Urteil vom Amtsgericht Gelsenkirchen - 210 C 88/16
Tenor
1) Die Klage wird abgewiesen.
2) Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
3) Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
4) Der Kläger darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 600,00 EUR abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
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Tatbestand:
2Der Kläger ist Eigentümer der Grundbesitzung H, T-Straße …, es gibt in diesem Objekt zwei Parterrewohnungen,wobei eine dieser Wohnungen mit einem lebenslangen Wohnrecht der ehemaligen Eigentümerin belegt ist, sowie eine weitere Wohnung, die im Januar 2016 freigezogen wurde, diese wurde zwischenzeitlich weiter vermietet. Im ersten Obergeschoss befinden sich drei Wohnungen, eine ist die Wohnung des Beklagten, im Dachgeschoss befindet sich eine weitere Wohnung, ebenso im zweiten Obergeschoss links, im zweiten Obergeschoss rechts wohnt die Mutter der Ehefrau des Klägers mit ihrem behinderten erwachsenen Sohn.
3Der Kläger begehrte mit der vorliegenden Klage aufgrund einer von ihm ausgesprochenen Eigenbedarfskündigung vom 10.07.2015, Blatt 11 ff. auf deren Inhalt verwiesen wird, die Räumung der von dem Beklagten im ersten Obergeschoss innegehaltenen Wohnung und trägt dazu folgendes vor:
4Im zweiten Obergeschoss wohne die Mutter der Ehefrau des Klägers mit ihrem behinderten Sohn, der aufgrund einer Gehirnblutung vor einiger Zeit gar nicht mehr in der Lage sei, alleine zu leben, er wohne in der Wohnung der Mutter, die 48 m² groß sei, es sei dort auch ein größeres Pflegebett aufgestellt, der Sohn werde überwiegend gepflegt von der Schwiegermutter des Klägers.
5Der Schwager benötige nunmehr eine weitere Wohnung, um sein Pflegebett angemessen abstellen zu können im selben Haus, da die überwiegende Pflege von der Mutter/Schwiegermutter durchgeführt würde. Die Wohnung des Beklagten sei insoweit besonders geeignet, da diese Wohnung über eine Dusche verfüge, im ersten Obergeschoss gelegen sei und mithin optimal sei für den Schwager des Klägers.
6Es sei richtig, dass im Januar eine Wohnung Parterre frei gezogen worden sei, diese sei auch dem Beklagten angeboten worden bzw. ihm sei bekannt, dass die Wohnung frei gezogen worden sei, er habe diese Wohnung aber nicht anmieten wollen. Es sei auch eine weitere Wohnung im zweiten Obergeschoss angeboten worden, vom Beklagten aber nicht akzeptiert worden.
7Der Kläger beantragt,
8den Beklagten zu verurteilen, die Wohnung im Hause T-Straße … in … H im 1. OG links bestehend aus Wohnzimmer, Schlafzimmer, Küche und Bad und Diele zu räumen und besenrein an den Kläger herauszugeben.
9Der Beklagte beantragt Klageabweisung und stellt im Übrigen die Anträge aus dem Schriftsatz vom 04.04.2016.
10Der Beklagte trägt vor:
11Es gebe im ersten Obergeschoss insgesamt 3 Wohnungen, die in Anspruch genommen werden könnten. Die Wohnung Parterre habe der Schwager wegen seiner Gehbehinderung bei Weitem besser beziehen können, als die Wohnung des Beklagten, da hier keine Treppen zu steigen seien. Auch sei zwar dem Beklagten die Wohnung im zweiten Obergeschoss angeboten worden, diese Wohnung sei aber, nachdem er sich dafür interessiert habe, zu unzumutbaren Bedingungen angeboten worden.
12Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der von den Parteien gewechselten Schriftsätze verwiesen.
13Entscheidungsgründe:
14Die Klage ist unbegründet.
15Der Kläger ist nicht berechtigt, vom Beklagten die Räumung der von diesem innegehaltenen Wohnung zu verlangen aufgrund der von ihm ausgesprochenen fristgerechten Kündigung wegen Eigenbedarfs.
16Der Kläger ist dann berechtigt, das Mietverhältnis mit dem Beklagten durch ordentliche Kündigung zu beenden, wenn er die konkrete Wohnung des Beklagten benötigt, um für sich selber oder aber für Familienangehörige Wohnraum zu schaffen.
