Beschluss vom Amtsgericht Münster - 22 III 130/18
Tenor
Der Standesbeamte des Standesamtes B wird angewiesen, den Eintrag im Geburtenregister Nr. G #####/#### des Standesamtes B wie folgt zu berichtigen:
Die bisherige Geschlechtsangabe zum Kind, der beteiligten Person zu 1., im Geburtseintrag ist zu streichen. Ein neuer Eintrag zur Geschlechtseingabe ist nicht aufzunehmen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben. Die außergerichtlichen Kosten werden nicht erstattet.
Der Verfahrenswert wird auf 5.000 Euro festgesetzt.
1
Gründe:
2I.
3Im Geburtenregister des Standesamtes B Nr. G #####/#### ist die antragstellende Person zuletzt mit dem Geschlechtseintrag „weiblich“ aufgenommen worden. Die antragstellende Person wünscht die Berichtigung des Eintrags und Streichung der Angabe zum Geschlecht.
4Auf Grund des Beschlusses des Amtsgerichts C vom #######, Az. ######, nach dem Transsexuellengesetz (TSG) erfolgte am 21.11.2017 eine Folgebeurkundung im Geburtenregister der antragstellenden Person bei dem Standesamt B dergestalt, dass die Geschlechtsangabe in „weiblich“ und die bisherigen Vornamen in „Juno Marie“ abgeändert wurden. Der Beschlussfassung lagen die Gutachten der Fachärztin für Psychiatrie Frau I sowie der Diplom-Psychologin Dr. U zugrunde. In diesen wurde eine Zuordnung zum weiblichen Geschlecht bestätigt.
5Im Verfahren hat die antragstellende Person die Stellungnahme der Gutachterin Dr. U vom 19.02.2019 vorgelegt, wonach bei der antragstellenden Person eine transgeschlechtliche Identitätsentwicklung vorliegt, bei der das weibliche Identitätsempfinden nicht der Endpunkt, sondern eine Zwischenstufe im Sinne einer nonbinären Entwicklung darstelle. Die antragstellende Person identifiziere sich als nonbinäre Person, die weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zugehörig fühle.
6Das Standesamt B, Beteiligte zu 2., hat mit Schriftsatz vom 24.10.2018 den Antrag der beteiligten Person zu 1. vom 16.10.2018 über die Standesamtsaufsicht als Zweifelsvorlage an das Gericht weitergeleitet.
7Mit Eingabe vom 09.10.2018 wurde die Streichung der bisherigen Geschlechtsangabe beantragt. Eine neue Angabe zum Geschlecht soll nicht aufgenommen werden. Eine Änderung der Vornamen wird ebenfalls nicht angestrebt.
8Die antragstellende Person ist der Ansicht, dass die nachträgliche Streichung einer Geschlechtsangabe, auch nach zuvor erfolgtem Wechsel der Geschlechtsangabe als Abschluss eines Verfahrens nach dem TSG, bei verfassungskonformer Auslegung der anzuwendenden Vorschriften vorzunehmen ist.
9Die antragstellende Person beantragt,
10das Geburtenregister Nr. G #####/#### des Standesamtes B dahingehend zu berichtigen, dass die Geschlechtsangabe im Geburtenregister gestrichen wird.
11Die Standesamtsaufsicht des Kreises F, die Beteiligte zu 3., hat mit Einleitung des Verfahrens am 02.11.2018 – somit vor Einführung des § 45b PStG mit Gesetz vom 18.12.2018 – die Ansicht vertreten, dass die beabsichtigte Berichtigung des Geburtenregisters mangels entsprechender gesetzlicher Grundlage nicht möglich sei. Eine Abänderung bzw. Berichtigung sei auch nicht möglich, da für die antragstellende Person auf Grund der im Verfahren nach dem TSG ausgestellten Gutachten, eine eindeutige Zuordnung des Geschlechts, nämlich zum „weiblichen“ Geschlecht, möglich sei.
12II.
13Das Standesamt B war auf die Zweifelsanfrage vom 24.10.2018 anzuweisen, den bisherigen Eintrag zur Geschlechtszugehörigkeit im Geburtenregister der beteiligten Person zu 1. zu streichen. Dabei gilt die Vorlage durch das Standesamt B nach § 49 Abs. 2 S. 2 PStG als Ablehnung der gewünschten Amtshandlung.
141)
15Nach der Erklärung der antragstellenden Person, ist nach §§ 48 Abs. 1 S. 2, 49 Abs. 1, Abs. 2 PStG i. V. m. dem mit Wirkung vom 22.12.2018 eingeführten § 45b Abs. 1 S. 1 PStG die bisherige Geschlechtsangabe „weiblich“ zu streichen. Ein neuer Eintrag zur Geschlechtseingabe ist nicht aufzunehmen.
