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| Die Antragsteller begehren vorläufigen Rechtsschutz gegen die sofortige Vollziehung einer vorzeitigen Besitzeinweisung. |
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| Die Antragsteller sind Miteigentümer des Grundstücks Flst.-Nr. 1490/2 der Gemarkung Stuttgart (... Straße …, …), das mit einem Mehrfamilienhaus bebaut ist, und zugleich Eigentümer einer Eigentumswohnung in diesem Haus. Das Grundstück befindet sich im Planfeststellungsabschnitt 1.2 des Projekts Stuttgart 21. Unter dem Grundstück sind in einer Tiefe von ca. 75 m zwei Tunnelröhren des Fildertunnels (Achse 61 und Achse 801) geplant. Zur Sicherung des Baus der Tunnel und des Betriebs der unterirdischen Eisenbahn soll es durch die Eintragung einer Grunddienstbarkeit dinglich belastet werden. Der Planfeststellungsbeschluss vom 19.8.2005 für den Abschnitt 1.2 und der Planänderungsbeschluss vom 26.2.2013 sehen eine entsprechende dauerhafte Inanspruchnahme vor. |
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| Am 21.7.2016 beantragte die Beigeladene beim Regierungspräsidium Stuttgart, sie nach § 21 AEG vorzeitig in den Besitz des Grundstücks Flst.-Nr. 1490/2 einzuweisen. Die mündliche Verhandlung fand am 24.8.2016 statt. Mit Beschlüssen vom 25.8.2016 wies das Regierungspräsidium die Beigeladene in dem im Einzelnen bezeichneten Umfang zum 14.9.2016 in den Besitz ein. |
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| Am 29.9.2016 haben die Antragsteller beim beschließenden Gerichtshof Klagen gegen die Besitzeinweisungsbeschlüsse vom 25.8.2016 erhoben und zugleich beantragt, die aufschiebende Wirkung ihrer Klagen anzuordnen. |
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| Die Anträge sind nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 21 Abs. 7 Satz 1 AEG statthaft und auch im Übrigen zulässig. Sie haben in der Sache jedoch keinen Erfolg. Die im Aussetzungsverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende Abwägung der widerstreitenden Interessen führt zu dem Ergebnis, dass das Interesse der Antragsteller, vom Vollzug der Besitzeinweisungsbeschlüsse bis zur Entscheidung über ihre dagegen gerichteten Klagen verschont zu bleiben, hinter das öffentliche Interesse und das Interesse der Beigeladenen an dem in § 21 Abs. 7 Satz 1 AEG vorgesehenen sofortigen Vollzug zurückzutreten hat. Denn die angefochtenen Besitzeinweisungsbeschlüsse sind nach den im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gegebenen Erkenntnismöglichkeiten voraussichtlich rechtmäßig und verletzen die Antragsteller daher nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). |
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| 1. Die Beschlüsse leiden wohl an keinem zu ihrer Aufhebung führenden Verfahrensfehler. Das gilt insbesondere für die von den Antragstellern geltend gemachten formellen Fehler. |
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| a) Die Antragsteller meinen, es fehle bereits an einem wirksamen Besitzeinweisungsantrag im Sinne des § 21 Abs. 1 Satz 2 AEG, weil der von der Beigeladenen gestellte Antrag vom 21.7.2016 in unzutreffender Weise gegen die Wohnungseigentümergemeinschaft (WEG) und nicht gegen die einzelnen Miteigentümer des Grundstücks Flst.-Nr. 1490/2 gerichtet gewesen sei. Es kann dahingestellt bleiben, ob in einem Besitzeinweisungsantrag die Verfahrensbeteiligten mit ladungsfähiger Anschrift bezeichnet werden müssen (so für die gleichlautende Vorschrift des § 18f FStrG: Kromer/Müller, in: Müller/Schulz, FStrG, 2. Aufl. 2013, § 18f Rn. 21). Ebenfalls offen bleiben kann, ob bejahendenfalls ein Verstoß gegen diese Pflicht einen formellen oder einen materiellen Mangel darstellen würde. Denn die Beigeladenen hat in ihrem Besitzeinweisungsantrag die Antragsgegner zutreffend bezeichnet. |
