Beschluss vom Bundesfinanzhof (4. Senat) - IV S 15/10

Tatbestand

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I. Die Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Antragstellerin) ist ein Leasing-Fonds in der Rechtsform der GmbH & Co. KG, an der ca. ... Kommanditisten unmittelbar oder mittelbar über einen Treuhänder beteiligt waren. Den im Streitjahr 2003 entstandenen Gewinn aus der Veräußerung des verleasten Flugzeugs behandelte der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) nach einer Außenprüfung abweichend von der bisherigen Gewinnfeststellung als nicht tarifbegünstigten laufenden Gewinn. Gegen den geänderten Gewinnfeststellungsbescheid hatte die Antragstellerin Einspruch erhoben und die Aussetzung der Vollziehung (AdV) des Bescheids beantragt. Nach Ablehnung des Antrags durch das Finanzgericht (FG) blieb auch die Beschwerde ohne Erfolg; sie wurde durch Beschluss des Senats vom 24. September 2010 IV B 34/10 (BFH/NV 2011, 241) zurückgewiesen.

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Mit Schriftsatz vom 26. November 2010 begehrt die Antragstellerin eine gerichtliche Festsetzung des Streitwerts. Hierzu trägt sie vor, von der pauschalen Ermittlung des Streitwerts für Gewinnfeststellungen mit 25 % des Gewinns oder Verlusts sei abzuweichen, wenn ohne besondere Ermittlungen erkennbar sei, dass der Satz den einkommensteuerlichen Auswirkungen nicht gerecht werde. Zwar lasse sich hier der genaue Steuereffekt nicht ermitteln. Es sei aber erkennbar, dass es von dem Ausgang des Verfahrens positiv und negativ betroffene Gesellschafter gebe. Negativ betroffen seien diejenigen, die nicht mehr von der Tarifvergünstigung des § 34 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) Gebrauch machen könnten, was maximal einen Steuersatznachteil von 24 % ausmache. Negativ seien auch Gesellschafter betroffen, die von der Anrechnung der Gewerbesteuer nach § 35 EStG keinen oder keinen umfassenden Gebrauch machen könnten. Positiv wirke sich der Ausgang des Rechtsstreits demgegenüber auf solche Gesellschafter aus, die ursprünglich nicht in den Genuss der tarifbegünstigten Besteuerung eines Veräußerungsgewinns gekommen wären, jetzt aber von der Anrechnung nach § 35 EStG Gebrauch machen könnten und daraus ggf. sogar eine Überkompensation erreichen würden. Der Anteil von Verlierern und Gewinnern unter den Gesellschaftern lasse sich aus dem Abstimmungsverhalten zu dem Beschluss darüber ablesen, ob ein Rechtsbehelf gegen den geänderten Gewinnfeststellungsbescheid eingelegt werden solle. An dem betreffenden Beschluss hätte sich etwa die Hälfte der Gesellschafter beteiligt, wovon wiederum ca. 50 % für einen Rechtsbehelf gestimmt hätten. Demnach sei der Streitwert folgendermaßen zu ermitteln: Gewinn ... Mio. € x 25 % pauschaler Streitwert x 21 % Steuersatznachteil unter Berücksichtigung der Gewerbesteueranrechnung x 50 % abstimmende Gesellschafter x 50 % zustimmende Gesellschafter. Daraus ergebe sich ein Streitwert im Hauptsacheverfahren von rund ... €.

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Die Antragstellerin beantragt, den Streitwert des Verfahrens IV B 34/10 auf ... € festzusetzen.

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Das FA beantragt, den Streitwert für das Verfahren IV B 34/10 auf mindestens ... € festzusetzen.

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Es trägt vor, der Antrag auf Streitwertfestsetzung sei zulässig, weil unterschiedliche Auffassungen über die Höhe des Streitwerts bestünden. Nach der Rechtsprechung werde der Streitwert im Gewinnfeststellungsverfahren unabhängig von den persönlichen Verhältnissen der Gesellschafter mit 25 % des Gewinns bemessen. Betreffe der Streit die Höhe eines Veräußerungsgewinns, seien allerdings im Regelfall nur 15 % des Gewinns anzusetzen. Hier sei jedoch nicht die Höhe, sondern die Qualifikation des Gewinns streitig. Dafür seien 10 % bis 25 % bei sehr hohen Gewinnen anzusetzen. Ein derart hoher Gewinn sei bereits bei einem Betrag von ca. 327.000 DM angenommen worden (FG Köln, Beschluss vom 9. Februar 2009  10 Ko 2120/08, 10 Ko 2598/08, Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 2009, 978). Hier sei deshalb von 25 % auszugehen, so dass der Streitwert in einem Hauptsacheverfahren ... € betragen würde.

