Urteil vom Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg - 7 S 818/02

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 28. Februar 2002 - 8 K 1560/00 - wird zurückgewiesen.

Die Kosten des gerichtskostenfreien Berufungsverfahrens trägt der Kläger.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Zwischen den Beteiligten ist die Rechtsfrage streitig, ob Schmerzensgeld zum Einkommen bzw. Vermögen i.S.d. § 7 Abs. 1 Satz 1 Asylbewerberleistungsgesetz  - AsylbLG - gehört, welches vor Eintritt von Leistungen nach diesem Gesetz aufzubrauchen ist, oder ob die §§ 77 Abs. 2, 88 Abs. 3 Satz 1 BSHG auf Leistungsberechtigte nach § 1 Abs. 1 AsylbLG Anwendung finden.
Wegen des Tatbestandes verweist der Senat zunächst auf die Feststellungen des Verwaltungsgerichts, die er sich zu eigen macht (§ 130 b VwGO).
Mit Urteil vom 28.2.2002 hat das Verwaltungsgericht die Klage des Klägers (auf Bewilligung von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz für den Monat September 1998 ohne Anrechnung von Schmerzensgeldansprüchen) abgewiesen. In den Entscheidungsgründen ist unter anderem ausgeführt: Das Schmerzensgeld sei als vor Leistungsbezug aufzubrauchendes Einkommen bzw. Vermögen i.S.d. § 7 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG zu werten. Es könne offen bleiben, ob das Schmerzensgeld hier zum Einkommen oder zum Vermögen gehöre. Soweit es sich um Einkommen handeln würde, käme eine Anwendung des § 77 Abs. 2 BSHG mangels ausdrücklicher Regelung im Asylbewerberleistungsgesetz nicht in Betracht. Entsprechendes gelte hinsichtlich der Frage der Grenzen des einzusetzenden Vermögens bei Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. § 7 AsylbLG kenne ebenfalls mangels ausdrücklicher Regelung keine Schonungsfreigrenzen bzw. Freibeträge für das Vermögen. Insbesondere fänden die Vorschriften des vierten Abschnitts des BSHG über die Grenze des Einsatzes von Vermögen auf Leistungsberechtigte nach § 1 Abs. 1 AsylbLG keine Anwendung. So seien insbesondere auch nicht kleinere Barbeträge oder sonstige Geldwerte als Vermögensfreibeträge von der primären Einsatzpflicht nach § 7 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG ausgenommen. Auch § 88 Abs. 3 Satz 1 BSHG, wonach die Gewährung von Sozialhilfe nicht vom Einsatz oder der Verwertung eines Vermögens abhängig gemacht werden dürfe, wenn dies für denjenigen, der das Vermögen einzusetzen habe, und für seine unterhaltsberechtigten Angehörigen eine Härte bedeuten würde, finde auf Leistungsberechtigte nach § 1 Abs. 1 AsylbLG keine Anwendung. Im Gegensatz zum BSHG sehe das Asylbewerberleistungsgesetz weder Härtevorschriften noch sonstige Ausnahmen bei der Anrechnung von vorhandenem Vermögen vor, unabhängig davon, aufgrund welcher Sach- und Rechtslage das Vermögen dem Asylbewerber zugeflossen sei. Im Anschluss an die hierzu veröffentlichte Rechtsprechung halte die Kammer die vom Gesetzgeber vorgenommene Differenzierung in der Behandlung von Einkommen und Vermögen bei Leistungsempfängern nach dem Bundessozialhilfegesetz (direkt oder über § 2 AsylbLG) und nach § 1 AsylbLG für sachlich nicht fehlerhaft, weshalb auch eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht nicht in Frage komme. Bei § 7 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG handele es sich auch nach Einschätzung der Kammer um eine sondergesetzliche Regelung zur Herstellung des Nachrang- und Selbsthilfegedankens, für welche ein hinreichender sachlicher Grund bestehe. Dabei sei zu beachten, dass es sich vorliegend nicht um die Frage der Höhe sozialer Leistungen, also des abstrakten Bedarfs des Hilfeempfängers handele. Insoweit habe der Gesetzgeber mit den Regelungen des Asylbewerberleistungsgesetzes und des Bundessozialhilfegesetzes zulässige differenzierende Regelungen getroffen für die auf Dauer im Inland ansässigen Leistungsbezieher einerseits  und andererseits diejenigen, die sich nur vorübergehend in der Bundesrepublik aufhielten. Sei es dem Gesetzgeber aber erlaubt, den Bedarf an sozialer Integration niedriger zu bemessen, als dieser Bedarf vom Bundessozialhilfegesetz geregelt werde, so sei es verfassungsrechtlich auch nicht zu beanstanden, die Frage des Einsatzes von verfügbarem Einkommen und Vermögen bei diesen beiden Gruppen von Sozialleistungsempfängern unterschiedlich zu regeln. Mangels ausdrücklicher Ausnahmeregelung im Asylbewerberleistungsgesetz sei damit die an die Ehefrau und das Kind des Klägers gezahlte Schmerzensgeldzahlung der Versicherung nicht vom Einkommens- bzw. Vermögensbegriff ausgenommen.
Mit seiner vom Verwaltungsgericht zugelassenen Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter und trägt zur Begründung vor, die Anrechnung von Schmerzensgeldansprüchen gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG verletze das Grundrecht auf Menschenwürde und stelle eine eindeutige Diskriminierung dar. Auch die Regelung von § 847 BGB zeige, dass Schmerzensgeld bei einem Nichtvermögensschaden gezahlt werde, weshalb die Wertung von Schmerzensgeld als einsetzbares Vermögen schon begrifflich ausgeschlossen sei.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 28.2.2002 zu ändern und den Beklagten zu verpflichten, dem Kläger für den Monat September 1998 Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz ohne Anrechnung von Schmerzensgeldansprüchen zu bewilligen und die insoweit entgegenstehenden Bescheide des Beklagten vom 31.8.1998, vom 28.9.1998 und vom 5.6.2000 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
10 
Dem Senat liegen die Akten des Beklagten und des Verwaltungsgerichts vor. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf diese Akten und die im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

