Beschluss vom Bundesfinanzhof (7. Senat) - VII B 181/09
Tatbestand
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I. Die Klägerin und Beschwerdegegnerin (Klägerin) meldete im August 1999 eine Sendung Schweinefleisch zur Ausfuhr nach Russland an. Mit Schreiben vom 12. Oktober 1999 wurde dem Beklagten und Beschwerdeführer (Hauptzollamt --HZA--) eine russische Verzollungsbescheinigung vorgelegt, die das HZA jedoch als ein sog. Vorpapier ansah und nicht als Primärnachweis gemäß Art. 16 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung (EG) Nr. 800/1999 (VO Nr. 800/1999) anerkannte (Schreiben an die Klägerin vom 21. Oktober 1999). Daraufhin übersandte die Klägerin mit Schreiben vom 11. Juni 2001 eine Bescheinigung der deutschen Botschaft in Moskau als Sekundärnachweis gemäß Art. 16 Abs. 2 Buchst. b VO Nr. 800/1999. Das HZA antwortete mit Schreiben vom 21. Januar 2002, dass es diese Bescheinigung der Botschaft nicht als Sekundärnachweis anerkenne, weil sie sich auf das Vorpapier und nicht auf das Zolldokument beziehe. Die Klägerin wurde aufgefordert, die in ihrem vorangegangenem Schreiben genannte Entladebescheinigung und den Zahlungsnachweis zu übersenden, da diese nach einer Entscheidung der Kommission (sog. Russland-Entscheidung) zusammen mit dem Beförderungspapier als gleichwertiger Einfuhrnachweis gälten, und darauf hingewiesen, dass die Vorlagefrist für diese Ersatznachweise zwar bereits am 12. August 2001 abgelaufen sei, jedoch 85 % der beantragten Erstattung gewährt werden könne, falls diese Dokumente bis zum 12. Februar 2002 eingereicht würden. Nachdem die Klägerin auch in der Folgezeit keine weiteren Einfuhrnachweise vorgelegt hatte, lehnte das HZA die beantragte Erstattung ab.
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Auf die hiergegen nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage, hob das Finanzgericht (FG) den Ablehnungsbescheid auf und verpflichtete das HZA, die beantragte Ausfuhrerstattung zu gewähren. Das FG urteilte, dass die russische Verzollungsbescheinigung zwar nicht als Primärnachweis anerkannt werden könne, dass die Klägerin aber den Nachweis der Erfüllung der Zollförmlichkeiten für die Einfuhr durch die vorgelegte Botschaftsbescheinigung erbracht habe. Hierbei handele es sich um einen Sekundärnachweis, der die Voraussetzungen des Art. 16 Abs. 2 Buchst. b VO Nr. 800/1999 erfülle und der auch fristgerecht vorgelegt worden sei, weil das HZA mit Schreiben vom 21. Januar 2002 die Botschaftsbescheinigung nicht als verspätet vorgelegt zurückgewiesen, sondern ausgeführt habe, dass die Frist von zwölf Monaten am 12. August 2001 abgelaufen sei, und damit die Vorlage als fristgerecht anerkannt und konkludent Fristverlängerung gewährt habe.
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Hiergegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde des HZA, welche es auf den Zulassungsgrund des Verfahrensmangels (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) in Gestalt einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör stützt.
Entscheidungsgründe
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II. Die Beschwerde führt gemäß § 116 Abs. 6 FGO zur Aufhebung des Urteils des FG und zur Zurückverweisung der Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung. Der von der Beschwerde in zulässiger Weise geltend gemachte Verfahrensmangel der Verletzung des Anspruchs des HZA auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes, § 96 Abs. 2 FGO) liegt vor und das Urteil des FG beruht auch auf diesem Verfahrensmangel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO).
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Die Beschwerde legt schlüssig dar, dass mit dem FG-Urteil, soweit es angefochten worden ist, gegen § 96 Abs. 2 FGO verstoßen wurde, indem sie ausführt, dass und weshalb das HZA nicht damit rechnen musste, das FG werde von einer der Klägerin konkludent gewährten Fristverlängerung für die Vorlage des Einfuhrnachweises ausgehen, was das HZA vorgetragen hätte, falls von Seiten des FG ein entsprechender Hinweis auf diese Möglichkeit der konkludenten Fristverlängerung gegeben worden wäre, und dass unter Berücksichtigung dieses Vorbringens die Entscheidung möglicherweise anders ausgefallen wäre.
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Der gerügte Verfahrensmangel liegt auch vor.
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Nach § 96 Abs. 2 FGO, der im finanzgerichtlichen Verfahren der Verwirklichung des verfassungsrechtlich garantierten Anspruchs auf rechtliches Gehör dient, darf das Urteil nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen die Beteiligten sich äußern konnten. Aus dieser Vorschrift folgt u.a. das Verbot von Überraschungsentscheidungen; ein bisher nicht erörterter Gesichtspunkt, der dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der ein kundiger Beteiligter nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht hat rechnen müssen, darf nicht zur Grundlage der Entscheidung gemacht werden (Senatsurteil vom 21. August 2007 VII R 37/04, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 2008, 254, m.w.N.).
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Soweit das FG geurteilt hat, das HZA habe der Klägerin mit seinem Schreiben vom 21. Januar 2002 konkludent eine Fristverlängerung für die Vorlage des Einfuhrnachweises gewährt, handelt es sich um eine solche Überraschungsentscheidung.
