Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 7. Mai 2018 - 12 K 16711/17 - geändert, soweit in ihm die Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt worden ist.
Dem Antragsteller wird Prozesskostenhilfe für das Verfahren in erster Instanz ohne Ratenzahlung bewilligt und Rechtsanwältin ..., beigeordnet.
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| | Die Beschwerde ist zulässig und begründet. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts ist dem Antragsteller für das erstinstanzliche Verfahren Prozesskostenhilfe zu bewilligen. |
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| | Gemäß § 166 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO ist einer Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, Prozesskostenhilfe zu gewähren. Erforderlich ist zudem, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Unter den gleichen Voraussetzungen erfolgt nach Maßgabe des § 121 Abs. 2 ZPO die Beiordnung eines Rechtsanwalts. Dabei ist es zur Gewährung von Prozesskostenhilfe nicht erforderlich, dass der Prozesserfolg (annähernd) gewiss ist. Vielmehr besteht eine hinreichende Erfolgsaussicht schon dann, wenn ein Obsiegen ebenso wahrscheinlich erscheint wie ein Unterliegen, der Prozessausgang also offen ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 13.03.1990 - 2 BvR 94/88 -, BVerfGE 81, 347; Kammerbeschluss vom 22.05.2012 - 2 BvR 820/11 -, InfAuslR 2012, 317). Weder dürfen Beweiswürdigungen vorweggenommen noch sollen schwierige Rechtsfragen geklärt werden, die in vertretbarer Weise auch anders beantwortet werden können. Denn die Prüfung der Erfolgsaussicht soll nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das Nebenverfahren der Prozesskostenhilfe vorzuverlagern (vgl. etwa BVerfG, Kammerbeschluss vom 05.02.2003 - 1 BvR 1526/02 -, NJW 2003, 1857 und vom 14.04.2003 - 1 BvR 1998/02 -, NJW 2003, 2976).Gemessen hieran ist dem Antragsteller für die erste Instanz Prozesskostenhilfe zu bewilligen. Seinem Eilrechtsschutzantrag, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Antragsteller eine Aufenthaltskarte auszustellen, kommt die erforderliche Aussicht auf Erfolg zu. |
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| | Einstweiliger Rechtsschutz ist in Verfahren, bei denen um das Bestehen eines Aufenthaltsrechts als drittstaatsangehöriger Familienangehörige eines Unionsbürgers gestritten wird, im Verfahren nach § 123 Abs. 1 bis 3 VwGO mit einem Antrag auf vorläufige Ausstellung einer Aufenthaltskarte nach § 5 Abs. 1 FreizügG/EU, gerichtet gegen den Rechtsträger der für die Ausstellung zuständigen Behörde, zu suchen. Ein Anordnungsgrund ist regelmäßig schon dann anzunehmen, wenn dem Antragsteller kein anderweitiges, bereits bescheinigtes Aufenthaltsrecht zukommt, denn die Aufenthaltskarte nach § 5 Abs. 1 FreizügG/EU kann beispielsweise bei einer polizeilichen Kontrolle dazu führen, dass der Inhaber keinerlei weiteren polizeilichen Maßnahmen wie beispielsweise Festhalten zur Klärung des Aufenthaltsstatus bei der Ausländerbehörde unterworfen wird. Gerade bei drittstaatsangehörigen Familienangehörigen ohne Aufenthaltskarte könnte es nämlich ansonsten zu polizeilichen Maßnahmen wie Festhalten und Ingewahrsamnahme kommen, wenn sie nicht über ein anderes, dokumentiertes Aufenthaltsrecht verfügen. Diese abstrakt drohenden Nach- teile sind auch immer unzumutbar (Armbruster, in: HTK-AuslR Rechtsschutz / 2.0.3, Stand: 18.11.2016; Rn. 31 f.). |
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| | Die Erfolgsaussichten des Eilrechtsschutzantrags stellten sich zum maßgeblichen Zeitpunkt der Bewilligungsreife als jedenfalls offen dar. Die im Zentrum des Rechtsstreits stehende Frage, ob die Ehefrau des Antragstellers, die italienische Staatsangehörige ist, während ihrer Berufsausbildung zur Fachwerkerin für Gebäude- und Umweltdienstleistungen Arbeitnehmerin im Sinne des Art. 45 AEUV gewesen und der Antragsteller daher als Familienangehöriger freizügigkeitsberechtigt gewesen ist, ist nämlich nicht eindeutig zu verneinen. |
