Beschluss vom Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg - 3 S 2494/18

Tenor

Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 17. September 2018 - 4 K 1336/17 - wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 694,29 EUR festgesetzt.

Gründe

 
I.
Die Beklagte erteilte der Klägerin auf deren Antrag mit Bescheid vom 31.3.2016 eine - mit mehreren Befreiungen von den Festsetzungen des maßgeblichen Bebauungsplans verbundene - Baugenehmigung für den Neubau eines Transportbetonwerks auf dem Grundstück Flst.Nr. ... (... Weg …) im Ortsteil St. Georgen der Beklagten. Mit Schreiben vom 6.6.2016 übersandte die Klägerin der Beklagten einen geänderten Lageplan und teilte ihr mit, dass im Zuge der konstruktiven Durcharbeitung die Wandstärken von Lagergebäude, Heizung und Qualitätssicherung durch statische Anforderungen hätten erhöht werden müssen. Hierdurch veränderten sich die Außenmaße dieser Gebäudeteile. Außerdem würden diese Gebäudeteile nun parallel an der östlichen Grundstücksgrenze ausgerichtet. Ferner sei nach der technischen Auslegung des Aufgabebunkers dessen Größe reduziert worden; das Betriebsgebäude mit Befüllungsanlage verschiebe sich durch die Ausrichtung des Lagergebäudes an der Grundstücksgrenze in Richtung Süden, da diese Gebäude durch die Förderbänder miteinander verbunden werden sollten. Die Beklagte forderte die Klägerin daraufhin mit Schreiben vom 7.6.2016 auf, ein Nachtragsbaugesuch zu stellen. Die Klägerin kam dieser Aufforderung am 13.6.2016 nach.
Bei der durch einen Eigentümer eines westlich gelegenen Grundstücks veranlassten Baukontrolle stellte die Beklagte am 13.7.2016 fest, dass die von der Klägerin begonnene Bauausführung abweichend von der Baugenehmigung vom 31.3.2016 erfolgte. Die Beklagte verfügte daraufhin mündlich die Einstellung der Bauarbeiten. Mit Bescheid vom 22.7.2016 wiederholte sie diese Anordnung, beschränkte sie aber auf die weitere Errichtung und Fertigstellung der baulichen Anlagen, die abweichend von der Baugenehmigung vom 31.3.2016 errichtet werden sollten und Gegenstand des Nachtragsbaugesuchs vom 13.6.2016 waren.
Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin am 25.7.2016 Widerspruch ein und brachte zur Begründung vor, die Baueinstellung sei unverhältnismäßig. Erst im Zuge der Baumaßnahmen habe sich herausgestellt, dass die Bauvorlagen des zunächst beauftragten Planverfassers fehlerhaft seien. Durch die erforderliche Korrektur hätten sich lediglich veränderte Wandstärken und eine Verschiebung der Baukörper um ca. 2,5 m ergeben. An der Identität ihres Vorhabens habe sich daher eigentlich nichts geändert. Der wirtschaftliche Schaden, den die Stilllegung der Baustelle verursache, stehe völlig außer Verhältnis zu dem Nutzen des Zuwartens auf die positive Bescheidung des Nachtragsbaugesuchs.
Mit Bescheid vom 19.8.2016 erteilte die Beklagte die beantragte Nachtragsbaugenehmigung: Sie betrachtete das Widerspruchsverfahren damit als erledigt. Mit Bescheid vom 6.2.2017 legte sie der Klägerin die Kosten des Widerspruchsverfahrens auf (Nr. 1) und setzte hierfür eine Gebühr in Höhe von 205,55 EUR fest (Nr. 2). Zur Begründung führte sie aus, billigem Ermessen entspreche es, der Klägerin die Kosten des Widerspruchsverfahrens aufzuerlegen, da ihr durch die Erteilung der Nachtragsbaugenehmigung erledigter Widerspruch gegen die Baueinstellungsverfügung keine Aussicht auf Erfolg gehabt hätte. Die angefochtene Verfügung sei rechtmäßig gewesen.
Die Klägerin hat am 6.3.2017 beim Verwaltungsgericht Freiburg Klage erhoben mit dem Antrag, Nr. 1 des Bescheids der Beklagten vom 6.2.2017 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, zu entscheiden, dass sie selbst die Kosten des Widerspruchsverfahrens zu tragen hat.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 17.9.2018 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Die angefochtene Kostenentscheidung sei rechtmäßig und verletze die Klägerin nicht in ihren Rechten. Rechtsgrundlage der Entscheidung sei § 80 Abs. 1 Satz 5 LVwVfG. