Beschluss vom Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg - A 3 S 2960/18

Tenor

Der Antrag der Klägerinnen auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 29. Oktober 2018 - A 5 K 7340/16 - wird abgelehnt.

Die Klägerinnen tragen die Kosten des gerichtskostenfreien Zulassungsverfahrens.

Gründe

 
I.
Die am … 1983 geborene Klägerin zu 1 ist die Mutter der Klägerin zu 2, die am 07.02.2015 zur Welt kam. Die Klägerinnen sind syrische Staatsangehörige mit kurdischer Volkszugehörigkeit.
Mit Bescheid vom 19.10.2016 erkannte das Bundesamt ihnen und ihrem Vater bzw. Ehemann den subsidiären Schutzstatus zu, lehnte die weitergehenden Asylanträge aber ab.
Mit Urteil vom 29.10.2018 hat das Verwaltungsgericht Stuttgart die Beklagte verpflichtet, dem Ehemann bzw. Vater der Klägerinnen (im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht der Kläger zu 1) die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. Die diesbezüglichen Klagen der Klägerinnen (im verwaltungsgerichtlichen Verfahren die Klägerinnen zu 2 und zu 3) hat das Verwaltungsgericht dagegen abgewiesen. Zur Begründung hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, individuelle Verfolgungsgründe hätten die Klägerinnen nicht geltend gemacht. Ihr Ehemann bzw. Vater habe sich durch die Ausreise aus Syrien zwar dem dortigen Wehrdienst entzogen und müsse deshalb mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung befürchten. Den Klägerinnen drohe aber deshalb nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine sogenannte Reflexverfolgung. Familienangehörige von Gesuchten müssten in Syrien allenfalls dann mit Verhaftung oder sonstiger flüchtlingsrechtlich relevanter Verfolgung rechnen, wenn sie selbst - und sei es auch nicht in exponierter Weise - als Gegner des Regimes in Erscheinung getreten seien. Bei den Klägerinnen sei das aber nicht der Fall. Auch der längere Auslandsaufenthalt und der Asylantrag begründe keine Verfolgungsgefahr. Im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung hätten die Klägerinnen auch keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 26 AsylG. Nach dieser Norm sei der Ehefrau bzw. den minderjährigen Kindern eines anerkannten Flüchtlings unter den dort genannten weiteren Voraussetzungen ebenfalls die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, wenn dem Stammberechtigten die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt worden sei und diese Entscheidung auch nicht zu widerrufen oder zurückzunehmen sei. Der Ehemann bzw. Vater der Klägerinnen sei aber gerade noch nicht unanfechtbar als Flüchtling anerkannt.
Gegen dieses ihnen am 05.11.2018 zugestellte Urteil richtet sich der am 05.12.2018 beim Verwaltungsgericht Stuttgart eingegangene Antrag auf Zulassung der Berufung.
Mit Beschluss vom 15.01.2019 - A 3 S 2845/18 - hat der Senat die Berufung der Beklagten gegen das verwaltungsgerichtliche Urteil zugelassen, soweit die Beklagte darin verpflichtet worden ist, dem Ehemann/Vater der Klägerinnen die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
II.
Der auf die Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung und des Verfahrensmangels gestützte Antrag auf Zulassung der Berufung ist zulässig, kann aber in der Sache keinen Erfolg haben. Die Rechtsache hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG). Die Klägerinnen haben auch nicht dargelegt, dass der von ihnen geltend gemachte Verfahrensmangel der Versagung rechtlichen Gehörs (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V. mit § 138 Nr. 3 VwGO) vorliegt (§ 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG).
1. Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung ist nicht gegeben.
a) Als grundsätzlich bedeutsam werfen die Klägerinnen mit dem Zulassungsantrag die Rechtsfrage auf,
ob § 26 AsylG teleologisch dahingehend zu reduzieren ist, dass die Anerkennung oder Zuerkennung eines Schutzstatus auch dann unanfechtbar im Sinne dieser Norm ist, wenn das Verwaltungsgericht im selben Urteil über den Schutzstatus des Stammberechtigten und der Familienangehörigen entscheidet.
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Mit dieser Frage nehmen die Klägerinnen auf die vorliegend gegebene Fallkonstellation Bezug, dass Eheleute und minderjährige Kinder in einem einheitlichen Verfahren auf Anerkennung als Asylberechtigte bzw. Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft klagen, das Verwaltungsgericht aber nur bei einem der Eheleute zu dem Ergebnis kommt, dass ihm ein Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter oder Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft aus eigenem Recht zusteht. Im Berufungsverfahren soll grundsätzlich geklärt werden, dass das Verwaltungsgericht in diesen Fällen die Beklagte verpflichten muss, den anderen Ehegatten bzw. die minderjährigen Kinder im Rahmen des Familienschutzes als Asylberechtigte anzuerkennen oder ihnen die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, obwohl die Anerkennung des Stammberechtigten in diesem Zeitpunkt naturgemäß noch nicht unanfechtbar i.S. des § 26 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 und Abs. 5 AsylG ist.
