Beschluss vom Bundesfinanzhof (4. Senat) - IV R 15/14

Tenor

Der Antrag des Bundesministeriums der Finanzen auf mündliche Verhandlung wird abgelehnt.

Der Gerichtsbescheid vom 29. Juli 2015 wirkt als Urteil.

Tatbestand

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I. Mit Gerichtsbescheid vom 29. Juli 2015 hat der Senat die Revision der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) gegen das Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 22. Januar 2014  3 K 314/13 (Entscheidungen der Finanzgerichte 2014, 900) als unbegründet zurückgewiesen und der Klägerin die Kosten des Verfahrens auferlegt. Der Senat hielt es im Hinblick auf die in seiner Entscheidung erfolgte Abweichung von dem Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom 11. Juli 2011 IV C 6-S 2178/09/10001 (BStBl I 2011, 713, unter I.2.) für angezeigt, ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid zu entscheiden, und übersandte einen Abdruck dieser Entscheidung auch dem BMF zur Kenntnis. Dieses erklärte daraufhin seinen Beitritt zum Verfahren und beantragte mündliche Verhandlung. Weder der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) noch die Klägerin beantragten mündliche Verhandlung. Zu dem daraufhin erteilten Hinweis des Senatsvorsitzenden, dass Zweifel daran bestünden, dass das BMF auch nach Ergehen eines Gerichtsbescheids durch Erklärung des Beitritts die Stellung als Beteiligter erhalten könne, wenn keiner der bisherigen Beteiligten einen Antrag auf mündliche Verhandlung stelle, nahm das BMF wie folgt Stellung:

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Zwar könne nach § 122 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) Beteiligter des Verfahrens über die Revision nur sein, wer auch am Verfahren über die Klage beteiligt gewesen sei; hiermit korrespondiere die Regelung des § 90a Abs. 2 Satz 1 FGO, der zufolge nur die (bisherigen) Beteiligten innerhalb eines Monats nach Zustellung des Gerichtsbescheids mündliche Verhandlung beantragen könnten. Da aber das BMF (zwangsläufig) am Klageverfahren noch nicht beteiligt gewesen sei, räume § 122 Abs. 2 FGO ihm im Revisionsverfahren insoweit eine Sonderstellung ein, die auch unabhängig vom FA und dem Steuerpflichtigen bestehe. Da der Wortlaut des § 122 Abs. 2 FGO keine entsprechende Einschränkung enthalte, stehe auch der Umstand, dass im Streitfall keiner der bisher Beteiligten einen Antrag auf mündliche Verhandlung gestellt habe, einer Wahrnehmung des Beitrittsrechts des BMF nicht entgegen.

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Zudem sei zu berücksichtigen, dass eine Einzelweisung des BMF an das für das beklagte FA zuständige Bundesland dahingehend, gegen den Gerichtsbescheid rechtzeitig mündliche Verhandlung zu beantragen, im Streitfall wegen des Obsiegens des FA trotz des Abweichens von einem BMF-Schreiben nicht in Betracht gekommen sei. Das BMF habe daher im Streitfall keine Möglichkeit, seine eigene steuerfachliche Meinung zu dem Streitfall gegenüber dem erkennenden Senat zu Gehör zu bringen. Zur wirksamen Wahrnehmung des Beitrittsrechts und zur Wahrung des auch dem BMF zustehenden Rechts auf Gehör müsse es daher möglich sein, die Beteiligtenstellung des BMF auch noch nach Ergehen eines Gerichtsbescheids durch Erklärung eines Beitritts zum Verfahren zu erwerben.

Entscheidungsgründe

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II. Der Antrag auf mündliche Verhandlung ist unzulässig und war daher durch Beschluss abzulehnen. Denn das BMF ist zu einem Antrag auf mündliche Verhandlung gegen einen Gerichtsbescheid nicht berechtigt.

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1. Nach § 121 Satz 1 i.V.m. § 90a Abs. 2 Satz 1 FGO können die Beteiligten auch im Revisionsverfahren innerhalb eines Monats nach Zustellung des Gerichtsbescheids mündliche Verhandlung beantragen.

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a) Beteiligter im Revisionsverfahren ist nach § 122 Abs. 1 FGO grundsätzlich nur, wer am Verfahren über die Klage beteiligt war. Nach § 122 Abs. 2 Satz 1 FGO kann zwar das BMF einem Verfahren beitreten, das --wie im Streitfall-- eine auf Bundesrecht beruhende Abgabe betrifft, und erhält mit dem Beitritt die Rechtsstellung eines Beteiligten (§ 122 Abs. 2 Satz 4, § 57 Nr. 4 FGO).

