Beschluss vom Bundesfinanzhof (7. Senat) - VII B 132/10
Tatbestand
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I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) wurde vom Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt --FA--) wegen rückständiger Lohnsteuern einer AG, deren Vorstand sie angehörte, nach § 69 der Abgabenordnung (AO) als Haftungsschuldnerin in Anspruch genommen. Gegen den Haftungsbescheid legte die Klägerin Einspruch ein und beantragte Aussetzung der Vollziehung (AdV), die das FA bis einen Monat nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung gewährte. Mit Bescheid vom 28. Juli 1998 wies das FA den Einspruch als unbegründet zurück und teilte der Klägerin mit, dass die AdV am 31. August 1998 beendet sei. Am 27. August 1998 erhob die Klägerin Klage. Eine erneute AdV beantragte sie nicht. Die Klage wurde vom Finanzgericht (FG) als unbegründet zurückgewiesen. Nach Zustellung des Urteils zahlte die Klägerin zwar die Gerichtskosten, nicht jedoch die Haftungssumme. Zunächst blieb das FA untätig. Erst im Dezember 2002 unternahm es Vollstreckungsversuche, die schließlich dazu führten, dass die Klägerin die Haftungsschuld in zwei Raten vollständig beglich. Die vom FA geltend gemachten Säumniszuschläge zahlte sie nicht, sondern verwies darauf, dass ihr das Urteil nicht zugestellt worden sei. Mit Abrechnungsbescheid vom 14. Oktober 2004 stellte das FA Säumniszuschläge in Höhe von 1.634,84 € fest. Dabei ging es davon aus, dass die Haftungsschuld mit Ablauf des 31. August 1998 fällig gewesen sei. Der Abrechnungsbescheid ist inzwischen bestandskräftig geworden. Den Antrag auf Erlass der Säumniszuschläge wegen verspäteter Vollstreckung lehnte das FA ab. Nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhob die Klägerin Klage, mit der sie die Verpflichtung des FA begehrte, ihr zumindest die Hälfte der Säumniszuschläge zu erlassen.
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Das FG wies die Klage mit der Begründung ab, dass das FA das ihm zustehende Ermessen zutreffend ausgeübt habe. Ein Anspruch der Klägerin auf Erlass der Säumniszuschläge bestehe nicht. Auf die Einleitung der Vollstreckung stelle das Gesetz in § 240 AO nicht ab. In zulässiger Weise habe das FA die Aussetzungsverfügung mit einer Nebenbestimmung in Form einer Befristung versehen. Für die Klägerin habe zweifelsfrei festgestanden, dass sie die Haftungsschuld mit Ablauf des 31. August 1998 hätte begleichen müssen. Einen erneuten Antrag auf AdV habe die Klägerin nicht gestellt, vielmehr sei sie untätig geblieben. Mit der zunächst unterbliebenen Vollstreckung habe das FA keinen Vertrauenstatbestand geschaffen. Da die Säumniszuschläge durch bestandskräftigen Abrechnungsbescheid festgestellt worden seien, könne die Klägerin das Bestehen der Säumniszuschläge im Rahmen eines Erlassverfahrens nach § 227 AO nicht mehr in Frage stellen. Im Übrigen sei keine Zahlungsverjährung eingetreten.
