Beschluss vom Bundesgerichtshof (5. Zivilsenat) - V ZB 33/15

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts Stuttgart - 19. Zivilkammer - vom 4. März 2015 wird auf Kosten des Betroffenen zurückgewiesen.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 5.000 €.

Gründe

I.

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Der Betroffene reiste im November 2006 in das Bundesgebiet ein. Sein Asylantrag wurde mit seit dem 12. April 2008 rechtskräftigem Bescheid zurückgewiesen. Er wurde unter Androhung der Abschiebung aufgefordert, das Bundesgebiet bis zum 14. Mai 2008 zu verlassen. Im Juni 2008 reiste er nach Frankreich aus, von wo er am 7. Mai 2013 im Rahmen eines Dublin-III-Verfahrens nach Deutschland rücküberstellt wurde. Der Betroffene wurde zunächst geduldet und in diesem Zusammenhang über seine Pflicht, einen Aufenthaltswechsel anzuzeigen, sowie darüber belehrt, dass ein Verstoß gegen diese Verpflichtung „unter Umständen dazu führen [könne], dass [er] in Abschiebehaft genommen“ werde. Am 25. Juni 2013 wurde der Betroffene der nigerianischen Botschaft zur Ausstellung von Passersatzpapieren vorgeführt. Die für den 30. August 2013 geplante Abschiebung scheiterte, weil er in der Unterkunft nicht angetroffen wurde. Nach seinen Angaben war der Betroffene zunächst nach Frankreich ausgereist und anschließend von dort nach Schweden weitergereist, wo er aufgrund einer Fahndungsausschreibung der deutschen Behörden festgenommen und am 30. Januar 2015 wieder nach Deutschland rücküberstellt wurde.

2

Das Amtsgericht hat am gleichen Tag Haft zur Sicherung der Abschiebung nach Nigeria bis zum 13. März 2015 angeordnet. Das Landgericht hat die Beschwerde zurückgewiesen. Dagegen wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde, nach seiner Abschiebung nach Nigeria am 11. März 2015 mit dem Antrag, die Rechtswidrigkeit der Haft festzustellen.

II.

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Das Beschwerdegericht hält die angeordnete Haft für rechtmäßig. Ihr liege ein zulässiger Haftantrag zu Grunde. Der Haftantrag sei dem Betroffenen vollständig bekannt gegeben und in die englische Sprache übersetzt worden. Dem Protokoll sei zwar nicht zu entnehmen, dass dem Betroffenen eine Kopie des Haftantrags, wie geboten, ausgehändigt worden sei. Der Betroffene habe aber nicht ansatzweise aufgezeigt, dass er bei Aushändigung des Haftantrags tatsächliche oder rechtliche Umstände vorgebracht hätte, die dazu geführt hätten, dass die Haftanordnung nicht ergangen wäre. Solche Umstände seien auch sonst nicht ersichtlich, da sich aus der Einlassung des Betroffenen ergebe, dass er die Fragestellung und den Haftgrund erfasst habe. Der Haftgrund nach § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AufenthG liege vor. Der Betroffene habe seinen Aufenthaltsort im August 2013 gewechselt, ohne der Ausländerbehörde eine Anschrift anzugeben, unter der er erreichbar sei. Er habe seinen Aufenthaltsort nämlich zunächst nach Frankreich und anschließend nach Schweden verlegt. Entgegen der Annahme des Betroffenen bestehe die Anzeigepflicht auch, wenn der Aufenthaltsort in einen anderen Staat verlegt werde, in dem der Betroffene nicht zum Aufenthalt berechtigt sei. So liege es hier. Ob auch der Haftgrund der Entziehungsgefahr nach § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 AufenthG bestehe, könne offenbleiben.

III.

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Die hiergegen erhobene Rechtsbeschwerde des Betroffenen ist mit dem Antrag, die Rechtswidrigkeit der Haft festzustellen (§ 62 FamFG), statthaft und auch sonst zulässig. Sie hat aber keinen Erfolg.

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1. Die von dem Betroffenen erhobenen Bedenken gegen den von den Vorinstanzen angenommenen Haftgrund nach § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AufenthG sind nicht begründet.

