Urteil vom Verwaltungsgericht Stuttgart - A 16 K 1626/21

Tenor

Die Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.

Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 17.03.2021 wird in den Nummern 1 und 3-6 aufgehoben.

Die Beklagte trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, hilfsweise die Zuerkennung subsidiären Schutzes sowie weiter hilfsweise die Feststellung, dass für sie ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Nigerias besteht.
Die am xx.xx.xxxx in der Bundesrepublik Deutschland geborene Klägerin ist nigerianische Staatsangehörige vom Volke der Edo und christlicher Religionszugehörigkeit. Ihr Asylantrag wurde am 08.12.2020 durch ihre gesetzlichen Vertreter gestellt.
Für das Verfahren der Klägerin wurden deren Eltern nicht erneut angehört, sondern auf die erfolgten Anhörungen im Verfahren der Schwester der Klägerin (Bundesamtsaktenzeichen xxx) verwiesen. Bei seiner Anhörung am 09.11.2017 in Heidelberg gab der Vater der Klägerin auf die Frage, wie er zu weiblicher Beschneidung stehe, an, dies sei Tradition und es sei gut. Danach wurde er über die Strafbarkeit von weiblicher Beschneidung in Deutschland belehrt. Bei der späteren Anhörung der Eltern der Klägerin am 30.07.2019 in Ellwangen (Jagst) zur den Gefahren durch Genitalverstümmelung bei einer Rückkehr nach Nigeria gab der Vater der Klägerin an, in seinem Dorf würden ausnahmslos alle beschnitten, sowohl Jungen als auch Mädchen. Es sei in seiner Familie eine Tradition, die heute noch gepflegt, beachtet und respektiert werde. Die Gefahr, dass seine Tochter bei einer Rückkehr beschnitten werde, sei sehr groß. Er selbst sei zwar gegen die Beschneidung, in seiner Familie komme man an einer Beschneidung aber nicht vorbei. Die Onkel würden dies bestimmen. Wer es nicht mache, werde mit einem Fluch belegt. Wer mit solch einem Fluch belegt werde, der lebe zwischen Leben und Tod, sei entweder krank oder Unheil komme über ihn. Die Person habe Schwierigkeiten und Misserfolg, der Fluch wirke bis zum Tode der Person. Deshalb könne seine Tochter nicht zurück nach Nigeria. Er selbst habe nicht die Mittel, sich in einer Großstadt niederzulassen, aber selbst wenn er die Mittel hätte, würde er über kurz oder lang Familie oder Freunde treffen, die davon erfahren würden, dass seine Tochter nicht beschnitten sei. Sie würden nachsehen, ob es gemacht worden sei und ihm dann eine Frist einräumen, die Beschneidung vorzunehmen, und falls er dies nicht tue, würde das Ritual mit dem Fluch gemacht werden. Es sei nicht möglich, geheim zu halten, dass die Tochter nicht beschnitten sei, denn die Familie und die Priester würden Dinge sehen wie ein Orakel.
Bei der Anhörung der Mutter der Klägerin zum Verfahren der Schwester am 30.07.2019 gab diese an, selbst beschnitten worden zu sein. Die Beschneidung sei in ihrem Dorf und auch woanders Tradition, sie werde sehr gepflegt und respektiert. Wenn ein Kind geboren werde, egal ob Junge oder Mädchen, müsse es beschnitten werden. Würde sie ihr Kind mit nach Nigeria nehmen, und es sei nicht beschnitten, würde das Kind aus dem Dorf ausgestoßen und vertrieben. Zudem werde ein Fluch auf nicht Beschnittene gelegt. Betrete eine solche Person nigerianischen Boden, komme der Fluch auf sie. In ihrer Familie seien alle Frauen beschnitten worden. Ihre Schwester sei an der Beschneidung verstorben. Sie kenne keine Frauen, die nicht beschnitten worden seien. Auf Nachfrage sagte die Mutter der Klägerin, sie würde ihre Tochter nicht beschneiden lassen. Aber ihre Onkel und der Älteste der Familie würden eine Beschneidung durchführen lassen. Bei einer Rückkehr nach Nigeria müsse sie zu ihrer Familie gehen, da sie aus eigener Kraft nicht überleben würde. Sie wäre diesen Leuten ausgeliefert. In eine andere Stadt in Nigeria könne sie nicht zurückkehren, sie würde dort niemanden kennen und das sei zu schwer. Zudem würde das Kind, wenn es nigerianischen Boden betrete, mit dem Fluch belegt und dieser Fluch würde auf sie einwirken. Sie sehe keine andere Möglichkeit, als zu ihrer Familie zurückzukehren und ihre Tochter beschneiden zu lassen.