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift seien gegeben. Infolge der Erteilung der Nachtragsbaugenehmigung seien die Voraussetzungen für den Erlass der Baueinstellungsverfügung entfallen. Das Widerspruchsverfahren habe sich damit auf andere Weise erledigt. Billigem Ermessen entspreche es, der Klägerin die Kosten des Widerspruchsverfahrens aufzuerlegen, da die Baueinstellungsverfügung rechtmäßig gewesen sein dürfte. Rechtsgrundlage der Verfügung sei § 64 Satz 2 Nr. 3a LBO. Danach könne die Baurechtbehörde die Einstellung der Arbeiten anordnen, wenn bei der Ausführung eines Vorhabens von der erteilten Baugenehmigung abgewichen werde. Das sei hier der Fall. Soweit die Bauarbeiten eingestellt worden seien, seien sie von der am 31.3.2016 erteilten Baugenehmigung nicht gedeckt gewesen. Die Änderungen des Vorhabens der Klägerin seien auch nicht nach der allein in Betracht kommenden Regelung in Nr. 2f des Anhangs zu § 50 Abs. 1 LBO verfahrensfrei gewesen. Ob die Änderungen neue Probleme bei der Prüfung und Erteilung der Nachtragsbaugenehmigung aufgeworfen hätten, sei unerheblich, da ein Bauherr es grundsätzlich hinnehmen müsse, mit den Bauarbeiten so lange abzuwarten, bis über den Bauantrag entschieden sei. Die Erteilung der Nachtragsbaugenehmigung habe auch nicht unmittelbar bevorgestanden. Ein Ermessensfehler sei nicht zu erkennen. Die Beklagte habe bei ihren Ermessenserwägungen zu Recht darauf abgehoben, dass im Fall der Errichtung von baulichen Anlagen die von der Baugenehmigung wesentlich abwichen, Bauarbeiten regelmäßig eingestellt werden könnten und dass dies keiner gesonderten Begründung bedürfe.
II.
Der auf § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte Antrag der Klägerin, die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zuzulassen, bleibt ohne Erfolg. Aus dem Vorbringen der Klägerin ergeben sich keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts.
1. Die angefochtene Kostenentscheidung stützt sich auf § 80 Abs. 1 Satz 5 LVwVfG. In Fällen, in denen sich der Widerspruch auf andere Weise als durch Stattgabe oder Zurückweisung erledigt hat wird danach über die Kosten nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Streitstands entschieden. Ein solcher Fall ist hier gegeben. Mit der Erteilung der Nachtragsbaugenehmigung für die von der Klägerin in ihrem Schreiben vom 6.6.2016 aufgeführten Änderungen waren die Voraussetzungen für den Erlass der Baueinstellungsverfügung entfallen, gegen den sich der Widerspruch der Klägerin richtete. Das Widerspruchsverfahren hatte sich damit auf andere Weise erledigt. Das wird auch von der Klägerin nicht in Zweifel gezogen.
2. Billigem Ermessen im Sinne des § 80 Abs. 1 Satz 5 LVwVfG entspricht es regelmäßig, dem die Kosten des Widerspruchsverfahrens aufzuerlegen, der sie voraussichtlich auch bei einer Sachentscheidung über den Widerspruch zu tragen gehabt hätte. Einer vertieften Prüfung der Rechtmäßigkeit der mit dem Widerspruch angegriffenen Entscheidung bedarf es dazu nicht. Nach dem in § 80 Abs. 1 Satz 5 LVwVfG zum Ausdruck kommende Grundsatz der Verfahrensökonomie ist die für die zu treffende Kostenentscheidung zuständige Behörde nach Erledigung des Widerspruchsverfahrens davon befreit, abschließend über den Streitstoff zu entscheiden. Es bedarf deshalb nur noch einer summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage (vgl. zu der grundsätzlich vergleichbaren Regelung in § 161 Abs. 2 VwGO BVerwG, Beschl. v. 7.2.2007 - 1 C 7.06 - juris; Beschl. v. 2.2.2006 - 1 C 4.05 - Buchholz 310 § 161 VwGO Nr. 123).
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3. Die von der Beklagten getroffene Kostenentscheidung ist danach nicht zu beanstanden. Die mit dem Widerspruch der Klägerin angegriffene Baueinstellungsverfügung dürfte auch nach Ansicht des Senats rechtmäßig gewesen sein.
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a) Die Baueinstellungsverfügung stützt sich auf § 64 Satz 2 Nr. 3a LBO. Danach kann die Baurechtbehörde die Einstellung der Arbeiten anordnen, wenn bei der Ausführung eines Vorhabens von der erteilten Baugenehmigung abgewichen wird, es sei denn, die Abweichung ist nach § 50 LBO verfahrensfrei. Außer Frage steht, dass die Klägerin bei der Ausführung ihres Vorhabens von der ihr am 31.3.2016 erteilten Baugenehmigung abgewichen ist. Die Abweichung dürfte auch nicht verfahrensfrei gewesen sei. Wie das Verwaltungsgericht zutreffend angenommen hat, kommt als einzige Vorschrift, aus der sich das ergeben könnte, Nr. 2 Buchst. f des Anhangs zu § 50 Abs. 1 LBO in Betracht, wonach „sonstige unwesentliche Änderungen an oder in Anlagen oder Einrichtungen“ zu den verfahrensfreien Vorhaben gehören. Die Verschiebung einer baulichen Anlage um bis zu 2,50 m wie im vorliegenden Fall stellt jedoch auch nach Ansicht des Senats keine nur unwesentliche Änderung im Sinne dieser Vorschrift dar. Für die Verlängerung eines Gebäudes um 1,5 m gilt das Gleiche. Auf die Frage, ob durch diese Änderungen die Statik des Gebäudes berührt wird, kommt es dabei nicht an.