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Im Verfahren wegen AdV belaufe sich der Streitwert auf 10 % bis 25 % des Streitwerts im Hauptsacheverfahren. Der höhere Satz werde für gerechtfertigt gehalten, wenn sich die Bedeutung des Verfahrens nicht in einer späteren Steuerzahlung erschöpfe. Unter diesem Aspekt könne der Streitwert sogar bis zum Wert des Hauptsacheverfahrens angehoben werden. Hier habe der Bundesfinanzhof (BFH) umfassend zur im Hauptsacheverfahren streitigen Rechtsfrage Stellung genommen, so dass der Streitwert mit 25 % des Hauptsachestreitwerts zu bemessen sei. Insgesamt betrage der Streitwert deshalb ... €.

Entscheidungsgründe

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II. 1. Der Antrag auf Streitwertfestsetzung ist zulässig.

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Nach § 63 Abs. 2 Satz 2 des Gerichtskostengesetzes (GKG) setzt in der Finanzgerichtsbarkeit das Prozessgericht den Wert des Streitgegenstandes durch Beschluss fest, wenn ein Beteiligter oder die Staatskasse die Festsetzung beantragt oder das Gericht sie für angemessen erachtet. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH muss für den Antrag ein besonderes Rechtsschutzbedürfnis bestehen (vgl. z.B. Beschlüsse vom 17. November 1987 VIII R 346/83, BFHE 152, 5, BStBl II 1988, 287; vom 14. Juli 2009 VI S 10/09, Zeitschrift für Steuern und Recht 2009, R866). Dieses fehlt in der Regel, wenn sich die Höhe des Streitwerts aus den Anträgen der Beteiligten und der bisherigen Rechtsprechung des BFH zur Bemessung des Streitwerts in gleichartigen Fällen eindeutig ermitteln lässt (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 2. Oktober 1980 IV R 235/75, BFHE 131, 288, BStBl II 1981, 38; vom 23. Mai 2001 IV S 1/01, BFH/NV 2001, 1431).

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Es ist zwar geklärt, dass der Streitwert im Falle eines Streits über die Höhe des festzustellenden Veräußerungsgewinns im Regelfall 15 % des streitigen Betrags beträgt und bei sehr hohen Veräußerungsgewinnen in angemessenem Umfang anzuheben ist (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 14. Februar 2007 IV E 3/06, BFH/NV 2007, 1155, m.w.N.). Betrifft der Rechtsstreit nicht die Höhe, sondern die Qualifikation des Gewinns als Veräußerungsgewinn, ist der Streitwert unter Berücksichtigung des einkommensteuerlichen Vorteils aus der Tarifvergünstigung zu bemessen. Auf der Grundlage einer Tarifvergünstigung von 50 % des Regelsteuersatzes hat die Rechtsprechung in der Vergangenheit einen pauschalen Streitwert von 20 % (BFH-Beschluss vom 7. Dezember 1988 IV E 2/88, BFH/NV 1990, 51) bzw. 10 % bis 25 % (Beschluss des FG Köln in EFG 2009, 978) für angemessen gehalten. Zur im Streitfall maßgeblichen Rechtslage, nach der die Tarifvergünstigung in erster Linie in Gestalt der sog. Fünftel-Regelung des § 34 Abs. 1 EStG zu gewähren ist, hat der BFH noch nicht Stellung genommen.

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2. Der Streitwert für ein Verfahren, in dem um die Qualifikation gesondert und einheitlich festgestellter Gewinne als der Fünftel-Regelung unterliegende außerordentliche Einkünfte i.S. des § 34 Abs. 2 Nr. 1 EStG gestritten wird, ist pauschal mit 10 % des streitigen Gewinns zu bemessen, wenn nicht Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die betroffenen Mitunternehmer zu einem Großteil die Tarifvergünstigung nach § 34 Abs. 3 EStG beanspruchen können.

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Die Höhe des Streitwerts ist gemäß § 52 Abs. 1 GKG nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen. Die Zuordnung eines Gewinns zu den außerordentlichen Einkünften i.S. des § 34 Abs. 2 Nr. 1 EStG bedeutet für den Steuerpflichtigen, dass dieser Gewinn mit dem Steuersatz des § 34 Abs. 1 EStG belastet wird, wenn nicht ein Antrag nach § 34 Abs. 3 EStG gestellt werden kann und gestellt wird. Nach § 34 Abs. 1 EStG beträgt die für die außerordentlichen Einkünfte anzusetzende Einkommensteuer das Fünffache des Unterschiedsbetrags zwischen der Einkommensteuer für das um diese Einkünfte verminderte zu versteuernde Einkommen (verbleibendes zu versteuerndes Einkommen) und der Einkommensteuer für das verbleibende zu versteuernde Einkommen zuzüglich eines Fünftels dieser Einkünfte. Diese sog. Fünftel-Regelung bewirkt eine Tarifglättung, die je nach individuellem progressivem Tarif zu einem meist deutlich hinter dem Steuervorteil des ehemals halben Regelsteuersatzes zurückbleibt und bei Erreichen des Spitzensteuersatzes bereits aufgrund der regelbesteuerten Einkünfte keinen Steuervorteil bedeutet.