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| Antragsgegner einer Besitzeinweisung ist derjenige, der als Folge der vorzeitigen Besitzeinweisung in seiner Rechtsposition betroffen ist. Richtige Gegner des Antrags auf vorzeitige Besitzeinweisung sind im vorliegenden Fall die einzelnen Wohnungseigentümer und nicht die Gemeinschaft der Eigentümer (WEG) (vgl. zu der dem § 21 AEG entsprechenden Vorschrift des § 18f FStrG Dünchheim; in: Marschall, FStrG, 6. Aufl. 2012, § 18 f Rn. 19). Denn das Sondereigentum und das Gemeinschaftseigentum verbleiben als echtes Eigentum ausschließlich in den Händen der Miteigentümer und werden damit nicht Bestandteil des Vermögens der Eigentümergemeinschaft (vgl. BGH, Beschluss vom 2.6.2005 - V ZB 32/05 -, BGHZ 163, 154, juris Rn. 48). Das Recht zur Verfügung über das Gemeinschaftseigentum können die Wohnungseigentümer auch nicht durch Beschluss auf die WEG übertragen (vgl. BGH, Urteil vom 12.4.2013 – V ZR 103/12 –, NJW 2013, 1962, juris Rn. 8; Abramenko in: Jennißen, Wohnungseigentumsgesetz, 5. Aufl. 2017, § 10 Rn. 126). |
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| Entgegen der Ansicht der Antragsteller war der Antrag der Beigeladenen auf vorzeitige Besitzeinweisung gegen die einzelnen Eigentümer des Grundstücks Flst.-Nr. 1490/2 und nicht gegen die WEG gerichtet. Der Antrag der Beigeladenen listet unter Nr. 2.1 bis 2.21 die einzelnen betroffenen Eigentümer des Grundstücks mit ihrer jeweiligen Anschrift auf. Es dürfte unschädlich sein, dass der Antrag im Anschluss an die Auflistung der Eigentümer den Zusatz enthält: „Die Beteiligten zu 2.1 bis 2.21 als Wohnungseigentümergemeinschaft vertreten durch ... RECHTSANWÄLTE Herrn Rechtsanwalt Dr. ... ... ..., ... ...“. Damit bringt die Beigeladene nicht zum Ausdruck, dass sie den Antrag anstelle der einzelnen Eigentümer gegen die Wohnungseigentümergemeinschaft (WEG) richtet. Das macht nicht nur die Verwendung der Bezeichnung „Antragsgegner“ statt „Antragsgegnerin“ deutlich, sondern zeigt sich auch daran, dass die Beigeladene beispielsweise unter VI. des Antrags mehrfach von den „Antragsgegnern“ spricht. Hätte die Beigeladene die WEG als Antragsgegnerin bezeichnen wollen, hätte es sich aufgedrängt, den Antrag gegen die WEG, bestehend aus den Eigentümern Nr. 2.1 bis 2.21, zu richten. Die Beigeladene mag zwar fälschlicherweise davon ausgegangen sein, die Verhandlungen für alle Mitglieder der WEG würden durch die ... RECHTSANWÄLTE geführt (s. S. 14 des Antrags unter Nr. I. 2.). Das ändert jedoch nichts daran, dass im Antrag erkennbar die einzelnen Wohnungseigentümer als Antragsgegner bezeichnet sind. |
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| b) Die vorzeitige Besitzeinweisung nach § 21 Abs. 1 AEG setzt nach § 21 Abs. 2 Satz 1 AEG weiter voraus, dass zuvor eine mündliche Verhandlung durchgeführt wurde, zu der mit einer Frist von drei Wochen zu laden ist (§ 21 Abs. 2 Satz 2 und 4 AEG). Der Antrag auf Besitzeinweisung ist den Betroffenen nach § 21 Abs. 2 Satz 3 AEG mitzuteilen. |