Mit Bescheid vom 02.07.2020 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Nr. 1) sowie den Antrag auf Asylanerkennung (Nr. 2) und den Antrag auf subsidiären Schutz (Nr. 3) ab, stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 4). Weiter drohte das Bundesamt die Abschiebung nach Nigeria oder in einen anderen aufnahmebereiten oder zur Rückübernahme verpflichteten Staat an (Nr. 5). Das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 6).
Hiergegen hat die Klägerin am 31.03.2021 Klage erhoben und beantragt zuletzt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 17.03.2021 zu verpflichten, der Klägerin die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, hilfsweise die Beklagte zu verpflichten, ihr den subsidiären Schutz zuzuerkennen, weiter hilfsweise die Beklagte zu verpflichten festzustellen, dass bei ihr ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG hinsichtlich Nigerias vorliegt.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
10 
Sie bezieht sich zur Begründung auf die angefochtene Entscheidung.
11 
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des übrigen Vorbringens der Beteiligten wird auf die Behördenakten, die Schriftsätze und den sonstigen Akteninhalt verwiesen.

Entscheidungsgründe

 
12 
Das Gericht konnte trotz Ausbleibens aller Beteiligten verhandeln und entscheiden, da in der ordnungsgemäßen Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist, § 102 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Das Gericht entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten durch die Berichterstatterin, § 87a Abs. 2 und 3 VwGO.
13 
Die Klage ist zulässig und begründet. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylG. Der angefochtene Bescheid des Bundesamts vom 17.03.2021 ist daher in den Nummern 1 und 3-6 rechtswidrig und aufzuheben, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
14 
Die Klägerin ist Flüchtling im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG.
15 
Rechtsgrundlage für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sind die Vorschriften der §§ 3 bis 3e AsylG. Nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 und 2 lit. a AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will.
16 
Nach § 3a Abs. 1 AsylG gelten als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG Handlungen, die 1. aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685, 953), - EMRK - keine Abweichung zulässig ist, oder 2. in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist. Diese Legaldefinition der Verfolgungshandlung erfährt in § 3a Abs. 2 AsylG eine Ausgestaltung durch einen nicht abschließenden Katalog von Regelbeispielen (vgl. Art. 9 Abs. 1 und 2 RL 2011/95/EU). Nach § 3a Abs. 3 AsylG (vgl. Art. 9 Abs. 1 RL 2011/95/EU) muss zwischen den in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG i.V.m. den in § 3b AsylG genannten Verfolgungsgründen und den als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen eine Verknüpfung bestehen (BVerwG, Urteil vom 19.04.2018 - 1 C 29/17 -, juris m.w.N.).
17 
Die Verfolgung kann nach § 3c AsylG (vgl. Art. 6 RL 2011/95/EU) ausgehen von dem Staat (Nr. 1), von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (Nr. 2), oder von nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in den Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG (vgl. Art. 7 RL 2011/95/EU) Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht.
18 
Hinsichtlich des Prognosemaßstabs ist bei der Prüfung der Flüchtlingseigenschaft der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zugrunde zu legen. Die Furcht vor Verfolgung ist begründet, wenn dem Ausländer die vorgenannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d.h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.2.2013 - 10 C 23.12 -, BVerwGE 146, 67). Dies setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des gesamten zur Prüfung gestellten und relevanten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegensprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine qualifizierende bzw. bewertende Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Entscheidend ist, ob aus der Sicht eines vernünftig denkenden und nicht übertrieben furchtsamen Menschen gerade in der Lage des konkreten Asylsuchenden nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in den Heimatstaat als unzumutbar einzuschätzen ist.Je unabwendbarer eine drohende Verfolgung erscheint, desto unmittelbarer steht sie bevor (BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12 -, BVerwGE 146, 67; BVerwG, Urteil vom 19.04.2018 - 1 C 29/17 -, juris m.w.N.).
