Beschluss vom Bundesfinanzhof (1. Senat) - I B 94/10

Tatbestand

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I. Die Beteiligten streiten über die Auslegung des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Singapur zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen vom 19. Februar 1972 (BGBl II 1973, 374, BStBl I 1973, 514 --DBA-Singapur 1972--).

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Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) war im Streitjahr (2005) für ein deutsches Unternehmen nichtselbständig tätig. Sie hatte in Deutschland einen Wohnsitz und ihren Lebensmittelpunkt, übte ihre Arbeit aber überwiegend in Singapur aus. An insgesamt 97 Tagen des Streitjahres hielt sie sich in anderen Staaten des pazifisch-asiatischen Raums auf.

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In ihrer Einkommensteuererklärung behandelte die Klägerin ihren im Streitjahr erzielten Arbeitslohn als insgesamt steuerfrei. Sie legte einen Steuerbescheid aus Singapur vor, ausweislich dessen das Arbeitseinkommen in Höhe von … Singapur-Dollar (SGD) zu einem Teil, nämlich für 233 von 365 Tagen, in Singapur besteuert worden war; die in Singapur gezahlte Steuer belief sich auf … SGD. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) erließ im Anschluss an die Steuererklärung einen Einkommensteuerbescheid, gegen den die Klägerin Einspruch einlegte.

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Im Einspruchsverfahren legte die Klägerin eine weitere Steuerbescheinigung aus Singapur vor. Danach war nunmehr ihr gesamtes Arbeitseinkommen in Singapur besteuert worden; die insgesamt festgesetzte Steuer belief sich auf … SGD. Die Differenz zwischen diesem und dem zuvor festgesetzten Betrag (… SGD), also … SGD (umgerechnet … €), hat die Klägerin im Jahr 2008 gezahlt.

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Das FA ging im weiteren Verlauf davon aus, dass nach Art. 14 Abs. 1 DBA-Singapur 1972 der Arbeitslohn nur insoweit dem Besteuerungsrecht Singapurs unterliege, als er auf die in Singapur verbrachten Arbeitstage zuzüglich der An- und Abreisetage bei Reisen in Drittstaaten und der Wochenenden unterfalle. Der auf Arbeitstage mit Aufenthalt in Drittstaaten entfallende Arbeitslohn dürfe dagegen in Deutschland besteuert werden. Das FA ermittelte die demnach in Deutschland zu besteuernden Einkünfte mit … € und setzte auf dieser Basis in der Einspruchsentscheidung die Steuer höher als zuvor fest. Die daraufhin erhobene Klage hat das Finanzgericht (FG) abgewiesen (FG Düsseldorf, Urteil vom 26. Mai 2010  7 K 1462/09 E), ohne die Revision gegen sein Urteil zuzulassen.

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Mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde macht die Klägerin geltend, dass die Revision nach § 115 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zuzulassen sei.

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Das FA tritt der Nichtzulassungsbeschwerde entgegen.

Entscheidungsgründe

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II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unbegründet. Die von der Klägerin geltend gemachten Gründe für eine Zulassung der Revision liegen, soweit sie ordnungsgemäß dargelegt worden sind, im Streitfall nicht vor.

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1. Nach § 115 Abs. 2 FGO ist die Revision u.a. dann zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr. 1) oder wenn die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung oder die Fortbildung des Rechts eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs erfordert (Nr. 2). Wird auf einen dieser Gründe eine Nichtzulassungsbeschwerde gestützt, so muss der betreffende Grund in der Beschwerdebegründung dargelegt werden (§ 116 Abs. 3 Satz 3 FGO). Bei der Entscheidung über die Nichtzulassungsbeschwerde kann nur denjenigen Gründen, die ordnungsgemäß dargelegt sind, inhaltlich nachgegangen werden.