16a)
17Für die nachträgliche Änderung des Geburtseintrags ist es dabei insbesondere nicht erforderlich, dass die von der antragstellenden Person empfundene Geschlechtlichkeit einem medizinischen Nachweis zugänglich ist. Vielmehr sind im Rahmen einer verfassungskonformen Auslegung auch solche Personen von der Möglichkeit der Streichung des Geschlechtseintrags und einer abweichenden Bestimmung der Angabe erfasst, die zwar nach medizinischen Erkenntnissen einem bestimmten biologischen Geschlecht zuzuordnen sind, jedoch subjektiv nicht entsprechend dieser medizinischen Zuordnung empfinden.
18Durch Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG ist mit der engeren persönlichen Lebenssphäre auch der intime Sexualbereich des Menschen, der die sexuelle Selbstbestimmung und damit auch das Finden und Erkennen der eigenen Identität sowie der eigenen sexuellen Orientierung umfasst, durch das Grundgesetz geschützt (BVerfG, Beschl. v. 11.01.2011, Az. 1 BvR 3295/07, NJW 2011, 909 ff., 910, Rz. 51). Das allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt danach auch die geschlechtliche Identität, die regelmäßig ein konstituierender Aspekt der eigenen Persönlichkeit ist. Der Zuordnung zu einem Geschlecht kommt für die eigene Identität unter den gegebenen Bedingungen herausragende Bedeutung zu. Sie nimmt typischerweise eine Schlüsselposition sowohl im Selbstverständnis einer Person, als auch dabei ein, wie die betroffene Person von anderen wahrgenommen wird.
19Die Geschlechtszugehörigkeit spielt in den alltäglichen Lebensvorgängen eine wichtige Rolle: Teilweise regelt das Recht Ansprüche und Pflichten in Anknüpfung an das Geschlecht, vielfach bildet das Geschlecht die Grundlage für die Identifikation einer Person und auch jenseits rechtlicher Vorgaben hat die Geschlechtszugehörigkeit im täglichen Leben erhebliche Bedeutung. Sie bestimmt etwa weithin, wie Menschen angesprochen werden oder welche Erwartungen an das äußere Erscheinungsbild einer Person, an deren Erziehung oder an deren Verhalten gerichtet werden.
20Geschützt ist dabei auch die geschlechtliche Identität jener Personen, die weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuzuordnen sind. Diese Personen könnten ihre Persönlichkeit möglicherweise ungehinderter entfalten, wenn der geschlechtlichen Zuordnung generell geringere Bedeutung zukäme. Doch ist unter den gegebenen Bedingungen die geschlechtliche Zuordnung (noch) ein besonders relevanter Aspekt der fremden Wahrnehmung, wie auch des eigenen Verständnisses der Persönlichkeit (BVerfG, Beschl. v. 10.10.2017, Az. 1 BvR 209/16, BeckRS 2017,130176, Rz. 39 f.).
21In der Entscheidung des BVerfG vom 11.01.2011 (dort Rz. 51) heißt es hierzu weiter:
22„Es ist wissenschaftlich gesicherte Erkenntnis, dass die Zugehörigkeit eines Menschen zu einem Geschlecht nicht allein nach den äußerlichen Geschlechtsmerkmalen im Zeitpunkt seiner Geburt bestimmt werden kann, sondern sie wesentlich auch von seiner psychischen Konstitution und seiner selbstempfundenen Geschlechtlichkeit abhängt. Steht demnach das eigene Geschlechtsempfinden nachhaltig im Widerspruch zu dem ihm rechtlich nach den äußeren Geschlechtsmerkmalen zugeordneten Geschlecht, gebieten es die Menschenwürde i. V. mit dem Grundrecht auf Schutz der Persönlichkeit, dem Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen Rechnung zu tragen und seine selbst empfundene geschlechtliche Identität rechtlich anzuerkennen, um es ihm damit zu ermöglichen, entsprechend dem empfundenen Geschlecht leben zu können, ohne in seiner Intimsphäre durch den Widerspruch zwischen seinem dem empfundenen Geschlecht angepassten Äußeren und seiner rechtlichen Behandlung bloßgestellt zu werden.“
23Auch in seinem Beschluss v. 10.10.2017 hat das BVerfG deutlich gemacht, dass dem subjektiven Empfinden des Betroffenen im Rahmen der Bestimmung des Geschlechts entscheidende Bedeutung zukommt und hierzu ausgeführt (Rz. 9):
24„In den medizinischen und psychosozialen Wissenschaften besteht zudem weitgehend Einigkeit darüber, dass sich das Geschlecht nicht allein nach genetisch-anatomisch-chromosomalen Merkmalen bestimmen oder gar herstellen lässt, sondern von sozialen und psychischen Faktoren mitbestimmt ist.“
25="absatzLinks">Vorliegend entspricht das im Geburtenregister der antragstellenden Person eingetragene Geschlecht „weiblich“ zur Überzeugung des Gerichts nicht der persönlich empfundenen Sexualität bzw. Geschlechtsidentität. Diese fühlt sich, ebenfalls zur Überzeugung des Gerichts, weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zugehörig.
