Beschluss vom Bundesgerichtshof (4. Strafsenat) - 4 ARs 22/16

Tenor

Der Senat stimmt der Auffassung des vorlegenden Senats zu, wonach beim vorsätzlichen Tötungsdelikt die Feststellung von Tötungsabsicht zu Lasten des Angeklagten strafschärfend berücksichtigt werden kann. An entgegenstehender eigener Rechtsprechung hält er nicht fest.

Gründe

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1. Der Senat hat die strafschärfende Berücksichtigung von Tötungsabsicht bei einer Verurteilung wegen Totschlags in der Vergangenheit mehrfach als Verstoß gegen § 46 Abs. 3 StGB bewertet (vgl. BGH, Beschluss vom 30. Juli 1998 – 4 StR 346/98, NStZ 1999, 23; Beschluss vom 19. März 2009 – 4 StR 53/09, NStZ 2009, 564 f.). Zuletzt hat er diese Frage ausdrücklich offengelassen (BGH, Beschluss vom 26. April 2016 – 4 StR 104/16). Der Senat hält an seiner früheren Rechtsprechung nicht mehr fest.

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2. Der Senat ist allerdings nicht der Ansicht, dass im Bereich des subjektiven Tatbestands eine vom Gesetzgeber grundsätzlich anerkannte Schuldschwereskala gilt und deshalb das Vorliegen von Tötungsabsicht schon für sich genommen regelmäßig einen Straferschwernisgrund darstellt. Stattdessen kommt es auch hier auf den Einzelfall an.

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a) Die Strafzumessung ist Sache des Tatrichters. Es ist seine Aufgabe, auf der Grundlage des umfassenden Eindrucks, den er in der Hauptverhandlung von der Tat und der Persönlichkeit des Täters gewonnen hat, die wesentlichen entlastenden und belastenden Umstände festzustellen, sie zu bewerten und hierbei gegeneinander abzuwägen (vgl. BGH, Beschluss vom 10. April 1987 – GSSt 1/86, BGHSt 34, 345, 349). Bei der Entscheidung über die Bewertungsrichtung der zumessungserheblichen Umstände und bei der Strafzumessung überhaupt kann der Tatrichter nicht von einem normativen Normalfall ausgehen. Die Annahme eines normativen Normalfalls widerspräche der Systematik des deutschen Strafrechts, das dem Tatrichter weite Strafrahmen zur Verfügung stellt und in § 46 StGB lediglich einzelne wichtige Strafzumessungsgesichtspunkte aufführt, ohne dass es sich dabei um eine erschöpfende Aufzählung handelt (vgl. BGH, Beschluss vom 10. April 1987 – GSSt 1/86, BGHSt 34, 345, 350 f.). Soweit in § 46 Abs. 2 Satz 1 StGB die Beweggründe und Ziele des Täters, die aus der Tat sprechende Gesinnung und der bei der Tat aufgewendete Wille genannt werden, handelt es sich um Leitpunkte für die Bestimmung des subjektiven Handlungsunrechts. Die einzelnen Vorsatzformen treffen dazu – für sich genommen – keine unmittelbare Aussage. Sie bedürfen stets einer Würdigung im Zusammenhang mit den Vorstellungen und Zielen des Täters (vgl. BGH, Urteil vom 11. Februar 1992 – 1 StR 708/91, BGHR StGB § 46 Abs. 3 Tötungsvorsatz 5; Beschluss vom 17. September 1990 – 3 StR 313/90, BGHR StGB § 46 Abs. 3 Tötungsvorsatz 4; Beschluss vom 15. Februar 1984 – 4 StR 51/84; Beschluss vom 13. Mai 1981 – 3 StR 126/81, NJW 1981, 2204; Theune in: Leipziger Kommentar z. StGB, 12. Aufl., § 46 Rn. 102; Bruns, Das Recht der Strafzumessung, 2. Aufl., S. 214).

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b) Dies gilt auch für die Tötungsabsicht.

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Absichtlich tötet, wem es bei seinem Tun auf die Herbeiführung des Todes ankommt. Dabei ist es gleichgültig, ob die Erreichung des Todeserfolges für sicher oder nur für möglich gehalten wird. Ebenso wenig kommt es darauf an, ob sie erwünscht ist oder bedauert wird (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juli 1967 – 2 StR 368/67, BGHSt 21, 283, 284 f.; Momsen in: SSW-StGB, 3. Aufl., § 15 Rn. 41; Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teil, Band I, 4. Aufl., § 12 Rn. 8; zur dogmatischen Entwicklung des Absichtsbegriffs siehe Gehrig, Der Absichtsbegriff in den Straftatbeständen des Besonderen Teils des StGB, 1996, S. 12 ff. mwN). Mit Tötungsabsicht handelt daher auch, wer den Tod eines anderen nicht um seiner selbst willen herbeiführen will, in ihm aber ein notwendiges Zwischenziel auf dem Weg zum eigentlich angestrebten Ziel sieht (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juli 1967 – 2 StR 368/67, BGHSt 21, 283, 284 f. [Verdeckung durch Tötung]; Mahl, Der strafrechtliche Absichtsbegriff, 2004, S. 6 f. mwN).

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Dass der Täter den Tod des Opfers als (Zwischen-)Ziel seiner Handlung anstrebt, spricht zwar für eine besonders starke Abweichung von den Maßstäben der Rechtsordnung (vgl. Frisch, Vorsatz und Risiko, 1983, S. 499); es belegt aber für sich allein noch nicht das Vorliegen einer besonders verwerflichen Gesinnung oder eine besondere Stärke seines verbrecherischen Willens. Dies zeigt sich beispielhaft bei der Mitleidstötung. Wer einem moribunden Angehörigen das Leben nimmt, um ihn von schwerem Leiden zu befreien, tötet absichtlich. Dabei wird das fraglos strafmildernd zu bewertende Handlungsziel unmittelbar mit der Herbeiführung des nur deshalb angestrebten tatbestandsmäßigen Erfolges erreicht. Eine isolierte Negativbewertung der Tötungsabsicht am Maßstab einer generellen „Schuldschwereskala im Bereich des subjektiven Tatbestands“ bei gleichzeitiger Positivbewertung des nur durch eine Tötung erreichbaren Handlungsziels würde zu einer Aufspaltung der Bewertung des an sich einheitlichen subjektiven Handlungsunrechts führen. Auch bestünde die Gefahr, dass es insoweit zu einer dem Strafzumessungsrecht wesensfremden Schematisierung kommt. Ähnlich liegt es, wenn der Täter, wie etwa in den „Haustyrannen-Fällen“, aus einer notstandsähnlichen Situation heraus absichtlich tötet.

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Tötungsabsicht wird für sich genommen allerdings dann als selbstständiger Straferschwernisgrund herangezogen werden können, wenn es dem Täter auf die Herbeiführung des Todes um seiner selbst willen ankommt und keine weiteren relevanten Handlungsziele festgestellt werden können. In diesem Fall nähert sich das subjektive Handlungsunrecht dem Mordmerkmal der Mordlust an (vgl. dazu BGH, Urteil vom 7. Juli 1953 – 1 StR 195/53, NJW 1953, 1440 [Ls]; Urteil vom 26. Februar 1986 – 3 StR 18/86).

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