Beschluss vom Bundesgerichtshof (9. Zivilsenat) - IX ZB 46/13
Tenor
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Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 25. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 7. Juni 2013 wird auf Kosten der Antragstellerin als unzulässig verworfen.
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Der Gegenstandswert wird auf 582.354,95 € festgesetzt.
Gründe
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I.
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Die Antragstellerin (fortan auch: Gläubigerin), eine Gesellschaft mit Sitz in Israel, erwarb von der in Deutschland ansässigen Antragsgegnerin (fortan auch: Schuldnerin) im Jahr 2007 einen Häcksler. In die Vertragsverhandlungen waren zwei selbständige Handelsvertreter (fortan: Beklagte zu 2 und 3) in Israel eingeschaltet, welche die Produkte der Schuldnerin vertrieben. Der Vertragsschluss erfolgte unmittelbar zwischen Gläubigerin und Schuldnerin. Die Gläubigerin behauptete in der Folgezeit, dass der Häcksler mangelhaft sei, und nahm die Schuldnerin und die Beklagten zu 2 und 3 auf Zahlung von Schadensersatz vor dem Bezirksgericht Haifa in Anspruch. Die Klageschrift wurde den Beklagten zu 2 und 3 zugestellt. Mit Schriftsatz vom 3. Oktober 2010 zeigte Rechtsanwalt Dr. V. an, die Beklagten in dem Rechtsstreit zu vertreten, und bat um eine Fristverlängerung zur Klageerwiderung, die bewilligt wurde. Mit Schriftsatz vom 27. Oktober 2010 reichte Rechtsanwalt S. im Namen der Beklagten zu 2 und 3 einen weiteren Fristverlängerungsantrag ein. Für die Antragsgegnerin meldete sich nach den Feststellungen des Bezirksgerichts Haifa niemand; eine Klageerwiderung wurde für sie nicht eingereicht. Auf Antrag der Gläubigerin verurteilte das Bezirksgericht Haifa die Schuldnerin durch ein "Teilweises Urteil in Abwesenheit einer Verteidigung" vom 3. November 2011 zur Zahlung von 2.663.845 Neuen Israelischen Shekel (NIS) und einer Klagegebühr in Höhe von 33.298 NIS zuzüglich Indexdifferenzen und gesetzlicher Zinsen sowie eines Rechtsanwaltshonorars in Höhe von 50.000 NIS. Das Bezirksgericht begründete seine internationale Zuständigkeit damit, dass die Klageschrift der Antragsgegnerin über die Beklagten zu 2 und 3 wirksam zugestellt worden sei und es sich um die Vertreter der Antragsgegnerin für geschäftliche Transaktionen in Israel handele.
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Die Antragstellerin hat beantragt, den Zahlungstitel in Deutschland für vollstreckbar zu erklären. Das Landgericht hat dem Antrag stattgegeben, das Oberlandesgericht hat den Antrag auf die Beschwerde der Antragsgegnerin hin zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde begehrt die Antragstellerin die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.
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II.
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Die Rechtsbeschwerde ist zwar gemäß Art. 11 des Vertrages vom 20. Juli 1977 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Israel über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (BGBl. 1980 II S. 925 - nachfolgend: Vertrag) in Verbindung mit § 1 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. d, § 15 Abs. 1 AVAG, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthaft. Sie ist jedoch nach § 15 Abs. 1 AVAG, § 574 Abs. 2 ZPO unzulässig, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und auch weder zur Fortbildung des Rechts noch zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erforderlich ist.
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1. Das Beschwerdegericht hat die Senatsrechtsprechung zum Umfang der zulässigen Nachprüfung der Zuständigkeit des Erstgerichts zugrunde gelegt und danach eine eigenständige Würdigung des Zuständigkeitskatalogs nach Art. 7 Abs. 1 des Vertrages für zulässig erachtet und durchgeführt. Nach dem System der indirekten Zuständigkeiten des Vertrags handelt es sich bei den in Art. 7 Abs. 1 des Vertrages genannten Gerichtsständen nicht um Zuständigkeiten, die bereits vom Gericht des Entscheidungsstaates zu beachten wären (Denkschrift zum Vertrag, BT-Drucks. 8/3866, S. 13 f zu Art. 5). Das Erstgericht kann seine Zuständigkeit auf die lex fori stützen, was dazu führt, dass die in Art. 7 Abs. 1 des Vertrages aufgeführten Zuständigkeiten erst im Anerkennungsstaat nach Art. 5 Abs. 1 Nr. 1 des Vertrages zu beachten sind.
