Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 23. Juli 2010 - 5 K 1297/10 - geändert. Die aufschiebende Wirkung der am 19. Oktober 2009 erhobenen Klage gegen die Verfügung des Landratsamts Bodenseekreis vom 8. Mai 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids des Regierungspräsidiums Tübingen vom 15. September 2009 wird wiederhergestellt.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
Der Streitwert des Verfahrens beider Instanzen wird - hinsichtlich des Verfahrens erster Instanz unter Abänderung des verwaltungsgerichtlichen Beschlusses vom 23. Juli 2010 - auf jeweils 7.500,-- EUR festgesetzt.
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Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts, mit dem die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die im Widerspruchsbescheid ausgesprochene sofortige Vollziehbarkeit des vom Landratsamt verfügten Widerrufs der Ermächtigung zur Ausstellung von Heimtierausweisen abgelehnt wurde, ist unter Beachtung der Voraussetzungen der §§ 146 Abs. 4 Satz 1, 147 VwGO erhoben und somit zulässig. Sie ist auch begründet, weil der Antragsgegner ausreichende Rechtfertigungsgründe für die Anordnung des Sofortvollzugs nicht dargetan hat.
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Der Widerruf einer Ermächtigung zur Ausstellung von Heimtierausweisen ist vom Gesetzgeber nicht als typischerweise dringlich eingestuft und mit einem generellen Ausschluss des Suspensiveffekts etwaiger Rechtsmittel nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO versehen worden. Für die im Einzelfall mögliche Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit ist daher eine eigenständige Verfügung erforderlich, die gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO ein besonderes öffentliches Interesse gerade an der sofortigen Vollziehung erfordert. Inhaltlich ist dieses Vollziehungsinteresse nicht nur ein gesteigertes Erlassinteresse, sondern von qualitativ anderer Art. Denn in deutlicher Unterscheidung zu dem öffentlichen Interesse, das den Erlass des Verwaltungsakts rechtfertigt, muss sich das besondere Vollziehungsinteresse gemäß § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO gerade auf den sofortigen, also dringenden Vollzug des Verwaltungsakts beziehen. Bezugspunkt ist insofern die Dimension „Zeit“ und es werden besondere Gründe für die alsbaldige, vor der Entscheidung über das Rechtsmittel erfolgende Verwirklichung des Verwaltungsakts gefordert. Nur diese Eilbedürftigkeit ist in der Lage, die Durchbrechung des vom Gesetzgeber als Regelfall vorgesehenen Suspensiveffekts zu rechtfertigen (vgl. Senatsbeschluss vom 20.07.2010 - 9 S 1355/10 -). Die offensichtliche Rechtmäßigkeit der Grundverfügung allein kann die Anordnung der sofortigen Vollziehung dagegen nicht tragen (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 08.04.2010 - 1 BvR 2709/09 -).
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Der Regelungsgehalt der auf § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO gestützten Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit ist daher auf den Zwischenzeitraum während des Laufs des gerichtlichen Verfahrens bezogen. Dem Antragsteller wird schon vor rechtskräftiger Entscheidung der Hauptsache die Möglichkeit genommen, seine Berufstätigkeit im Hinblick auf die Ausstellung von Heimtierausweisen weiter auszuüben. Insbesondere angesichts der damit verbundenen grundrechtsrelevanten Belastung, die nach den plausiblen Darlegungen der Beschwerdeschrift mit dem Risiko des dauerhaften Verlustes des Kundenstamms verbunden ist, setzt eine derartige Präventivmaßnahme überwiegende öffentliche Belange voraus, die es rechtfertigen, den Rechtsschutz des Betroffenen zurückzustellen, um unaufschiebbare Maßnahmen in die Wege zu leiten. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung bedarf gemäß § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO daher der besonderen Begründung, aus der hervorgehen muss, dass die weitere Berufstätigkeit schon vor Rechtskraft des Hauptsacheverfahrens konkrete Gefahren für wichtige Gemeinschaftsgüter befürchten lässt.
