Beschluss vom Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg - DL 13 S 692/16

Tenor

Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 18. März 2016 - DL 8 K 155/16 - geändert. Dem Antragsgegner wird aufgegeben, das gegen die Antragstellerin mit Verfügung vom 03.12.2014 eingeleitete Disziplinarverfahren bis zum 05. August 2016 abzuschließen.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Gründe

 
Die nach § 146 Abs. 1 VwGO, § 2 LDG statthafte und auch sonst zulässige Beschwerde hat Erfolg. Auf den Antrag der Antragstellerin ist gemäß § 37 Abs. 3 Satz 2 LDG eine Frist zum Abschluss des mit Verfügung vom 03.12.2014 eingeleiteten Disziplinarverfahrens zu bestimmen.
Der Antrag der Antragstellerin ist nach § 37 Abs. 3 LDG statthaft und zulässig. Nach dieser Vorschrift kann der Beamte bei dem Verwaltungsgericht beantragen, eine Frist zum Abschluss des Disziplinarverfahrens zu bestimmen, wenn dieses Verfahren innerhalb von sechs Monaten seit der Einleitung nicht abgeschlossen ist. Maßgeblich ist dafür der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung. Diese Voraussetzung ist erfüllt, nachdem mit Verfügung vom 03.12.2014, der Antragstellerin am 10.12.2014 zugestellt, das Disziplinarverfahren gegen die Antragstellerin eingeleitet wurde.
Der Antrag auf gerichtliche Fristsetzung ist auch begründet. Gemäß § 37 Abs. 3 Satz 2 LDG bestimmt das Gericht eine Frist, in der das Verfahren abzuschließen ist, wenn ein zureichender Grund für den Abschluss des Verfahrens nicht vorliegt. Dies ist hier der Fall.
Der Gesetzgeber geht in § 37 Abs. 3 Satz 1 LDG typisierend davon aus, dass es unter Berücksichtigung des Beschleunigungsgrundsatzes regelmäßig möglich ist, ein Disziplinarverfahren auch unter Erhebung der erforderlichen Beweise innerhalb von sechs Monaten abzuschließen (vgl. Beschluss des Senats vom 04.08.2015 - DL 13 S 1432/15 -, juris). Allerdings ist der bloße Ablauf dieser Frist allein nicht ausreichend, den Fristsetzungsantrag für begründet zu erachten. Vielmehr bedarf es gemäß § 37 Abs. 3 Satz 2 LDG stets der Prüfung, ob ein zureichender Grund dafür vorliegt, dass das Verfahren nach Ablauf einer Dauer von sechs Monaten noch nicht abgeschlossen ist. Ob ein solcher Grund für die Verfahrensdauer vorliegt, bestimmt sich nach dem Umfang des Verfahrensstoffs, dessen Schwierigkeitsgrad, der Zahl und der Art der zu erhebenden Beweise sowie sonstiger Umstände des Verfahrens (vgl. hierzu und zum Folgenden: Düsselberg, in: von Alberti/Burr/Düsselberg/Eckstein/Nonnenmacher/ Wahlen, Landesdisziplinarrecht Baden-Württemberg, 2. Auflage, § 37 LDG RdNr. 24; zum parallelen Begriff der „unangemessenen Verzögerung“ in § 62 LDG: Weiß, in: GKÖD, M § 62 RdNr. 31 mit Nachweisen aus der Rechtsprechung des BVerwG zu § 66 Abs. 2 Satz 1 BDO). Ein zureichender Grund für den fehlenden Verfahrensabschluss liegt dann nicht vor, wenn eine gewisse Zeitspanne von einiger Dauer verstrichen ist, die bei effektiver Nutzung für die Aufklärung und den Abschluss des Verfahrens nicht erforderlich gewesen wäre; einzelne ungenutzte Tage fallen dabei nicht ins Gewicht. Weiter muss ein „verfahrensrechtliches Verschulden“ der Disziplinarbehörde oder sonstiger beteiligter Stellen an der Verfahrensverzögerung hinzukommen (vgl. Beschluss des Senats vom 04.08.2015, a.a.O.). Damit liegt etwa dann kein zureichender Grund für den fehlenden Abschluss des Verfahrens vor, wenn es der Dienstherr durch Bereitstellen verstärkter (personeller) Ressourcen hätte erreichen können, das Verfahren effektiver zu betreiben (Weiß, a.a.O., M § 62 RdNr. 34).