19 
Die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden ernsthaft bedroht war, ist nach Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden; es besteht die tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Den in der Vergangenheit liegenden Umständen wird Beweiskraft für ihre Wiederholung in der Zukunft beigelegt. Dadurch wird der Vorverfolgte bzw. Geschädigte von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden bzw. schadenstiftenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland wiederholen werden. Die Vermutung nach Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU kann aber widerlegt werden. Hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung bzw. des Eintritts eines solchen Schadens entkräften (vgl. zum Ganzen EuGH, Urteil vom 02.03.2010 - C-175/08 -, InfAuslR 2010,188; BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 5.09 -, BVerwGE 136, 377; BVerwG, Urteil vom 19.04.2018 - 1 C 29/17 -, juris m.w.N.; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 27.08.2014 - A 11 S 1128/14 -, juris).
20 
Eine drohende Genitalverstümmelung stellt eine Verfolgung wegen Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe dar, denn eine solche kann gemäß § 3b Abs. 1 Nr. 4 b AsylG auch vorliegen, wenn sie allein an das Geschlecht anknüpft. Die weibliche Genitalverstümmelung ist als extreme physische Gewalt von § 3a Abs. 2 Nr. 1 AsylG umfasst. Sie droht der Klägerin durch die eigene Familie, insbesondere durch die Onkel, aber mittelbar auch durch die eigenen Eltern, die daran glauben, dass bei fehlender Beschneidung ein Fluch über die Tochter komme und die deshalb die Beschneidung als unausweichliches Übel ansehen. Diese sind als Privatpersonen Verfolgungsakteure im Sinne des § 3c Nr. 3 AsylG, denn der nigerianische Staat ist nicht in der Lage, Schutz vor Verfolgung zu bieten.
21 
Zwar ist die weibliche Genitalverstümmelung in Nigeria unter Strafe gestellt. Das Bundesgesetz kriminalisiert seit 2015 weibliche Genitalverstümmelung auf nationaler Ebene. Allerdings haben nur wenige Bundesstaaten tatsächlich Gesetze zum Verbot von „FGM“ (Female Genital Mutilation; weibliche Genialverstümmelung) verabschiedet. Gesetze gegen FGM werden kaum vollzogen. Die bisher verhängten, geringfügigen Geldstrafen sind bei der Bekämpfung von FGM unzureichend. Zwar gibt es Aufklärungskampagnen und eine nationale Strategie zur Bekämpfung von FGM, doch liegen kaum Berichte vor, wonach die Regierung gegen FGM vorgeht (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformation der Staatendokumentation Nigeria vom 31.05.2022, S. 40; Auskunft des Immigration and Refugee Boards of Canada vom 26.10.2021, S. 7).
22 
Die Klägerin ist von Genitalverstümmelung auch mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit bedroht.
23 
Im Bundestaat Edo, aus dem die Eltern der Klägerin stammen, sind 26-50 % der Frauen von Genitalverstümmelung betroffen (Terre des Femmes, Situation von Frauen in Nigeria, Stand 11/2019, Seite 2; 28 too many, FGM in Nigeria, 01.10.2016, S. 35; nach einer Auskunft des Immigration and Refugee Boards of Canada vom 26.10.2021 sind es 35,5 % der Frauen zwischen 15-49 Jahren). Die Tatsache, dass die Mutter der Klägerin selbst beschnitten ist, ist aber ein starkes Indiz dafür, dass die Tradition der Beschneidung in dem Dorf der Mutter der Klägerin existiert und praktiziert wird, so dass die Statistik nicht allein als Wahrscheinlichkeitsmerkmal herangezogen werden kann. Im Gegenteil spricht dies als Vorverfolgung der Mutter gemäß Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU als ernsthafter Hinweis dafür, dass sich diese Gefahr auch in der Zukunft – hier für die Klägerin – realisieren wird, solange die Eltern der Klägerin sich nicht glaubhaft von der Tradition distanzieren.