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Diesen Anforderungen wird der Bescheid des Regierungspräsidiums vom 15.09.2009, mit dem die sofortige Vollziehung des vom Landratsamt verfügten Widerrufes angeordnet worden ist, nicht gerecht. Konkrete Gesichtspunkte, aus denen sich eine Wiederholungsgefahr hinsichtlich des dem Antragsteller zur Last gelegten Fehlverhaltens ergeben könnte, sind nicht dargetan. Vielmehr erschöpft sich die Begründung des Sofortvollzuges in der Aussage, dass auch gegenwärtige Verstöße gegen die Pflicht zur ordnungsgemäßen Ausstellung von Heimtierausweisen „nicht auszuschließen“ seien. Damit wird aber unmittelbar aus dem Tatbestand eines Widerrufsgrundes auf die besondere Dringlichkeit geschlossen, was weder der Struktur des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO noch den verfassungsrechtlichen Vorgaben entspricht (vgl. hierzu BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 08.04.2010 - 1 BvR 2709/09 -). Dies gilt vorliegend um so mehr, als das in Bezug genommene aktuelle Ermittlungsverfahren zwischenzeitlich eingestellt worden ist und die rechtskräftig festgestellten Vergehen fast vier Jahre zurückliegen.
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Auch die im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens abgegebenen und gemäß § 114 Satz 2 VwGO i.V.m. § 45 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 LVwVfG zu berücksichtigenden Ergänzungen des Antragsgegners führen nicht zu einer anderen Beurteilung. Denn hinsichtlich der Dringlichkeit des Widerrufsvollzugs noch vor Abschluss des Hauptsacheverfahrens finden sich auch dort keine weiteren Erwägungen. Soweit auf das bedrohte Rechtsgut „Leib und Leben von Menschen“ abgestellt worden ist, muss überdies darauf hingewiesen werden, dass nach den strafgerichtlichen Feststellungen keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass tatsächlich nicht ausgeführte Impfungen dokumentiert worden sind. Der Vorwurf bezog sich vielmehr allein darauf, dass die Dokumentation nicht durch den Tierarzt selbst, sondern seine Mitarbeiterin erfolgte.
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Auf die Rechtmäßigkeit des verfügten Widerrufes kommt es mithin nicht an. Deren Klärung ist Aufgabe des Hauptsacheverfahrens. Der Senat weist aber darauf hin, dass die „Ausstellung“ der Heimtierausweise nach Nr. I.1 der Allgemeinverfügung des Ministeriums für Ernährung und Ländlichen Raum Baden-Württemberg über die Ermächtigung von Tierärzten/Tierärztinnen gemäß der Verordnung EG Nr. 998/2003 sowie der Richtlinie 92/65/EWG des Rates vom 24.05.2004 (Staatsanzeiger Nr. 21, S. 11) nicht nur die erstmalige Anlage des Ausweises, sondern auch spätere Eintragungen über Auffrischungsimpfungen u.ä. umfasst. Denn nur so kann sichergestellt werden, dass der Heimtierausweis den von einem ermächtigten Tierarzt bescheinigten Nachweis darüber enthält, dass das betreffende Tier über einen „gültigen Impfschutz“ verfügt (vgl. hierzu auch den Bericht der Kommission an das Europäische Parlament und an den Rat in Zusammenhang mit Artikel 23 der Verordnung (EG) Nr. 998/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Veterinärbedingungen für die Verbringung von Heimtieren zu andern als Handelszwecken vom 08.10.2007, Nr. 1.3.1 und 4.2.1). Die vom Antragsteller praktizierte Verfahrensweise verstieß daher gegen die Bestimmungen der Allgemeinverfügung und erfüllte damit den Widerrufstatbestand aus § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 LVwVfG i.V.m. Nr. IV der Allgemeinverfügung. Im Rahmen der Ermessenserwägungen wird indes zu berücksichtigen sein, dass das Regierungspräsidium selbst noch im Schreiben vom 27.10.2008 eine hiervon abweichende Rechtsauffassung vertreten und diese erst mit Schriftsatz vom 12.08.2010 geändert hat.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren beruht auf §§ 47 Abs. 1 Satz 1, 53 Abs. 3 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 1.5 und 14.1 des Streitwertkatalogs der Verwaltungsgerichtsbarkeit (NVwZ 2004, 1327). Damit ist auch die Streitwertfestsetzung für das Verfahren vor dem Verwaltungsgericht gemäß § 63 Abs. 3 Satz 1 GKG von Amts wegen zu ändern. Es sind keine Ermessensgesichtspunkte erkennbar, die eine abweichende Streitwertbestimmung für das erstinstanzliche Verfahren sachgerecht erscheinen lassen könnten.
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