Beschluss vom Amtsgericht Ebersberg - 3 F 840/18

Tenor

1. Als Prüfungsmaßstab für die Aussetzung der Vollstreckung einer einstweiligen Anordnung gem. § 55 Abs. 1 FamFG kann eine Folgenabwägung herangezogen werden. Bei dieser sind die Nachteile, die eintreten würden, wenn die Vollstreckung nicht ausgesetzt würde, der Rechtsbehelf aber Erfolg hätte, gegen die Nachteile ins Verhältnis zu setzen, die entstehen würden, wenn die Vollstreckung ausgesetzt würde, der Rechtsbehelf aber keinen Erfolg hätte.

2. Im Rahmen dieser Folgenabwägung kann die Aussicht auf Erfolg des Rechtsbehelfs als wertender Faktor für die Eintrittswahrscheinlichkeit dieser Nachteile eingestellt werden.

3. Abgesehen von Sonderfällen offensichtlicher Begründetheit oder Unbegründetheit des Rechtsbehelfs, führt die Abwägung in Gewaltschutzsachen regelmäßig dazu, dass die Vollstreckung nicht auszusetzen ist.

Gründe

Das Familiengericht erließ einen Beschluss im einstweiligen Anordnungsverfahren ohne mündliche Anhörung, mit dem der Antragstellerin die gemeinsam genutzte Wohnung gem. § 2 GewSchG zur alleinigen Benutzung zugewiesen wurde. Darüber hinaus wurden Anordnungen nach § 1 GewSchG gegen den Antraggegner getroffen. Hiergegen stellte der Antragsgegner Antrag auf erneute Entscheidung nach mündlicher Verhandlung gem. § 54 Abs. 2 FamFG und beantragte zugleich, die Vollstreckung aus dem angegriffenen Beschluss auszusetzen, § 55 Abs. 1 FamFG. Der Antrag auf Aussetzung der Vollstreckung blieb ohne Erfolg.

Aus den Gründen: 

Die Entscheidung ergeht nach pflichtgemäßem Ermessen, wobei das Gesetz keine Angaben enthält, welcher Maßstab bei der Ermessensausübung angelegt werden soll. Nach einer Ansicht soll vor allem auf die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs abgestellt werden (vgl. Borth/Grandel in Musielak/Borth, FamFG, 6. Aufl., § 55, Rn. 3; Giers in Keidel, FamFG, 19. Aufl., § 55, Rn. 4), nach einer anderen Ansicht ist auf eine Abwägung der Folgen bei entsprechender Entscheidung und der beiderseitigen Schutzbedürfnisse abzustellen ist (vgl. van Els, FamRZ 2011, 1708; Feskorn in Zöller, ZPO, 32. Aufl., § 55 FamFG, Rn. 4 stellt auf eine Abwägung der Interessen ab).

Abgesehen von Extremfällen, wenn die voraussichtlich auf Grund des Rechtsbehelfs zu treffende Entscheidung bereits mit gewisser Sicherheit absehbar ist, erscheint ein alleiniges Abstellen auf die Erfolgsaussichten - zumal bei offenen Erfolgsaussichten - unbefriedigend. Angesichts der eingeschränkten Erkenntnismöglichkeiten im Rahmen einer (weiteren) Büro-„Eilentscheidung im Eilverfahren“ (vgl. van Els, aaO) besteht die Gefahr, dass in einem eilig anzuberaumenden Anhörungstermin erneut gegenteilig entschieden würde und bis dahin etwaige unbeabsichtigte und ggf. schwer behebbare Folgen, denen gerade durch den einstweiligen Rechtsschutz begegnet werden soll, eintreten.

Das Gericht hält daher, gerade im Gewaltschutzverfahren, eine Folgenabwägung unter Berücksichtigung der Erfolgsaussicht des Rechtsbehelfs für angezeigt. Hierfür bietet sich an, eine Folgeabwägung dahingehend zu treffen, welche Folgen schwerer wiegen bei einer - an der endgültigen Entscheidung gemessen - inhaltlich falschen Erstentscheidung im Bürowege. Es ist daher einerseits zu überlegen, welche Folgen zu besorgen wären, wenn die Vollstreckbarkeit einer einstweiligen Anordnung ausgesetzt würde, obwohl diese zu Recht erging. Andererseits ist zu überlegen, welche Folgen zu besorgen wären, wenn die Vollstreckbarkeit einer einstweiligen Anordnung nicht ausgesetzt würde, obwohl diese zu Unrecht erging. Anschließend ist in eine Abwägung dieser beiden Folgen einzutreten, bei der insbesondere die Erfolgsaussicht des Rechtsbehelfs als Maßstab für die Eintrittswahrscheinlichkeit dieser Folgen herangezogen werden kann.

Generell führt diese Folgenabwägung im Gewaltschutzverfahren dazu, dass schwerwiegendere Rechtsverletzungen zu besorgen wären, wenn die Vollstreckbarkeit der einstweiligen Anordnung zu Unrecht ausgesetzt würde. Bei zu Unrecht erfolgender Aussetzung der Vollstreckbarkeit ist zu befürchten, dass der Antragsteller im Gewaltschutzverfahren erneuten Gewalthandlungen des Antragsgegners ausgesetzt ist. Andererseits ist bei zu Unrecht erfolgender Abweisung des Aussetzungsantrages zu befürchten, dass der Antragsgegner weiter seine Wohnung nicht nutzen kann und in seiner Handlungsfreiheit gegenüber dem Antragsteller eingeschränkt ist.

