Beschluss vom Arbeitsgericht Hagen - 3 BV 25/18
Tenor
Die von dem Betriebsrat verweigerte Zustimmung zur Eingruppierung der Frau N in die Entgeltgruppe 8 Stufe 2 des TV AWO NRW wird ersetzt.
1
G r ü n d e :
2I.
3Die Beteiligten streiten über die Ersetzung der verweigerten Zustimmung des Antragsgegners zu der Eingruppierung der Arbeitnehmerin N.
4Der Antragsteller (im Folgenden: Arbeitgeber) ist an den TV AWO NRW und die diesen ergänzenden und ersetzenden Tarifverträge gebunden. Das Tarifwerk der Arbeiterwohlfahrt NRW findet zudem betriebsüblich, außerdem kraft einzelvertraglicher Bezugnahme auf die Arbeitsverhältnisse der Beschäftigten Anwendung. Der Arbeitgeber ist ein nicht eingetragener Verein. Er beschäftigt mehr als 20 wahlberechtigte Arbeitnehmer/-innen im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes.
5Der Antragsgegner (im Folgenden: Betriebsrat) ist der im Betrieb des Arbeitgebers gewählte Betriebsrat.
6Mit Schreiben vom 15.10.2018 ersuchte der Arbeitgeber den Betriebsrat um die Zustimmung zu der bis zum 31.07.2019 befristeten Einstellung und Eingruppierung von Frau N als Integrationskraft in der Kita C ab dem 01.11.2018. Frau N verfügt über einen Bachelorabschluss als Pädagogin.
7Der Betriebsrat stimmte der Einstellung zu, widersprach jedoch mit Schreiben vom 18.10.2018 der vorgesehenen Eingruppierung in die Entgeltgruppe 8 Stufe 2 mit der Begründung, die betroffene Arbeitnehmerin sei nach der Protokollerklärung zu § 16 TV-Ü AWO NRW in die Entgeltgruppe 9 einzugruppieren (vgl. Bl. 18 d. A.).
8Mit der am 14.11.2018 beim Arbeitsgericht Hagen eingegangenen Antragsschrift begehrt der Arbeitgeber die Ersetzung der verweigerten Zustimmung zur vorgesehenen Eingruppierung.
9Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass die betroffene Mitarbeiterin N in der Kita C als Integrationskraft die Tätigkeiten einer Erzieherin ausübt.
10Der Arbeitgeber meint, dies führe entgegen der Auffassung des Betriebsrats lediglich zur Eingruppierung in die EG 8 (Stufe 2) des TV AWO NRW.
11Etwas anderes ergebe sich auch nicht daraus, dass die Arbeitnehmerin N unstreitig einen Bachelorabschluss als Pädagogin vorzuweisen hat, da allein dieser Abschluss ohne Ausübung entsprechender Tätigkeiten nicht zu einer Eingruppierung in die EG 9 führen könne.
12Eine solche folge entgegen der Auffassung des Betriebsrats auch nicht aus der Protokollerklärung zu § 16 TV-Ü AWO NRW. Über § 16 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 7 TV-Ü AWO NRW sei festgelegt, dass bis zum Inkrafttreten einer neuen Entgeltordnung § 22 BMT-AW II inklusive des Tarifvertrages über die Tätigkeitsmerkmale auch bei Neueinstellungen weitergelte. Für die Eingruppierung der Beschäftigten komme es daher allein auf die auszuübende Tätigkeit, hier also Erzieherin, und nicht etwa auf einen ggf. vorliegenden höherwertigen Abschluss an.
13Auch wenn in der Protokollerklärung zu § 16 TV-Ü AWO NRW weitere Voraussetzungen für die Eingruppierung nicht ausdrücklich benannt seien, ergäben sich diese eindeutig aus der Systematik des § 16 TV-Ü AWO NRW mit dem Verweis auf § 22 BMT-AW II. Der gesamte BMT-AW II sähe keine Eingruppierung rein nach Qualifikation vor, vielmehr komme es grundsätzlich immer zusätzlich auf die Ausübung entsprechender Tätigkeiten an.