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a) Die Bindungswirkung nach Art. 8 Abs. 2 des Vertrages bedeutet in diesem Zusammenhang nur, dass die vom Erstgericht vorgenommene tatsächliche und rechtliche Würdigung seiner Zuständigkeit keiner Überprüfung im Anerkennungsstaat unterzogen werden darf (BGH, Beschluss vom 14. April 2005 - IX ZB 175/03, WM 2005, 1341, 1342; vom 29. März 2012 - IX ZB 242/09, WM 2012, 902 Rn. 10). Dies gilt grundsätzlich auch bei Versäumnisentscheidungen (Denkschrift zum Vertrag, aaO S. 16 zu Art. 8), selbst wenn die Zuständigkeit des Erstgerichts mangels Begründung aus stillschweigenden Feststellungen geschlossen werden muss (BGH, Beschluss vom 18. September 2001 - IX ZB 75/99, WM 2001, 2121, 2122). Dem Anerkennungsgericht obliegt aber die Prüfung, ob die vom Erstgericht in Anspruch genommene Zuständigkeit im Katalog des Art. 7 Abs. 1 des Vertrages erwähnt ist und ob sie durch keine ausschließliche Zuständigkeit des Anerkennungsstaates verdrängt wird (BGH, Beschluss vom 14. April 2005, aaO; vom 29. März 2012, aaO). Es fehlt an Feststellungen des Erstgerichts, die eine Bindungswirkung für das Gericht des Anerkennungsstaates auslösen, soweit es sich mit den Voraussetzungen des Zuständigkeitskatalogs in Art. 7 Abs. 1 des Vertrags nicht befasst hat (vgl. BGH, Beschluss vom 14. April 2005, aaO S. 1342 f).
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b) Danach hat das Beschwerdegericht mit Recht zunächst geprüft, ob das Bezirksgericht Haifa seine Zuständigkeit auf einen der in Art. 7 Abs. 1 des Vertrages genannten Gerichtsstände gestützt hat. Nach Verneinung dieser Frage war dem Beschwerdegericht die Möglichkeit einer Würdigung der Zuständigkeitsregelungen des Art. 7 Abs. 1 des Vertrages ohne Bindung an die Feststellungen des Erstgerichts eröffnet. Die Ausführungen zum Gerichtsstand der geschäftlichen Niederlassung oder Zweigniederlassung im Sinne von Art. 7 Abs. 1 Nr. 2 des Vertrages zeigen, dass das Beschwerdegericht eine solche eigenständige Würdigung vorgenommen hat. Es hat darauf abgestellt, dass die Antragsgegnerin in Israel kein Büro unterhielt und die Beklagten zu 2 und 3 die Verträge mit den Kunden nicht selbständig abschlossen (vgl. für einen vergleichbaren Fall BGH, Beschluss vom 29. März 2012, aaO Rn. 15). Die Ablehnung einer geschäftlichen Niederlassung oder Zweigniederlassung der Antragsgegnerin in Israel wird unter Zulässigkeitsaspekten nicht hinreichend angegriffen
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c) Der im Zusammenhang mit der Verneinung einer zuständigkeitsbegründenden Einlassung der Antragsgegnerin im Sinne von Art. 7 Abs. 1 Nr. 11 des Vertrages geltend gemachte Einheitlichkeitssicherungsbedarf ist nicht entscheidungserheblich. Das Beschwerdegericht ist jedenfalls bei Prüfung des Versagungsgrundes des Art. 5 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b des Vertrages auch aufgrund eigener Prüfung zu dem zutreffenden Ergebnis gekommen, dass der Fristverlängerungsantrag von Rechtsanwalt Dr. V. nicht als rügelose Einlassung der Antragsgegnerin auf das Verfahren anzusehen ist.