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Mit ihrer Beschwerde begehrt die Klägerin die Zulassung der Revision wegen eines gravierenden Rechtsanwendungsfehlers und Divergenz (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG habe in der Urteilsbegründung lediglich auf § 240 Abs. 1 Satz 1 AO Bezug genommen. Unberücksichtigt habe es dabei gelassen, dass der Gesetzgeber § 240 Abs. 1 Satz 2 AO --als Reaktion auf das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 25. Februar 1997 VII R 15/96 (BFHE 182, 480, BStBl II 1998, 2)-- mit Wirkung zum 1. August 1998 geändert und den Anwendungsbereich der Vorschrift u.a. auf Haftungsschulden ausgedehnt habe. Nach § 240 Abs. 1 AO a.F. hätten bei nicht rechtzeitiger Entrichtung von Haftungsschulden keine Säumniszuschläge erhoben werden dürfen. Gemäß Art. 97 § 16 Abs. 4 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung 1977 (EGAO) sei § 240 Abs. 1 AO i.d.F. des Art. 5 des Gesetzes vom 23. Juni 1998 (BGBl I, 1496) erstmals auf Säumniszuschläge anzuwenden, die nach dem 31. Juli 1998 entstanden seien. Im Streitfall sei die Klägerin vor diesem Datum als Haftungsschuldnerin in Anspruch genommen worden, so dass die Erhebung von Säumniszuschlägen eine Rückwirkung entfalte. Die Nichtberücksichtigung der ursprünglichen Fassung des § 240 Abs. 1 AO --die eine Erhebung von Säumniszuschlägen bei Haftungsschulden nicht zuließ-- stelle einen qualifizierten Rechtsanwendungsfehler dar. Durch die Nichtzahlung auf die Haftungsschuld habe die Klägerin eine schutzwürdige Disposition getroffen. Zum Zeitpunkt der Gesetzesänderung sei der haftungsbegründende Tatbestand bereits erfüllt gewesen, weshalb von einer unzulässigen echten Rückwirkung auszugehen sei. Bei der Überprüfung der Ermessensentscheidung habe das FG die Verletzung des Rückwirkungsverbots und das Vorliegen von sachlichen Billigkeitsgründen unberücksichtigt gelassen und eine objektiv willkürliche Entscheidung getroffen. Zudem habe es dem Fehlverhalten des FA keine entscheidende Bedeutung beigemessen. Schließlich weiche das erstinstanzliche Urteil von der Entscheidung des BFH in BFHE 182, 480, BStBl II 1998, 2 ab.
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Das FA ist der Beschwerde entgegengetreten. Es ist der Auffassung, dass die Klägerin einen qualifizierten Rechtsanwendungsfehler nicht schlüssig dargelegt habe. Denn aus der Sicht des FG habe sich ihm die Anwendung der ursprünglichen Fassung des § 240 Abs. 1 AO nicht aufdrängen müssen. Art. 97 § 16 Abs. 4 EGAO stelle nicht auf die Fälligkeit der Haftungsschuld, sondern auf die Entstehung der Säumniszuschläge ab. Diese Zuschläge entstünden allein durch Zeitablauf bei Eintritt der Säumnis. Im Streitfall sei die Fälligkeit der Haftungsschuld mit Ablauf des 31. August 1998 eingetreten. Erst ab diesem Zeitpunkt schulde die Klägerin Säumniszuschläge. Die geänderte Fassung des § 240 Abs. 1 AO sei nach dem 31. Juli 1998 anzuwenden gewesen, weshalb das FG § 240 Abs. 1 AO a.F. zu Recht unberücksichtigt habe lassen dürfen. Zudem liege die behauptete Divergenz nicht vor.
Entscheidungsgründe
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II. Die Beschwerde ist unbegründet. Entgegen der Auffassung der Beschwerde hat das FG bei seiner Entscheidungsfindung keinen schwerwiegenden Rechtsfehler begangen, der das Urteil als greifbar gesetzwidrig erscheinen lässt. Auch die behauptete Divergenz liegt nicht vor.
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1. Eine Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zur Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung kann dann in Betracht kommen, wenn das angefochtene Urteil auf einem so schweren Rechtsfehler beruht, dass sein Fortbestand das Vertrauen in die Rechtsprechung beschädigen könnte (Senatsbeschluss vom 7. Juli 2004 VII B 344/03, BFHE 206, 226, BStBl II 2004, 896). Das ist der Fall, wenn sich die Entscheidung als objektiv willkürlich darstellt oder greifbar gesetzwidrig ist. Dafür reicht es jedoch nicht aus, dass sie im Ergebnis Zweifeln begegnet oder sogar eindeutig fehlerhaft ist (BFH-Beschluss vom 4. November 2004 I B 43/04, BFH/NV 2004, 707, m.w.N.). Eine Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO kommt vielmehr nur dann in Betracht, wenn das Urteil unter keinem Gesichtspunkt rechtlich vertretbar ist und sich deshalb der Schluss aufdrängt, dass es auf sachfremden Erwägungen beruht (BFH-Beschluss vom 13. Oktober 2003 IV B 85/02, BFHE 203, 404, BStBl II 2004, 25).
