Beschluss vom Amtsgericht Ludwigshafen am Rhein - 3d IN 60/21
Tenor
1. Das Verfahren ist in der Hauptsache erledigt.
2. Die Schuldnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
3. Der Gegenstandswert des Verfahrens wird auf bis zu 125.000 € festgesetzt.
Gründe
I.
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Die Antragstellerin hat am 14.12.2020 die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin beim Amtsgericht Stuttgart beantragt (Bl. 16 d.A.). Sie stützte ihren Antrag auf eine offene Steuer- und Abgabenforderung in Höhe von 111.049,45 € sowie ein Schreiben der Schuldnerin vom 29.10.2020, indem diese um eine zinslose Stundung nachsuchte und mitteilte die Steuerzahlungen wegen der Corona-Pandemie derzeit nicht leisten zu können (Bl. 8 d.A.). Außerdem auf ein Schreiben der Schuldnerin vom 10.11.2020 gleichen Inhalts (Bl. 19 d.A.). Die Beklagte betrieb ein Spielcasino in G..
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Mit Beschluss vom 23.02.2021 hat sich das Amtsgericht Stuttgart für örtlich unzuständig erklärt und das Verfahren an das Amtsgericht Ludwigshafen am Rhein verwiesen.
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Im Rahmen der Anhörung des Gerichts zum Insolvenzantrag hat sich die Schuldnerin mit Schreiben vom 26.03.2021 nicht gegen den Antrag gewandt, sondern um die Verweisung an das Amtsgericht Ludwigsburg als Gruppen-Gericht und (hilfsweise) die Bestellung des Sachverständigen Dr. H. nachgesucht (Bl. 47 d.A.). Das Gericht hat daraufhin beim Amtsgericht Ludwigsburg nachgefragt, ob dort ein Gruppengerichtsstand begründet worden ist, was abschlägig beschieden wurde. In der Folge hat das Gericht den Sachverständigen bestellt (Beschluss vom 12.04.2021, Bl. 54 d.A.). Dagegen legte die Schuldnerin sofortige Beschwerde ein. Sie vertrat die Ansicht, die Verweisung durch das Amtsgericht Stuttgart sei willkürlich erfolgt und mithin unwirksam. Die Beschwerde ist vom Landgericht Frankenthal (Pfalz) mit Beschluss vom 12.05.2021 zurückgewiesen worden (Bl. 86 d.A.).
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Mit Schriftsatz vom 23.06.2021 teilte der Verfahrensbevollmächtigte der Schuldnerin mit, die Antragsforderung sei am 16.06.2021 bezahlt worden und der Insolvenzantrag mithin unzulässig (Bl. 98 d.A.). Daraufhin bestätigte die Antragstellerin den Zahlungseingang, hielt den Antrag aber aufrecht mit der Begründung, die erheblichen Steuerrückstände seien erst auf Druck mit einer Verspätung von über zwei Jahren bezahlt worden (Bl. 103 d.A.).
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Mit Beschluss vom 05.07.2021 hat das Gericht vorläufige Insolvenzverwaltung mit Zustimmungsvorbehalt angeordnet (Bl. 107 d.A.). Dagegen hat die Schuldnerin erneut sofortige Beschwerde eingelegt und u.a. darauf verwiesen, die Antragstellerin habe das Fortbestehen der Zahlungsunfähigkeit nicht glaubhaft gemacht (Bl. 113 d.A.).
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Die Antragstellerin hat ihren Insolvenzantrag mit Schriftsatz vom 07.07.2021 in der Hauptsache für erledigt erklärt und beantragt, die Kosten des Verfahrens der Gegenseite aufzuerlegen. Die Schuldnerin hat sich der Erledigungserklärung angeschlossen.
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Die Antragstellerin trägt vor,
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einem Stundungsantrag der Schuldnerin sei insoweit stattgegeben worden, als es sich um laufende Steuern ab März 2020 gehandelt habe, da ein Bezug zur Corona-Pandemie erkennbar gewesen sei. Die antragsgegenständlichen Steuerrückstände stammten hingegen aus den Jahren 2018 und 2019 und könnten daher nicht auf die Pandemie zurückgeführt werden.
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Sie beantragt,
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die Kosten des Verfahrens der Schuldnerin aufzuerlegen.
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Die Schuldnerin beantragt,
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die Kosten des Verfahrens der Antragstellerin aufzuerlegen.
