Beschluss vom Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg - 2 S 60/20

Tenor

Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 10. Oktober 2019 - 3 K 12259/17 - aufgehoben und die Sache an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen.

Gründe

 
Die zulässige Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 10.10.2019, mit dem dieses den Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für eine bereits erhobene Klage abgelehnt hat, ist begründet.
Das Verwaltungsgericht war zur Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag nicht berufen, da der Verwaltungsrechtsweg nach § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO nicht eröffnet ist. Zuständig für die Entscheidung über die Erfolgsaussichten des Klagebegehrens und die wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Gewährung von Prozesskostenhilfe ist allein das zuständige Gericht des zulässigen Rechtswegs (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 28.06.2019 - 1 S 1915/19 - juris Rn. 2; Bayerischer VGH, Beschluss vom 19.04.2005 - 5 C 05.900 - juris Rn. 2; Lückemann in Zöller, ZPO, 33. Aufl., Vor §§ 17 - 17b GVG Rn. 12).
Der Kläger begehrt mit seiner Verpflichtungsklage gemäß § 9 Abs. 2 LJKG und §§ 59, 79 LHO den Erlass bzw. die Niederschlagung von Gerichtskosten aus Verfahren der ordentlichen Gerichtsbarkeit (Gerichtskosten in Höhe von 1.141,95 EUR aus einem Strafverfahren des Landgerichts Karlsruhe - Auswärtige Strafkammer Pforzheim -, Az. R720 VRs 91 Js 13476/10, Kassenzeichen: ..., sowie Gerichtskosten in Höhe von 35,- EUR aus einem Verfahren vor dem Landgericht Offenburg, Az. 7 StVK 783/16). Für dieses Begehren ist - anders als für Streitigkeiten über den Erlass von Gerichtskosten der Fachgerichtsbarkeiten (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 10.01.2011 - OVG 1 S 1.11 - juris Rn. 6; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 21.02.2011 - L 5 AS 2430/10 - juris Rn. 4; Pabst in Münchener Kommentar zur ZPO, 5. Aufl., § 30a EGGVG Rn. 3 f.) - nach der abdrängenden Sonderzuweisung des § 30a Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 EGGVG der ordentliche Rechtsweg gegeben (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 19.06.2017 - 1 S 1079/16 -; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 21.07.2016 - 2 VAs 24/16 - juris Rn. 3; OVG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 17.04.2019 - 2 LA 409/18 - juris Rn. 3).
Nach § 30a Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 EGGVG können Verwaltungsakte, die im Bereich der Justizverwaltung beim Vollzug des Gerichtskostengesetzes, des Gesetzes über Kosten in Familiensachen, des Gerichts- und Notarkostengesetzes, des Gerichtsvollzieherkostengesetzes, des Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetzes oder sonstiger für gerichtliche Verfahren oder Verfahren der Justizverwaltung geltender Kostenvorschriften, insbesondere hinsichtlich der Einforderung oder Zurückzahlung ergehen, durch einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung beim Amtsgericht angefochten werden. Da der Anwendungsbereich des EGGVG nach dessen § 2 auf die ordentliche Gerichtsbarkeit beschränkt ist, gilt § 30a Abs. 1 Satz 1 EGGVG nur für Verwaltungsakte der Justizverwaltung dieser Gerichtsbarkeit (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 10.01.2011, aaO; Böttcher in Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 30a EGGVG Rn. 3; Mayer in Kissel/Mayer, GVG, 9. Aufl., § 30a EGGVG, Rn. 3).
Die Regelung des § 30a Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 EGGVG ist als umfassende - allerdings gegenüber speziellen kostengesetzlichen Regelungen subsidiäre - Auffangregelung für sämtliche Justizverwaltungsakte zu verstehen, die im Bereich der ordentlichen Gerichtsbarkeit beim Vollzug von Kostenvorschriften ergehen, sei es im Rahmen gerichtlicher Verfahren oder in Verfahren der Justizverwaltung (vgl. Ellbogen in Münchener Kommentar zur StPO, 1. Aufl., § 30a EGGVG Rn. 2). Die Nennung der „Einforderung“ und „Zurückzahlung“ von Kosten ist angesichts des Wortlauts der Vorschrift („insbesondere“) lediglich als Beispiel für derartige Kostenjustizverwaltungsakte zu verstehen. Sie begrenzt den Anwendungsbereich der Regelung nicht auf den unmittelbaren Vollzug der Kostenvorschriften. § 30a Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 EGGVG ist vielmehr weit auszulegen und erfasst auch Entscheidungen über die Niederschlagung, den Erlass oder die Stundung von Kosten (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 19.06.2017, aaO; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 21.07.2016, aaO; Ellbogen, aaO Rn. 6; Pabst, aaO Rn. 5).