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Im Streitfall weist das Urteil des FG einen solch schwerwiegenden Rechtsfehler nicht auf. Vielmehr beruht es auf nachvollziehbaren Erwägungen und Schlussfolgerungen, die rechtlich vertretbar sind und sachfremde Überlegungen nicht erkennen lassen. Dies trifft insbesondere auf den Vorwurf der Klägerin zu, das FG habe die Änderung des § 240 Abs. 1 AO unberücksichtigt gelassen. Ausweislich der Urteilsbegründung hat das FG § 240 Abs. 1 Satz 1 AO auf den Streitfall angewandt, ohne ausdrücklich auf die in Art. 97 § 16 Abs. 4 EGAO getroffene Regelung Bezug zu nehmen. Dazu bestand aber auch keine Veranlassung. Für die Zulässigkeit der Erhebung von Säumniszuschlägen kommt es nicht auf den Zeitpunkt der Erfüllung des Haftungstatbestands des § 69 AO an, sondern auf die Nichtentrichtung des Haftungsbetrags. Nach der --zutreffenden-- materiell-rechtlichen Auffassung des FG war die Klägerin verpflichtet, die Haftungsschuld spätestens am 31. August 1998 zu begleichen, d.h. zu einem Zeitpunkt, zu dem die Neuregelung des § 240 Abs. 1 AO bereits in Kraft getreten war. Im Übrigen hat das FG zutreffend ausgeführt, dass § 240 Abs. 1 AO nicht auf die Einleitung der Vollstreckung abstellt.
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Selbst wenn aber dem FG der Vorwurf gemacht werden könnte, es habe die Problematik gänzlich übersehen oder in den Urteilsgründen nicht aufgearbeitet, die sich aus der Anwendung der geänderten Vorschrift des § 240 Abs. 1 AO auf den Streitfall ergeben könnte, würde darin kein solch schwerwiegender Rechtsanwendungsfehler liegen, der zwingend eine Zulassung der Revision erfordern würde.
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2. Die von der Klägerin behauptete Divergenz zur Senatsentscheidung in BFHE 182, 480, BStBl II 1998, 2 liegt deshalb nicht vor, weil das FG keinen Rechtssatz aufgestellt hat, der von dieser Entscheidung abweicht. Dort hatte der Senat zu § 240 Abs. 1 AO a.F. die Rechtsansicht vertreten, dass der Begriff "Steuer" in § 240 Abs. 1 Satz 1 AO nicht Geldbeträge erfasst, die in einem Haftungsbescheid gegen den Haftungsschuldner festgesetzt worden sind. Ausweislich der Urteilsbegründung hat sich das FG mit der alten Fassung des § 240 Abs. 1 AO überhaupt nicht befasst. Auch bestand aus seiner Sicht kein Anlass, sich mit der genannten Senatsentscheidung näher auseinanderzusetzen und etwaige abweichende Rechtsmeinungen zu bilden.
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Referenzen
- FGO § 115 2x
- § 240 Abs. 1 Satz 1 AO 3x (nicht zugeordnet)
- § 69 AO 1x (nicht zugeordnet)
- 1997 VII R 15/96 1x (nicht zugeordnet)
- § 240 Abs. 1 AO 12x (nicht zugeordnet)
- § 227 AO 1x (nicht zugeordnet)
- § 240 AO 1x (nicht zugeordnet)
- 2004 VII B 344/03 1x (nicht zugeordnet)
- § 240 Abs. 1 Satz 2 AO 1x (nicht zugeordnet)
- § 16 Abs. 4 EGAO 2x (nicht zugeordnet)
- 2003 IV B 85/02 1x (nicht zugeordnet)
- 2004 I B 43/04 1x (nicht zugeordnet)