14Es sei fernliegend, anzunehmen, dass die Tarifparteien eine Abkehr von der grundsätzlichen Eingruppierungssystematik ohne ausdrücklichen Hinweis in einer Protokollerklärung versteckt hätten. Im Gegenteil ergebe sich aus § 16 Abs. 8 TV-Ü AWO NRW, dass die Eingruppierungssystematik fortgelten solle. Sinn und Zweck der Protokollerklärung sei es nicht, alle Beschäftigten mit Fachhochschulabschluss unabhängig von der auszuübenden Tätigkeit in die Entgeltgruppe 9 einzugruppieren, vielmehr sollten in der neuen Entgeltordnung bei entsprechender Tätigkeit die bisher unterschiedlichen materiellen Wertigkeiten bei den Fachhochschulabschlüssen auf dem Niveau der EG 9 zusammengeführt werden.
15Folge man der Auffassung des Betriebsrates, wäre beispielsweise ein als Hilfskoch tätiger Beschäftigter, welcher einen Fachhochschulabschluss gleich auf welchem Fachgebiet vorweisen könne, in die Entgeltgruppe 9 einzugruppieren. Wiederum würde ein als Hilfskoch tätiger Beschäftigter mit einem wissenschaftlichen Hochschulabschluss dagegen in die niedrigere Entgeltgruppe entsprechend den Tätigkeiten als Hilfskoch eingruppiert werden, da der Hochschulabschluss in der Protokollerklärung nicht erwähnt ist. Eine solche Auslegung der Protokollerklärung würde zu völlig sachfremden Ergebnissen führen.
16Die Beschäftigten, die einen Fachhochschulabschluss vorweisen könnten, wären dann auch die einzige Gruppe von Beschäftigten, bei denen die auszuübende Tätigkeit unerheblich für die Eingruppierung sei. Für einen derartigen Differenzierungswillen gebe die Protokollerklärung keinen Anhaltspunkt. Sinn und Zweck der Protokollerklärung sei vielmehr, die nach den bisherigen Eingruppierungsvorschriften existierenden unterschiedlichen materiellen Wertigkeiten bei den Beschäftigten mit Fachhochschulabschluss zusammenzuführen und daher bei Neueinstellungen dieser Beschäftigten zunächst eine einheitliche Eingruppierung in der sog. „kleine EG 9“ vorzunehmen. Diese läge dabei in vielen Fällen sogar unterhalb des Niveaus der bisherigen Eingruppierungen. Sozialpädagogen mit entsprechender Tätigkeit würden ohne die Protokollerklärung beispielsweise in die „große EG 9“ eingruppiert mit der Folge eines schnelleren Aufstiegs in die Stufe 5 und zusätzlich einer Stufe 6. Die Protokollerklärung führe somit zu einer Vereinheitlichung der Eingruppierungen.
17Die Frage, ob die betroffene Arbeitnehmerin N über eine Qualifikation verfügt, die für den vorgesehenen Einsatzbereich gerade nicht als „fachfremd“ anzusehen sei, sei für die hier zu entscheidende Frage unbeachtlich.
18Der Arbeitgeber beantragt,
19die von dem Antragsgegner und Beteiligten zu 2) verweigerte Zustimmung zur Eingruppierung der Frau N in die Entgeltgruppe 8 Stufe 2 des TV AWO NRW zu ersetzen.
20Der Betriebsrat beantragt,
21den Antrag zurückzuweisen.
22Er vertritt die Auffassung, aus dem eindeutigen Wortlaut des § 16 TV-Ü AWO NRW in Verbindung mit der hierzu ergangenen Protokollerklärung ergebe sich, dass die betroffene Arbeitnehmerin N in die Entgeltgruppe 9 einzugruppieren sei.
23Auch Protokollerklärungen/Protokollnotizen eines Tarifvertrages würden eine normative Geltung entfalten. Der Regelungswille der Tarifvertragsparteien sei eindeutig. Die streitgegenständliche Protokollnotiz und insgesamt der TV-Ü AWO NRW seien im Kontext der Verhandlungen einer Entgeltordnung zum TVöD verhandelt worden, insbesondere der Entgeltordnung SuE, die schon vor der „allgemeinen“ Entgeltordnung abgeschlossen wurde. Die Arbeit der Fachkräfte im Bereich des Kinder- und Jugendhilfegesetzes sowie der Behindertenhilfe sollte insgesamt aufgewertet werden, was auch in Teilen gelungen sei.