Vor diesem Hintergrund ist auch die Bezugnahme auf eine Anfechtung von Kostenjustizverwaltungsakten im Wortlaut der Vorschrift nicht eng zu verstehen. Die Regelung betrifft vielmehr auch Verpflichtungsklagen, die auf die Niederschlagung, den Erlass oder die Stundung von Kosten gerichtet sind (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 19.06.2017, aaO). Dies gilt auch dann, wenn eine Entscheidung, also ein Verwaltungsakt, hierüber noch nicht ergangen ist (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 21.07.2016, aaO; Ellbogen, aaO Rn. 6). Insoweit kann es für die Frage der Anwendbarkeit des § 30a Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 EGGVG auch nicht darauf ankommen, ob der erforderliche Antrag auf Erlass eines solchen Verwaltungsaktes bereits gestellt ist. Denn dies ist erst für die Frage des Rechtsschutzbedürfnisses im Rahmen der Zulässigkeit einer Klage relevant, nicht aber für die vorher zu klärende (Rechtsweg-)Zuständigkeit. Würde insoweit eine Aufspaltung der Zuständigkeit vorgenommen, widerspräche dies der Absicht des Gesetzgebers, diese für Kostenjustizverwaltungsakte im Bereich der ordentlichen Gerichtsbarkeit beim sachnäheren Amtsgericht zu konzentrieren (vgl. hierzu die Begründung des Gesetzentwurfs BT-Drucksache 16/47, S. 49; Ellbogen, aaO).
Für die Entscheidung über die auf den Erlass bzw. die Niederschlagung von Kosten gerichtete Klage ist hier das Amtsgericht Karlsruhe zuständig, in dessen Bezirk die für die Einziehung zuständige Landesoberkasse ihren (Haupt-)Sitz hat (§ 30a Abs. 2 Satz 1 EGGVG; vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 21.07.2016, aaO Rn. 5).
Der angefochtene Beschluss des Verwaltungsgerichts ist deshalb aufzuheben. Der Senat verweist die Sache gemäß § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 572 Abs. 3 ZPO an das Verwaltungsgericht zurück (vgl. zur entsprechenden Anwendung des § 572 Abs. 3 ZPO VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 29.11.2019 - 2 S 1159/19 -; Hessischer VGH, Beschluss vom 03.04.2017 - 7 D 696/17 - juris Rn. 31 f.; Bayerischer VGH, Beschluss vom 27.06.2008 - 4 C 08.1468 - juris Rn. 10; Meissner/Steinbeiß-Winkelmann in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 173 Rn. 307).
Das Verwaltungsgericht hat nach Maßgabe des § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 17a Abs. 2 Satz 1, Abs. 4 Satz 1 und 2 GVG den Verwaltungsrechtsweg für unzulässig zu erklären und den Rechtsstreit an das örtlich und sachlich zuständige Amtsgericht Karlsruhe zu verweisen. Dieses wird nach Rechtskraft der Verweisung über das mit der Klage verbundene Prozesskostenhilfegesuch des Klägers zu befinden haben (vgl. BVerwG, Beschluss vom 26.05.2010 - 6 A 5.09 - juris Rn. 23; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 28.04.1993 - 25 E 275/93 - NJW 1993, 2766).
10 
Hingegen scheidet die (isolierte) Verweisung des vorliegenden Prozesskostenhilfeverfahrens durch den Senat an das zuständige Amtsgericht aus, da § 17a GVG auf das Prozesskostenhilfeverfahren nicht entsprechend anwendbar ist (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 28.04.1993, aaO; zum isolierten Prozesskostenhilfeverfahren VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 04.04.1995 - 9 S 701/95 - juris Rn. 3; Ehlers in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, vor § 17 GVG Rn. 20; Olbertz in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 166 Rn. 31; Ziekow in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl., § 17 GVG Rn. 10; jeweils mwN). § 17a GVG soll dazu dienen, eine verbindliche Entscheidung über die Zulässigkeit des Rechtswegs herbeizuführen. Dieses Ziel kann aber in einem Prozesskostenhilfeverfahren nicht erreicht werden. Denn Prüfungsmaßstab ist in diesem Verfahren nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO lediglich die „hinreichende Aussicht auf Erfolg“. Auch wäre die Entscheidung der Rechtswegfrage im Prozesskostenhilfeverfahren für das Hauptsacheverfahren nicht verbindlich (vgl. BGH, Beschluss vom 18.04.1991 - I ARZ 748/90 - juris; BAG, Beschluss vom 27.10.1992 - 5 AS 5/92 - juris Rn. 18; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 14.08.2007 - 19 W 16/07 - MDR 2007, 1390; Ehlers, aaO). Eine Anwendung des § 17a GVG im Prozesskostenhilfeverfahren liefe deshalb auch dem Grundsatz der Prozessökonomie zuwider (vgl. zum Ganzen OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 28.04.1993; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 04.04.1995; jeweils aaO).
11 
Da § 17a GVG im Prozesskostenhilfeverfahren keine Anwendung findet, ist der Senat auch nicht nach § 17a Abs. 5 GVG an der Prüfung gehindert, ob der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten eröffnet ist, zumal sich diese Vorschrift ihrem Wortlaut nach nur auf Rechtsmittel gegen eine Entscheidung in der Hauptsache, also nicht auf die Beschwerde im Prozesskostenhilfeverfahren bezieht.
12 
Einer Kostenentscheidung bedarf es nicht, da Kosten des Beschwerdeverfahrens nicht erstattet werden (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO).
13 
Auch eine Streitwertfestsetzung ist entbehrlich. Denn das Beschwerdeverfahren ist gerichtskostenfrei. Eine vom Streitwert unabhängige Gerichtsgebühr von 60,- EUR ist nur bei Erfolglosigkeit der Beschwerde im Verfahren über die Prozesskostenhilfe anzusetzen (vgl. Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses, Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG).
14 
Der Beschluss ist unanfechtbar.

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