17Dabei hat das Gericht schon Bedenken, ob in Anbetracht der Entscheidung des Bundesgerichtshofs in seinem Beschluss vom 03.03.2009 (VIII ZR 247/08) generell bei einem Schwager das Merkmal des Familienangehörigen erfüllt ist, oder ob nicht eine besonders enge Beziehung zwischen dem Vermieter und dem Schwager bestehen muss, um eine Eigenbedarfskündigung zu rechtfertigen. Die Frage , ob der Schwager/die Schwägerin des Vermieters begünstigte Personen im Sinne der mietrechtlichen Vorschriften ist, ist heftigst umstritten: Während ein Teil der Rechtsprechung davon ausgeht, dass ein Schwager generell nicht zum begünstigten Personenkreis gehört, geht ein Teil der Rechtsprechung und auch der Literatur davon aus, dass der Schwager generell zum begünstigten Personenkreis gehört, während eine Mittelmeinung differenziert und einen Schwager nur dann zum begünstigten Personenkreis zugehörig betrachtet, wenn eine besondere Vertrauensbeziehung zwischen dem Vermieter und dem Begünstigten besteht; siehe insoweit die Kommentierung Münchner Kommentar zu § 573 Randnummer 72-74. Eine derartige besondere Beziehung des Klägers zu seinem Schwager ist hier nicht dargelegt, sodass das Gericht schon erhebliche Bedenken hat, ob hier überhaupt eine Eigenbedarfssituation in Bezug auf einen begünstigten Personenkreis gegeben ist.
18Trotz entsprechendem Hinweises des Gerichts ist keine Substantiierung erfolgt seitens der klagenden Partei, der Kläger wohnt nicht in H, eine besondere Beziehung besteht sicherlich zwischen seiner Schwiegermutter und dem Begünstigten, nicht aber unbedingt zwischen dem Kläger und dem Begünstigten, sodass hier das Merkmal einer besonderen Vertrauensbeziehung, einer besonderen persönlichen Beziehung nicht dargelegt ist.
19Darüber hinaus geht das Gericht auch davon aus, dass bei einem Mehrfamilienhaus –wie im hier zu entscheidenden Fall – die klagende Partei im Kündigungsschreiben und zumindest spätestens im Prozess hätte darlegen und ggfls. nachweisen müssen, warum gerade die Wohnung des Beklagten in Anspruch genommen wird:
20Es gibt in dem Haus eine Parterrewohnung, die zumindest jetzt im Januar 2016 freibezogen wurde, die zwar zum Zeitpunkt des Ausspruchs der fristgerechten Kündigung bezogen war, die aber durchaus als potentielle Wohnung in die Überlegungen mit einbezogen werden musste, berücksichtigt werden musste. Es gibt darüber hinaus im ersten Obergeschoss die Wohnung des Beklagten, es gibt aber noch eine weitere Wohnung, die in keiner Weise vom Kläger angegangen worden ist mit einer entsprechenden Kündigung. Es gibt im zweiten Obergeschoss mehrere Wohnungen, auch bezüglich dieser Wohnungen ist nicht hinreichend dargelegt worden, warum diese nicht als Parallelwohnung zu der Wohnung der Schwiegermutter mit herangezogen werden können, um die Bedarfssituation des Schwagers zu rechtfertigen.
21Selbst unterstellt, der Schwager ist aufgrund der Behinderung nicht in der Lage, in das zweite Obergeschoss zu gelangen, um dort in seine Wohnung zu kommen, selbst unterstellt, eine Wohnung im zweiten Obergeschoss wäre für die begünstigte Person indiskutabel aufgrund der schweren Behinderung, so wäre es doch Sache des Klägers gewesen, darzulegen und ggfls. nachzuweisen, warum nicht eine der Parterrewohnung oder eine der Wohnungen im ersten Obergeschoss –mit Ausnahme der Wohnung des Beklagten – mit in die Überlegung einbezogen werden soll. Es ist zwar richtig, dass die Wohnung im Erdgeschoss erst frei bezogen wurde im Januar 2016 nach Ausspruch der Kündigung, es ist aber in keiner Weise dargelegt, warum diese Wohnung nicht für den Schwager ggfls. mit der Mutter zusammen in Betracht kommt,um den Eigenbedarf dieser Person zu decken. Der Schwager des Klägers ist untergebracht in der Wohnung der Schwiegermutter, ein Sachvortrag und eine Erklärung dergestalt, dass die Schwiegermutter/Mutter des Schwagers/ nicht mehr mit ihrem Sohn in einer größeren Wohnung zusammen leben und die Pflege übernehmen kann, ist in keiner Weise in das Kündigungsschreiben oder aber in den Prozess eingeflossen. Erst im Termin zur mündlichen Verhandlung hat die Ehefrau des Klägers erklärt, die Mutter wolle in der Wohnung wohnen bleiben, sie sei 70 Jahre alt und an diese Wohnung gebunden, was aber nicht dazu führt, dass der Kläger, wenn er eine Eigenbedarfskündigung ausspricht, diese subjektiven Momente der Mutter/Schwiegermutter unbedingt berücksichtigen darf.