24 
Die Aussagen der Eltern der Klägerin waren übereinstimmend und eindeutig dahingehend, dass sie eine Genitalverstümmelung ihrer Tochter zwar nicht gutheißen, sie aber auch nicht dadurch verhindern werden, dass sie in einen anderen Landesteil Nigerias umziehen. Sie waren beide der Überzeugung, dass ein Überleben nur im Einflussbereich der Großfamilie möglich sei und ziehen daher gar nicht in Erwägung, sich andernorts niederzulassen. Beide Eltern haben ebenso deutlich ausgesagt, dass ihr gesamtes Umfeld, insbesondere die komplette eigene Großfamilie, die Tradition der Beschneidung beachtet, respektiert und vor allem durchsetzt. Auch der Umstand, dass die Mutter der Klägerin selbst beschnitten worden ist, hat eine Indizwirkung für die Gefahrenprognose der Klägerin. Beide Elternteile gehen nach eigener Aussage, die vom Bundesamt auch nicht in Zweifel gezogen wurde, davon aus, dass ein Fluch über Kinder kommt, die nicht beschnitten werden, und eine Beschneidung daher zum Wohle des Kindes durchgeführt werden müsse. Andernfalls habe das Kind im ganzen Leben nur Unglück und würde ein Leben zwischen Leben und Tod führen. Der angefochtene Bescheid geht auf diese Indizien nicht ein, sondern führt lediglich aus, dass von dem Fluch keine reale Gefahr für die Klägerin ausgehe. Dies berücksichtigt aber nicht, dass beide Eltern fest an die Wirkung des Fluches glauben und daher die Beschneidung eher in Kauf nehmen würden als den Fluch. Das Bundesamt stellt in dem angefochtenen Bescheid allein auf den Umstand ab, dass es den Eltern, die grundsätzlich gegen eine Beschneidung seien, möglich und zumutbar sei, nicht in die Nähe ihre Familien zurückzukehren. Für die Gefahrenprognose der Klägerin kommt es aber nicht auf die Zumutbarkeit einer Handlung für die Eltern an, sondern auf die tatsächliche Bedrohungslage für die Klägerin. Es ist also zu prüfen, ob es beachtlich wahrscheinlich ist, dass die Eltern bei einer Rückkehr nach Nigeria die Tochter einer Beschneidung unterziehen beziehungsweise dulden werden. Anders als das Bundesamt meint, genügt es für die Gefahrenprognose nicht, zu prüfen, inwiefern interne Schutzmöglichkeiten vor den Onkeln zur Verfügung stehen. Das Bundesamt hat die Tatsache, dass sich die Klägerin „mit ihren Eltern in Nigeria frei bewegen, aufhalten und niederlassen kann“ als alleiniges Indiz in die Gefahrenprognose eingestellt (siehe Vermerk der Sonderbeauftragten für geschlechtsspezifische Verfolgung vom 02.07.2020, S. 51 der Behördenakte) und dabei nicht im Rahmen einer bewertenden Betrachtungsweise geprüft, ob es wahrscheinlicher ist, dass die Eltern in den Einflussbereich ihrer Familien zurückkehren und die vorhandene Tradition der Beschneidung akzeptieren werden oder dass die Eltern auf sich allein gestellt ein Leben abseits der Großfamilie führen, die Beschneidung ihrer Tochter verhindern und dabei in Kauf nehmen, dass die Tochter – nach ihrem Glauben – mit einem Fluch belegt wird.
25 
Nach Überzeugung der Berichterstatterin ist es im Rahmen dieser qualifizierenden Betrachtungsweise deutlich wahrscheinlicher, dass die Eltern bei einer Rückkehr nach Nigeria auch die Traditionen ihrer Familien wieder akzeptieren werden, um dort gesellschaftlichen Rückhalt zu erfahren und der Tochter sowohl den Fluch zu ersparen, als auch deren gesellschaftliche Akzeptanz zu erhalten. Weiter ist aus Sicht des Gerichts als Indiz zu berücksichtigen, dass der Vater der Klägerin in seiner ersten Anhörung eine Beschneidung von Mädchen ausdrücklich befürwortet hat. Erst nachdem er über die Strafbarkeit von Beschneidung in der Bundesrepublik Deutschland belehrt wurde, gab er an, eine Beschneidung an seiner Tochter nicht durchführen zu wollen. Es ist daher beachtlich wahrscheinlich, dass die Klägerin bei einer Rückkehr nach Nigeria einer Genitalverstümmelung unterzogen werden wird.