24Darüber hinaus verfüge die betroffene Mitarbeiterin N mit ihrem Bachelorabschluss als Pädagogin über eine höhere Qualifizierung für die von ihr ausgeübte Tätigkeit als Erzieherin, die unmittelbar für den vorgesehenen Einsatzbereich von Vorteil sei.
25Frau N komme zudem in einer Kindergartengruppe mit Kindern mit erhöhtem Förderbedarf als Integrationskraft zum Einsatz.
26Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
27II.
28Der Zustimmungsersetzungsantrag ist zulässig und auch begründet.
29A.
30Gegen die Zulässigkeit des Antrags bestehen keine Bedenken.
31Die Beteiligtenfähigkeit des antragstellenden Arbeitgebers als nicht rechtsfähiger (nicht eingetragener) Verein ergibt sich jedenfalls deshalb, da er gemäß § 50 Abs. 2 ZPO auch im Urteilsverfahren parteifähig wäre (siehe hierzu nur Germelmann, Arbeitsgerichtsgerichtsgesetz, 9. Auflage, § 10, Rdnr. 17).
32Der Arbeitgeber verfolgt sein Begehren zu Recht im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren nach den §§ 2 a, 80 Abs. 1 ArbGG. Zwischen den Beteiligten ist eine betriebsverfassungsrechtliche Angelegenheit nach § 2 a Abs. 1 Nr. 1 ArbGG streitig, nämlich die zutreffende Eingruppierung der im Antrag genannten Arbeitnehmerin und damit verbunden die Frage der Berechtigung der Zustimmungsverweigerung nach § 99 Abs. 2 BetrVG.
33Dabei kommt es für das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nicht darauf an, aus welchem Rechtsgrund die von den Beteiligten herangezogenen Eingruppierungsvorschriften anzuwenden sind; maßgeblich ist insoweit allein, dass der Arbeitgeber – streitlos – im Betrieb ein bestimmtes System der Eingruppierung zur Anwendung bringt (LAG Hamm, Beschluss vom 21.02.2014, 13 TaBV 40/13; Beschluss vom 02.12.2014 – 7 TaBV 41/14 -; beide veröffentlicht bei juris).
34B.
35Die von dem Betriebsrat verweigerte Zustimmung zur Eingruppierung der betroffenen Mitarbeiterin N war gemäß § 99 Abs. 4 BetrVG zu ersetzen, da diese zu Unrecht verweigert wurde.
36a)
37Vorauszuschicken ist, dass es im vorliegenden Fall der Zustimmung des Betriebsrats zu der beabsichtigten Eingruppierung der betroffenen Mitarbeiterin N gemäß § 99 BetrVG bedurfte, da im Unternehmen des Arbeitgebers mehr als 20 zum Betriebsrat wahlberechtigte Mitarbeiter beschäftigt sind (§ 99 Abs. 1 BetrVG) und die geplante Maßnahme einer Eingruppierung im Sinne des § 99 Abs. 1 BetrVG darstellt.
38b)
39Die Zustimmung des Betriebsrats gilt nicht bereits nach § 99 Abs. 3 Satz 2 BetrVG als erteilt.
40Der Betriebsrat hat die begehrte Zustimmung form- und fristgerecht innerhalb der Wochenfrist des § 99 Abs. 3 Satz 1 BetrVG nach erfolgter Unterrichtung durch das Schreiben des Arbeitgebers vom 15.10.2018 mit seinem schriftlichen Widerspruch vom 18.10.2018 verweigert. Der Betriebsrat hat die Zustimmungsverweigerung auch in ausreichender Weise mit der nach § 99 Abs. 3 Satz 1 BetrVG erforderlichen Angabe von Gründen mitgeteilt, indem er auf eine nach seiner Auffassung zutreffend zu erfolgende Eingruppierung der Arbeitnehmerin N in die Entgeltgruppe 9 unter Beachtung der Protokollerklärung zu § 16 TV-Ü AWO NRW hinwies.