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b) Ob die Änderungen neue Probleme bei der Prüfung und Erteilung der Nachtragsbaugenehmigung aufgeworfen haben, hat das Verwaltungsgericht für unerheblich erklärt, da ein Bauherr es grundsätzlich hinnehmen müsse, mit den Bauarbeiten so lange abzuwarten, bis über seinen Bauantrag entschieden worden sei. Die Erteilung der Nachtragsbaugenehmigung habe auch nicht unmittelbar bevorgestanden. Gegen diese Auffassung bestehen ebenfalls keine Bedenken.
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Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg ist eine Baueinstellung nicht schon dann rechtswidrig, wenn der Bauherr einen Anspruch auf die noch nicht vorliegende baurechtliche Genehmigung oder sonstige Gestattung hat. Dies gelte auch in Fällen, in denen ein solcher Anspruch offensichtlich gegeben sei. Denn das Baueinstellungsverfahren diene, wie etwa § 64 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 1 und 2 LBO zeigten, dazu sicherzustellen, dass ein Bauvorhaben nicht ohne die vorherige Einholung der erforderlichen Genehmigung oder sonstigen Gestattung verwirklicht werde. Eine dem Bauherrn günstige Ermessensentscheidung im Baueinstellungsverfahren komme allenfalls in Fällen in Betracht, in denen die Erteilung der Gestattung unmittelbar bevorstehe (VGH-Bad.-Württ., Beschl. v. 3.8.2004 - 5 S 1134/04 - NVwZ-RR 2005, 10).
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Die Beklagte war danach entgegen der Ansicht der Klägerin nicht verpflichtet, vor dem Erlass der schriftlichen Baueinstellungsverfügung zu prüfen, ob die gegenüber der Baugenehmigung vom 31.3.2016 vorgenommenen Änderungen auch gegen materielles Baurecht verstießen, sondern konnte die Prüfung dieser Frage dem Nachtragsbaugenehmigungsverfahren überlassen.
15 
Die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass die Erteilung der Nachtragsbaugenehmigung nicht unmittelbar bevorgestanden habe, wird von der Klägerin nicht bestritten. Da im Zeitpunkt des Erlasses der Baueinstellungsverfügung das von der Beklagten auf das Nachtragsbaugesuch der Klägerin hin eingeleitete Angrenzerbeteiligungsverfahren noch nicht abgeschlossen war, kann diese Annahme auch aus der Sicht des Senats nicht beanstandet werden.
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c) Das Verwaltungsgericht hat angenommen, ein Ermessensfehler sei auch im Übrigen nicht zu erkennen. Die Beklagte habe bei ihren Ermessenserwägungen zu Recht darauf abgehoben, dass im Fall der Errichtung von baulichen Anlagen die von der Baugenehmigung wesentlich abwichen, die Bauarbeiten regelmäßig eingestellt werden könnten und dass dies keiner gesonderten Begründung bedürfe. An der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts bestehen auch insoweit keine ernstlichen Zweifel.
17 
Liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Baueinstellung vor, so steht es im Ermessen der Behörde, ob sie von der Befugnis des § 64 Gebrauch macht. Eine ordnungsgemäße Ausübung dieses Ermessens verlangt jedoch im Hinblick auf das öffentliche Interesse an der Verhinderung baurechtswidriger Zustände regelmäßig ein Einschreiten der Behörde. Es handelt sich daher um ein sogenanntes intendiertes Ermessen (Sauter, LBO für Baden-Württemberg, § 64 Rn. 30; Schlotterbeck, in: Schlotterbeck/Hager/Busch/Gammerl, LBO für Baden-Württemberg, § 64 Rn. 9). Ein Gebrauchmachen von der Befugnis des § 64 LBO wird daher regelmäßig bereits durch das Vorliegen der Eingriffsvoraussetzungen gerechtfertigt. Etwas anderes gilt nur beim Eingreifen besonderer Umstände. Die Darlegungen der Beklagten in der Begründung ihres Bescheids können danach nicht beanstandet werden. Die Beklagte hat die Baueinstellung auf die Teile der baulichen Anlagen beschränkt, die abweichend von der Baugenehmigung vom 31.3.2016 errichtet werden sollten und Gegenstand des Nachtragsbauantrages vom 13.6.2016 waren. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wurde damit gewahrt.
18 
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf den §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 3 Satz 1 GKG und folgt der von den Beteiligten nicht beanstandeten Streitwertfestsetzung des Verwaltungsgerichts
19 
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

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