 
11 
Im Einverständnis der Beteiligten entscheidet der Senat ohne mündliche Verhandlung über die Berufung (§ 125 Abs. 1 i.V.m. § 101 Abs. 2 VwGO).
12 
Die Berufung ist nicht begründet, denn das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die begehrte Bewilligung von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz ohne Anrechnung von Schmerzensgeld für den Monat September 1998.
13 
Der erkennende Senat schließt sich der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts an, dass auf Leistungsberechtigte nach § 1 AsylbLG weder § 77 Abs. 2 BSHG noch § 88 Abs. 3 Satz 1 BSHG (entsprechende) Anwendung findet. Eine unmittelbare Anwendung dieser Vorschriften kommt nicht in Betracht, weil Leistungsberechtigte nach dem Asylbewerberleistungsgesetz keine Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz erhalten (§ 9 Abs. 1 AsylbLG). Auch eine entsprechende Anwendung scheidet aus, wie sich aus dem Umkehrschluss von § 2 Abs. 1 AsylbLG ergibt. Eine analoge Anwendung der vorgenannten Vorschriften ist ebenfalls nicht geboten, weil keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass im Gesetzgebungsverfahren des Asylbewerberleistungsgesetzes ein solcher Regelungsbedarf übersehen worden wäre. Vielmehr hat der Gesetzgeber bewusst einen umfassenden Einkommens- und Vermögenseinsatz gefordert, was sich auch daraus ergibt, dass im Gesetzgebungsverfahren einem Antrag der SPD-Fraktion nicht entsprochen wurde, zumindest das Schmerzensgeld sowie Familien- und Erbstücke vom Einsatz als Einkommen bzw. Vermögen freizustellen (BT-Drucks. 12/5008, S. 15). Im Hinblick darauf, dass die Zielsetzungen des Bundessozialhilfegesetzes und die des Asylbewerberleistungsgesetzes nicht übereinstimmen, gehen die beiden Gesetze von einer jeweils unterschiedlichen Bewertung des Einkommens- und Vermögenseinsatzes aus, was es wiederum ausschließt, im Rahmen des § 7 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG von einer Geltung der Bestimmungen des Bundessozialhilfegesetzes auszugehen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 12.4.2000, Buchholz 436.0 § 88 BSHG Nr. 40). Hiergegen bestehen auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken, wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat. Insbesondere liegt darin kein Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Es liegt noch innerhalb der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers, entsprechende differenzierende gesetzliche Regelungen zu treffen einerseits für diejenigen Personen, die auf Dauer berechtigt sind, in der Bundesrepublik zu leben, und andererseits für solche Personen, die sich nur vorübergehend in der Bundesrepublik aufhalten. Die Anknüpfung an die voraussichtliche Aufenthaltsdauer und den aufenthaltsrechtlichen Status stellt sich jedenfalls nicht als willkürlich oder völlig unsachlich dar (vgl. auch OVG Lüneburg, Beschl. v. 27.6.1997, NVwZ-Beilage 12/1997, S. 95 <96>). Ein Verstoß gegen Art. 14 GG liegt schon deshalb nicht vor, weil das Vermögen als solches nicht von diesem Grundrecht erfasst wird. Auch aus dem in Art. 20 Abs. 1 GG verankerten Sozialstaatsprinzip oder dem Grundrecht in Art. 1 Abs. 1 GG kann ein verfassungsrechtliches Gebot, verfügbares Vermögen von Berechtigten nach dem Asylbewerberleistungsgesetz einem dem § 88 BSHG vergleichbaren Schutz zu unterstellen, nicht abgeleitet werden. Art. 20 Abs. 1 GG gebietet als selbstverständliche Pflicht eines Sozialstaates die Fürsorge für Hilfebedürftige. Angesichts der Unbestimmtheit des Sozialstaatsgrundsatzes lässt sich aus diesem jedoch regelmäßig kein Gebot entnehmen, soziale Leistungen in einem bestimmten Umfang zu gewähren. Erforderlich ist es nur, dass der Staat die Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein seiner Bürger schafft (vgl. BVerfG, Beschl. v. 29.5.1990, BVerfGE 82, 60, 80). Diese Mindestvoraussetzungen werden durch § 7 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG ersichtlich nicht beeinträchtigt.
14 
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2, 188 Satz 2 VwGO.
15 
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht gegeben sind.