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Das HZA hat zwar mit dem Ablehnungsbescheid darauf hingewiesen, dass im Streitfall die zwölfmonatige Frist für die Vorlage der Erstattungsunterlagen (Art. 49 Abs. 2 Unterabs. 1 VO Nr. 800/1999) mit dem 14. August 2000 und die sechsmonatige Nachfrist (Art. 50 Abs. 2 Unterabs. 1 VO Nr. 800/1999) mit dem 15. Februar 2001 endete; bezogen auf die von der Klägerin mit Schreiben vom 11. Juni 2001 als Sekundärnachweis vorgelegte Botschaftsbescheinigung wurde jedoch deren Vorlage erst nach Ablauf dieser Fristen weder im außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahren noch im finanzgerichtlichen Verfahren streitig erörtert. Allein die Frage, ob mit der Botschaftsbescheinigung der Einfuhrnachweis erbracht werden könne, war zwischen den Beteiligten umstritten.
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Zwar musste es dem HZA als sachkundigem Beteiligten klar sein, dass das FG, sollte es die Botschaftsbescheinigung als Sekundärnachweis anerkennen, die fristgerechte Vorlage dieser Bescheinigung würde prüfen müssen; es musste jedoch nicht damit rechnen, dass das FG dem HZA-Schreiben vom 21. Januar 2002 eine konkludent gewährte Fristverlängerung entnehmen würde. Weder war diese Möglichkeit im Verlauf des Verfahrens angesprochen worden noch war sie so nahe liegend, dass das HZA auch ohne einen hierauf gerichteten Hinweis eine solche Würdigung durch das FG in Betracht ziehen musste.
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Eine Fristverlängerung für die Vorlage der Einfuhrnachweise kann nach Art. 49 Abs. 4 und 5 VO Nr. 800/1999 nur auf einen vor Fristablauf gestellten Antrag gewährt werden, wenn der Ausführer alles in seiner Macht Stehende für die fristgerechte Beschaffung des Einfuhrnachweises unternommen hat.
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- Sollte das FG meinen, dieser Antrag könne auch konkludent gestellt werden, so fehlt es jedenfalls an Hinweisen im angefochtenen Urteil, welchem Verhalten der Klägerin vor Fristablauf, also vor dem 14. August 2000, das FG eine konkludente Antragstellung entnommen hat. Das Schreiben der Klägerin vom 11. Juni 2001 dürfte insoweit nicht in Betracht kommen.
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- Sollte das FG meinen, es bedürfe für die Fristverlängerung durch das HZA keines entsprechenden Antrags des Ausführers, wäre dies eine Rechtsauffassung, die sich auf höchstrichterliche Rechtsprechung jedenfalls nicht stützen ließe.
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- Zwar ließe sich die Ansicht vertreten, eine vom HZA von Amts wegen gewährte Fristverlängerung sei trotz rechtlicher Zweifel, ob das HZA in dieser Weise verfahren darf, jedenfalls wirksam. Allerdings ergeben sich aus dem HZA-Schreiben vom 21. Januar 2002 keine Hinweise, welche bei objektiver Betrachtungsweise auf einen entsprechenden Willen des HZA, der Klägerin für die Vorlage des Sekundärnachweises Fristverlängerung zu gewähren, hindeuten. Soweit das HZA in diesem Schreiben auf die Vorlagefristen eingeht und den 12. August 2001 als Tag des Fristablaufs benennt, bezieht es sich zweifellos nur auf die von der Kommission verlängerte Frist für die Einreichung der nach der Russland-Entscheidung anzuerkennenden Ersatznachweise. Hinsichtlich der Frist für die Vorlage des Sekundärnachweises gemäß Art. 16 Abs. 2 Buchst. b VO Nr. 800/1999 schweigt dagegen das HZA, was möglicherweise darauf zurückzuführen ist, dass es eine Stellungnahme zur Vorlagefrist für entbehrlich hielt, da es die Botschaftsbescheinigung ohnehin nicht als Sekundärnachweis ansah. Jedenfalls dürfte es schwerlich in Betracht kommen, aus dem Schweigen des HZA zur Frage der fristgerechten Vorlage eine konkludent von Amts wegen gewährte Fristverlängerung herzuleiten. Dies kommt umso weniger in Betracht, als das HZA die Klägerin noch mit Schreiben vom 21. Oktober 1999 auf den für eine Fristverlängerung erforderlichen Antrag und die insoweit zu erfüllenden Voraussetzungen ausdrücklich hingewiesen hatte.
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Die Annahme, aus dem Schreiben des HZA vom 21. Januar 2002 ergebe sich eine der Klägerin für die Vorlage der Botschaftsbescheinigung konkludent gewährte Fristverlängerung, ist nach alledem so fernliegend, dass das HZA mit dieser Wendung im gerichtlichen Verfahren nicht rechnen musste. Indem das FG diese Ansicht gleichwohl vertrat, ohne dem HZA Gelegenheit zu geben, hierzu Stellung zu nehmen, hat es dessen Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das FG-Urteil anders ausgefallen wäre, falls das HZA Gelegenheit gehabt hätte, seine Einwendungen gegen diese Betrachtungsweise des FG vorzutragen. Das FG-Urteil beruht daher auf dem Verfahrensmangel.
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Referenzen
- FGO § 116 1x
- FGO § 96 3x
- FGO § 115 1x
- 2007 VII R 37/04 1x (nicht zugeordnet)