41c)
42Die vom Betriebsrat verweigerte Zustimmung war zu ersetzen, da kein Zustimmungsverweigerungsgrund im Sinne von § 99 Abs. 2 BetrVG vorliegt.
43Die Eingruppierung der Arbeitnehmerin N verstößt nicht gegen eine Bestimmung aus dem Tarifvertrag, so dass ein ausschließlich hier in Betracht kommender Zustimmungsverweigerungsgrund gemäß § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG nicht gegeben ist.
44aa)
45Zutreffend gehen die Beteiligten davon aus, dass für die Eingruppierung der Arbeitnehmerin N die folgenden Regelungen maßgebend sind:
46§ 16 Eingruppierung
47Abs. 1
48Bis zum Inkrafttreten der Eingruppierungsvorschriften des TV-AWO NRW (mit Entgeltordnung) gelten § 2 ÜbgTV BUND West in Verbindung mit dem Text der ehemaligen § 22 und § 22a BMT-AW II einschließlich des Tarifvertrages über die Tätigkeitsmerkmale zum BMT-AW II über den 31. Dezember 2007 hinaus fort…
49Abs. 2
50Abweichend von Abs. 1 gilt § 2 ÜbgTV in Verbindung mit dem ehemaligen Text des Tarifvertrages über die Tätigkeitsmerkmale zum BMT-AW II …nicht für ab dem 01. Januar 2008 in Entgeltgruppe 1 TV AWO NRW neu eingestellte Beschäftigte.
51…
52Protokollerklärung zu § 16:
53Die Tarifvertragsparteien sind sich darin einig, dass in der noch zu verhandelnden Entgeltordnung die bisherigen unterschiedlichen materiellen Wertigkeiten aus Fachhochschulabschlüssen (einschließlich Sozialpädagogen/innen und Ingenieuren/innen) auf das Niveau der vereinbarten Entgeltwerte der Entgruppe 9 ohne Mehrkosten (unter Berücksichtigung der Kosten für den Personenkreis, der nach der Übergangsphase nicht mehr in eine höhere bzw. niedrigere Entgeltgruppe eingruppiert ist) zusammengeführt werden; die Abbildung von Heraushebungsmerkmalen oberhalb der Entgeltgruppe 9 bleibt davon unberührt. Sollte hierüber bis zum 31. März 2010 keine einvernehmliche Lösung vereinbart werden, so erfolgt ab dem 01. April 2010 bis zum Inkrafttreten der Entgeltordnung die einheitliche Eingruppierung aller ab dem 01. April 2010 neu einzugruppierenden Beschäftigten mit Fachhochschulabschluss nach den jeweiligen Regeln der Entgeltgruppe 9 zu „Vb Tarifvertrag über die Tätigkeitsmerkmale zum BMT-AW II ohne Aufstieg nach IV b (mit und ohne FH-Abschluss).“
54bb)
55Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass bis zur hier streitgegenständlichen Eingruppierung eine neue Entgeltordnung gerade nicht verabschiedet wurde. Des Weiteren ist unstreitig, dass die betroffene Arbeitnehmerin tatsächlich als Integrationskraft die Tätigkeiten einer Erzieherin auszuüben hat und – ließe man ihren Fachhochschulabschluss unberücksichtigt – sie über § 16 Abs. 6 a Satz 3 TV-Ü AWO NRW in die Entgeltgruppe 8 einzugruppieren wäre. Sie erfüllt das Tätigkeitsmerkmal der Entgeltgruppe 6 und hätte bei Fortgeltung des alten Tarifrechts einen Anspruch auf eine Zulage nach § 16 Abs. 6 a in der bis zum 31.12.2016 geltenden Fassung gehabt.