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Sie ist der Ansicht, es habe sich bei dem zugrundeliegenden Insolvenzantrag um einen unzulässigen Druckantrag gehandelt. Da sich die Schuldnerin bei ihrer Stundungsbitte ausdrücklich auf die Corona-Pandemie bezogen habe, sei es der Antragstellerin verwehrt gewesen, das Begehren abzulehnen. Insoweit sei die Finanzverwaltung durch das BMF-Schreiben vom 19.03.2020 gebunden, das eine Steuerstundung bis 31.12.2020 vorsehe. Die Schuldnerin sei auch unmittelbar Betroffene der Corona-Pandemie, da die Zwölfte Corona-Bekämpfungsverordnung Rheinland-Pfalz vom 30.10.2020 ein Schließungsgebot für Spielhallen und Spielbanken verhängte, das erst am 20.06.2021 aufgehoben wurde.
II.
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Die Kosten des Verfahrens sind nach billigem Ermessen (§§ 91a Abs. 1 Satz 1 ZPO, 4 InsO) unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes der Schuldnerin aufzuerlegen.
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Über die Kosten eines Rechtsstreits ist nach der übereinstimmend erfolgten Erledigungserklärung der Parteien nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes auf der Grundlage einer summarischen Prüfung zu entscheiden. Insoweit kommt es vornehmlich darauf an, wem die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen gewesen wären, wenn die Hauptsache nicht einvernehmlich für erledigt erklärt worden wäre. Die mindestens überwiegende Wahrscheinlichkeit des Unterliegens in der Hauptsache reicht gemäß § 91a ZPO aus, einer Partei die Kosten aufzuerlegen (vgl. BGH, Beschluss vom 16. September 1993 - V ZR 246/92, BGHZ 123, 264, 266).
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Eine Kostenaufhebung kommt in Betracht, wenn die Prozessaussichten nicht vorherzusagen sind. Dies kann auf rechtlichen oder tatsächlichen Unwägbarkeiten beruhen. Grundlage der Kostenentscheidung ist lediglich eine summarische Prüfung, bei der das Gericht grundsätzlich davon absehen kann, in einer rechtlich schwierigen Sache nur wegen der Verteilung der Kosten alle für den hypothetischen Ausgang bedeutsamen Rechtsfragen zu entscheiden. Bei nicht hinreichend geklärter Rechtslage sind die Kosten gegeneinander aufzuheben. Eine weitere Beweiserhebung ist auf Ausnahmefälle beschränkt. Kommt es nicht mehr zur Durchführung einer Beweisaufnahme, die ohne die Erledigung geboten gewesen wäre, so sind die Kosten in der Regel gegeneinander aufzuheben. Steht dagegen die Unaufklärbarkeit einer Tatsache fest (non liquet), sind die Kosten nach allgemeinen Grundsätzen der beweisbelasteten Partei aufzuerlegen.
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Nach übereinstimmender Erledigterklärung eines Insolvenzantrags haben aufwendige Ermittlungen zum Insolvenzgrund zu unterbleiben. Als bisheriger Sach- und Streitstand wird in der Regel nur der glaubhaft gemachte Sachverhalt zu beurteilen sein, während sonstige Umstände, die für die Begründetheit des Antrags erheblich sein könnten, nur berücksichtigt werden können, soweit der Sachverhalt schon ausermittelt war. War der Insolvenzantrag im Zeitpunkt des erledigenden Ereignisses zulässig, ein Eröffnungsgrund mithin glaubhaft gemacht, sind die Kosten des Verfahrens in der Regel dem Schuldner aufzuerlegen. Eine Kostenentscheidung zu Lasten des antragstellenden Gläubigers kommt hingegen in Betracht, wenn sich eine Zurückweisung des Eröffnungsantrags abzeichnete, oder wenn die gerichtlichen Ermittlungen schwerwiegende Zweifel daran ergeben haben, dass bei Antragstellung ein Eröffnungsgrund vorlag (zum Ganzen: BGH, Beschluss vom 24. September 2020 – IX ZB 71/19, ZInsO 2020, 2537 Rn. 13 ff.).
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Im vorliegenden Fall war der Insolvenzantrag der Antragstellerin bis zum Eintritt des erledigenden Ereignisses zulässig und es bestehen keine schwerwiegenden Zweifel daran, dass bei Antragstellung ein Eröffnungsgrund vorlag
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1. Der Antrag war bis zur Erfüllung der Forderung zulässig.