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b) Dies berechtigt das BMF aber nicht, über das Verfahren zu disponieren. Dies können nur die ursprünglichen Verfahrensbeteiligten, hier also die Klägerin und das FA. Der Anspruch auf verfahrensrechtliche Gleichbehandlung des beigetretenen BMF erschöpft sich danach darin, innerhalb der von den Hauptbeteiligten einvernehmlich vorgegebenen Rahmenbedingungen wie Revisionskläger oder Revisionsbeklagter behandelt zu werden. Das BMF hat danach keine Möglichkeit, ein Verfahren gegen den Willen der Hauptbeteiligten fortzusetzen oder zu verlängern. Diese allein bestimmen über den Beginn und das Ende des Prozessrechtsverhältnisses. Dementsprechend kann der BFH mit Einverständnis der Hauptbeteiligten auch dann ohne mündliche Verhandlung entscheiden, wenn das dem Verfahren beigetretene BMF auf eine solche nicht verzichtet hat (ständige Rechtsprechung, z.B. Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 11. November 2010 VI R 16/09, BFHE 232, 34, BStBl II 2011, 966, und vom 6. Oktober 2005 V R 64/00, BFHE 212, 132, BStBl II 2006, 212). Ebenso wenig kommt es für den durch die Abgabe von übereinstimmenden Erledigungserklärungen bewirkten Wegfall der Rechtshängigkeit der Hauptsache darauf an, ob auch das dem Verfahren beigetretene BMF eine Erledigungserklärung abgegeben hat (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Beschlüsse vom 14. Mai 1975 VII R 107/72, BFHE 115, 425; vom 29. August 2012 X R 5/12, BFH/NV 2013, 53, und vom 18. März 2013 III R 5/09, BFH/NV 2013, 933).

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c) Nichts anderes gilt für die Frage, ob das BMF --unabhängig davon, zu welchem Zeitpunkt es dem Verfahren beigetreten ist-- nach Ergehen eines Gerichtsbescheids nach § 90a Abs. 2 Satz 1 FGO zur Stellung eines Antrags auf mündliche Verhandlung berechtigt ist. Vielmehr bleibt es auch insoweit bei dem Grundsatz, dass allein die Hauptbeteiligten über den Beginn und das Ende des Prozessrechtsverhältnisses bestimmen und das BMF danach keine Möglichkeit hat, ein Verfahren gegen den Willen der Hauptbeteiligten fortzusetzen oder zu verlängern. Dies gilt auch dann, wenn --wie im Streitfall-- das FA obsiegt hat und das BMF daher keine Möglichkeit hat, das FA zur Stellung eines zulässigen Antrags auf mündliche Verhandlung zu veranlassen, selbst wenn dies dazu führt, dass --wie im Streitfall-- ein Gerichtsbescheid als Urteil wirkt und der BFH darin von einem BMF-Schreiben abweicht.

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aa) § 122 Abs. 2 FGO soll es dem BMF ermöglichen, sich jederzeit in ein anhängiges Verfahren über eine Revision einzuschalten und entscheidungserhebliche rechtliche Gesichtspunkte geltend zu machen (Beschluss des Großen Senats des BFH vom 25. Juni 1984 GrS 4/82, BFHE 141, 405, BStBl II 1984, 751). Die Regelung berücksichtigt das besondere, über den Einzelfall hinausgehende Interesse des BMF und der obersten Landesfinanzbehörden, denen die Abgabenverwaltung übertragen ist (vgl. Art. 108 des Grundgesetzes), am Ausgang des jeweiligen Verfahrens (z.B. BFH-Urteile vom 14. Dezember 1983 I R 301/81, BFHE 140, 26, BStBl II 1984, 409; vom 2. Juni 1992 VII R 35/90, BFH/NV 1993, 46, und vom 11. Februar 1994 III R 50/92, BFHE 173, 383, BStBl II 1994, 389).