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2. Eine grundsätzliche Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO ist gegeben, wenn im konkreten Einzelfall eine Rechtsfrage entscheidungserheblich ist, die im Interesse der Allgemeinheit der Klärung bedarf. Als eine solche ist in der Beschwerdebegründung der Klägerin die Frage bezeichnet, ob bei der Anwendung des Art. 14 DBA-Singapur 1972 eine nichtselbständige Arbeit auch dann als in einem der Vertragsstaaten "ausgeübt" angesehen werden kann, wenn der Arbeitnehmer sich tatsächlich nicht zum Zweck der Arbeitsausübung in jenem Staat aufgehalten hat. Es bedarf jedoch keiner Klärung durch ein Revisionsverfahren, dass diese Frage zu verneinen ist.

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Denn es kann schon nach dem allgemeinen Sprachgebrauch nicht ernsthaft in Frage gestellt werden, dass der Ort der "Ausübung" einer Tätigkeit sich stets dort befindet, wo der Arbeitnehmer sich im Zusammenhang mit jener Tätigkeit tatsächlich aufhält. Es kommt insoweit nicht darauf an, ob der Aufenthalt langfristig oder kurzfristig ist oder ob die an jenem Ort ausgeübte inhaltlich mit einer anderenorts ausgeübten Tätigkeit zusammenhängt. Insbesondere wird eine Arbeitstätigkeit nicht allein deshalb im abkommensrechtlichen Sinne an einem anderen Ort als dem tatsächlichen Aufenthaltsort "ausgeübt", weil sie sich als Annex zu einer woanders ausgeübten Tätigkeit darstellt oder von einem anderen Ort aus begonnen oder dort abgeschlossen wird. Davon ist der Senat stets ausgegangen (vgl. dazu nur Senatsurteile vom 5. Oktober 1977 I R 250/75, BFHE 123, 341, BStBl II 1978, 50 zum Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung --DBA-- mit Liberia; vom 14. Dezember 1988 I R 148/87, BFHE 155, 374, BStBl II 1989, 319 zum DBA mit Italien), und sowohl die Finanzverwaltung als auch das Schrifttum sind dem gefolgt (z.B. Bundesministerium der Finanzen, Schreiben vom 14. September 2006, BStBl I 2006, 532, Tz 27; Wassermeyer in Debatin/Wassermeyer, Doppelbesteuerung, Art. 15 MA Rz 73 f.; Schmidt in Haase, Außensteuergesetz, Doppelbesteuerungsabkommen, Art. 15 MA Rz 90 f.; Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 3. Aufl., Rz 16.425). Ausnahmen von dem dort aufgestellten Grundsatz gelten nur dort, wo ein DBA insoweit besondere Regelungen trifft, wie dies z.B. im DBA mit der Schweiz im Hinblick auf leitende Angestellte der Fall ist (dazu Senatsurteile vom 25. Oktober 2006 I R 81/04, BFHE 215, 237, BStBl II 2010, 778; vom 11. November 2009 I R 83/08, BFHE 227, 402, BStBl II 2010, 781); solche Regelungen enthält das DBA-Singapur 1972 nicht. Daher ist die von der Klägerin bezeichnete Frage nicht klärungsbedürftig, was eine Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO ausschließt.

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3. Die von ihr geltend gemachten Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO hat die Klägerin nicht i.S. des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO dargelegt. Das bedarf gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 FGO keiner Begründung. Der Senat weist deshalb nur um der Vollständigkeit willen darauf hin, dass die von der Klägerin insoweit gerügte Beurteilung seitens des FG der höchstrichterlichen Rechtsprechung entspricht: Danach entfaltet eine Freistellungsbescheinigung, die dem Arbeitgeber gemäß § 39b Abs. 6 des Einkommensteuergesetzes für Zwecke des Lohnsteuerabzugs erteilt worden ist, keine Bindungswirkung im Verhältnis zum Arbeitnehmer (Senatsurteil vom 13. März 1985 I R 86/80, BFHE 143, 455, BStBl II 1985, 500, m.w.N.); dieser Grundsatz greift, wie das FG zutreffend erkannt hat, im Streitfall durch.

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