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| aa) Die mündliche Verhandlung fand im vorliegenden Fall am 24.8.2016 statt. Zu dieser mündlichen Verhandlung wurden die Antragsteller als Betroffene geladen; außerdem wurde ihnen der Antrag auf Besitzeinweisung mitgeteilt. Den Antragstellern ist die Ladung zur mündlichen Verhandlung über die Besitzeinweisung einschließlich des Antrags der Beigeladenen nach ihren eigenen Angaben vor dem Termin der mündlichen Verhandlung zugegangen. Eine förmliche Zustellung der Ladung oder des Antrags auf Besitzeinweisung sieht § 21 AEG zwar nicht vor; auch aus anderen Vorschriften folgt ein solches Formerfordernis nicht (vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 15. Aufl. 2014, § 67 Rn. 6; Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs VwVfG, 8. Aufl. 2014, § 67 Rn. 8). Das Regierungspräsidium Stuttgart hatte allerdings die Zustellung angeordnet, wie sich aus dem Vermerk „Zustellungsurkunde“ auf dem Ladungsschreiben ergibt. Deshalb bestand nach § 1 Abs. 2 LVwZG die Pflicht zur Zustellung. An einer förmlichen Zustellung an die Antragsteller fehlt es unstreitig. Der Zustellungsmangel ist jedoch nach § 9 Halbsatz 1 LVwZG geheilt. Nach dieser Vorschrift gilt ein Dokument, dessen formgerechte Zustellung sich nicht nachweisen lässt oder unter Verletzung zwingender Zustellungsvorschriften zugegangen ist, in dem Zeitpunkt als zugestellt, in dem es dem Empfangsberechtigten tatsächlich zugegangen ist. Die Antragsteller haben vorgetragen, die Ladung am 17.8.2016 erhalten zu haben, so dass dieser Tag als Zustellungstag gilt. Unschädlich ist, dass die Antragsteller die Ladung über den Verwalter der WEG erhalten haben, der sie seinerseits von den anwaltlichen Vertretern der WEG, den ... RECHTSANWÄLTEN, erhalten hatte. Der Einwand der Antragsteller, es fehle der Wille des Antragsgegners die Ladung an sie zuzustellen, greift nicht durch. Die Ladung war für die Antragsteller bestimmt. Sie wurde ihnen auf dem Weg über die ... RECHTSANWÄLTE und den Verwalter der WEG bekannt gegeben, allerdings in der irrigen Annahme, sie würden durch die ... RECHTSANWÄLTE vertreten. Letzteres belegt Seite 1 der Ladungsschreiben vom 25.7.2016. Dort heißt es „Mehrfertigung für Ihren Mandanten Herrn R... ..., ... ... ..., ... ...“ sowie „Mehrfertigung für Ihre Mandantin Frau N... ..., ...-... Str. ... ..., ... ...“. Der Irrtum über die Vertretungsbefugnis ändert jedoch nichts an dem Willen des Antragsgegners, die Ladung an die Antragsteller zuzustellen. |
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| bb) Die Ladung erfolgte jedoch nicht fristgemäß. Nach § 21 Abs. 2 Satz 4 AEG beträgt die Ladungsfrist drei Wochen. Diese Frist ist nicht eingehalten worden. Den Antragstellern ist die Ladung nach ihren Angaben erst am 17.8.2016, d.h. nur eine Woche vor dem Termin zur mündlichen Verhandlung zugegangen. Die Antragsgegnerin und die Beigeladene bezweifeln zwar die Richtigkeit dieser Angabe unter Darlegung des Geschehensablaufs. Sie können jedoch den Zeitpunkt des Zugangs bei den Antragstellern nicht belegen. Dies geht zu ihren Lasten. Die Übermittlung an die ... RECHTSANWÄLTE wahrt die Frist nicht, da diese von den Antragstellern nicht bevollmächtigt waren (vgl. § 7 LVwZG). Die Bevollmächtigung durch die WEG genügt insoweit nicht, da es sich bei den Antragstellern einerseits und der WEG andererseits um verschiedene Rechtspersönlichkeiten handelt. |