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aa) Die Auslegung des Begriffs der "Einlassung" im Sinne von Art. 7 Abs. 1 Nr. 11 des Vertrages kann sich am Verständnis des Art. 24 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 2001 Nr. L 12 S. 1 - fortan: EuGVVO) orientieren, wie der Senat bereits zur entsprechenden Bestimmung des Vorgängerübereinkommens vom 27. September 1968 (BGBl. II 1972 S. 773 - fortan: EuGVÜ), dort Art. 18, ausgeführt hat (BGH, Beschluss vom 18. September 2001, aaO S. 2123). Zu Art. 24 EuGVVO hat der Europäische Gerichtshof festgestellt, dass die Rüge der fehlenden Zuständigkeit keinesfalls mehr nach Abgabe derjenigen Stellungnahme erhoben werden kann, die nach dem innerstaatlichen Prozessrecht als das erste Verteidigungsvorbringen vor dem angerufenen Gericht anzusehen ist (Urteil vom 24. Juni 1981 - Rs. 150/80, Elefanten Schuh, Slg. 1981, 1671 Rn. 16; vom 13. Juni 2013 - Rs. C-144/12, Goldbet Sportwetten, RIW 2013, 554 Rn. 37; vom 27. Februar 2014 - Rs. C-1/13, Cartier parfums, RIW 2014, 302 Rn. 36, 44 f). Eine Einlassung liegt somit nur vor, wenn es sich um ein Verteidigungsvorbringen aus Sicht des nationalen Prozessrechts des Erststaates handelt (vgl. Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR, 3. Aufl., A. 1, Art. 24 Rn. 29; Schulte-Beckhausen, Internationale Zuständigkeit durch rügelose Einlassung im Europäischen Zivilprozessrecht, 1994, S. 151; Schütze, ZZP 90 (1977), 67, 73; ders. in RIW/AWD 1979, 590, 592). Auf der Hand liegt auch, dass überhaupt eine Äußerung des Beklagten vorliegen muss.
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bb) Dass sich das Beschwerdegericht der Auffassung des israelischen Gerichts angeschlossen und eine Einlassung der Antragsgegnerin auf das Verfahren verneint hat, ist unter Zulässigkeitsgesichtspunkten nicht zu beanstanden. Das Beschwerdegericht führt insbesondere bei der Prüfung des Versagungsgrundes des Art. 5 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b des Vertrages ausdrücklich an, dass bereits der Erlass einer Säumnisentscheidung durch das Erstgericht dagegen spricht, dass eine Einlassung auf das Verfahren im Sinne des israelischen Prozessrechts vorlag. Zudem zieht es die Begründung des Erstgerichts heran, wonach für die Antragsgegnerin keine Klageerwiderung eingereicht und der Fristverlängerungsantrag von Rechtsanwalt Dr. V. nur für die Beklagten zu 2 und 3 gestellt wurde. Ohne an diese - nicht zuständigkeitsbegründende -Feststellung des Erstgerichts nach Art. 8 Abs. 2 des Vertrages gebunden gewesen zu sein, durfte das Beschwerdegericht dieser Einschätzung des Erstgerichts folgen. Richtig ist, dass es widersprüchlich erscheint, einerseits eine Einlassung auf das Verfahren zu behaupten und andererseits Rechte aus einer Säumnisentscheidung herleiten zu wollen, die gerade einen fehlenden Verteidigungsschriftsatz der Antragsgegnerin nach dem maßgeblichen israelischen Prozessrecht voraussetzte. Wird der Schriftsatz von Rechtsanwalt Dr. V. mit dem Beschwerdegericht nicht der Antragsgegnerin zugerechnet, stellt sich mangels Äußerung der Antragsgegnerin im erststaatlichen Verfahren auch nicht die von der Rechtsbeschwerde zu Art. 5 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b des Vertrages aufgeworfene Frage, ob eine Stellungnahme genügt, aus welcher sich entnehmen lässt, dass ein Beklagter von dem gegen ihn eingeleiteten Verfahren Kenntnis erlangt hat und eine Verteidigungsmöglichkeit hatte.