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Das Bundesverwaltungsgericht hat diese Frage indessen bereits im verneinenden Sinne beantwortet.
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aa) Das Bundesverwaltungsgericht ist allerdings in der Vergangenheit zunächst davon ausgegangen, dass die „Gewährung der Rechtsstellung eines Asylberechtigten“ im Sinne der Zuerkennung von Familienasyl nicht die vorherige Bestands- oder Rechtskraft einer - positiven - Entscheidung über die Anerkennung als Asylberechtigter für einen Ehegatten bzw. Elternteil voraussetzt. Eine gleichzeitige behördliche oder gerichtliche Entscheidung über die Anerkennung als Asylberechtigter des „stammberechtigten“ Familienmitglieds sowie über die Gewährung der Rechtsstellung eines Asylberechtigten für den Ehegatten bzw. die minderjährigen Kinder war danach zulässig (vgl. BVerwG, Urt. v. 21.01.1992 - 9 C 66.91 - BVerwGE 89, 315).
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Die Rechtsgrundlage für diese Rechtsprechung ist mit der am 01.11.1997 in Kraft getretenen Änderung des § 26 AsylVfG durch Art. 2 Nr. 4 des Gesetzes zur Änderung ausländer- und asylverfahrensrechtlicher Vorschriften vom 29. Oktober 1997 (BGBl I S. 2584) entfallen. In § 26 Abs. 1 Nr. 1 AsylVfG wurde die Regelung eingefügt, dass der Ehegatte nur dann Familienasyl erhalten kann, wenn die Anerkennung des Stammberechtigten unanfechtbar ist. Nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts dient diese Gesetzesänderung dazu, Statusdifferenzen innerhalb der Familie zu vermeiden, die durch unterschiedliche Entscheidungen der Instanzen hinsichtlich des Stammberechtigten auftreten konnten. Diesem Ziel habe der Gesetzgeber Vorrang eingeräumt gegenüber der Erleichterung für Behörden und Gerichte, im Falle der Anerkennung zumindest eines Ehegatten zugleich auch über die Asylanträge u.a. des anderen Ehegatten positiv entscheiden zu können, ohne dessen Asylgründe nachprüfen zu müssen (vgl. BVerwG, Urt. v. 29.09.1998 - 9 C 31.97 - BVerwGE 101, 231). Eine Ausnahme hat das Bundesverwaltungsgericht nur insoweit anerkannt, als eine rechtskräftige gerichtliche Verpflichtung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge zur Anerkennung des Stammberechtigten dessen unanfechtbarer Anerkennung gleichsteht (vgl. Urt. v. 05.05.2009 - 10 C 21.08 - NVwZ 2009, 1308).
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Aus dieser Rechtsprechung folgt unmittelbar, dass in den sonstigen Fällen eine gleichzeitige positive gerichtliche Entscheidung über das Begehren des Stammberechtigten auf Anerkennung als Asylberechtigter bzw. Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und die Begehren des Ehegatten bzw. der minderjährigen Kinder auf Zuerkennung des abgeleiteten (Familien-) Schutzstatus nicht in Betracht kommt.
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bb) Die Klägerinnen haben auch nicht dargelegt, dass die von ihnen aufgeworfene Frage erneut klärungsbedürftig wäre. Aus dem von den Klägerinnen angeführten Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 12.04.2018 (- C-550/16 - NVwZ 2018, 1463), ergibt sich nichts anderes.
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In dem genannten über ein Vorabentscheidungsersuchen ergangenen Urteil hat der Europäische Gerichtshof entschieden, dass ein Ausländer, der zum Zeitpunkt seiner Einreise in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats und der Stellung seines Asylantrags in diesem Staat unter 18 Jahre alt war, aber während des Asylverfahrens volljährig geworden ist und dem später die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt wird, als „Minderjähriger“ i.S. des Art. 2 f i.V. mit Art. 10 Abs. 3 a der RL 2003/86/EG anzusehen ist. In der Sache geht es in dem Urteil mithin darum, ob und in welchem Umfang die mit der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft verbundenen Rechtsfolgen auf die Situation im Zeitpunkt der Asylantragstellung zurück zu beziehen sind, letztlich betrifft das Urteil ein Rückwirkungsproblem zu Gunsten des Flüchtlings. Vorliegend geht es indessen um das anders gelagerte Problem, dass Familienschutz erst gewährt werden kann, wenn über die Asylberechtigung bzw. die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft an den Stammberechtigten eine abschließende Entscheidung ergangen ist.