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a) Die Antragstellerin hat eine Forderung in Höhe von 111.049,45 € gegen die Schuldnerin hinreichend dargelegt und glaubhaft gemacht. Zur Substantiierung genügt es die geschuldeten Beträge nach Steuerart, Veranlagungszeitraum und Fälligkeit im einzelnen aufzuschlüsseln (OLG Köln, NZI 2000, 78 f.; OLG Naumburg, NZI 2000, 263 f.). Diesen Anforderungen genügt der vorgelegte Ausdruck der Speicherdaten (Bl. 17 d.A.). Die Schuldnerin hat das Bestehen der Forderung zu keinem Zeitpunkt bestritten, so dass es keiner weiteren Glaubhaftmachung bedurfte. Im Übrigen hat die Antragstellerin aber das Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen zur Vollstreckung bestätigt und mithin das Bestehen der Forderung hinreichend glaubhaft gemacht (MünchKommInsO/Vuia, 4. Aufl., § 14 Rn. 102; vgl. BGH, Beschluss vom 09.07.2009 - IX ZB 86/09, HFR 2010, 187).
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b) Der Eröffnungsgrund ist von der Antragstellerin ebenfalls dargelegt und glaubhaft gemacht worden. Durch die Nichtzahlung der Steuer- und Abgabenforderung in beträchtlicher Höhe und über einen langen Zeitraum ist zumindest von einer Zahlungseinstellung iSv § 17 Abs. 2 S. 2 InsO auszugehen, zumal die Schuldnerin selbst gegenüber der Antragstellerin erklärt hat, zur Begleichung der Forderung nicht in der Lage zu sein.
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c) Demgegenüber kann sich die Schuldnerin nicht mit Erfolg auf einen Verstoß der Antragstellerin gegen die Selbstbindung der Verwaltung berufen. Zwar ist es zutreffend, dass die Gewährung einer Stundung durch die Finanzverwaltung zur Unzulässigkeit des Insolvenzantrages geführt hätte, die Antragstellerin hat die Antragsforderung aber nicht gestundet.
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Auf die Frage, ob die Antragstellerin die Antragsforderung hätte stunden müssen, kommt es im Insolvenzverfahren nicht an. Auch wenn sich aus dem BMF-Schreiben vom 19.03.2020 (Az. IV A 3-S 0336/19/10007:002, 2020/0265898, BStBl I 2020, 262) ergeben würde, dass die Antragstellerin eine Stundung hätte gewähren müssen, handelt es sich bei dem BMF-Schreiben um keine Rechtsnorm. Einer solchen Verwaltungsvorschrift kommt nur verwaltungsinterne Bedeutung zu. Ihre Missachtung durch die Finanzbehörde mag unter Umständen Amtshaftungsansprüche gegen den Steuerfiskus auslösen. Sie ist jedoch für das Insolvenzgericht und für die Wirksamkeit oder Zulässigkeit des Eröffnungsantrags ohne Bedeutung (MünchKommInsO/Vuia, 4. Aufl., § 14 Rn. 108 mwN).
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Selbst wenn man das BMF-Schreiben für das Insolvenzeröffnungsverfahren als maßgeblich ansehen würde, lässt sich daraus der von der Schuldnerin erwünschte Schluss auf eine Unzulässigkeit nicht ziehen. Das BMF-Schreiben (und seine Nachfolgeregelungen) statuiert keinen Zwang zur Stundung. Es sollen lediglich bei der Nachprüfung der Voraussetzungen für Stundungen keine strengen Anforderungen gestellt werden. Da es sich im vorliegenden Fall jedoch um Steuer- und Abgabenforderungen in erheblicher Höhe gehandelt hat, die bereits lange Zeit fällig waren, ist es nicht zu beanstanden, wenn die Antragstellerin trotz der Erleichterung der allgemeinen Anforderungen an eine Stundung im konkreten Einzelfall von einer solchen abgesehen hat.
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d) Entgegen der Auffassung der Schuldnerin kann auch nicht von einem rechtsmissbräuchlichen Druckantrag ausgegangen werden. Ein solcher liegt vor, wenn der Insolvenzantrag als Druckmittel verwendet wird, um den Schuldner zur zumindest teilweisen Tilgung der Antragsforderung zu drängen (AG Hamburg, ZInsO 2001, 1121). Indizien hierfür sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Im Gegenteil hat die Antragstellerin sogar nach Zahlung der vollständigen Antragsforderung zunächst noch ihren Insolvenzantrag aufrechterhalten.