Vor diesem Hintergrund ist kein zureichender Grund dafür gegeben, warum zum maßgeblichen Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung das gegen die Antragstellerin bereits im Dezember 2014 eingeleitete Disziplinarverfahren noch nicht abgeschlossen ist. Von seinem Schwierigkeitsgrad sowie dem Umfang und Aufwand der durchzuführenden Ermittlungen und Beweiserhebungen vermag der Senat nicht zu erkennen, warum das Verfahren bei effektiver und den Beschleunigungsgrundsatz (zur Geltung des wenn auch nicht als Programmsatz normierten Beschleunigungsgrundsatzes unter dem Regelungsregime des LDG: amtliche Begründung zum LDG, LT-Drs. 14/2996, S. 107) berücksichtigender Verfahrensgestaltung noch nicht hätte abgeschlossen sein können. Dabei berücksichtigt der Senat durchaus, dass der Zeitraum von der Einleitung des Disziplinarverfahrens bis zur Stellungnahme der Bevollmächtigten der Antragstellerin am 27.02.2015 nicht dem Antragsgegner anzulasten ist, nachdem der Bevollmächtigten der Antragstellerin auf deren Bitten mehrfach eine Fristverlängerung zur Stellungnahme (vgl. § 11 Abs. 3 LDG) eingeräumt wurde. Auch stellt der Senat in Rechnung, dass sich die Beiziehung von Akten der … und die Beschaffung weiterer Informationen von Seiten der Schulleitung als durchaus schwierig gestaltete, wie sich der Korrespondenz der Ermittlungsführerin mit dem Schulleiter und deren Aktenvermerk vom 16.04.2015 entnehmen lässt. Soweit sich der Antragsgegner allerdings darauf beruft, dass die Ermittlungsführerin auf Grund eines Stellenwechsels eines weiteren Disziplinarreferenten zum 15.01.2015 und der Wiederbesetzung dieser Stelle am 11.01.2016 im Jahr 2015 die einzige Disziplinarreferentin für alle ca. 25.000 Lehrkräfte des Regierungspräsidiums Freiburg und der Beschäftigten des Regierungspräsidiums gewesen sei, weshalb sie ca. 20 Disziplinarverfahren nebst umfangreichen Vorermittlungen in weiteren Verfahren zu bearbeiten gehabt habe, entlastet dies den Antragsgegner nicht. Hier hätte der Antragsgegner gegebenenfalls weitere personelle Ressourcen zur Verfügung stellen müssen.
Das Disziplinarverfahren ist nach Ablauf der (verlängerten) Frist zur Stellungnahme der Antragstellerin zur Einleitungsverfügung (27.02.2015) und dem Zeitpunkt der Zeugenvernehmung am 09.12.2015 nicht in einer effektiven und dem Grundsatz der Beschleunigung gerecht werdenden Weise betrieben worden. Denn der Antragsgegner ist seiner Verpflichtung zur Beweiserhebung (§ 15 LDG) zunächst lediglich durch Beziehung von Urkunden und Akten sowie Einholung dienstlicher Auskünfte nachgekommen und hat sie ohne Vernehmung von Zeugen, insbesondere zur Frage eines Verursachungsbeitrags der Antragstellerin bei den in Streit stehenden Zeugniserstellungen und Versetzungsentscheidungen sowie zum Inhalt der Noten-/Zeugniskonferenzen abgeschlossen. Erst nachdem der Antragsgegner den Entwurf der Disziplinarverfügung an die Bevollmächtigte der Antragstellerin zur abschließenden Anhörung (§ 20 LDG) weitergeleitet und diese dazu Stellung genommen hat, ist der Antragsgegner in die Beweisaufnahme durch Zeugenvernehmung eingetreten. Dieses Vorgehen kann der Antragsgegner nicht damit rechtfertigen, dass es denkbar gewesen sei, dass die Antragstellerin Teile der Vorwürfe eingestehen