Beschluss vom Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg - 11 S 1521/10

Tenor

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 10. Juni 2010 - 12 K 1626/10 - wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,- EUR festgesetzt.

Gründe

 
Die Rechtsverfolgung des Antragstellers bietet keine hinreichenden Aussichten auf Erfolg (vgl. § 166 VwGO, § 114 ZPO), wie nachstehend auszuführen sein wird.
Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet.
Das Verwaltungsgericht hat sowohl den Hauptantrag wie auch den Hilfsantrag zu Recht abgelehnt.
1. Was den Hauptantrag betrifft, gemäß § 80 Abs. 5 VwGO die aufschiebende Wirkung des vom Antragsteller gegen die Verfügung des Antragsgegners vom 22.04.2010 eingelegten Widerspruchs anzuordnen, geht der Senat aus den Erwägungen des Verwaltungsgerichts zugunsten des Antragstellers davon aus, dass dieser statthaft ist. Allerdings bestehen durchaus gewisse Zweifel, dass auch zum Zeitpunkt der Einreise der Lebensunterhalt gesichert war. Die Tatsache, dass der Antragsteller keine Sozialleistungen in Anspruch nimmt, dürfte allein nicht ausreichen, zumal Frau ... offensichtlich nicht dazu in der Lage ist, den Lebensunterhalt zu sichern.
Mit dem Verwaltungsgericht sieht der Senat keine Veranlassung, das nach § 84 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG gesetzlich begründete öffentliche Interesse an einer sofortigen Aufenthaltsbeendigung geringer zu bewerten als das private Interesse des Antragstellers, bis zur unanfechtbaren Entscheidung in der Hauptsache im Bundesgebiet verbleiben zu können. Denn das Rechtsbehelfsverfahren wird nach dem gegenwärtigen Sach- und Streitstand ohne Erfolg bleiben.
Die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 25 Abs. 5 AufenthG liegen nicht vor. Der Senat prüft allein dessen Voraussetzungen, da mit Anwaltsschriftsatz vom 26.01.2010 ausschließlich ein solcher Titel beantragt worden war (vgl. zum sog. Trennungsprinzip BVerwG, U.v. 09.06.2009 - 1 C 11.08 - NVwZ 2009, 1432).
Allerdings steht der Erteilung nicht schon entgegen, dass der Antragsteller zum Zeitpunkt der Entscheidung des Antragsgegners nicht vollziehbar ausreisepflichtig war. Denn zum Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgericht war er vollziehbar ausreisepflichtig, wie sich unschwer aus § 81 Abs. 4 i.V.m. § 84 Abs. 1 Nr. 1 und § 58 Abs. 2 Satz 2 AufenthG ablesen lässt. Dieser Umstand ist auch noch im laufenden Widerspruchs- und verwaltungsgerichtlichen Verfahren zu berücksichtigen, da maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung ist. Abgesehen davon bedarf § 25 Abs. 5 AufenthG weitergehend einer restriktiven Auslegung, will man nicht, wie die vorliegende typische Fallkonstellation zeigt, ungereimte Ergebnisses erzielen. Ein allein verfahrenssicherndes Aufenthaltsrecht nach § 81 Abs. 4 AufenthG kann der Annahme einer vollziehbaren Ausreisepflicht nicht entgegen stehen, weil mit Wirksamwerden der ablehnenden ausländerbehördlichen Entscheidung diese Voraussetzung geschaffen wäre und - unter der Voraussetzung, dass alle sonstigen Voraussetzungen erfüllt sind - der oder die Betroffene nur Widerspruch einlegen müsste, um den Titel beanspruchen zu können. Es kann aber nicht Sinn und Zweck von § 25 Abs. 5 AufenthG sein, die Ausländerbehörde sehenden Auges zu einer Ablehnung zu zwingen, die unmittelbar nach Einlegung des Widerspruchs wieder aufgehoben werden müsste.
Mit dem Verwaltungsgericht ist aber davon auszugehen, dass dem Antragsteller die Ausreise weder rechtlich noch faktisch unmöglich ist.
Die familienrechtliche Beziehung zu seinem Kind ... begründet kein Abschiebungsverbot (Art. 6 Abs. 1 und 2 GG, Art. 8 EMRK), das zu einer rechtlichen Unmöglichkeit im Sinne des § 25 Abs. 5 AufenthG führen würde. Denn sein Kind und dessen Mutter, Frau ..., sind nach Ablehnung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis durch Bescheid vom 22.06.2010 ihrerseits vollziehbar ausreisepflichtig. Es ist auch unter Berücksichtigung des Vorbringens im Beschwerdeverfahren nicht ersichtlich, dass Frau ... auf deren Rechtsbehelf hin der weitere Aufenthalt erlaubt werden müsste. Nach dem gegenwärtigen Sach- und Streitstand erweist sich auch die Ablehnung vom 22.06.2010 als rechtmäßig.
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Der Antragsgegner hat die Verlängerung ohne Rechtsfehler nach § 31 Abs. 4 Satz 2 AufenthG abgelehnt. Die Vorschrift setzt nach allgemeiner Meinung voraus, dass die Regelerteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 AufenthG erfüllt sind (vgl. Hailbronner, Ausländerrecht, § 31 Stand 4/2008, Rdn. 39 m.w.N.), namentlich eine ausreichende Sicherung des Lebensunterhalts gegeben ist (vgl. § 5 Abs. 1 Nr. 1, § 2 Abs. 3 AufenthG). Erst dann ist das der Ausländerbehörde eingeräumte Ermessen eröffnet.
