung des Betroffenen können allerdings keine der hiesigen Gesundheitsversorgung entsprechenden Anforderungen gestellt werden (vgl. OVG Münster, Beschl. v. 06.09.2004 - 18 B 2661/03 - AuAS 2005, 31). |
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| Nach diesen Grundsätzen droht dem Kläger eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib und Leben im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG bei einer Rückkehr in den Iran, weil er aufgrund seiner psychischen Erkrankung derzeit im Iran mit schwersten gesundheitlichen Beeinträchtigungen zu rechnen hätte. |
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| Nach dem vom Kläger vorgelegten Gutachten des Psychosozialen Zentrums für traumatisierte Flüchtlinge e. V. vom 18.11.2010 wurde bei ihm eine chronische depressive Erkrankung und eine schwere Depression mit Suizidalität diagnostiziert. Der Kläger sei nicht nur auf Antidepressiva und Neuroleptika angewiesen, sondern eine psychiatrische Behandlung sei unumgänglich, regelmäßige therapeutische Gespräche seien unbedingt erforderlich. Das Gericht hat keinen Anlass, an der Richtigkeit dieser ärztlichen Feststellung zu zweifeln. Auch die Beklagte hat keine Einwendungen gegen das vorgelegte Gutachten erhoben. |
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| Zwar ist die medizinische Versorgung im Iran grundsätzlich ausreichend bis - vor allem in Teheran - befriedigend, wenn sie auch nicht internationalen Anforderungen entspricht. Die Versorgung mit Medikamenten ist weitgehend gewährleistet (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 04.11.2011 S. 49). Ob bzw. wie psychische Erkrankungen im Iran behandelbar sind, ist der Auskunftslage nicht eindeutig zu entnehmen. So teilte das Deutsche Orient-Institut in seinem Gutachten vom 03.06.2002 an das VG Mainz mit, Psychotherapie werde im Iran - sie gelte als „westliche Unkultur“ - nicht praktiziert. Andererseits heißt es im Gutachten des Deutschen Orient-Instituts vom 22.12.2003 an das VG Aachen, im Iran seien auch anspruchsvolle psychiatrische Behandlungen möglich. Auch die Schweizerische Flüchtlingshilfe teilt in ihrer Auskunft vom 20.11.2008 mit, die therapeutischen Behandlungsmethoden für psychisch kranke Menschen beinhalteten im Iran vorwiegend Pharmakotherapie sowie Psychotherapie; in den größeren Städten des Irans seien auch psychotherapeutische Sitzungen möglich. Selbst wenn danach davon auszugehen wäre, dass es die erforderliche psychiatrische/psychotherapeutische Behandlung für den Kläger im Iran gäbe, wäre diese, aber auch die erforderliche medikamentöse Behandlung für den Kläger im Iran nicht verfügbar. |
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| Der Iran verfügt über ein ausgebautes staatliches Versicherungswesen, welches prinzipiell auch die Deckung von Krankheitskosten umfasst; allerdings müssen Patienten hohe Eigenaufwendungen leisten, da die Behandlungskosten die Versicherungsleistungen in vielen Fällen deutlich übersteigen (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 04.11.2011 S. 49). Das Versicherungswesen im Iran ist aber so geordnet, dass vom Versicherungsschutz grundsätzlich nur die Behandlung umfasst ist, so dass Medikamente grundsätzlich selbst bezahlt werden müssen (vgl. Deutsches Orient-Institut, Gutachten vom 22.12.2003 an VG Aachen). Diesen Versicherungsschutz haben alle Staatsangestellten, die Bediensteten des Militärs, Angestellte und Arbeiter in staatlichen Firmen, aber auch für in der Privatwirtschaft angestellte Personen gibt es einen gesetzlichen Versicherungsschutz (vgl. Deutsches Orient-Institut, Gutachten vom 22.12.2003 an VG Aachen). Weiter müssen Patienten massiv Vorauszahlungen leisten, damit eine Behandlung überhaupt in Angriff genommen wird (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Auskunft vom 20.11.2008). |
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| Nach dieser Auskunftslage ist davon auszugehen, dass die notwendige Behandlung und Medikation des Klägers im Iran ihm aus finanziellen Gründen nicht zugänglich ist. Von dem im Iran bestehenden Krankenversicherungsschutz wird der Kläger, der aufgrund seiner Erkrankungen und seines Alters nicht mehr arbeiten kann, nicht erfasst. Dies bedeutet, dass er sowohl für seine Behandlung als auch für die erforderlichen Medikamente selbst aufkommen müsste. Selbst wenn er aber Krankenversicherungsschutz erhalten würde, wäre er auf hohe Eigenaufwendungen angewiesen, da die Behandlungskosten deutlich über den Versicherungsleistungen liegen und Medikamente selbst bezahlt werden müssen. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung glaubhaft und substantiiert dargelegt, dass er mit einer verlässlichen finanziellen Unterstützung von Angehörigen nicht rechnen könne. Es kann somit nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger die erforderliche psychiatrische und medikamentöse Behandlung im Iran erhalten wird. Für den Kläger besteht folglich bei einer Rückkehr in den Iran eine ganz konkrete individuelle Gefahrensituation. |
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| Der Anspruch des Klägers auf Feststellung des Vorliegens eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG wird nicht durch § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG gesperrt. Es kann nicht angenommen werden, dass hinsichtlich des vielfältigen Symptombildes psychischer Erkrankungen ein Bedürfnis nach einer ausländerpolitischen Leitentscheidung nach § 60 a Abs. 1 AufenthG besteht (vgl. BVerwG, Urt. v. 18.07.2006 - 1 C 16/05 - Buchholz 402.242 § 60 Abs. 2 ff AufenthG Nr. 18). |
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| Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO, § 83 b AsylVfG. |
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