würde. Denn ein Geständnis der Antragstellerin lag bis zum Abschluss der Ermittlungen nicht vor und konnte nach der schriftlichen Stellungnahme der Bevollmächtigten der Antragstellerin vom 26.03.2015 auch nicht erwartet werden. Auch nach Eingang der Stellungnahme der Bevollmächtigten der Antragstellerin vom 10.07.2015 zur beabsichtigten Disziplinarverfügung am 14.07.2015 ist das Disziplinarverfahren nicht hinreichend zügig betrieben worden. Nach dem Vorbringen des Antragsgegners hat es hier Verzögerungen bezüglich der Beweiserhebung durch Zeugenvernehmung vornehmlich wegen der mangelnden Erreichbarkeit der gewerblichen Schule während der Sommerferien und wegen der erforderlichen zeitintensiven Vorbereitung der Zeugenvernehmung gegeben. Allerdings ist insoweit zu berücksichtigen, dass sich die Versuche der Ermittlungsführerin zur Kontaktaufnahme mit der gewerblichen Schule auf Telefonanrufe beschränkten. Den Versuch einer Kontaktaufnahme durch Fax oder Mail bzw. durch Hinterlassen einer Rückrufbitte auf einen Anrufbeantworter hat der Antragsgegner selbst nicht behauptet. Ein solches Vorgehen hätte aber bei stringenter Verfahrensführung nahe gelegen, nachdem der Antragsgegner selbst davon ausgeht, dass „die Schulleitung nicht über die ganzen Schulferien nicht zu erreichen war“ (Schriftsatz des Antragsgegners vom 01.06.2016). Soweit der Antragsgegner weiter vorträgt, dass es der Ermittlungsführerin unmittelbar im Anschluss an ihren Urlaub vom 11.09. bis zum 04.10.2015 nicht möglich gewesen sei, eine Zeugenvernehmung durchzuführen, weil diese im nahen zeitlichen Zusammenhang zur Vernehmung die Sachkenntnis zahlreicher Details und damit eine umfangreiche Vorbereitung erforderlich gemacht habe, ist nicht ersichtlich, warum eine solche Vernehmung - jedenfalls teilweise - nicht bereits vor dem Urlaub der Ermittlungsführerin hätte vorbereitet werden können. Auch die Mail an die Schulleitung der gewerblichen Schule vom 30.10.2015 mit der Bitte um Benennung des stellvertretenden Schulleiters und der Abteilungsleiter der Schule erfolgte erst am 30.10.2015 und damit mehr als drei Wochen nach Urlaubsrückkehr der Ermittlungsführerin des Antragsgegners. Hier ist ebenfalls nicht ersichtlich, warum eine solche Mail nicht früher, auch in oder vor den Sommerferien, hätte versandt werden können. Aber selbst nach dem eigenen Vorbringen des Antragsgegners in seinem Schriftsatz vom 25.04.2016 wäre die Zeugenvernehmung bei zügiger Verfahrensführung am 23.10.2015 und damit etwa sechs Wochen früher als am 09.12.2015 tatsächlich stattgefunden möglich gewesen.
Letztlich räumt der Antragsgegner „ein paar Wochen ohne erkennbare Aktivitäten“ im Disziplinarverfahren im März 2016 ein. Soweit er zur Rechtfertigung auf das Verfahren nach § 37 Abs. 3 LDG vor dem Verwaltungsgericht hinweist (vgl. auch Aktenvermerk der Ermittlungsführerin vom 04.03.2016: „Es wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Freiburg in dem Verfahren nach § 37 Abs. 3 LDG abgewartet, um ggf. anschließend zu klären, ob die Bevollmächtigte mit dem Einholen von schriftlichen Stellungnahmen … einverstanden ist …“), entlastet ihn das nicht. Denn auch während des gerichtlichen Verfahrens nach § 37 Abs. 3 LDG ist das Disziplinarverfahren zügig weiter zu betreiben.