56Soweit der Betriebsrat vorträgt, dass Frau N in einer Kindergartengruppe mit Kindern mit erhöhtem Förderbedarf als Integrationskraft zum Einsatz komme, wird hieraus im Einzelnen ein Grund für eine höhere Eingruppierung nicht erkennbar und hat der Betriebsrat seine Zustimmungsverweigerung am 18.10.2018 hierauf auch nicht gestützt. Ein Nachschieben von Zustimmungsverweigerungsgründen im Verfahren nach § 99 Abs. 4 BetrVG nach Ablauf der Wochenfrist aber scheidet aus (ständige Rechtsprechung des BAG, siehe nur BAG, Beschluss vom 17.11.2010 – 7 ABR 120/09 -, in: NZA-RR 2011, 415, Rdnr. 34; Erfurter Kommentar/Kania, 19. Auflage, § 99, Rdnr. 39).
57cc)
58Entgegen der Auffassung des Betriebsrats ergibt sich kein Anspruch auf die Eingruppierung in die Entgeltgruppe 9 aus der Protokollerklärung zu § 16 TV-Ü AWO NRW.
59Die Kammer schließt sich hier vollumfassend den zutreffenden Ausführungen der 2. Kammer des Arbeitsgerichts Hagen in dem Beschluss 2 BV 24/18 vom 17.04.2019 in einem gleichgelagerten Parallelverfahren der Beteiligten des vorliegenden Beschlussverfahrens an, wo es zur hier streitigen Problematik wie folgt heißt:
60„Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrages folgt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, der sich die Kammer anschließt, den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Danach ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne an den Buchstaben zu haften. Über den reinen Wortlaut hinaus ist wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und der damit von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Tarifnorm mit zu berücksichtigen, sofern und soweit er in den tariflichen Regelungen und ihrem systematischen Zusammenhang Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist stets auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert und nur so Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden können (vgl. BAG, Beschluss vom 27.07.2017, 6 AZR 701/16, juris, Randnr. 19; LAG Düsseldorf, Beschluss vom 10.10.2018, 4 TaBV 78/17, juris, Randnr. 128).
611.
62Dem Betriebsrat ist sicherlich zuzugeben, dass der letzte Satz der Protokollerklärung seinem reinen Wortlaut nach zunächst dahingehend verstanden werden könnte, allein das Vorliegen des Fachhochschulabschlusses ohne Rücksicht auf die ausgeübte Tätigkeit mit der Eingruppierung (mindestens) in die Entgeltgruppe 9 belohnen/wertschätzen zu wollen. Lediglich die Voraussetzung des Fachhochschulabschlusses wird ausdrücklich genannt, wohingegen die Ausübung einer entsprechenden Tätigkeit nicht explizit gefordert ist.
632.
64Gleichwohl ist auch in der Protokollnotiz von einer einheitlichen „Eingruppierung‘“ ebenso die Rede wie von den „jeweiligen Regeln der Entgeltgruppe 9…“.
65Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgericht, der sich die Kammer anschließt, ist der Begriff der Eingruppierung ein gedanklich wertender Vorgang, bei dem eine bestimmte Tätigkeit in ein abstraktes Vergütungsschema eingeordnet wird, in dem die dort zu einzelnen Entgeltgruppen aufgestellten abstrakten Merkmale mit den Anforderungen verglichen werden, die die zu bewertende Tätigkeit an den sie ausführenden Arbeitnehmer stellt. In einer zum Manteltarifvertrag für das private Versicherungsgewerbe ergangenen Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. BAG, Beschluss vom 26.04.2017, 4 ABR 37/14, juris, Randnr. 20) hatte das Bundesarbeitsgericht als Merkmal einer von diesen Grundsätzen abweichenden Zuordnung als entscheidend angesehen, dass die Tarifvertragsparteien nicht den Begriff „Eingruppieren“, sondern den Begriff „Einstufen“ verwendet haben.
66Genau das Gegenteil ist in den hier zu beurteilenden Vorschriften bzw. der Protokollnotiz der Fall. Nicht nur ist nach wie vor von einer „Eingruppierung“ die Rede, sondern es findet sich eben auch der Verweis auf die „jeweiligen Regeln der Entgeltgruppe 9 zu V b Tarifvertrag über die Tätigkeitsmerkmale zum BMT-AW II“, der ja wiederum auf die Ausübung einer entsprechenden Tätigkeit abstellt.