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Es ist danach allein Sache des BMF, zu entscheiden, in welchen Verfahren es sich nach § 122 Abs. 2 FGO beteiligt. Der BFH ist berechtigt, einen Beitritt des BMF anzuregen oder dieses zum Beitritt aufzufordern (vgl. § 122 Abs. 2 Satz 3 FGO), er ist dazu aber nicht verpflichtet. Er ist daher auch weder verpflichtet, das BMF von einer beabsichtigten Abweichung von der in einem BMF-Schreiben vertretenen Auffassung des BMF zu unterrichten, noch dazu, in einem solchen Verfahren durch Gerichtsbescheid zu entscheiden und diesen auch dem BMF zur Kenntnis zu geben. Das in § 122 Abs. 2 FGO vorgesehene Beteiligungsrecht des BMF verpflichtet danach auch nicht dazu, das Verfahrensrecht so auszugestalten, dass dem BMF die Möglichkeit eröffnet ist, sich vor Erlass einer Entscheidung des BFH zu einer von diesem beabsichtigten Abweichung von einer in einem BMF-Schreiben vertretenen Auffassung äußern zu können. Insoweit kann nicht unberücksichtigt bleiben, dass das BMF seine Auffassung zu der entscheidungserheblichen Rechtsfrage in dem entsprechenden BMF-Schreiben bereits zum Ausdruck gebracht hat.

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Danach bleibt es auch für die Auslegung des § 90a Abs. 2 FGO bei dem Grundsatz, dass allein die Hauptbeteiligten über den Beginn und das Ende des Prozessrechtsverhältnisses bestimmen und das BMF danach keine Möglichkeit hat, ein Verfahren gegen den Willen der Hauptbeteiligten fortzusetzen oder zu verlängern. Aus § 122 Abs. 2 FGO i.V.m. § 90a Abs. 2 Satz 1 FGO ergibt sich danach kein Recht des BMF, gegen einen Gerichtsbescheid Antrag auf mündliche Verhandlung zu stellen.

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bb) Dieses Ergebnis ergibt sich auch aus folgender Überlegung: Gegen einen Gerichtsbescheid kann nur derjenige Beteiligte einen Antrag auf mündliche Verhandlung nach § 90a Abs. 2 Satz 1 FGO stellen, der durch den Gerichtsbescheid beschwert ist. Denn der Antrag setzt wie jeder Rechtsbehelf ein Rechtsschutzinteresse voraus. Daran fehlt es, wenn dem Antrag des Beteiligten durch den Gerichtsbescheid in vollem Umfang entsprochen worden ist und der Beteiligte ein besonderes Rechtsschutzinteresse nicht geltend machen kann (z.B. BFH-Beschluss vom 27. März 2013 IV R 51/10, BFH/NV 2013, 1110). Will --wie im Streitfall-- die unterlegene Revisionsklägerin den Gerichtsbescheid gegen sich gelten lassen und ist aus diesem Grund ein besonderes Rechtsschutzinteresse des obsiegenden FA zu verneinen, liegt es nicht in der Dispositionsbefugnis des BMF, die Beteiligten gleichwohl zur Fortsetzung des Verfahrens zu zwingen. Ein Antragsrecht des BMF ist auch nicht deshalb zu bejahen, weil der BFH in dem Gerichtsbescheid von einer in einem BMF-Schreiben vertretenen Auffassung entscheidungserheblich abgewichen ist. Andernfalls würde den Hauptbeteiligten auf diese Weise die Fortsetzung eines Verfahrens aufgezwungen, in dem es unabhängig von ihrem Willen allein darum ginge, dem BMF die Möglichkeit zu geben, in Kenntnis der abweichenden Meinung des BFH (erneut) zu einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage Stellung zu nehmen. Dass dem BMF durch das in § 122 Abs. 2 FGO enthaltene Beitrittsrecht eine derart weite Beteiligungsmöglichkeit eingeräumt werden sollte, ist nicht ersichtlich.

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cc) Entgegen der Auffassung des BMF kann sich ein Recht, gegen den Gerichtsbescheid einen Antrag auf mündliche Verhandlung zu stellen, im Streitfall ersichtlich auch nicht daraus ergeben, dass ihm der Gerichtsbescheid zur Kenntnis übersandt wurde.

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2. Der Antrag des BMF auf mündliche Verhandlung war danach abzulehnen. Demgemäß wirkt der Gerichtsbescheid des Senats vom 29. Juli 2015 nach § 121 Satz 1, § 90a Abs. 3 FGO als Urteil.

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3. Der Senat hält es für geboten, den Beschluss über die Ablehnung des Antrags auf mündliche Verhandlung in der Besetzung der fünf Richter zu fassen, die an dem Gerichtsbescheid mitgewirkt haben.

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4. Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei.

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