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a) Nach dieser Vorschrift ist ein Ausländer zur Sicherung der Abschiebung auf richterliche Anordnung in Haft zu nehmen, wenn die Ausreisefrist abgelaufen ist und der Ausländer seinen Aufenthaltsort gewechselt hat, ohne der Ausländerbehörde eine Anschrift anzugeben, unter der er erreichbar ist. Ein Aufenthaltswechsel in diesem Sinne liegt nicht nur dann vor, wenn der Ausländer seinen Aufenthaltsort im Inland wechselt, sondern auch dann, wenn er ihn in das Ausland verlegt, ohne damit seine Ausreiseverpflichtung zu erfüllen. Entgegen der Annahme des Betroffenen ergibt sich weder aus dem systematischen Zusammenhang von § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AufenthG mit § 50 Abs. 4 AufenthG noch aus dem Zweck der Vorschrift, dass der Haftgrund nur bei einem Aufenthaltswechsel im Inland gilt.

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aa) Ein Ausländer hat allerdings der Ausländerbehörde nach § 50 Abs. 4 AufenthG von Beginn der Verpflichtung zur Ausreise an (dazu: OVG Greifswald, NordÖR 2010, 466 = juris Rn. 5 für § 50 Abs. 6 AufenthG; Huber, AufenthG 2. Aufl., § 50 Rn. 3) anzuzeigen, dass er seine Wohnung wechseln oder den Bezirk der Ausländerbehörde für mehr als drei Tage verlassen will. Dem Betroffenen ist auch einzuräumen, dass diese Verpflichtung der Überwachung des Ausländers dient und diese wiederum durch die Ausreisepflicht veranlasst ist, durch die sie ausgelöst wird. Unterschiedlich beurteilt wird aber, ob daraus folgt, dass die Anzeigepflicht endet, wenn der Ausländer endgültig ausreist (dafür: Bergmann/Dienelt/Bauer, Ausländerrecht, 11. Aufl., § 50 AufenthG Rn. 15; Welte in Jakober/Welte, Aktuelles Ausländerrecht, § 50 AufenthG Rn. 89 f.; dagegen: Funke-Kaiser in GK-AufenthG, Stand Oktober 2015, § 50 AufenthG Rn. 63). Die Frage muss hier nicht entschieden werden.

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bb) Für die in § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AufenthG bestimmte Anzeigepflicht gilt eine solche Einschränkung jedenfalls nicht.

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(1) Der Gesetzgeber hat den besonderen Haftgrund des nicht angezeigten Aufenthaltswechsels eingeführt, um die Abschiebung in Fällen zu erleichtern, in denen die Ausreisefrist abgelaufen und der Ausländer untergetaucht ist (Entwurfsbegründung in BT-Drucks. 12/2062 S. 45; Senat, Beschluss vom 1. Juli 1993 - V ZB 19/93, MDR 1993, 1136, 1137). Bei der Beschreibung dieser Fälle hat sich der Gesetzgeber zwar an der bestehenden ausländerrechtlichen Anzeigepflicht nach § 50 Abs. 4 AufenthG orientiert, aber nicht auf diese Vorschrift verwiesen. Er hat die Anzeigepflicht, an deren Verletzung der Haftgrund anknüpft - sich an § 50 Abs. 4 AufenthG durchaus anlehnend, aber eigenständig mit leicht differierenden Tatbestandsmerkmalen (dazu: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. Aufl., § 50 AufenthG Rn. 15) - in dem Hafttatbestand selbst geregelt. Diese Unterschiede führen zwar nicht dazu, dass die Anzeigepflichten strikt zu trennen und z. B. der Betroffene doppelt zu belehren wäre. Sie machen aber deutlich, dass die Auslegung der Anzeigepflicht entscheidend von der unterschiedlichen Funktion und der Zielsetzung der Vorschriften bestimmt wird.