673.
68Die von der Kammer als richtig erachtete Wortlautinterpretation, nämlich das Festhalten an der bisherigen Eingruppierungssystematik, deckt sich auch mit dem Sinn und Zweck des § 16 TV-Ü AWO NRW in Verbindung mit der dazu ergangenen Protokollerklärung.
69Zutreffend dürfte der von dem Arbeitgeber herausgestellte Aspekt der Vereinheitlichung der Eingruppierung sämtlicher Arbeitnehmer mit Fachholschulabschluss und entsprechender Tätigkeit sein. Für diese sollte die „kleine EG 9“ eine Art Auffangtatbestand bilden.
70Nicht überzeugend ist hingegen die Argumentation des Betriebsrats hinsichtlich der allgemein angestrebten Aufwertung des Berufs der Erzieher etc..
71Auch im Bereich des öffentlichen Dienstes und der dort vom Betriebsrat angesprochenen Vergütungsregelung SuE (Sozial- und Erziehungsdienste) wurde gerade nicht vom Prinzip der Eingruppierung nach den ausgeübten Tätigkeiten abgewichen. Entscheidend sind auch dort nach wie vor die tatsächlich ausgeübten bzw. zugewiesenen Tätigkeiten, nicht jedoch allein die berufliche Qualifikation.
72Schlussendlich überzeugt vielmehr das Argument des Arbeitgebers, wonach es zu widersinnigen Ergebnissen führen würde, falls die Stelle einer der unteren Entgeltgruppen aus welchen Gründen auch immer mit einem Fachhochschulabsolventen oder gar einem Hochschulabsolventen besetzt würde. Entgegen der Auffassung des Betriebsrates kann es auch keine Rolle spielen, ob es sich hierbei um eine fachfremde Tätigkeit handelt oder nicht. Würde etwa die Stelle einer Altenpflegehelferin mit einer Arbeitnehmerin besetzt, die auch einen Fachhochschulabschluss besitzt, so müsste diese nach dem Verständnis des Betriebsrats in die Entgeltgruppe 9 eingruppiert werden, dies zunächst unabhängig von der Frage, ob sie fachfremde Tätigkeiten ausführt oder nicht. Würde die Stelle hingegen mit einer Ärztin besetzt werden, so erhielte diese lediglich die entsprechende Vergütung einer Altenpflegehelferin, obgleich sie durch den Hochschulabschluss nicht nur formal besser qualifiziert wäre, sondern es sich aufgrund des Heilberufs nicht einmal um eine fachfremde Tätigkeit handeln würde. Dieses Ergebnis kann von den Tarifvertragsparteien nicht gewollt sein, da es – wenn auch zugegeben eher theoretisch – gleichwohl zu untragbaren Ergebnissen führen würde.
73Die Interpretation des Betriebsrats lässt sich auch nicht damit erklären, dass auf diese Weise Druck auf die Tarifvertragsparteien ausgeübt werden sollte, möglichst schnell eine neue und praktikablen Entgeltordnung abzuschließen.“
74dd)
75Andere Zustimmungsverweigerungsgründe sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
76ee)
77Nach alledem war die beantragte Zustimmung zu ersetzen.
Verwandte Urteile
Keine verwandten Inhalte vorhanden.
Referenzen
- ZPO § 50 Parteifähigkeit 1x
- 2 BV 24/18 1x (nicht zugeordnet)
- § 2 ÜbgTV 2x (nicht zugeordnet)
- 6 AZR 701/16 1x (nicht zugeordnet)
- Beschluss vom Landesarbeitsgericht Hamm - 13 TaBV 40/13 1x
- ArbGG § 80 Grundsatz 1x
- ArbGG § 2a Zuständigkeit im Beschlußverfahren 2x
- 7 ABR 120/09 1x (nicht zugeordnet)
- BetrVG § 99 Mitbestimmung bei personellen Einzelmaßnahmen 11x
- 4 TaBV 78/17 1x (nicht zugeordnet)
- 4 ABR 37/14 1x (nicht zugeordnet)
- 7 TaBV 41/14 1x (nicht zugeordnet)