26b)
27Eine einschränkende Auslegung des § 45b PStG dahingehend, dass sich nur jene Personen auf die Regelung des § 45b PStG berufen können, bei denen medizinisch eine Inkongruenz der Geschlechtschromosomen, Genitale oder der Gonaden festgestellt wurde, ist nicht geboten. Vor dem Hintergrund der vorstehenden verfassungsrechtlichen Bewertung ist § 45b PStG vielmehr dahingehend verfassungskonform auszulegen, dass es lediglich auf das subjektiv empfundene Geschlecht ankommt.
28Davon sind, so auch die vorstehend zitierten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, nicht nur jene Personen erfasst, bei denen nach der strengeren medizinischen Terminologie entsprechend der Entscheidung der Konsensus-Konferenz aus dem Jahr 2005 die Geschlechtschromosomen, Genitale oder Gonaden unterschiedliche Geschlechtszuordnungen begründen könnten, mithin eine „Störung/Variante der Geschlechtsentwicklung“ oder englisch „;Differences/Disorders of Sex Development“ vorliegt (Berndt-Benecke, NVwZ 2019, 286, 287). Vielmehr können alle Personen, deren nachhaltig selbstempfundene Geschlechtlichkeit von der im Personenregister erfassten Zuordnung abweicht, eine Erklärung zur Geschlechtsangabe im Sinne des § 45b PStG abgeben und die Anpassung ihres jeweiligen Geburtsregistereintrags verlangen. Der nachträglichen Änderung des Geburtseintrags steht insbesondere nicht entgegen, wenn die von der antragstellenden Partei empfundene Geschlechtlichkeit, die dem binären Geschlechtssystem nicht zuzuordnen ist, einem medizinischen Nachweis nicht zugänglich wäre (vgl. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 11.06.2019, Az. I-25 Wx 76/17, FamRZ 2019, 1663, 1663; a.A. OLG Nürnberg, Beschl. v. 03.09.2019, Az. 11 W 1880/19, FamRZ 2019, 1948, 1949 ff.).
29Die Regelung des § 45b PStG wäre bei entsprechender Auslegung, allein unter Berücksichtigung der Gesetzgebungsmaterialien und seiner Entstehungsgeschichte zwar dahingehend auszulegen, dass – entsprechend der medizinischen Terminologie (s.o.) – sich nur jene Personen auf § 45b PStG berufen können, bei denen eine medizinisch nachweisbare Abweichung der Geschlechtschromosomen, Genitale oder Gonaden vorliegt. Eine entsprechende Auslegung würde jedoch der gebotenen verfassungskonformen Auslegung widersprechen.
30Die Regelung des § 45b PStG ist einer verfassungskonformen Auslegung zugänglich, welche das allgemeine Selbstbestimmungsrecht, hier speziell des Recht der sexuellen Selbstbestimmung, ausreichend berücksichtigt. Der Wortlaut des § 45b PStG lässt die vorstehende, weite (verfassungskonforme) Auslegung, allein begründet auf dem nachhaltig subjektiv empfundenen Geschlecht, ohne weiteres zu. Eine entsprechende Auslegung erscheint, auch vor dem Hintergrund der ergänzenden Regelungen des TSG, geboten und angemessen.
31Das TSG ermöglicht zwar ebenfalls die Änderung des Geschlechtseintrags, allerdings kann nicht (mehr) nachvollzogen werden, aus welchen Gründen die nur nachhaltig subjektiv empfundene Geschlechtlichkeit anders zu bewerten sein sollte, als eine medizinisch nachweisbare Inkongruenz der biologischen Geschlechtsmerkmale. Das Bundesverfassungsgericht hat zutreffend festgestellt, dass die sexuelle Selbstbestimmung eben außerhalb biologisch objektivierbarer Kriterien steht. Eine entsprechende Einteilung in biologisch nachweisbare „Varianten der Geschlechtsentwicklung“ und solchen, die auf einer „nur“ subjektiv empfundenen Geschlechtswahrnehmung beruhen, widersprechen daher dem Recht auf sexuelle Selbstbestimmung. Die damit einhergehende Ungleichbehandlung im TSG und im PStG erscheint ohne Blick auf die Entstehungsgeschichte willkürlich. Jedenfalls ist sie nicht (mehr) gerechtfertigt und würde die Betroffenen in ihren Rechten beeinträchtigen.