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e) Die Erledigungserklärung der Antragstellerin war auch nicht rechtsmissbräuchlich, weil diese ihren Antrag nach § 14 Abs. 1 S. 2 InsO hätte aufrechterhalten können. Unabhängig davon, ob die Voraussetzungen für eine Fortsetzung des Eröffnungsverfahrens überhaupt vorgelegen hätten, ist die Erledigungserklärung der Finanzverwaltung nach Erfüllung der Antragsforderung kein Fall einer rechtsmissbräuchlichen Erledigungserklärung, da keine Pflicht zur Fortsetzung besteht (BGH, Beschluss vom 24. September 2020 – IX ZB 71/19, ZInsO 2020, 2537 Rn. 10 f.).
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2. Weder hat sich bis zum Eintritt des erledigenden Ereignisses eine Zurückweisung des Eröffnungsantrags abgezeichnet, noch bestehen schwerwiegende Zweifel am Vorliegen eines Eröffnungsgrundes zum Zeitpunkt der Antragstellung.
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Wie bereits ausgeführt, lag eine Zahlungseinstellung zum Zeitpunkt der Insolvenzantragstellung unzweifelhaft vor und diese wird in ihren tatsächlichen Grundlagen auch nicht von der Schuldnerin bestritten. Eine Zurückweisung des Eröffnungsantrages hat sich bis zum Eintritt des erledigenden Ereignisses nicht abgezeichnet. Im Gegenteil hat der Sachverständige mutmaßliche Vollstreckungsaufträge bei der Obergerichtsvollzieherin Herrmann in Höhe von mehr als 55 T€ ermittelt, was ebenfalls ein Indiz für die Zahlungseinstellung darstellt. Jedenfalls aber hat der Sachverständige - aufgrund einer unzulänglichen Mitarbeit der Geschäftsführerin der Schuldnerin - bis zur Erledigung kein umfassendes Bild über die Vermögenslage der Schuldnerin ermitteln können.
III.
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Der Gegenstandswert des Verfahrens (Streitwert) beträgt bis zu 125.000 € (§ 58 Abs. 2 GKG). Beantragt ein Gläubiger die Eröffnung des Insolvenzverfahrens, ist für den Streitwert grundsätzlich der Betrag der Forderung des Gläubigers maßgebend. Dieser beträgt vorliegend 111.049,45 €.
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Der Betrag der Forderung ist allerdings nur dann für den Streitwert maßgeblich, wenn nicht der nach § 58 Abs. 1 GKG errechnete Wert der Insolvenzmasse geringer ist. Dieser beträgt ebenfalls 111.049,45 €. Kommt es nicht zu einer Eröffnung des Insolvenzverfahrens existiert gar keine Insolvenzmasse nach §§ 35 ff. InsO, allerdings ist für die Feststellung des Streitwerts dennoch der Wert der fiktiven Insolvenzmasse zum Stichtag der Verfahrensbeendigung zu errechnen bzw. zu schätzen (BeckOK KostR/Sengl, § 58 GKG Rn. 8). Da die Schuldnerin in der Lage war, die Antragsforderung in voller Höhe zu bezahlen, schätzt das Gericht die (fiktive) Insolvenzmasse mindestens auf die Höhe der Antragsforderung.
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Referenzen
- InsO § 4 Anwendbarkeit der Zivilprozeßordnung 1x
- § 58 Abs. 1 GKG 1x (nicht zugeordnet)
- InsO § 17 Zahlungsunfähigkeit 1x
- InsO § 14 Antrag eines Gläubigers 1x
- IX ZB 71/19 2x (nicht zugeordnet)
- § 58 GKG 1x (nicht zugeordnet)
- §§ 91a Abs. 1 Satz 1 ZPO, 4 InsO 1x (nicht zugeordnet)
- §§ 35 ff. InsO 1x (nicht zugeordnet)
- § 58 Abs. 2 GKG 1x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 91a Kosten bei Erledigung der Hauptsache 1x
- V ZR 246/92 1x (nicht zugeordnet)
- IX ZB 86/09 1x (nicht zugeordnet)