Beschluss vom Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg - 5 S 2220/15

Tenor

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 21. Oktober 2015 - 3 K 1691/15 - wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren und für das Verfahren vor dem Verwaltungsgericht - insoweit unter Änderung der dortigen Festsetzung - jeweils auf 20.000,-- EUR festgesetzt.

Gründe

 
Die nach § 146 Abs. 1 VwGO statthafte und auch sonst zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg. Die in der Beschwerdebegründung innerhalb der Frist des § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat grundsätzlich beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), geben zu einer Änderung der vom Verwaltungsgericht zum Nachteil des Antragstellers getroffenen Abwägungsentscheidung keinen Anlass.
Das Verwaltungsgericht hat, soweit dies zu prüfen war, bei der von ihm nach Maßgabe der §§ 80a Abs. 3 Satz 2, 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmenden Interessenabwägung dem (besonderen) öffentlichen Interesse und dem privaten Interesse der Beigeladenen, von der kraft Gesetzes (vgl. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 212a Abs. 1 BauGB) sofort vollziehbaren Baugenehmigung der Antragsgegnerin vom 18.06.2015 sofort Gebrauch machen zu dürfen, zu Recht Vorrang vor dem privaten Interesse des Antragstellers gegeben, von deren Wirkungen vorläufig verschont zu bleiben.
Mit dieser Baugenehmigung wurde der Beigeladenen auf den - den Grundstücken des Antragstellers gegenüberliegenden - Baugrundstücken ... Straße ... und ... u. a. der „Neubau eines Geschäftshauses mit Hotel“ genehmigt. In den Bauvorlagen wird das Bauvorhaben teilweise abweichend davon mit „Neubau Wohn- und Geschäftshaus mit Tiefgarage und Stellplätzen“ angegeben.
Auch der Senat vermag bei der im vorliegenden Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes allein möglichen und auch nur gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage nicht zu erkennen, dass mit der Genehmigung des Bauvorhabens gerade gegen auch dem Schutz des Antragstellers dienende Vorschriften verstoßen worden sein könnte.
Viel spricht für die vom Verwaltungsgericht angenommene Unbestimmtheit der Baugenehmigung (vgl. § 37 Abs. 1 LVwVfG). Denn diese und die zu deren Beilagen erklärten Bauvorlagen enthalten unterschiedliche Angaben dazu, wie die - neben verschiedenen gewerblichen Flächen im Erdgeschoss - vorgesehenen 1-Zimmer Appartements und insbesondere die 2-, 2 ½- und 3-Zimmer Wohnungen baulich genutzt werden sollen. Einerseits sollen diese gewerblich als „Appartements und Hotelzimmer“ zur Verfügung gestellt werden; inwieweit eine solche Nutzung noch als „Hotel“ bezeichnet und damit von einem „Beherbergungsbetrieb“ i. S. der Baunutzungsverordnung gesprochen werden kann oder inwieweit eher von einer gewerblichen Vermietung zu vorübergehenden Wohnzwecken auszugehen ist, dürfte dabei für die zu beurteilende Nutzung nicht entscheidend sein (vgl. BVerwG, Urt. v. 29.04.1992 - 4 C 43.89 -, BVerwGE 90, 140; Nieders. OVG, Beschl. v. 12.12.2013 - 1 LA 123/13 -, DVBl. 2014, 254). Andererseits wird die vorgesehene Nutzung sowohl im schriftlichen wie im zeichnerischen Teil des Lageplans in Übereinstimmung mit den ausdrücklich als „Wohnungen“ bezeichneten Räumlichkeiten als „Neubau Wohn- und Geschäftshaus“ bezeichnet, was zumindest für eine allgemeine Wohnnutzung der Wohnungen spricht.