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Dies rechtfertigt nach Ansicht des Senats eine Reduzierung des pauschalen Streitwerts gegenüber dem bisher für nach dem halben Regelsteuersatz begünstigte Gewinne verwendeten Satz von bis zu 25 %. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass die Bemessung der Tarifbegünstigung nach einem Prozentsatz des Regelsteuersatzes umso größer ausfällt, je näher der Regelsteuersatz dem Spitzensteuersatz kommt, während der Steuervorteil aus der Fünftel-Regelung umgekehrt bei steigendem Steuersatz abnimmt. Der Senat hält danach einen Satz von 10 % für angemessen. Dieser ist nur auf bis zu 20 % anzuheben, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass ein Großteil der Feststellungsbeteiligten in den Genuss der antragsgebundenen Tarifvergünstigung nach § 34 Abs. 3 EStG kommen werden. Derartige Anhaltspunkte gibt es im Streitfall jedoch nicht.

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3. Der Streitwert in einem Verfahren wegen AdV ist unter Fortsetzung der bisherigen Rechtsprechung des BFH grundsätzlich mit 10 % des im Hauptsacheverfahren anzusetzenden Streitwerts zu bemessen (vgl. zuletzt BFH-Beschluss vom 14. Dezember 2007 IX E 17/07, BFHE 220, 22, BStBl II 2008, 199).

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a) Der Senat hat zwar erwogen, von der bisherigen Handhabung abzuweichen und den Streitwert auf 25 % des Hauptsachestreitwerts festzusetzen. Er hält die von einigen Finanzgerichten für eine Erhöhung genannten Gründe für überzeugend und geht davon aus, dass eine vom BFH vorgenommene Anhebung des Streitwerts auch zu einer Vereinheitlichung der Rechtsprechung der Finanzgerichte beitragen würde. Der Senat hat deshalb informell bei allen anderen Senaten des BFH angefragt, ob sie der vorgeschlagenen Anhebung des Streitwerts zustimmen würden. Mehrheitlich haben sich die Senate jedoch dagegen ausgesprochen.

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Eine Entscheidung durch den Großen Senat des BFH kann nach Auffassung des beschließenden Senats nicht erreicht werden. Da die Höhe des Streitwerts gemäß § 52 Abs. 1 GKG "nach Ermessen" zu bestimmen ist, würde der Senat mit der beabsichtigten Anhebung des Streitwerts nicht i.S. des § 11 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung von der Rechtsprechung anderer Senate abweichen. Denn eine Abweichung in einer Rechtsfrage kommt insoweit nicht in Betracht, als das Gericht im Rahmen des ihm durch die Vorschrift eingeräumten Spielraums auf der Grundlage zur Ermessensentscheidung tauglicher Gesichtspunkte entscheidet (BFH-Beschluss vom 10. November 1971 I B 14/70, BFHE 104, 39, BStBl II 1972, 222; zustimmend insoweit BFH-Beschluss vom 29. Juli 1976 VIII B 6/75, BFHE 120, 9, BStBl II 1977, 119; Bartone in: Kühn/v. Wedelstädt, 19. Aufl., FGO, § 11 Rz 4; Sunder-Plassmann in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 11 FGO Rz 58).

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b) Angesichts der Unmöglichkeit, eine bindende Entscheidung des Großen Senats des BFH herbeizuführen, muss der Senat in eigener Verantwortung über die Bemessung des Streitwerts entscheiden. Um die Einheitlichkeit der Rechtsprechung des BFH zu wahren, hält es der beschließende Senat angesichts der fehlenden Mehrheit für eine Rechtsprechungsänderung im BFH für geboten, an den bisherigen Grundsätzen festzuhalten. Er bemisst den Streitwert für ein Verfahren betreffend AdV demgemäß weiterhin mit 10 % des Hauptsachestreitwerts.

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4. Der Streitwert beläuft sich danach auf ... € (streitiger Gewinn ... € x 10 % [Streit über Tarifvergünstigung] x 10 % [AdV]).

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