Gründe

 
11 
Im Einverständnis der Beteiligten entscheidet der Senat ohne mündliche Verhandlung über die Berufung (§ 125 Abs. 1 i.V.m. § 101 Abs. 2 VwGO).
12 
Die Berufung ist nicht begründet, denn das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die begehrte Bewilligung von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz ohne Anrechnung von Schmerzensgeld für den Monat September 1998.
13 
Der erkennende Senat schließt sich der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts an, dass auf Leistungsberechtigte nach § 1 AsylbLG weder § 77 Abs. 2 BSHG noch § 88 Abs. 3 Satz 1 BSHG (entsprechende) Anwendung findet. Eine unmittelbare Anwendung dieser Vorschriften kommt nicht in Betracht, weil Leistungsberechtigte nach dem Asylbewerberleistungsgesetz keine Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz erhalten (§ 9 Abs. 1 AsylbLG). Auch eine entsprechende Anwendung scheidet aus, wie sich aus dem Umkehrschluss von § 2 Abs. 1 AsylbLG ergibt. Eine analoge Anwendung der vorgenannten Vorschriften ist ebenfalls nicht geboten, weil keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass im Gesetzgebungsverfahren des Asylbewerberleistungsgesetzes ein solcher Regelungsbedarf übersehen worden wäre. Vielmehr hat der Gesetzgeber bewusst einen umfassenden Einkommens- und Vermögenseinsatz gefordert, was sich auch daraus ergibt, dass im Gesetzgebungsverfahren einem Antrag der SPD-Fraktion nicht entsprochen wurde, zumindest das Schmerzensgeld sowie Familien- und Erbstücke vom Einsatz als Einkommen bzw. Vermögen freizustellen (BT-Drucks. 12/5008, S. 15). Im Hinblick darauf, dass die Zielsetzungen des Bundessozialhilfegesetzes und die des Asylbewerberleistungsgesetzes nicht übereinstimmen, gehen die beiden Gesetze von einer jeweils unterschiedlichen Bewertung des Einkommens- und Vermögenseinsatzes aus, was es wiederum ausschließt, im Rahmen des § 7 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG von einer Geltung der Bestimmungen des Bundessozialhilfegesetzes auszugehen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 12.4.2000, Buchholz 436.0 § 88 BSHG Nr. 40). Hiergegen bestehen auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken, wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat. Insbesondere liegt darin kein Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Es liegt noch innerhalb der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers, entsprechende differenzierende gesetzliche Regelungen zu treffen einerseits für diejenigen Personen, die auf Dauer berechtigt sind, in der Bundesrepublik zu leben, und andererseits für solche Personen, die sich nur vorübergehend in der Bundesrepublik aufhalten. Die Anknüpfung an die voraussichtliche Aufenthaltsdauer und den aufenthaltsrechtlichen Status stellt sich jedenfalls nicht als willkürlich oder völlig unsachlich dar (vgl. auch OVG Lüneburg, Beschl. v. 27.6.1997, NVwZ-Beilage 12/1997, S. 95 <96>). Ein Verstoß gegen Art. 14 GG liegt schon deshalb nicht vor, weil das Vermögen als solches nicht von diesem Grundrecht erfasst wird. Auch aus dem in Art. 20 Abs. 1 GG verankerten Sozialstaatsprinzip oder dem Grundrecht in Art. 1 Abs. 1 GG kann ein verfassungsrechtliches Gebot, verfügbares Vermögen von Berechtigten nach dem Asylbewerberleistungsgesetz einem dem § 88 BSHG vergleichbaren Schutz zu unterstellen, nicht abgeleitet werden. Art. 20 Abs. 1 GG gebietet als selbstverständliche Pflicht eines Sozialstaates die Fürsorge für Hilfebedürftige. Angesichts der Unbestimmtheit des Sozialstaatsgrundsatzes lässt sich aus diesem jedoch regelmäßig kein Gebot entnehmen, soziale Leistungen in einem bestimmten Umfang zu gewähren. Erforderlich ist es nur, dass der Staat die Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein seiner Bürger schafft (vgl. BVerfG, Beschl. v. 29.5.1990, BVerfGE 82, 60, 80). Diese Mindestvoraussetzungen werden durch § 7 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG ersichtlich nicht beeinträchtigt.
14 
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2, 188 Satz 2 VwGO.
15 
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht gegeben sind.

Verwandte Urteile

Keine verwandten Inhalte vorhanden.

Referenzen