Auf die Unbestimmtheit der Baugenehmigung könnte sich der Antragsteller allerdings nur berufen, soweit von ihr Regelungen betroffen sind, die gerade dem Schutz seiner nachbarlichen Interessen zu dienen bestimmt sind (vgl. Senatsurt. v. 27.10.1995 - 5 S 268/95 -, VBlBW 1996, 105, u. v. 09.02.1993 - 5 S 1650/92 -, ESVGH 43, 142). Dies wäre bei der hier in Rede stehenden unbestimmten Festlegung der Art der baulichen Nutzung nur der Fall, wenn der Antragsteller eine danach in Betracht kommende bauliche Nutzung bzw. deren Auswirkungen nicht hinnehmen müsste. So verhält es sich hier indessen nicht. Denn - ausgehend von seinem Beschwerdevorbringen - könnte der Antragsteller voraussichtlich auch nicht die von ihm im Rahmen einer gewerblichen Zurverfügungstellung der Appartements und Wohnungen angenommene Ferien- oder Wochenendnutzung unter Berufung auf einen sog. Gebietserhaltungsanspruch abwehren.
Warum die gewerbliche Zurverfügungstellung von Appartements und Wohnungen auch als Ferien- oder Wochenendwohnungen in einem faktischen Mischgebiet nach § 34 Abs. 2 BauGB, § 6 BauNVO auch nicht im Rahmen eines sonstigen (das Wohnen nicht wesentlich störenden) Gewerbebetriebs (§ 6 Abs. 2 Nr. 4 BauNVO) allgemein zulässig sein sollte, zeigt die Beschwerde nicht auf. Eine unzulässige Gleichsetzung von nach der Baunutzungsverordnung unterschiedlich geregelten Nutzungsarten vermag der Senat darin nicht zu erkennen.
Einen nachvollziehbaren Grund, warum die vom Antragsteller allein in den Blick genommene Ferien- oder Wochenendnutzung, auf die eine nach der Baugenehmigung in Betracht kommende gewerbliche, vorübergehende Zurverfügungstellung von Appartements und Wohnungen keineswegs beschränkt sein sollte, entgegen dem verwaltungsgerichtlichen Beschluss nur in einem Sondergebiet nach § 10 BauNVO und nicht auch in einem faktischen Mischgebiet zulässig sein sollte, hat die Beschwerde nicht aufzuzeigen vermocht.
§ 10 Abs. 1 BauNVO befasst sich mit ausschließlich „der Erholung dienenden“ - also dem zeitweiligen Freizeitwohnen dienenden - Sondergebieten und führt zu deren näheren Kennzeichnung die weit verbreiteten Wochenendhaus-, Ferienhaus- und Campingplatzgebiete an. Mag danach auch nicht nur die in § 10 Abs. 3 und 4 BauNVO näher beschriebene Ferienhaus- und Wochenendhausnutzung (vgl. zu dieser BVerwG, Urt. v. 11.07.2013 - 4 CN 7.12 -, BVerwGE 147, 138; noch offenlassend BVerwG, Urt. v. 12.03.1982 - 4 C 59.78 -, Buchholz 406.11 § 35 BBauG Nr. 186), sondern auch die Nutzung als Ferien- oder Wochenendwohnung eine gegenüber der allgemeinen Wohnnutzung eigenständige, typisierte Nutzungsart darstellen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 08.05.1989 - 4 B 78.89 -, Buchholz 406.11 § 31 BBauG/BauGB Nr. 27; BayVGH, Beschl. v. 04.09.2013 - 14 ZB 13.6 -, BRS 81, 84; Nds. OVG, Urt. v. 15.01.2015 - 1 KN 61/14 -, BauR 2015, 630; OVG MV, Beschl. v. 28.12.2007 - 3 M 190/07 -, NordÖR 2008, 169; Urt. v. 19.02.2014 - 3 L 212/12 -, NordÖR 2014, 323), welche in einem (nur) als "Wohngebäude" genehmigten Gebäude nicht zulässig wäre, ließe sich daraus noch nicht herleiten, dass die Zurverfügungstellung solcher Wohnungen in anderen Baugebieten als gewerbliche Nutzung von vornherein unzulässig wäre (vgl. BVerwG, Urt. v, 29.04.1992, a.a.O., juris Rn. 19; BT-Drs. 18/5076, S. 2; Pernice-Warnke, NVwZ 2015, 112 <113>). Aus § 11 Abs. 2 Satz 1 BauNVO, wonach als sonstige Sondergebiete auch Gebiete für die Fremdenbeherbergung festgesetzt werden können, folgt nichts anderes. Denn Sondergebiete können nach § 11 Abs. 1 und 2 Bau- NVO auch für Nutzungsarten festgesetzt werden, die in anderen Baugebieten zulässig sind. Eine § 11 Abs. 3 Satz 1 BauNVO entsprechende Ausschlussregelung für die Fremdenbeherbergung in Ferien- und Wochenendwohnungen gibt es nicht. Auch sonst ist anerkannt, dass die Aufführung spezieller gewerblicher Nutzungsarten bei einzelnen von der Baunutzungsverordnung geregelten Baugebieten, wenn diese - wie hier - lediglich den Charakter eines bestimmten Baugebiets kennzeichnen, deren Zulässigkeit in anderen Baugebieten nicht von vornherein ausschließt (vgl. BVerwG, Urt. v. 29.04.1992, a.a.O.). Schließlich setzt § 22 Abs. 4 Satz 4 BauGB die Zulässigkeit von Fremdenbeherbergung (in einem weiteren Sinne) außerhalb von Wochenend- und Ferienhausgebieten in Beherbergungsbetrieben und sogar in Wohngebäuden voraus.