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b) Grundsätzlich bedeutsam ist aus Sicht der Klägerinnen auch die Frage,
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welche prozessualen Möglichkeiten ein Verwaltungsgericht in der Konstellation nutzen muss, wenn einem Familienangehörigen die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist, nicht jedoch bei den übrigen Familienangehörigen, die ebenfalls Partei im selben Verfahren sind, jedoch durch die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft eines Familienangehörigen die Voraussetzungen des Familienasyls gegeben wären.
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In der Sache möchten die Klägerinnen mit dieser Frage in einem Berufungsverfahren geklärt sehen, wie das Verwaltungsgericht verfahrensrechtlich reagieren muss, wenn es das Bundesamt verpflichtet, den Stammberechtigten als Asylberechtigten anzuerkennen, der Ehegatte oder die minderjährigen Kinder, die im gleichen Verfahren gegen das Bundesamt klagen, aus eigenem Recht aber weder Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigte noch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft haben.
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Die Kläger haben indessen nicht dargelegt, dass diese Frage rechtsgrundsätzlich klärungsfähig ist. Daran bestehen im Übrigen erhebliche Zweifel. Denn es steht im Ermessen des Gerichts, ob es ein Teilurteil (§ 110 VwGO) erlässt, die Verfahren der Familienangehörigen gemäß § 93 VwGO abtrennt oder wie vorliegend geschehen „durchentscheidet“ (vgl. dazu W.-R. Schenke, VwGO, Komm., 24. Aufl., 2018, Rn.3 zu § 93 bzw. Rn. 5 zu § 110).
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2. Ohne Erfolg berufen sich die Klägerinnen auch auf den Zulassungsgrund des Verfahrensmangels.
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a) Die Klägerinnen machen geltend, ihnen sei das rechtliche Gehör versagt worden, weil es sich bei dem angegriffenen Urteil um eine nach Art. 103 Abs. 1 GG unzulässige Überraschungsentscheidung gehandelt habe. Ihr Prozessbevollmächtigter habe gestützt auf die jahrzehntelange Erfahrung seiner Kanzlei mit Asylprozessen nicht damit rechnen müssen, dass das Verwaltungsgericht ihre Klage abweisen würde, anstatt die Beklagte zu verpflichten, ihnen gestützt auf § 26 AsylG die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. Tatsächlich lag eine Entscheidung dieses Inhalts nicht nur nach dem Gesetzeswortlaut, sondern insbesondere auch nach der oben dargestellten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auf der Hand, weshalb es eines besonderen Hinweises nicht bedurfte.
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b) Die Klägerinnen haben auch nicht dargelegt, dass sie in ihrem Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt worden sind, weil das Gericht seine Entscheidung auf nicht in die mündliche Verhandlung eingeführte Erkenntnismittel gestützt habe. Sie tragen dazu vor, das Verwaltungsgericht habe in der mündlichen Verhandlung bekanntgegeben, die Erkenntnismittel, auf die in der Ladung hingewiesen worden sei, seien Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Tatsächlich sei in der Ladung aber nur pauschal auf die dem Gericht zur Verfügung stehenden Erkenntnismittel Bezug genommen worden, ohne diese im Einzelnen zu bezeichnen.
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Wird der Antrag auf Zulassung der Berufung auf die Verletzung des rechtlichen Gehörs gestützt, so ist im Antrag darzulegen, dass im erstinstanzlichen Verfahren die nach Lage der Sache gegebenen prozessualen Möglichkeiten ausgeschöpft worden sind, um sich das rechtliche Gehör zu verschaffen (vgl. Marx, AsylVfG, Komm., 8. Aufl., 2014, Rn. 182 zu § 78 mit Nachweisen aus der Rspr.).
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In der Ladung zur mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht heißt es dazu ausdrücklich, dass die dem Gericht vorliegenden Erkenntnismittel zu den üblichen Bürozeiten in der Gerichtsbibliothek eingesehen werden können und auf Anforderung eine Liste der Erkenntnismittel übersandt werde. Aus dem Vortrag der Klägerinnen ergibt sich nicht, dass sie von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht haben oder warum es ihnen nicht zumutbar war, sich um eine Zusendung der Liste zu bemühen.
III.
26 
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2, 159 Satz 1 VwGO i.V. mit § 100 Abs. 1 ZPO. Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden gemäß § 83 b AsylG nicht erhoben.
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Der Beschluss ist unanfechtbar.

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