Beschluss vom Amtsgericht Lörrach - II 1 M 2588/10; II 1 M 3820/05

Tenor

1. Die aufgrund des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses des Amtsgerichts Lörrach vom 31.05.2010 (AZ: II 1 M 2588/10) sowie vom 17.11.2005 ( AZ: II 1 M 3820/05 ) erfolgte Pfändung des Guthabens auf dem Konto Nr. ... der Schuldnerin bei der T. Bank AG & Co KGaA als Drittschuldnerin wird auf Antrag der Schuldnerin bezüglich des am 30.08.2010 eingegangenen Arbeitseinkommens der Schuldnerin einmalig in Höhe von 985,15 EUR aufgehoben.

Dieser Betrag von 985,15 EUR ist der Schuldnerin einmalig zusätzlich zu dem Sockelbetrag des § 850k Abs. 1,2 ZPO für den Monat August 2010 hinzuzurechnen bzw. in den Folgemonat zu übertragen.

2. Es wird gemäß § 835 Abs. 3 ZPO angeordnet, dass für künftige Zahlungseingänge eine Auszahlung an den Gläubiger erst 4 Wochen nach der jeweiligen Gutschrift erfolgen darf.

3. Der Beschluss des Amtsgerichts Lörrach vom 15.09.2010 (AZ: II 1 M 2588/10 und II 1 M 3820/05 ) über die einstweilige Einstellung (§ 765a, 732 Abs. 2 ZPO) wird - unter Aufrechterhaltung der Pfändung aus dem Pfändungs- und Überweisungsbeschluss des Amtsgerichts Lörrach vom 31.05.2010 (AZ: II 1 M 2588/10) sowie vom 17.11.2005 ( AZ: II 1 M 3820/05 ) - aufgehoben.

4. Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei.