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2. Nicht klärungsbedürftig ist die von der Rechtsbeschwerde zu Art. 5 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b des Vertrages aufgeworfenen Frage, ob die unter Verletzung der Regelungen des Haager Zustellungsübereinkommens erfolgte Zustellung der Klageschrift nach dem autonomen Recht der beteiligten Staaten geheilt werden kann, obwohl im Übereinkommen selbst eine solche Heilungsmöglichkeit nicht vorgesehen ist. Es ist geklärt, dass ein Zustellungsmangel, der auf einer Verletzung der Bestimmungen des Haager Zustellungsübereinkommens beruht, nicht durch die Vorschriften des autonomen Zustellungsrechts geheilt werden kann (BGH, Urteil vom 14. September 2011 - XII ZR 168/09, BGHZ 191, 59 Rn. 28 ff; vgl. auch BGH, Urteil vom 2. Dezember 1992 - XII ZB 64/91, BGHZ 120, 305, 311 f; vom 29. April 1999 - IX ZR 263/97, BGHZ 141, 286, 303). Eine Verletzung der übereinkommensrechtlichen Regelungen hat das Beschwerdegericht festgestellt, indem es auf die fehlende Einschaltung der zuständigen Behörde des Ursprungsstaates und der Zentralen Behörde des ersuchten Staates im Sinne von Art. 2 ff HZÜ Bezug genommen und eine Übermittlung unmittelbar durch die Post für unzulässig erachtet hat. Eine Heilung dieses Zustellungsmangels nach dem autonomen deutschen Recht hat das Beschwerdegericht daher in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs mit Recht ausgeschlossen.
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3. Der Zulässigkeitsgrund der Grundsatzbedeutung kann auch nicht im Hinblick auf die Frage bejaht werden, ob der Versagung der Vollstreckbarerklärung entgegenstehen könnte, dass die Antragsgegnerin gegen die Säumnisentscheidung des Bezirksgerichts Haifa kein Rechtsmittel in Israel eingelegt hat. Aus dem Wortlaut der Regelungen des deutsch-israelischen Vertrages lässt sich eine Verpflichtung zur Einlegung von Rechtsmitteln, die nach dem Recht des Erststaates zulässig sind, nicht entnehmen. Der Versagungsgrund des Art. 34 Nr. 2 EuGVVO wurde erst bei Einführung dieser Verordnung um eine entsprechende Verpflichtung des Schuldners ergänzt (vgl. Kropholler/von Hein, EuZPR, 9. Aufl., Einl. Rn. 27; Art. 34 Rn. 42). Zur früheren Bestimmung des Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ, welche diese Verpflichtung zur Einlegung des zulässigen Rechtsmittels im Erststaat nicht enthielt, hatte der Europäische Gerichtshof eine entsprechende Einschränkung des Versagungsgrundes mit dem Wortlaut und dem Zweck der Bestimmung für unvereinbar erklärt (EuGH, Urteil vom 12. November 1992 - Rs. C-123/91, Minalmet, RIW 1993, 65 Rn. 15 ff). Weshalb für den deutsch-israelischen Vertrag etwas anderes gelten sollte, wird nicht dargetan. Hinzu kommt, dass im Streitfall auch der Versagungsgrund der fehlenden internationalen Zuständigkeit des Gerichts und nicht nur der Verletzung der Verfahrensrechte der Antragsgegnerin im Eröffnungsstadium festgestellt wurde. Es ist nicht dargelegt, dass die Beantwortung der von der Rechtsbeschwerde aufgeworfenen Rechtsfrage zweifelhaft ist und unterschiedliche Auffassungen zu ihr vertreten werden (vgl. Hk-ZPO/Kayser/Koch, 5. Aufl., § 543 Rn. 8).
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4. Von einer weitergehenden Begründung wird gemäß § 17 Abs. 2 AVAG, § 577 Abs. 6 Satz 3 ZPO abgesehen.
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Vill Gehrlein Lohmann
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Fischer Grupp
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Referenzen
- IX ZB 242/09 1x (nicht zugeordnet)
- IX ZB 175/03 1x (nicht zugeordnet)
- XII ZR 168/09 1x (nicht zugeordnet)
- IX ZR 263/97 1x (nicht zugeordnet)
- § 15 Abs. 1 AVAG 2x (nicht zugeordnet)
- IX ZB 75/99 1x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 577 Prüfung und Entscheidung der Rechtsbeschwerde 1x
- ZPO § 574 Rechtsbeschwerde; Anschlussrechtsbeschwerde 2x
- § 17 Abs. 2 AVAG 1x (nicht zugeordnet)
- XII ZB 64/91 1x (nicht zugeordnet)