26 
Nachdem die Klage mit dem Hauptantrag begründet ist, bedarf es keiner Entscheidung über die Hilfsanträge. Die Ziffern 3 und 4 des angefochtenen Bescheids sind nach Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gegenstandslos und werden zur Klarstellung aufgehoben. Die Abschiebungsandrohung in Ziffer 5 des Bescheids sowie das Einreise- und Aufenthaltsverbot in Ziffer 6 des Bescheids sind aufzuheben, weil sie nur ergehen dürfen, wenn keine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft erfolgt (§ 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AsylG).
27 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).

Gründe

 
12 
Das Gericht konnte trotz Ausbleibens aller Beteiligten verhandeln und entscheiden, da in der ordnungsgemäßen Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist, § 102 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Das Gericht entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten durch die Berichterstatterin, § 87a Abs. 2 und 3 VwGO.
13 
Die Klage ist zulässig und begründet. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylG. Der angefochtene Bescheid des Bundesamts vom 17.03.2021 ist daher in den Nummern 1 und 3-6 rechtswidrig und aufzuheben, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
14 
Die Klägerin ist Flüchtling im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG.
15 
Rechtsgrundlage für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sind die Vorschriften der §§ 3 bis 3e AsylG. Nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 und 2 lit. a AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will.
16 
Nach § 3a Abs. 1 AsylG gelten als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG Handlungen, die 1. aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685, 953), - EMRK - keine Abweichung zulässig ist, oder 2. in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist. Diese Legaldefinition der Verfolgungshandlung erfährt in § 3a Abs. 2 AsylG eine Ausgestaltung durch einen nicht abschließenden Katalog von Regelbeispielen (vgl. Art. 9 Abs. 1 und 2 RL 2011/95/EU). Nach § 3a Abs. 3 AsylG (vgl. Art. 9 Abs. 1 RL 2011/95/EU) muss zwischen den in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG i.V.m. den in § 3b AsylG genannten Verfolgungsgründen und den als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen eine Verknüpfung bestehen (BVerwG, Urteil vom 19.04.2018 - 1 C 29/17 -, juris m.w.N.).
17 
Die Verfolgung kann nach § 3c AsylG (vgl. Art. 6 RL 2011/95/EU) ausgehen von dem Staat (Nr. 1), von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (Nr. 2), oder von nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in den Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG (vgl. Art. 7 RL 2011/95/EU) Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht.
18 
Hinsichtlich des Prognosemaßstabs ist bei der Prüfung der Flüchtlingseigenschaft der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zugrunde zu legen. Die Furcht vor Verfolgung ist begründet, wenn dem Ausländer die vorgenannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d.h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.2.2013 - 10 C 23.12 -, BVerwGE 146, 67). Dies setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des gesamten zur Prüfung gestellten und relevanten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegensprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine qualifizierende bzw. bewertende Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Entscheidend ist, ob aus der Sicht eines vernünftig denkenden und nicht übertrieben furchtsamen Menschen gerade in der Lage des konkreten Asylsuchenden nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in den Heimatstaat als unzumutbar einzuschätzen ist.Je unabwendbarer eine drohende Verfolgung erscheint, desto unmittelbarer steht sie bevor (BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12 -, BVerwGE 146, 67; BVerwG, Urteil vom 19.04.2018 - 1 C 29/17 -, juris m.w.N.).
19 
Die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden ernsthaft bedroht war, ist nach Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden; es besteht die tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Den in der Vergangenheit liegenden Umständen wird Beweiskraft für ihre Wiederholung in der Zukunft beigelegt. Dadurch wird der Vorverfolgte bzw. Geschädigte von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden bzw. schadenstiftenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland wiederholen werden. Die Vermutung nach Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU kann aber widerlegt werden. Hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung bzw. des Eintritts eines solchen Schadens entkräften (vgl. zum Ganzen EuGH, Urteil vom 02.03.2010 - C-175/08 -, InfAuslR 2010,188; BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 5.09 -, BVerwGE 136, 377; BVerwG, Urteil vom 19.04.2018 - 1 C 29/17 -, juris m.w.N.; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 27.08.2014 - A 11 S 1128/14 -, juris).