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Dass eine ausreichende Sicherung des Lebensunterhalt von Frau ... nicht gegeben ist, liegt auf der Hand. In ihrer Person liegt aber auch kein atypischer Ausnahmefall vor, der es rechtfertigen würde, von einer Sicherung des Lebensunterhalts abzusehen. Es ist zwar sicherlich richtig, wenn der Antragteller darauf hinweist, dass die Tatsache, dass Frau ... ein Kleinkind betreut und keiner Erwerbstätigkeit nachgeht, abstrakt gesehen eine Atypik begründen kann (vgl. auch Ziffer 31.4.2 AVwV-AufenthG). Das allein genügt jedoch nicht. Von einer Atypik kann nur ausgegangen werden, wenn die mangelnde Sicherung auch auf der Kinderbetreuung beruht. Dass dieses der Fall sein könnte, ist für den Senat nicht ersichtlich und ergibt sich insbesondere nicht aus dem Vorbringen des Antragsstellers im Beschwerdeverfahren. Denn nach den nicht infrage gestellten Feststellungen des Antragsgegners ist die 26-jährige Lebensgefährtin des Antragstellers in ihrem gesamten Leben bislang nur rund 5 Wochen einer Erwerbstätigkeit nachgegangen, und das, obwohl sie zumindest seit 31.07.2006 nach § 28 Abs. 5 AufenthG unbeschränkt erwerbstätig sein darf und dies auch nach § 84 Abs. 2 Satz 2 AufenthG weiterhin sein darf, sofern ein Antrag bei Gericht gestellt wurde. Hinzu kommt, dass nichts dafür ersichtlich ist, dass sie infolge der Kinderbetreuung an der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit gehindert war und ist, da der Antragsteller selbst gegenwärtig nicht erwerbstätig sein darf und daher die Betreuung übernehmen kann.
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Ein atypischer Ausnahmefall ist auch nicht deshalb gegeben, weil Frau ... mit Rücksicht auf Art. 8 EMRK eine Rückkehr in das Heimatland nicht zugemutet werden könnte. Die Verweigerung eines weiteren Aufenthalts stellt keinen unverhältnismäßigen Eingriff in das geschützte Privatleben dar. Ein solcher kann nur dann angenommen werden, wenn bei einer ausreichenden und tiefgehenden Integration in die hiesigen Lebensverhältnisse („Verwurzelung“) gleichzeitig eine weitgehende Entfremdung von den Lebensverhältnissen im Heimatland („Entwurzelung“) erfolgt ist, die dazu geführt hat, dass die Betroffene faktisch zur Inländerin geworden ist und sie nur noch das rechtliche Band ihrer Staatsangehörigkeit mit der Heimat verbindet und deshalb ein Rückkehrverlangen sich als unverhältnismäßig, weil unzumutbar erweist (vgl. Senatsb. v. 25.10.2007 - 11 S 2091/07 - NVwZ 2008, 344; GK-AufenthG § 60a Rdn. 171 ff.). Weder das eine noch das andere ist hier festzustellen. An einer ausreichenden Verwurzelung fehlt es, worauf der Antragsgegner zutreffend hingewiesen hat, schon deshalb, weil Frau ... keinen Schulabschluss hat, über keine Berufsausbildung verfügt und, wie bereits ausgeführt, praktisch keinerlei Erwerbstätigkeit nachgegangen ist und seit April 2007 durchgängig von Sozialleistungen lebt, ohne dass ersichtlich ist, dass sie dieses nicht zu vertreten hätte. Der Umstand, dass Frau ... im September 2005 unter Inanspruchnahme von IOM-Geldern endgültig in das Heimatland zurückgekehrt war und dort jedenfalls bis zum Frühjahr 2006 lebte, in der Folgezeit auch besuchsweise in das Heimatland gereist war und insbesondere dort auch den Antragsteller kennengelernt hatte, der selbst erst im Herbst letzten Jahres in die Bundesrepublik Deutschland gekommen war und bis dahin im Heimatland seinen ständigen Aufenthalt hatte, zeigt, dass sie über vielfältige Kontakte und Beziehungen verfügt, die bei auch ausreichenden Sprachkenntnissen der Annahme einer rechtserheblichen Entwurzelung entgegenstehen, zumal bei der Bewertung, ob die Rückkehr zumutbar ist oder nicht, nicht unberücksichtigt bleiben kann, dass der Antragsteller, mit dem sie hier zusammenlebt, bislang seinen ständigen Aufenthalt in ihrem Heimatland hatte.
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2. Auch der Hilfsantrag, dem Antragsgegner gemäß § 123 Abs. 1 VwGO im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, dem Antragsteller eine Duldung zu erteilen, hat keinen Erfolg. Insoweit kann auf die vorstehenden Ausführungen verwiesen werden, da sich auch in Bezug auf Duldungsgründe nach § 60a Abs. 2 Satz 1 oder Satz 3 AufenthG keine anderen Gesichtspunkte ergeben.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
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Die Streitwertfestsetzung für das Beschwerdeverfahren findet ihre Grundlage in § 63 Abs. 2, § 47 sowie § 53 Abs. 2 Nr. 1 und 2 und § 52 Abs. 1, § 39 Abs. 1 GKG.
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Der Beschluss ist unanfechtbar.

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