Vor dem Hintergrund des Antrages auf erneute Entscheidung auf Grund mündlicher Verhandlung, § 54 FamFG, und der sehr zeitnahen Terminierung (14 Tage nach Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung durch den Antragsgegner) lässt sich vorliegend die Frage konkretisieren, ob es schwerer wiegt, dass bei falscher Entscheidung die Antragstellerin für 14 Tage Gewalthandlungen ausgesetzt ist oder bei - andersherum - falscher Entscheidung der Antragsgegner für weitere 14 Tage seine Wohnung nicht nutzen kann. Bei dieser Abwägung überwiegt unzweifelhaft das ggf. betroffene Recht auf körperliche Unversehrtheit der Antragstellerin. Ihre Betroffenheit lässt sich - anders als jene des Antragsgegners - sollte sich die zunächst getroffene Entscheidung als materiell unzutreffend erweisen, durch Schadenersatz nicht gänzlich aufwiegen.

Der Umstand, dass die Beteiligten ein minderjähriges Kind haben, vermag auf diese Folgenabwägung keinen Einfluss zu haben, da bei Einstellung in die oben dargestellte Prüfung entweder zu besorgen ist, dass das Kind dem ggf. vorliegenden Gewaltverhalten des Antragsgegners ausgesetzt wird, wobei auch von Kindern miterlebte Gewalt als Gewalt gegen Kinder zu würdigen ist, während andererseits ein - ebenfalls gemessen am Kindeswohl nicht zu unterschätzender - unberechtigter Kontaktabbruch mit etwaigen Schäden für die Bindung des Kindes zum Antragsgegner zu befürchten ist. Erneut ist aber die Terminierung im gegenwärtigen Verfahren zu berücksichtigen. Bei sicherer Bindung sind kurzfristige Kontaktabbrüche über zwei Wochen auch für das Kind ohne bleibenden Einfluss auf die Bindung zum Antragsgegner bewältigbar. Darüber hinaus hat das Gericht bereits im angegriffenen Beschluss Ausnahmen von den Anordnungen gem. § 1 GewSchG vorgenommen, soweit hiervon ein Zusammentreffen beim Kreisjugendamt oder bei Beratungsstellen betroffen sind.

Der Antragsgegner kann auch mit seinen weiteren Ausführungen zu einer besonderen Härte nicht durchdringen.

Soweit er angibt, „praktisch obdachlos“ zu sein, ist dies bereits angesichts des Umstandes, dass ihm an der Wohnadresse seiner Familie der angegriffene Beschluss zugestellt werden konnte, nicht glaubhaft gemacht.

Soweit er auf berufliche Unterlagen, die sich noch in der Wohnung befinden, angewiesen ist, hindert der Gewaltschutzbeschluss ihn nicht, einen Dritten - z.B. seinen Verfahrensbevollmächtigten - zu beauftragen, mit der Antragstellerin eine Übergabe zu vereinbaren.

Eine andere Würdigung kann sich auch nicht im Hinblick auf die Erfolgsaussicht des Rechtsbehelfs ergeben.

Die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs des Antragsgegners sind, auch nach Vorlage seiner Versicherung an Eides statt, eher gering. Letztlich behauptet der Antragsgegner eine Inszenierung der im Raum stehenden Körperverletzung durch die Antragstellerin. Hierzu gibt er an, dass diese sich eine Verletzung selbst zugefügt haben soll, während die Beteiligten ca. 15 Minuten voneinander getrennt auf die Polizei warteten. Mit diesen Ausführungen könnte der Antragsgegner zwar erklären, warum sowohl die Polizei bei ihrem Eintreffen als auch der Dr. G. zwei Tage nach dem Vorfall Verletzungsspuren bei der Antragstellerin feststellen konnten. Was er aber nicht zu erklären vermag ist die Angabe in dem Polizeibericht, dass der fünfjährige Sohn der Beteiligten Frau PHMin W. gegenüber geäußert habe, dass dieser Schläge durch den Vater gegen die Mutter gesehen habe. Bei der gebotenen vorläufigen Betrachtung erscheint eine entsprechende Manipulation des Kindes fernliegend, nachdem diese Angaben unmittelbar bei der Aufnahme durch die Polizei in der Tatnacht erfolgt sind. Außerdem hat die Antragstellerin gegenüber der Polizei angegeben, dass der Sohn gerade nichts von dem Übergriff mitbekommen habe. Mithin müsste das Gericht, um den Angaben des Antragsgegners zu folgen, davon ausgehen dass überwiegend wahrscheinlich ist, dass die Antragstellerin binnen 15 Minuten bis zum Eintreffen der Polizei sich selbst die Verletzungen zufügte, ihr Kind zugleich noch zum Lügen gegenüber dieser anstiftete und noch eine Choreografie dahingehend mit dem Kind abstimmte, dass sie gegenüber der Polizei dessen Zeugenschaft abstreiten werde. Dies erscheint derart unwahrscheinlich, dass derzeit von einer im Rahmen des § 55 Abs. 1 FamFG berücksichtigungsfähigen Erfolgsaussicht des Rechtsbehelfs nicht ausgegangen werden kann.

Tragfähige Anknüpfungspunkte für eine Beschränkung der Vollstreckung aus der einstweiligen Anordnung ergeben sich ebenfalls nicht.

Nach alledem hat es bei der weiteren Vollstreckbarkeit bis zum Erlass einer erneuten Entscheidung auf Grund mündlicher Verhandlung zu bleiben.

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