20 
Eine drohende Genitalverstümmelung stellt eine Verfolgung wegen Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe dar, denn eine solche kann gemäß § 3b Abs. 1 Nr. 4 b AsylG auch vorliegen, wenn sie allein an das Geschlecht anknüpft. Die weibliche Genitalverstümmelung ist als extreme physische Gewalt von § 3a Abs. 2 Nr. 1 AsylG umfasst. Sie droht der Klägerin durch die eigene Familie, insbesondere durch die Onkel, aber mittelbar auch durch die eigenen Eltern, die daran glauben, dass bei fehlender Beschneidung ein Fluch über die Tochter komme und die deshalb die Beschneidung als unausweichliches Übel ansehen. Diese sind als Privatpersonen Verfolgungsakteure im Sinne des § 3c Nr. 3 AsylG, denn der nigerianische Staat ist nicht in der Lage, Schutz vor Verfolgung zu bieten.
21 
Zwar ist die weibliche Genitalverstümmelung in Nigeria unter Strafe gestellt. Das Bundesgesetz kriminalisiert seit 2015 weibliche Genitalverstümmelung auf nationaler Ebene. Allerdings haben nur wenige Bundesstaaten tatsächlich Gesetze zum Verbot von „FGM“ (Female Genital Mutilation; weibliche Genialverstümmelung) verabschiedet. Gesetze gegen FGM werden kaum vollzogen. Die bisher verhängten, geringfügigen Geldstrafen sind bei der Bekämpfung von FGM unzureichend. Zwar gibt es Aufklärungskampagnen und eine nationale Strategie zur Bekämpfung von FGM, doch liegen kaum Berichte vor, wonach die Regierung gegen FGM vorgeht (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformation der Staatendokumentation Nigeria vom 31.05.2022, S. 40; Auskunft des Immigration and Refugee Boards of Canada vom 26.10.2021, S. 7).
22 
Die Klägerin ist von Genitalverstümmelung auch mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit bedroht.
23 
Im Bundestaat Edo, aus dem die Eltern der Klägerin stammen, sind 26-50 % der Frauen von Genitalverstümmelung betroffen (Terre des Femmes, Situation von Frauen in Nigeria, Stand 11/2019, Seite 2; 28 too many, FGM in Nigeria, 01.10.2016, S. 35; nach einer Auskunft des Immigration and Refugee Boards of Canada vom 26.10.2021 sind es 35,5 % der Frauen zwischen 15-49 Jahren). Die Tatsache, dass die Mutter der Klägerin selbst beschnitten ist, ist aber ein starkes Indiz dafür, dass die Tradition der Beschneidung in dem Dorf der Mutter der Klägerin existiert und praktiziert wird, so dass die Statistik nicht allein als Wahrscheinlichkeitsmerkmal herangezogen werden kann. Im Gegenteil spricht dies als Vorverfolgung der Mutter gemäß Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU als ernsthafter Hinweis dafür, dass sich diese Gefahr auch in der Zukunft – hier für die Klägerin – realisieren wird, solange die Eltern der Klägerin sich nicht glaubhaft von der Tradition distanzieren.