s="absatzRechts">32Für die vorstehende verfassungskonforme Auslegung sprechen schließlich auch die noch laufenden Bestrebungen des Gesetzgebers zur Neuregelung der rechtlichen Einordnung des Geschlechts. Demnach soll sich eine Neuregelung an der Geschlechtsidentität orientieren und nicht mehr an biologischen Merkmalen (vgl. hierzu Gössl, FF 2019, 298, 303).
332)
34Die nach § 45b Abs. 3 PStG erforderliche ärztliche Bescheinigung liegt, in Gestalt der psychologischen Stellungnahme vom 19.02.2019 von Frau Dr. U vor. Das Gericht hat daher von einer persönlichen Anhörung der antragstellenden Person abgesehen.
35Da die Frage der Geschlechtsidentität im Sinne des § 45b PStG bei verfassungskonformer Auslegung lediglich auf dem subjektiv empfundenen Geschlecht beruht, kann die Pflicht zur Vorlage einer „ärztlichen Bescheinigung“ – bei verfassungskonformer Auslegung – grundsätzlich nur noch eine Bedeutung für den Nachweis der Nachhaltigkeit des vorgetragenen Empfindens haben. Auch wenn daher grundsätzlich der Nachweis eines Gesprächs, sofern gewünscht eventuell auch einer Beratung, mit einer entsprechend geschulten Person ausreichend sein dürfte, steht es dem Gesetzgeber grundsätzlich frei, den Nachweis der Nachhaltigkeit mit entsprechenden Belegen zu verknüpfen (vgl. BVerfG, Beschl. V. 11.01.2011, 11.01.2011, Az. 1 BvR 3295/07, NJW 2011, 909 ff., 912). Eine besondere fachliche Qualifikation des Arztes wäre aus diesem Grund nicht erforderlich und wird vom Wortlaut der Regelung des § 45b PStG auch nicht verlangt. Auch aus den Gesetzgebungsmaterialien ergibt sich diesbezüglich keine abweichende Auslegung (vgl. BT‐Drs. 19/6467, S. 13). Die vorzulegende Bescheinigung soll dabei dem Nachweis dienen, dass „eine Variante der Geschlechtsentwicklung“ vorliegt.
36Der von der antragstellenden Person vorgelegte Nachweis vom 19.02.2019 erfüllt jedenfalls diese Voraussetzungen. Demnach wird die nicht-binäre Geschlechtsidentität aus psychologischer Sicht nach eingehender Anamnese auf Grundlage einer zuvor erfolgten Begutachtung im Rahmen des Verfahrens nach dem TSG bestätigt. Zwar erfolgte die Stellungnahme durch eine Psychologin, somit nicht ä;rztlicherseits. Die nach ausführlicher psychologischer Prüfung vorgenommene Stellungnahme geht jedoch über die vom Gesetzgeber geforderte ärztliche Stellungnahme, ohne besonders geforderte Qualifikation des Arztes, hinaus. Wenn aber bereits die Stellungnahme einer im maßgeblichen Fachbereich nicht besonders geschulten Person ausreichend ist, dann muss genügt erst recht die nun vorliegende Bescheinigung einer psychologischen Psychotherapeutin.
373)
38Grundsätzlich könnte die antragstellende Person in diesem Zusammenhang auch nach § 45b Abs. 1 S. 3 PStG neue Vornamen wählen und bestimmen. In Betracht käme hier auch der derzeit bereits im Alltag von der antragstellenden Person geführte Vorname. Eine entsprechende Erklärung soll jedoch ausdrücklich nicht erfolgen.
394)
40Die Kostenentscheidung beruht auf den § 51 PStG, § 81 FamFG.
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Referenzen
- 11 W 1880/19 1x (nicht zugeordnet)
- 25 Wx 76/17 1x (nicht zugeordnet)
- 1 BvR 209/16 1x (nicht zugeordnet)
- PStG § 49 Anweisung durch das Gericht 1x
- FamFG § 81 Grundsatz der Kostenpflicht 1x
- PStG § 51 Gerichtliches Verfahren 1x
- § 45b PStG 9x (nicht zugeordnet)
- 1 BvR 3295/07 2x (nicht zugeordnet)
- § 45b Abs. 3 PStG 1x (nicht zugeordnet)