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Danach dürfte das Bauvorhaben zwar nicht als "Wohngebäude" zulässig sein, soweit die vorgehaltenen Appartements und Wohnungen, wie der Antragsteller meint, zum Zwecke des zeitweiligen Freizeitwohnens gewerblich zur Verfügung gestellt werden, jedoch könnte es insoweit in einem faktischen Mischgebiet - zumindest in einem weiteren Sinne (vgl. hierzu BVerwG, Urt. v. 29.04.1992, a.a.O.) - als Beherbergungsbetrieb i. S. des § 6 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO (vgl. Sächs. OVG, Urt. v. 07.02.2007 - 1 B 583/06 -; OVG SH, Urt. v. 31.05.2005 - 1 LB 4/05 -, NordÖR 2006, 37; Fickert/Fieseler, BauNVO 12. A. 2014 § 3 Rn. 20) bzw. als einem solchen gleichstehenden Betrieb (vgl. Stock, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB <EL Feb. 2016>, § 4 BauNVO Rn. 14; Stock, in: König/Roeser/Stock, BauNVO 3. A. 2014, § 4a Rn. 25) zulässig sein. Schließlich könnte es - aufgrund seines mit einem Beherbergungsbetrieb vergleichbaren Störgrads - noch einen sonstigen (das Wohnen nicht wesentlich störenden) Gewerbebetrieb i. S. des § 6 Abs. 2 Nr. 4 BauNVO darstellen (vgl. BReg, BT-Drs.18/5076, S. 1; VG Sigmaringen, Beschl. v. 17.07.2015 - 7 K 2123/14 -; offenlassend OVG Berlin-Brbg., Beschl. v. 30.05.2016, a.a.O.; Reidt/von Landwüst, UPR 2015, 12; anders - allerdings ohne Begründung - Nds. OVG, Urt. v. 15.01.2015, a.a.O.). Warum hier zumindest letzteres nicht der Fall sein sollte (zum Vorliegen eines Betriebs vgl. BVerwG, Beschl. v. 27.11.1987 - 4 B 230.87 u. 4 B 231.87 -, Buchholz 406.12 § 3 BauNVO Nr. 6), zeigt die Beschwerde nicht auf. Insofern kann dahinstehen, ob aufgrund der Umstände des vorliegenden Einzelfalls - etwa wegen der Möglichkeit, in den Appartements und Wohnungen den häuslichen Wirkungskreis unabhängig gestalten zu können (vgl. hierzu BVerwG Beschl. v. 08.05.1989, a.a.O.; Nds. OVG, Beschl. v. 12.12.2013, a.a.O.; Urt. v. 19.02.2014 - 3 L 212/12 -, BauR 2015, 81) - noch von einem Beherbergungsbetrieb gesprochen werden könnte.
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Könnte der Antragsteller danach die gewerbliche Nutzung der Appartements und Wohnungen auch als Ferien- oder Wochenendwohnungen voraussichtlich nicht unter Berufung auf einen Gebietserhaltungsanspruch abwehren, besteht kein Anlass, die getroffene Abwägungsentscheidung zu seinen Gunsten zu ändern.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 63 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 1, 47 Abs. 1 Satz 1, 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2, 39 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 1.5 und 9.7.1 des Streitwertkatalogs 2013. Der Senat hält in der Hauptsache den Ansatz des Mittelwerts des Rahmenvorschlags für jedes der beiden Wohngrundstücke für angemessen. Dieser erscheint auch im vorliegenden Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes angemessen, da die Entscheidung in der Hauptsache faktisch vorweggenommen wird (vgl. etwa VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 24.05.2012 - 3 S 629/12 -).
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Der Beschluss ist unanfechtbar.

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