24 
Die Aussagen der Eltern der Klägerin waren übereinstimmend und eindeutig dahingehend, dass sie eine Genitalverstümmelung ihrer Tochter zwar nicht gutheißen, sie aber auch nicht dadurch verhindern werden, dass sie in einen anderen Landesteil Nigerias umziehen. Sie waren beide der Überzeugung, dass ein Überleben nur im Einflussbereich der Großfamilie möglich sei und ziehen daher gar nicht in Erwägung, sich andernorts niederzulassen. Beide Eltern haben ebenso deutlich ausgesagt, dass ihr gesamtes Umfeld, insbesondere die komplette eigene Großfamilie, die Tradition der Beschneidung beachtet, respektiert und vor allem durchsetzt. Auch der Umstand, dass die Mutter der Klägerin selbst beschnitten worden ist, hat eine Indizwirkung für die Gefahrenprognose der Klägerin. Beide Elternteile gehen nach eigener Aussage, die vom Bundesamt auch nicht in Zweifel gezogen wurde, davon aus, dass ein Fluch über Kinder kommt, die nicht beschnitten werden, und eine Beschneidung daher zum Wohle des Kindes durchgeführt werden müsse. Andernfalls habe das Kind im ganzen Leben nur Unglück und würde ein Leben zwischen Leben und Tod führen. Der angefochtene Bescheid geht auf diese Indizien nicht ein, sondern führt lediglich aus, dass von dem Fluch keine reale Gefahr für die Klägerin ausgehe. Dies berücksichtigt aber nicht, dass beide Eltern fest an die Wirkung des Fluches glauben und daher die Beschneidung eher in Kauf nehmen würden als den Fluch. Das Bundesamt stellt in dem angefochtenen Bescheid allein auf den Umstand ab, dass es den Eltern, die grundsätzlich gegen eine Beschneidung seien, möglich und zumutbar sei, nicht in die Nähe ihre Familien zurückzukehren. Für die Gefahrenprognose der Klägerin kommt es aber nicht auf die Zumutbarkeit einer Handlung für die Eltern an, sondern auf die tatsächliche Bedrohungslage für die Klägerin. Es ist also zu prüfen, ob es beachtlich wahrscheinlich ist, dass die Eltern bei einer Rückkehr nach Nigeria die Tochter einer Beschneidung unterziehen beziehungsweise dulden werden. Anders als das Bundesamt meint, genügt es für die Gefahrenprognose nicht, zu prüfen, inwiefern interne Schutzmöglichkeiten vor den Onkeln zur Verfügung stehen. Das Bundesamt hat die Tatsache, dass sich die Klägerin „mit ihren Eltern in Nigeria frei bewegen, aufhalten und niederlassen kann“ als alleiniges Indiz in die Gefahrenprognose eingestellt (siehe Vermerk der Sonderbeauftragten für geschlechtsspezifische Verfolgung vom 02.07.2020, S. 51 der Behördenakte) und dabei nicht im Rahmen einer bewertenden Betrachtungsweise geprüft, ob es wahrscheinlicher ist, dass die Eltern in den Einflussbereich ihrer Familien zurückkehren und die vorhandene Tradition der Beschneidung akzeptieren werden oder dass die Eltern auf sich allein gestellt ein Leben abseits der Großfamilie führen, die Beschneidung ihrer Tochter verhindern und dabei in Kauf nehmen, dass die Tochter – nach ihrem Glauben – mit einem Fluch belegt wird.
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Nach Überzeugung der Berichterstatterin ist es im Rahmen dieser qualifizierenden Betrachtungsweise deutlich wahrscheinlicher, dass die Eltern bei einer Rückkehr nach Nigeria auch die Traditionen ihrer Familien wieder akzeptieren werden, um dort gesellschaftlichen Rückhalt zu erfahren und der Tochter sowohl den Fluch zu ersparen, als auch deren gesellschaftliche Akzeptanz zu erhalten. Weiter ist aus Sicht des Gerichts als Indiz zu berücksichtigen, dass der Vater der Klägerin in seiner ersten Anhörung eine Beschneidung von Mädchen ausdrücklich befürwortet hat. Erst nachdem er über die Strafbarkeit von Beschneidung in der Bundesrepublik Deutschland belehrt wurde, gab er an, eine Beschneidung an seiner Tochter nicht durchführen zu wollen. Es ist daher beachtlich wahrscheinlich, dass die Klägerin bei einer Rückkehr nach Nigeria einer Genitalverstümmelung unterzogen werden wird.
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Nachdem die Klage mit dem Hauptantrag begründet ist, bedarf es keiner Entscheidung über die Hilfsanträge. Die Ziffern 3 und 4 des angefochtenen Bescheids sind nach Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gegenstandslos und werden zur Klarstellung aufgehoben. Die Abschiebungsandrohung in Ziffer 5 des Bescheids sowie das Einreise- und Aufenthaltsverbot in Ziffer 6 des Bescheids sind aufzuheben, weil sie nur ergehen dürfen, wenn keine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft erfolgt (§ 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AsylG).
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).

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