22Das Mietverhältnis mit dem Beklagten bestand seit 2009. Der Beklagte ist von öffentlichen Leistungen abhängig, er ist nicht ohne weiteres in der Lage, sich eine andere Wohnung zu suchen; bei einer derartigen Situation muss der Vermieter abwägen, welchen Mietern genau er kündigt und welchen Mietern er nicht kündigt.
23Wenn hier mehrere Wohnungen als Wohnungen in Betracht kommen, die in Anspruch genommen werden können, so muss eine sozialverträgliche Kündigung ausgesprochen werden, entsprechende Kriterien für diese Ermessensauswahl und Sozialverträglichkeit hat der Kläger nicht dargelegt. Allein die Tatsache, dass er behauptet, in der Wohnung des Beklagten sei eine Dusche vorhanden, reicht nicht aus:
24Selbst wenn man der Auffassung ist, dass der Schwager in den begünstigten Personenkreis fällt, so heißt dies nicht, dass der Vermieter nicht durchaus finanzielle Anstrengungen unternehmen muss, um eine bestimmte Bedarfssituation zu decken. Der Bruder der Ehefrau des Klägers hat auch jetzt nach Angaben des Klägers eine Wohnung mit Badewanne und nicht mit Dusche, es ist in keiner Weise dargelegt, warum dieser Zustand nicht auch in Zukunft weiter haltbar wäre.
25Da hier vor Ausspruch der Kündigung und in der Kündigung keine entsprechende Ermessensauswahl stattgefunden hat, darüber hinaus auch im Prozess eine entsprechende Darlegung nicht nachvollziehbar erfolgt ist, insbesondere die klagende Partei auch nicht davon Gebrauch gemacht hat, die leerstehende Parterrewohnung für den Sohn der Schwiegermutter in Anspruch zu nehmen, keine vernünftigen Gründe dagegen sprechen, den schwerstbehinderten Schwager in dieser Wohnung unterzubringen, ist die Kündigung unwirksam, mit der Folge, dass die Klage mit der Kostenfolge des §§ 91 ZPO abzuweisen war.Die Nebenentscheidungen beruhen im Übrigen auf §§ 708 Ziffer 11, 711 ZPO.
26Rechtsbehelfsbelehrung:
27A) Gegen dieses Urteil ist das Rechtsmittel der Berufung für jeden zulässig, der durch dieses Urteil in seinen Rechten benachteiligt ist,
281. wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 600,00 EUR übersteigt oder
292. wenn die Berufung in dem Urteil durch das Amtsgericht zugelassen worden ist.
30Die Berufung muss innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung dieses Urteils schriftlich bei dem Landgericht Essen, Zweigertstr. 52, 45130 Essen, eingegangen sein. Die Berufungsschrift muss die Bezeichnung des Urteils, gegen das die Berufung gerichtet wird, sowie die Erklärung, dass gegen dieses Urteil Berufung eingelegt werde, enthalten.
31Die Berufung ist, sofern nicht bereits in der Berufungsschrift erfolgt, binnen zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils schriftlich gegenüber dem Landgericht Essen zu begründen.
32Die Parteien müssen sich vor dem Landgericht Essen durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen, insbesondere müssen die Berufungs- und die Berufungsbegründungsschrift von einem solchen unterzeichnet sein.
33Mit der Berufungsschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Urteils vorgelegt werden.
34B) Gegen die Streitwertfestsetzung ist die Beschwerde an das Amtsgericht Gelsenkirchen statthaft, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200,00 EUR übersteigt oder das Amtsgericht die Beschwerde zugelassen hat. Die Beschwerde ist spätestens innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, bei dem Amtsgericht Gelsenkirchen, Bochumer Str. 79, 45886 Gelsenkirchen, schriftlich in deutscher Sprache oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Die Beschwerde kann auch zur Niederschrift der Geschäftsstelle eines jeden Amtsgerichtes abgegeben werden.
35Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann die Beschwerde noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
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Referenzen
- VIII ZR 247/08 1x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 91 Grundsatz und Umfang der Kostenpflicht 1x