Beschluss vom Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg - 1 S 3196/30

Tenor

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 13. Oktober 2020 - 8 K 4139/20 - wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.000,-- EUR festgesetzt.

Gründe

 
I.
Die Antragstellerin ist Schülerin der Jahrgangsstufe 12 eines Gymnasiums in .... Am 02.10.2020 wurde ein positiver Fall einer Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 in dieser Klassenstufe gemeldet. Am 05.10.2020 wurden fünf weitere positive Fälle in der Klassenstufe 12 bekannt. In der Folge stellte das Gymnasium seinen Präsenzunterricht ein. Dieser soll nach der Homepage der Schule am 19.10.2020 wiederaufgenommen werden.
Das Landratsamt ... ordnete mit Bescheid vom 06.10.2020 gegenüber der Antragstellerin die häusliche Quarantäne an und gab ihr zusätzlich auf, zweimal täglich die Körpertemperatur zu messen und täglich Tagebuch zu Symptomen, Körpertemperatur, allgemeinen Aktivitäten und Kontakten zu weiteren Personen zu führen. Im Bescheid ist angeordnet, dass die Quarantäne am 02.10.2020 beginnt, ab da 14 Tage beträgt und dass sie am 17.10.2020 endet.
Einen mit Schriftsatz vom 11.10.2020 beim Verwaltungsgericht Karlsruhe gestellten Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen den genannten Bescheid lehnte das Verwaltungsgericht Karlsruhe mit Beschluss vom 13.10.2020 ab, da der angefochtene Bescheid voraussichtlich rechtmäßig sei und eine allgemeine Interessenabwägung, selbst wenn man den Ausgang des Rechtsstreits in der Hauptsache bezüglich der Absonderung als offen ansehen wollte, zu einem Überwiegen des öffentlichen Interesses an dem Schutz von Leben und Gesundheit der Bevölkerung sowie der Sicherung des Gesundheitssystems gegenüber dem zeitlich begrenzten Eingriff in das Grundrecht der Antragstellerin auf Freiheit der Person gemäß Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG führen würde. Der Beschluss ging dem Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin ausweislich des Faxaufdrucks des vorgelegten Beschlusses am 13.10.2020 ab 15:37 Uhr zu. Mit Schriftsatz vom 15.10.2020, beim Verwaltungsgerichtshof heute um 02:55 Uhr eingegangen, hat die Antragstellerin Beschwerde eingelegt. Der Antragsgegner tritt der Beschwerde entgegen.
II.
Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die fristgerecht dargelegten Gründe, auf die sich die Prüfung des Senats beschränkt (§ 146 Abs. 4 Satz 3 und 6 VwGO), geben dem Senat keinen Anlass, über den Antrag der Antragstellerin auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes abweichend vom Verwaltungsgericht zu entscheiden.
Der Senat folgt der Interessenabwägung des Verwaltungsgerichts. Bezogen auf den Entscheidungszeitpunkt des Senats im Beschwerdeverfahren sind, sollte sich der Bescheid in der Hauptsache als rechtswidrig erweisen, nicht hinnehmbare, das öffentliche Interesse überwiegende Beschränkungen der Freiheit der Antragstellerin auch angesichts des hohen Gewichts ihrer grundrechtlichen Positionen nicht erkennbar und mit der erst heute eingelegten Beschwerde auch nicht dargelegt. Denn mit dem Ablauf des heutigen Tages enden die Anordnungen aus dem streitigen Bescheid. Demgegenüber überwiegen in der Abwägung die öffentlichen Interessen am Schutz von Leben und Gesundheit der Bevölkerung auch für den Rest des heutigen Tages, da sich die Bemessung der Quarantäne auf 14 Tage an der nach Einschätzung des Senats nachvollziehbaren, medizinisch begründeten Empfehlung des Robert Koch-Instituts ausrichtet.
Dies gilt auch angesichts des Umstands, dass sich dem Senat nicht unmittelbar erschließt, welche rechtliche Vorgaben nach der Vorstellung der Landesregierung für den Umgang mit Infektionen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 in Schulen gelten sollen. Nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 der CoronaVO Schule vom 31.08.2020 besteht für Einrichtungen nach § 1 Abs. 1 dieser Verordnung ein Zutritts- und Teilnahmeverbot für Schülerinnen und Schüler, für Kinder, Lehrkräfte sowie sonstige Personen, die in Kontakt zu einer mit dem Coronavirus infizierten Person stehen oder standen, wenn seit dem letzten Kontakt noch nicht 14 Tage vergangen sind, ohne dass die Vorschrift näher bestimmt, welche Art von Kontakt das Zutritts- und Teilnahmeverbot zur Folge haben soll. Die Handreichung des Ministeriums für Soziales und Integration „Vorgehen und Maßnahmen des Gesundheitsamtes bei Auftreten von Coronafällen in Schulen und Kindertageseinrichtungen“ geht zum einen davon aus, dass bei „engen Kontaktpersonen (15 Minuten face-to-face Kontakt)“ durch die Ortspolizeibehörden eine Quarantäne für 14 Tage angeordnet wird und dass für nicht enge Kontaktpersonen in der Regel keine Veranlassung besteht, Maßnahmen zum Infektionsschutzrecht zu ergreifen; ferner ist dort ausgeführt, dass in der Regel die Quarantäne im schulischen Umfeld nur die Klasse eines betroffenen Schülers umfasst (https://km-bw.de/site/pbs-bw-km-root/get/documents_E-844958586/KULTUS.Dachmandant/KULTUS/KM-Homepage/Artikelseiten%20KP-KM/1_FAQ_Corona/Schreiben%20Min%20Schuljahr%2020_21/SM%20Vorgehen%20Gesundheitsamt%20bei%20Fällen%20in%20Schulen%20und%20Kindertageseinrichtungen.pdf). Nicht eindeutig erscheint dem Senat daher, ob nach dieser Handreichung alle Schüler einer Klasse, in der es einen bestätigten Infektionsfall gibt, als „enge Kontaktpersonen (15 Minuten face-to-face Kontakt)“ unabhängig davon anzusehen sein sollen, ob ein face-to-face Kontakt von 15 Minuten oder mehr im Einzelfall stattgefunden hat. Andererseits hat sich das Landratsamt für die Einstufung der Antragstellerin als Kontaktperson der Kategorie I auf die Handreichung „Kontaktpersonen-Nachverfolgung bei respiratorischen Erkrankungen durch das Coronavirus SARS-CoV 2“, Stand: 24.09.2020 des Robert Koch-Instituts (https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Kontaktperson/Management.html) berufen, dort aber nicht auf die Gruppe „Personen mit kumulativ mindestens 15-minütigen Gesichts- (‚face-to-face‘) Kontakt mit einem Quellfall, z.B. im Rahmen eines Gesprächs“, sondern auf die Gruppe „Personen in relativ beengter Raumsituation oder schwer zu überblickender Kontaktsituation mit dem bestätigten COVID-19-Fall (z.B. Kitagruppe, Schulklasse), unabhängig von der individuellen Risikoermittlung“.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1, 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

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