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| cc) Die in § 21 Abs. 2 AEG vorgesehene qualifizierte Form der Anhörung im Wege einer mündlichen Verhandlung nach vorheriger fristgebundener Ladung ist somit nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden. Der Fehler ist auch nicht nach § 45 Abs. 1 Nr. 3 LVwVfG geheilt worden. Nach dieser Vorschrift ist eine Verletzung von Verfahrens- oder Formfehlern, die nicht den Verwaltungsakt nach § 44 LVwVfG nichtig macht, unbeachtlich, wenn die erforderliche Anhörung eines Beteiligten nachgeholt wird. Es kann offen bleiben, ob die Vorschrift auf die in § 21 Abs. 2 AEG vorgesehene qualifizierte Form der Anhörung anwendbar ist, wenngleich hierfür einiges spricht (die Anwendbarkeit bejahen: Kopp/Ramsauer, VwVfG, 15. Aufl. 2014, § 67 Rn. 7 und § 45 Rn. 23 f.; Kromer/Müller, in: Müller/Schulz, FStrG, 2. Aufl. 2013, § 18f Rn. 26; zweifelnd: Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Aufl. 2014, § 67 Rn. 34 f.). Denn im vorliegenden Fall ist die Anhörung nicht nachgeholt worden, da die Antragsgegnerin den Antragstellern nicht die Möglichkeit eingeräumt hat, innerhalb einer angemessenen Frist ergänzend vorzutragen. Eine Heilung einer unterbliebenen Anhörung nach § 45 Abs. 1 Nr. 3 LVwVfG tritt nur dann ein, soweit die Anhörung nachträglich ordnungsgemäß durchgeführt und ihre Funktion für den Entscheidungsprozess der Behörde uneingeschränkt erreicht wird. Äußerungen und Stellungnahmen von Beteiligten im gerichtlichen Verfahren stellen keine nachträgliche Anhörung im Sinne dieser Regelung dar (BVerwG, Urteil vom 24.6.2010 - 3 C 14.09 -, BVerwGE 137, 199 Rn. 37 und Urteil vom 22.3.2012 - 3 C 16.11 -, BVerwGE 142, 206 Rn. 18). Es bedarf keiner Entscheidung, ob der Ansicht der Antragsgegnerin und der Beigeladenen zu folgen ist, wonach der Fehler bei der Anhörung deshalb unbeachtlich ist, weil § 45 Abs. 2 LVwVfG eine Nachholung der Anhörung noch bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens zulässt. Diese Ansicht begegnet im vorliegenden Fall deshalb Zweifeln, weil der Zweck der Anhörung bei einer Nachholung erst im Laufe des verwaltungsgerichtlichen Hauptsacheverfahrens - 5 S 1919/16 - möglicherweise nicht mehr erreicht werden könnte. Denn es erscheint nicht ausgeschlossen, dass dann die Bohrung der Tunnelröhren bereits vollendet sein wird, sodass eine Anhörung zu spät käme. Einer Entscheidung bedarf es insoweit jedoch nicht, weil es darauf hier nicht ankommt (s. nachfolgend c)). |
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| c) Das Unterlassen einer ordnungsgemäßen Anhörung führt voraussichtlich nicht zum Erfolg der Klagen der Antragsteller, weil § 46 LVwVfG anwendbar sein dürfte. Nach dieser Vorschrift kann die Aufhebung eines Verwaltungsaktes, der nicht nach § 44 LVwVfG nichtig ist, nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren, die Form oder die örtliche Zuständigkeit zustande gekommen ist, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat. § 46 LVwVfG ist auch in förmlichen Verwaltungsverfahren anwendbar (vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 15. Aufl. 2014, § 67 Rn. 22; Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG 8. Aufl. 2014, § 67 Rn. 36). |