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| | Zunächst ist festzustellen, dass unionsrechtlich Unionsbürger, die sich zur Berufsausbildung in Deutschland aufhalten wollen, als unionsrechtliche Arbeitnehmer freizügigkeitsberechtigt sind, § 2 Abs. 1 Nr. 1 FreizügG/EU. Als Arbeitnehmer ist jeder anzusehen, der eine tatsächliche und echte Tätigkeit ausübt, wobei Tätigkeiten außer Betracht bleiben, die einen so geringen Umfang haben, dass sie sich als völlig untergeordnet und unwesentlich darstellen. Das Merkmal des Arbeitsverhältnisses besteht nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union darin, dass jemand während einer bestimmten Zeit für einen anderen nach dessen Weisung Leistungen erbringt, für die er als Gegenleistung eine Vergütung erhält (EuGH, Urteile vom 03.07.1986 - 66/85 -, NVwZ 1987, 41 - Lawrie-Blum; und vom 10.09.2014 - C-270/13 -, NVwZ 2014, 1508 - Haralambidis - Rn. 28). |
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| | Das Ausbildungsverhältnis der Ehefrau des Antragstellers mit dem Berufsbildungswerk W. gestaltete sich u.a. so, dass sie für ihre Tätigkeit keine Vergütung erhielt, indes stand ihr ein Anspruch auf Ausbildungsgeld nach den §§ 112 ff. SGB III als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben zu. Es ist zwar denkbar, dass sie wegen dieser besonderen Ausgestaltung des Ausbildungsverhältnisses ausnahmsweise nicht als Arbeitnehmerin zu qualifizieren sein könnte. Allerdings liegt die Antwort auf diese Frage nicht derart auf der Hand, dass sie im Verfahren auf Bewilligung der Prozesskostenhilfe zu Lasten des Antragstellers entschieden werden dürfte. |
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| | Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ergibt sich einerseits, dass es für die Arbeitnehmereigenschaft nicht auf die Herkunft der Mittel der Vergütung oder die tatsächliche Produktivität der betroffenen Person ankommt (EuGH, Urteil vom 26.11.1998 - C-1/97 -, NVwZ 1999, 1099 - Birden - Rn. 28). Andererseits kann es an einer tatsächlichen und echten wirtschaftlichen Tätigkeit fehlen, wenn diese nur ein Mittel der Rehabilitation oder der Wiedereingliederung der betroffenen Person in das Arbeitsleben darstellt und die entgeltliche Arbeit, die auf die körperlichen und geistigen Möglichkeiten des einzelnen zugeschnitten ist, den Betroffenen früher oder später wieder in die Lage versetzen soll, einer gewöhnlichen Beschäftigung nachzugehen oder eine Lebensweise zu finden, die so normal wie möglich ist (EuGH, Urteil vom 31.05.1989 - 344/87 -, Slg 1989, 1621 - Bettray Rn. 17). Sind indessen Tätigkeiten, die der Teilhabe und Eingliederung dienen, von einem gewissen wirtschaftlichen Wert und darauf gerichtet, die Produktivität schwerbehinderter Menschen zu steigern und den sozialen Schutz zu gewährleisten, der ihnen zusteht, handelt es sich um eine tatsächliche und echte wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH, Urteil vom 26.03.2015 - C-316/13 -, NZA 2015, 1444 - Fenoll Rn. 39 f.). |
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| | Ausgehend von diesen Maßstäben handelte es sich bei der Berufsausbildung der Ehefrau des Antragstellers um eine tatsächliche und echte wirtschaftliche Tätigkeit, weil sie auf den erfolgreichen Abschluss einer qualifizierten Berufsausbildung gerichtet gewesen ist. Ob es sich bei den Leistungen nach § 112 SGB III um eine Vergütung handelte oder ob bei der Durchführung einer echten Berufsausbildung als Eingliederungsmaßnahme möglicherweise keiner Vergütung bedarf (vgl. zu den offenen Fragen zum Vergütungskriterium Kauschitz: in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, 7. Aufl. 2015, Vor Art. 45 - 48 AEUV Rn. 31 f.), ist nicht abschließend im Verfahren auf Prozesskostenhilfe zu entscheiden. Vielmehr zeigt die Komplexität dieser Fragen gerade die hinreichenden Erfolgsaussichten des Eilrechtsschutzgesuchs auf. |
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| | Einer Kostenentscheidung bedarf es nicht. Außergerichtliche Kosten sind nicht erstattungsfähig, § 166 Abs. 1 VwGO iVm. § 127 Abs. 4 ZPO. |
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| | Der Beschluss ist unanfechtbar. |
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