Gründe

 
Mit Pfändungs- und Überweisungsbeschluss des Amtsgerichts Lörrach vom 17.11.2005 und vom 31.05.2010 wurde unter anderem der Anspruch der Schuldnerin auf Auszahlung des Guthabens gegenüber der Drittschuldnerin gepfändet und der Gläubigerin zur Einziehung überwiesen.
Nach Einführung der Gesetzesänderung zum Kontoschutz wurde das bei der Drittschuldnerin geführte Girokonto mit Wirkung zum 26.07.2010 in ein sogenanntes Pfändungsschutzkonto umgewandelt. Der der Schuldnerin monatlich pfandfrei zur Verfügung zu stellende Sockelbetrag beläuft sich derzeit mangels entsprechender Abänderung auf den gemäß § 850k Abs. 1 ZPO iVm § 850c ZPO gesetzlich vorgesehenen Mindestselbstbehalt von 985,15 EUR. Gemäß § 850k Abs. 1 ZPO kann die Schuldnerin über diesen monatlichen Pfändungsfreibetrag jeweils bis zum Ende des Kalendermonats verfügen. Soweit die Schuldnerin im jeweiligen Kalendermonat nicht über Guthaben in Höhe des pfändungsfreien Betrages verfügt hat, wird dieses Guthaben im folgenden Kalendermonat der Schuldnerin zusätzlich zu dem Pfandfreibetrag von 985,15 EUR zur Verfügung gestellt.
Nach Angaben der Schuldnerin wird auf das gepfändete Konto ihr Arbeitseinkommen überwiesen. Die Schuldnerin hat durch Vorlage von Verdienstbescheinigungen und Kontoauszügen glaubhaft gemacht, dass es sich bei den Gutschriften um wiederkehrende Einkünfte im Sinne des §§ 850a ff ZPO handelt. Sie hat außerdem dargelegt, dass das Einkommen aufgrund von Umsatzbeteiligungen variiert und jeden Monat neu berechnet werden muss. Dies hat zur Folge, dass die Überweisungen zu unterschiedlichen Zeitpunkten erfolgen. So wurde am 02.08.2010 das Arbeitseinkommen für den Monat August und am 30.08.2010 das Arbeitseinkommen für den Monat September auf das gepfändete Konto bei der Drittschuldnerin überwiesen.
Nach Angaben der Schuldnerin wurde der ihr zustehende Pfändungsfreibetrag für den Monat August durch die Verfügungen über das am Monatsanfang gutgeschriebene Arbeitseinkommen im laufenden Monat August bereits verbraucht. Zum Zeitpunkt der Gutschrift des Arbeitseinkommens für den Monat September am 30.08.2010 war daher der schuldnerische Selbstbehalt voll ausgeschöpft. Die Drittschuldnerin verweigert daher die Auszahlung des Einkommens für den Monat September in Höhe des Pfändungsfreibetrages unter Hinweis auf den bereits ausgeschöpften Freibetrag im Monat August.
Die Schuldnerin hat daher die Freigabe des Arbeitseinkommens für den Monat September im Rahmen des § 765a ZPO beantragt, da sie diesen Geldbetrag zum Bestreiten ihres Lebensunterhalts dringend benötigt.
Die Vorschrift des § 756 a ZPO, auf die sich die Schuldnerin beruft, ist eng auszulegen, soll sie doch den Schuldner vor außergewöhnlichen Härtefällen der Zwangsvollstreckung schützen und etwaige untragbare, dem allgemeinen Rechtsgefühl widersprechende Härten mildern. Wegen ganz besonderer Umstände auf Seiten des entsprechenden Schuldners muss die Zwangsvollstreckungsmaßnahme insoweit grundsätzlich eine Härte bedeuten, die mit den guten Sitten nicht vereinbar ist. Mit Härten, die jede Zwangsvollstreckung mit sich bringt, muss sich der Schuldner abfinden. Daher begründet es keine Härte im Sinne des § 765 a ZPO, dass die Zwangsvollstreckung überhaupt durchgeführt wird und eine Zwangsvollstreckungsmaßnahme einen erheblichen Eingriff in den Lebenskreis des Schuldners bewirkt. Für die Anwendung des § 765 a ZPO genügen weder allgemeine wirtschaftliche Erwägungen noch soziale Gesichtspunkte. Die betreffende Zwangsvollstreckungsmaßnahme muss vielmehr unangemessen sein. Aus diesen Grunde muss die Interessenlage des Schuldners mit dem Schutzbedürfnis des Gläubigers verglichen werden. Die Zwangsvollstreckungsmaßnahme muss für den Schuldner unter der vollen Würdigung des Schutzbedürfnisses des Gläubigers nach den besonderen Umständen des Einzelfalles eine sittenwidrige Härte bewirken. Der Schuldnerschutz kann daher nur bei einem krassen Missverhältnis der für und gegen die Vollstreckung sprechenden Interessen gewährt werden. Die für die Beurteilung des Einzelfalles wesentlichen Umstände müssen so eindeutig sein und so stark zugunsten des Schuldners sprechen, dass für Zweifel kein Raum bleibt (LG Braunschweig, DGVZ 91, 187). Die sittenwidrige Härte kann sich insoweit aus der Art der Vollstreckungsmaßnahme oder den Zeitpunkt der Vollstreckung ergeben.
Im vorliegenden Fall ist die sittenwidrige Härte für die Schuldnerin deshalb zu bejahen, da ihr aufgrund der Gutschrift des Septembereinkommens zum 30.08.2010 für den Monat September nicht genügend Geldmittel zum Bestreiten ihres Lebensunterhalts zur Verfügung stehen ( vgl. Beschluss des LG Essen vom 11.08.2010, 7 T 404/10) . Der Gesetzgeber wollte jedoch mit der Einführung des Pfändungsschutzkontos gerade erreichen, dass dem Schuldner unabhängig von Herkunft und Zeitpunkt der Gutschrift als Basispfändungsschutz ein Freibetrag in Höhe von 985,15 EUR jeweils monatlich zur Verfügung steht. In einer Stellungnahme von August 2010 legt das Bundesministerium für Justiz dar, dass Gutschriften am Monatsende daher nur sofort an den Gläubiger ausgekehrt werden können, wenn das Guthaben den monatlichen Freibetrag für den Folgemonat übersteigt. Guthaben bis zur Höhe des Sockelpfändungsschutzes von 985,15 EUR ist daher am Monatsende buchungstechnisch zunächst noch zur Sicherung des Existenzminimums des Schuldners im kommenden Monat bereitzuhalten. Hierdurch soll dem sozialstaatlichen Gebot Rechnung getragen werden, jedem Bürger das Einkommen zur Sicherung des Existenzminimums zur Verfügung zu stellen.
Da die Drittschuldnerin mit ihrer Rechtsauffassung offenbar den Willen des Gesetzgebers bei der Einführung des Pfändungsschutzkontos verkennt und eine entsprechende Auszahlung nicht vornimmt, ist auch hierin eine für die Schuldnerin sittenwidrige Härte zu sehen.
Die Gläubiger wurden gehört und erklärten sich mit einer einmaligen Freigabe einverstanden.
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Die Pfändung war daher, wie von der Schuldnerin beantragt, gemäß § 850k Abs. 4 ZPO iVm § 765a ZPO einmalig in Höhe von 985,15 EUR aufzuheben. Gleichzeitig war festzustellen, dass der zusätzliche Freibetrag ohne Anrechnung auf den Pfandfreibetrag für September in den Folgemonat zu übertragen ist.
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Die Schuldnerin wird jedoch ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sie zur Sicherung ihres Lebensunterhalts den ihr im Monat September zustehenden doppelten Freibetrag nicht in diesem Monat voll ausnutzen darf. Nur wenn sie im Monat September ihre Kontoverfügungen auf den regelmäßigen Freibetrag von 985,15 EUR beschränkt, ist sichergestellt, dass eine weitere im Monat September eingehende Gutschrift des Arbeitseinkommens für Oktober ihr aufgrund der Regelung des § 850k Abs. 1 ZPO auch im Oktober zur Verfügung steht.
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Auch dem weiteren Antrag der Schuldnerin, gerichtet auf die Verlängerung des Moratoriums gemäß § 835 Abs. 3 ZPO, war zu entsprechen, da sie die Unregelmäßigkeit der Einkünfte und das dadurch entstehende Schutzbedürfnis glaubhaft gemacht hat.
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Zur Klarstellung sei angefügt, dass die durch Beschluss des Amtsgerichts Lörrach vom 15.09.2010 ausgesprochene einstweilige Anordnung mit diesem neuerlichen Beschluss ihre Wirkung verliert.

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