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(2) Der Haftgrund nach § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AufenthG soll, wie ausgeführt, die Abschiebung eines Ausländers erleichtern, wenn dieser nach Verstreichen der Ausreisefrist untergetaucht ist. Das entscheidende Merkmal dieser Fallgestaltung ist nicht der Ort, an dem sich der Ausländer vor seiner Festnahme aufhielt, sondern der Umstand, dass der neue Aufenthaltsort der Ausländerbehörde nicht bekannt und der Ausländer für sie unerreichbar ist. Unter diesem Blickwinkel ist es gleichgültig, ob der Ausländer seinen neuen Aufenthalt an einem Ort im Bundesgebiet oder in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem anderen Schengen-Staat genommen hat. In beiden Fällen kann die Ausländerbehörde mit ihm keinen Kontakt aufnehmen und nicht feststellen, ob er seiner Ausreisepflicht nachgekommen ist oder noch nachkommen wird, und auch nicht entscheiden, ob zusätzliche Anordnungen, etwa eine Anordnung nach § 50 Abs. 3 Satz 2 AufenthG, erforderlich sind. Ihren Zweck würde die Vorschrift nur verfehlen, wenn man sie auf einen Aufenthaltswechsel anwendete, durch den der Ausländer seine Ausreiseverpflichtung erfüllt. Denn das ist das Ziel der Abschiebung, dessen Erreichen keine taugliche Grundlage für die Anordnung von Haft zur Sicherung eben dieser Abschiebung bildet. Dieser Fall liegt hier aber nicht vor. Der Betroffene will nämlich zunächst nach Frankreich ausgereist und von dort nach Schweden weitergereist sein. Er hat in beiden Ländern kein Aufenthaltsrecht und kann deshalb durch eine Verlegung des Aufenthaltsorts in eines dieser beiden Länder nach § 50 Abs. 3 Satz 1 AufenthG seine Ausreisepflicht nicht erfüllen.

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b) Der Haftgrund gemäß § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG setzt in der Regel voraus, dass die Ausländerbehörde dem Ausländer die Anzeigepflicht und die mit einem Unterlassen der Anzeige des Aufenthaltswechsels verbundenen einschneidenden Folgen durch einen Hinweis deutlich vor Augen geführt hat (Senat, Beschlüsse vom 19. Mai 2011 - V ZB 36/11, FGPrax 2011, 254 Rn. 10 und vom 14. Januar 2016 - V ZB 178/14, FGPrax 2016, 87 Rn. 6). Diese Voraussetzungen liegen vor. Der Betroffene stellt nicht in Abrede, dass ihm ein schriftlicher Hinweis ausgehändigt worden ist. Dieser Hinweis baut zwar auf § 50 Abs. 4 AufenthG auf, erfasst aber auch die etwas anders gefassten Tatbestände, an die § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AufenthG anknüpft. Anders als der Betroffene meint, lässt der Hinweis auch nicht die erforderliche Deutlichkeit vermissen, weil es in der Belehrung - wie er meint: relativierend - heißt, ein Verstoß gegen die Anzeigeverpflichtung könne „unter Umständen“ zur Anordnung von Abschiebungshaft führen. Das trifft nicht zu. Die Abschiebungshaft als mögliche Konsequenz einer Verletzung der Anzeigepflicht wird in dem Hinweis ausdrücklich angeführt. Dass sie, wie dort ausgeführt wird, „unter Umständen“ verhängt werden könne, nimmt dem Hinweis seine Deutlichkeit nicht. Dieser greift damit im Gegenteil die Rechtsprechung des Senats auf. Danach kann die Anordnung von Haft zur Sicherung der Abschiebung auf eine unterlassene Mitteilung des Aufenthaltswechsels nicht gestützt werden, wenn sich der Ausländer der Abschiebung offensichtlich nicht entziehen will (Senat, Beschluss vom 19. Mai 2011 - V ZB 36/11, FGPrax 2011, 254 Rn. 10 a.E.). Es kommt folglich auf die Umstände an.

12

2. Von einer weiteren Begründung wird nach § 74 Abs. 7 FamFG abgesehen.

Stresemann                        Schmidt-Räntsch                        Brückner

                        Göbel                                   Haberkamp

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