Beschluss vom Arbeitsgericht Kiel (1. Kammer) - 1 Ca 755 b/05

Tenor

Auf die Beschwerde vom 05.09.2005 gegen den Beschluss vom 24.08.2005 hin wird der Beschluss aufgehoben und durch folgenden Beschluss ersetzt:

Der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten ist gegeben.

Gründe

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I. Die Parteien streiten zunächst über die Rechtswegzuständigkeit.

2

Der Kläger hat mit der Klage vom 24.03.2005 einen Kündigungsschutzantrag gestellt und mit der Klagerweiterung vom 19.05.2005 sowie Schriftsatz vom 01.11.2005 Zahlungen geltend gemacht.

3

Der in Brasilien lebende deutsche Kläger ist für die Beklagte auf Basis eines als „Vertriebsvereinbarung“ bezeichneten Vertrages beschäftigt. Der in Deutsch abgefasste Vertrag enthält keine Rechtswahl. Gegenstand des Vertrags war allein eine Tätigkeit in Brasilien.

4

Der Kläger behauptet, er sei bei der Beklagten als Arbeitnehmer beschäftigt worden, insofern seien die Arbeitsgerichte zuständig.

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Die Beklagte ist der Auffassung, dass der Kläger kein Arbeitnehmer, sondern freier Handelsvertreter sei. Insofern sei der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten nicht gegeben. Hinsichtlich der Rechtswegzuständigkeit richte sich das Verfahren alleine nach deutschem Prozessrecht. Insofern sei der Arbeitnehmer-Begriff gemäß deutschem Recht zugrunde zu legen. Für den Kündigungsschutzantrag komme die „sic-non-Rechtsprechung“ des Bundesarbeitsgerichts nicht in Betracht, da hinsichtlich der Rechtswegzuständigkeit deutsches und hinsichtlich der Begründetheit brasilianisches Arbeitsrecht Anwendung findet. Insofern sei der Arbeitnehmerbegriff in beiden Bereichen gerade nicht einheitlich.

6

Das Gericht hat mit Beschluss vom 24.08.2005 den Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen für unzulässig erklärt und die Sache an das Landgericht Kiel verwiesen. In der Begründung geht das Gericht erkennbar vom deutschen Arbeitnehmerbegriff aus und führt aus, dass der Kläger kein Arbeitnehmer, sondern freier Handelsvertreter sei. Auf die „sic-non-Rechtsprechung“ des Bundesarbeitsgerichtes geht das Gericht nicht ein.

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Gegen vorstehenden, am 25.08.2005 zugestellten Beschluss hat der Kläger mit Schriftsatz vom 05.09.2005, bei Gericht am 07.09.2005 eingegangenen, Beschwerde erhoben mit der Begründung, der Kläger sei Arbeitnehmer und hätte als Selbstständiger in Brasilien nicht tätig werden dürfen und sei auch nicht als Selbstständiger tätig geworden.

8

Mit Beschluss vom 09.11.2005 hat das Gericht die Zahlungsansprüche abgetrennt.

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II. Das Verfahren befindet sich zurzeit im Stadium der Abhilfe- /Nichtabhilfe-Entscheidung über die Beschwerde zum Beschluss vom 24.08.2005.

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Auf die Beschwerden des Klägers hin war im Rahmen der Abhilfe der Beschluss aufzuheben und die Rechtswegzuständigkeit der Arbeitsgerichte auszusprechen.

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1. Für die Kündigungsschutzklage ist der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten gegeben unter Berücksichtigung der „sic-non-Rechtsprechung“ des Bundesarbeitsgerichts (BAG AP Nr. 1 zu § 2 ArbGG Zuständigkeitsprüfung), da der Umstand, ob zwischen den Parteien im Zeitpunkt der streitgegenständlichen Kündigung ein Arbeitsverhältnis besteht oder bestand, doppelrelevant im Sinne vorgenannter Rechtsprechung ist. Ob ein Arbeitsverhältnis besteht, ist sowohl für die Rechtswegzuständigkeit als auch für die Begründetheit der Kündigungsschutzklage entscheidend. In diesen Fällen ist unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung und der Vermeidung divergierender Entscheidungen die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte zu unterstellen und die Sache materiell in der Begründetheit zu entscheiden.

12

2. Vorliegend handelt es sich um eine „sic-non-Konstellation“ im Sinne der Rechtsprechung.

13

Der Einwand der Beklagtenseite, dass die „sic-non-Rechtsprechung“ hier keine Anwendung finde, da für die Zuständigkeit der deutsche Arbeitnehmerbegriff, für die Begründetheit aber der brasilianische Arbeitnehmerbegriff Anwendung finde und insofern die Voraussetzung der Einheitlichkeit im Sinne des „sic-non“-Falles nicht gegeben sei, trifft aus Sicht des Gerichts nicht zu.

14

Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte ergibt sich nach der Theorie der Doppelrelevanz aus der örtlichen Zuständigkeit. Dies bedeutet, dass das Arbeitsgericht Kiel sowohl örtlich als auch international zuständig ist aufgrund des Gerichtsstands „Sitz der Beklagten“ gem. § 17 ZPO. Da deutsche Gerichte - auch - zuständig sind, gilt deutsches Prozessrecht. Der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten ist gemäß § 2 ArbGG nur gegeben, wenn es um einen Rechtsstreit aus einem Arbeitsverhältnis geht. Der Begriff des Arbeitsverhältnisses ist im ArbGG in § 5 nicht ausdrücklich geregelt. Vielmehr richtet er sich nach materiellem Recht (GK, ArbGG, § 5 Rn. 13, Schwab / Weth, ArbGG, 2004, § 5 Rn. 12). Das Arbeitsgerichtsgesetz setzt den Begriff voraus und definiert ihn nicht näher. Insofern ergibt sich der Begriff des Arbeitsverhältnisses nicht aus dem Prozessrecht. Es besteht keine Veranlassung, hierfür deutsches Recht zu verwenden. Nach der lex causae findet auch im Rahmen der Zuständigkeitsüberprüfung das materielle Recht Anwendung, welches ohnehin im Rahmen der Begründetheit gilt. Dies hat das BAG zwar nicht ausdrücklich für den Arbeitnehmerbegriff entschieden, jedoch für die Definition des Erfüllungsortes. Der Begriff des Erfüllungsortes wird in gleicher Weise nicht im Prozessrecht - also im § 29 ZPO - geregelt, sondern leitet sich aus dem materiellen Recht ab. Wenn deutsches materielles Recht keine Anwendung findet, bestimmt sich insofern der Erfüllungsort nach der ausländischen Rechtsordnung (vgl. BAG AP Nr. 13, 21 zu § 38 ZPO internationale Zuständigkeit).

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Vorliegend findet brasilianisches Recht Anwendung. Gemäß Art. 28 Abs. 2 EGBGB (für den Fall, dass es sich nicht um ein Arbeitsverhältnis handelt) bzw. gem. Art. 30 Abs. 2 EGBGB (für den Fall, dass es sich um ein Arbeitsverhältnis handelt), richtet sich das Arbeitsverhältnis nach dem Recht des Staates, in dem der Vertragspartner in Erfüllung des Vertrages gewöhnlich seine Tätigkeit verrichtet. Dies ist vorliegend Brasilien. Insofern laufen die Zuständigkeit und die materielle Begründetheit hinsichtlich des Arbeitnehmerbegriffs - wie für die „sic-non-Konstellation“ erforderlich - parallel (nach brasilianischem Recht).


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