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| Ein Fall der Nichtigkeit liegt nicht vor, denn der Verstoß gegen die in § 21 Abs. 2 AEG vorgesehene Form der Anhörung führt nicht zur Nichtigkeit des Besitzeinweisungsbeschlusses. Der Verfahrensverstoß hat die Entscheidung in der Hauptsache nicht beeinflusst, denn eine andere Entscheidung in der Sache hätte nicht getroffen werden können. Vielmehr war die Beigeladene antragsgemäß vorzeitig in den Besitz des Grundstücks Flst.-Nr.1490/2 einzuweisen, weil die Voraussetzungen hierfür vorlagen und sie deshalb darauf einen Anspruch hatte. |
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| Die vorzeitige Besitzeinweisung ist eine gebundene Entscheidung. Sie setzt nach § 21 Abs. 1 AEG voraus, dass ein vollziehbarer Planfeststellungsbeschluss oder eine vollziehbare Plangenehmigung vorliegt (dazu aa)). Zudem muss der Vorhabenträger einen Antrag gestellt haben, ihn vorzeitig in den Besitz einzuweisen (dazu bb)) und der sofortige Beginn von Bauarbeiten muss geboten sein (dazu cc)). Ferner muss sich der Eigentümer oder Besitzer weigern, den Besitz des für den Bau benötigten Grundstücks durch Vereinbarung unter Vorbehalt aller Entschädigungsansprüche zu überlassen (dazu dd)). Diese Voraussetzungen liegen hier aller Voraussicht nach vor, so dass der Beigeladenen ein Anspruch auf Erlass des beantragten Besitzeinweisungsbeschlusses zustand. |
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| aa) Es spricht nach Aktenlage alles dafür, dass der Planfeststellungsbeschluss für den Abschnitt 1.2 vom 19.8.2005 und der Planänderungsbeschluss vom 26.2.2013 gegenüber den Antragstellern bestandskräftig und damit vollziehbar sind. Die Antragsteller haben hierzu auch nichts Gegenteiliges vorgetragen. |
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| bb) Ein Antrag des Vorhabenträgers auf vorzeitige Besitzeinweisung lag vor. Er wurde von der Beigeladenen am 21.7.2016 gestellt (s.o. 1. a)) |
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| cc) Der sofortige Beginn der Bauarbeiten ist im Sinne des § 21 Abs. 1 Satz 1 AEG geboten. Der Senat teilt nicht die Ansicht der Antragsteller, es fehle an der erforderlichen Dringlichkeit der vorzeitigen Besitzeinweisung. |
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| Der sofortige Baubeginn ist nicht erst dann geboten, wenn das Wohl der Allgemeinheit anderenfalls in erheblicher, nicht wieder gutzumachender Weise beeinträchtigt wird (so aber OLG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 09.12.2010 - 2 U (Baul) 60/10 -, juris). Es genügt, ist aber auch erforderlich, dass das öffentliche Interesse an der Ausführung des Vorhabens ein solches Gewicht besitzt, dass für den Fall des Abwartens des regulären Enteignungsverfahrens wesentliche Nachteile drohen. Es muss ein besonderes öffentliches Interesse vorliegen, das über das Interesse am Erlass des Planfeststellungsbeschlusses und seiner sofortigen Vollziehbarkeit wie auch über dasjenige hinausgeht, das allgemein an der Realisierung eines dem Wohl der Allgemeinheit dienenden Vorhabens besteht. Unter dem zeitlichen Blickwinkel setzt das ein gesteigertes öffentliches Interesse voraus, das gerade durch die vorzeitige Besitzeinweisung gewahrt werden kann und muss. Das Merkmal der Dringlichkeit verlangt dabei nicht, dass das Vorhaben sinnvoll ausschließlich sofort verwirklicht werden kann und in diesem Sinne zeitlich engen Bindungen unterliegt. Entscheidend ist vielmehr der Zweck des Vorhabens bzw. der Enteignung unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls. Neben zeitlichen Erwägungen können auch technisch-konstruktive bedeutsam sein, wenn die geplante Bauausführung beispielsweise nur einheitlich durchgeführt werden kann. Schließlich kann auch die Gefahr erheblicher Mehrkosten für die öffentliche Hand die Dringlichkeit begründen. Wurden die Bauarbeiten bereits begonnen, kann die vorzeitige Besitzeinweisung auch bei Flächen gerechtfertigt sein, die zur Fortsetzung der Arbeiten benötigt werden (so zum Vorstehenden auch VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 23.8.2010 - 1 S 975/10 -, NVwZ-RR 2011, 143; OVG Nordrh.-Westf., Beschluss vom 24.1.2008 - 20 B 1789/07 -, NWVBl 2009, 316; Thür. OVG, Beschluss vom 11.3.1999 - 2 EO 1247/98 -, NVwZ-RR 1999, 488 und KG, Urteil vom 17.4.1998 - U 702/98 Baul -, NJW 1998, 3064). |
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| Ausgehend von diesen Grundsätzen spricht nach den Darlegungen der Beigeladenen alles dafür, dass der sofortige Baubeginn auf dem Grundstück Flst.-Nr. 1490/2 bei Erlass des Besitzeinweisungsbeschlusses aus Gründen des öffentlichen Interesses geboten war und auch heute noch geboten ist. Nach den Angaben der Beigeladenen im Besitzeinweisungsantrag vom 21.7.2016 hatte zu diesem Zeitpunkt der konventionelle Tunnelvortrieb der Tunnelachse 801 bereits begonnen. Der mittlere Tunnelvortrieb wurde mit 20 m pro Woche eingeschätzt, wobei dies aufgrund der örtlichen geologischen Gegebenheiten variieren könne. Die Ortsbrust befinde sich derzeit 90 m vom Grundstück der Antragsteller entfernt. Da die Herstellung des konventionellen Abschnitts der Tunnelachse 801 fest in das Gesamtkonzept des aufeinander abgestimmten Tunnelvortriebs östlich des Verzweigungsbauwerks eingebunden sei, würde ein Bauverzug den Terminplan aller Vortriebe in diesem Bereich gefährden. Ein Tag Vortriebsstillstand verursache Mehrkosten in Höhe von ca. 40.000,-- EUR. |
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| Der Senat hält diesen Vortrag einschließlich des Zeitplans für schlüssig. Der Umstand, dass der Tunnelvortrieb das Grundstück der Kläger wohl bis heute nicht ganz erreicht hat, lässt keine Rückschlüsse darauf zu, dass der vorgelegte Zeitplan von vornherein unrealistisch gewesen wäre und ein Enteignungsverfahren hätte abgewartet werden können. Die Beigeladene hat hierzu mit Schriftsatz vom 23.11.2016 vorgetragen, dass es zu unvorhergesehenen Verzögerungen gekommen sei, sodass der Vortrieb noch ca. 40 m vom Grundstück der Antragsteller entfernt sei. Solche Verzögerungen seien beim bergmännischen Tunnelbau nichts Ungewöhnliches und der angetroffenen Geologie geschuldet. Diesen Vortrag hält der Senat für plausibel. Er belegt, dass damit zu rechnen ist, dass der Vortrieb das Grundstück der Antragsteller in Kürze erreichen wird. Es kommt hinzu, dass die Beigeladene sich auf Bitte des Senats bereit erklärt hat, mit dem Tunnelvortrieb unter dem Grundstück der Antragsteller bis zur Entscheidung des Senats zuzuwarten. Diese Bereitschaft kann ihr nun nicht zum Nachteil gereichen. |