Der Antragsgegner hat den fehlenden Abschluss des Verfahrens auch zu vertreten. Das „verfahrensrechtliche Verschulden“ ergibt sich hier daraus, dass die Ermittlungsführerin nicht für die ihr - wie dargestellt - mögliche Beschleunigung des Verfahrens gesorgt hat (vgl. Hummel/Köhler/Mayer, BDG, 5. Aufl., § 62 RdNr. 11); auf eine Überlastung kann sie sich nicht berufen.
Liegt somit kein zureichender Grund für den fehlenden Abschluss des Disziplinarverfahrens vor, ist dem Antrag stattzugeben und eine Frist zu bestimmen, in der das Verfahren abzuschließen ist. Das Erfordernis einer Fristsetzung ist ein Gebot; sie liegt nach dem eindeutigen Wortlaut sowie dem Sinn und Zweck der Regelung des § 37 Abs. 3 Satz 2 LDG nicht im Ermessen des Disziplinargerichts (vgl. zu § 62 BDG: Weiß, a.a.O., M § 62 RdNr. 31 und 35). § 37 Abs. 3 Satz 2 LDG will sicherstellen, dass sich unangemessene Verzögerungen nicht wiederholen und sieht als Mittel dafür eine gerichtliche Fristsetzung vor, die eindeutige Verhältnisse schafft. Lediglich die Bemessung der Frist liegt im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts (vgl. dazu: Beschluss des Senats vom 04.08.2015, a.a.O.). Insbesondere kann trotz Vorliegens der Antrags- und Tatbestandsvoraussetzungen des § 37 Abs. 3 Satz 1 und 2 LDG eine Fristsetzung nicht deswegen unterbleiben, weil zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung die Mängel der Verfahrensführung abgestellt worden sind und - hier etwa wegen der für Ende Juli 2016 vom Antragsgegner angekündigten abschließenden Entscheidung - mit einer zügigen Fortführung und Beendigung des Verfahrens gerechnet werden kann (vgl. aber zur Rechtslage nach § 66 BDO: BVerwG, Beschluss vom 05.12.1996 - 1 DB 22.96 -, juris; Beschluss vom 11.06.2003 - 1 DB 9.03 -; Müller, Grundzüge des Beamtendisziplinarrechts, RdNr. 461).
10 
Bei der Bemessung der dem Antragsgegner gemäß § 37 Abs. 3 Satz 2 LDG zu setzenden Frist für den Abschluss des Disziplinarverfahrens hat das Gericht eine summarische Beurteilung des weiteren Aufklärungsaufwandes vorzunehmen und dabei den Besonderheiten des Falls Rechnung zu tragen. Dabei ist einerseits eine ordnungsgemäße abschließende Bearbeitung zu gewährleisten, andererseits das Interesse des Beamten an einem baldigen Abschluss des Verfahrens zu berücksichtigen. Zweck der Fristsetzung kann es demnach nicht sein, auf die am Verfahren Beteiligten derart Druck auszuüben, dass eine, auch im Interesse des Beamten liegende sorgfältige Sachaufklärung bei Fristeinhaltung möglicherweise unterbleiben müsste. Andererseits soll die Frist vor dem Hintergrund des Beschleunigungsgrundsatzes im Zweifelsfall durchaus knapp bemessen sein (vgl. dazu: Beschluss des Senats vom 04.08.2015, a.a.O. m.w.N.). Dies berücksichtigend hält der Senat im Anschluss an die Prognose des Antragsgegners, der von dem Erlass einer abschließenden Entscheidung im Disziplinarverfahren nach einer noch erforderlichen Zeugenvernehmung und weiterer verfahrensrechtlicher Verpflichtungen (§ 81 Abs. 2 Nr. 1 LPVG, § 20 LDG) bis Ende Juli 2016 ausgeht, eine Frist bis zum 05.08.2016 für sachgerecht, um einen Abschluss des Disziplinarverfahrens zu erreichen.
11 
Wird das Verfahren nicht innerhalb der genannten Frist abgeschlossen, stellt es die Disziplinarbehörde ein. Allerdings besteht nach § 37 Abs. 3 Satz 3 LDG die Möglichkeit, auf Antrag des Dienstherrn die Frist zu verlängern, wenn dieser sie aus Gründen, die er nicht zu vertreten hat, voraussichtlich nicht einhalten kann.
12 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, § 2 LDG.
13 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

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