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| dd) Die Antragsteller haben sich auch geweigert, der Beigeladenen den Besitz ihres für den Bau benötigten Grundstücks durch Vereinbarung unter Vorbehalt aller Entschädigungsansprüche zu überlassen. Die Beigeladene hatte den Antragstellern mit Schreiben vom 17.9.2015 ein Schreiben mit Informationen zur Inanspruchnahme, einem Entschädigungsangebot und dem Entwurf eines Gestattungsvertrags übersandt. Auf dieses Schreiben haben die Antragsteller nicht reagiert. Da die Antragsteller bis zum heutigen Tag nicht vorgetragen haben, zur Besitzüberlassung bereit zu sein, ist nichts dafür ersichtlich, dass im Zeitpunkt des Erlasses des Besitzeinweisungsbeschlusses eine solche Bereitschaft bestanden haben könnte. |
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| ee) Die von den Antragstellern geforderten Auflagen waren dem Besitzeinweisungsbeschluss weder aus objektiv-rechtlichen Gründen beizufügen, noch stand den Antragstellern ein entsprechender Anspruch zu. |
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| Einem Verwaltungsakt, auf den ein Anspruch besteht, darf nach § 36 LVwVfG eine Nebenbestimmung nur dann beigefügt werden, wenn sie durch Rechtsvorschrift zugelassen ist oder wenn sie sicherstellen soll, dass die gesetzlichen Voraussetzungen des Verwaltungsaktes erfüllt werden. Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Bei der Besitzeinweisung handelt es sich um eine gebundene Entscheidung. Die Beigeladene hat darauf einen Anspruch, weil - wie ausgeführt - die in § 21 Abs. 1 und 2 AEG genannten Voraussetzungen für ihren Erlass vorliegen. Weiterer Voraussetzungen bedarf es nach der ausdrücklichen Regelung in § 21 Abs. 1 Satz 3 AEG nicht. Die Beifügung einer Auflage ist somit gerade nicht vorgesehen. |
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| Die von den Antragstellern geforderten Auflagen (§ 36 Abs. 2 Nr. 4 LVwVfG) dienen auch nicht dazu, die gesetzlichen Voraussetzungen der Besitzeinweisung sicherzustellen. Die Antragsteller fordern, dem Besitzeinweisungsbeschluss Regelungen beizufügen zur Ersatzpflicht der Beigeladenen für Schäden, die während der Durchführung der Maßnahme oder der Unterhaltung und dem Betrieb der Tunnel entstehen, zur Beweislastumkehr, zur zukünftigen Möglichkeit für die Antragsteller, das Grundstück zu verändern, und zur Entschädigung für unmögliche Grundstücksveränderungen. Solche Regelungen mögen zwar Gegenstand eines Gestattungsvertrages zwischen den Antragstellern und der Beigeladenen sein können oder hätten zumindest teilweise möglicherweise bereits im Planfeststellungsbeschluss geregelt werden können. Sie dienen jedoch nicht dazu die gesetzlichen Voraussetzungen der Besitzeinweisung sicherzustellen. Denn in ihnen sind über die abschließenden Voraussetzungen des § 21 Abs. 1 Satz 1 und 2 AEG hinausgehende Anforderungen formuliert. |
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| ff) Die vorstehenden Ausführungen machen deutlich, dass die fehlerhafte Anhörung der Antragsteller für die Entscheidung offensichtlich nicht kausal war. Eine andere Entscheidung hätte nicht getroffen werden können. |
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| Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 159 Satz 2, § 162 Abs. 3 VwGO. |
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| Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 GKG. Eine Reduzierung des Streitwerts für das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes erscheint im Hinblick auf die Vorwegnahme der Hauptsache nicht angemessen. |
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| Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). |
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