Beschluss vom Bundesgerichtshof (4. Zivilsenat) - IV ZR 201/16
Tenor
-
Der Senat beabsichtigt, die Revision des Klägers gegen das Urteil des 7. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 8. Juli 2016 gemäß § 552a Satz 1 ZPO zurückzuweisen.
-
Die Parteien erhalten Gelegenheit, hierzu binnen
-
eines Monats
-
Stellung zu nehmen.
Gründe
- 1
-
I. Der Kläger begehrt von dem beklagten Versicherer (im Folgenden: Beklagter) Rückzahlung geleisteter Versicherungsbeiträge einer Rentenversicherung.
- 2
-
Diese wurde aufgrund eines Antrags des Klägers mit Versicherungsbeginn zum 1. November 1999 nach dem so genannten Policenmodell des § 5a VVG in der seinerzeit gültigen Fassung (im Folgenden: § 5a VVG a.F.) abgeschlossen. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts erhielt der Kläger mit dem Versicherungsschein die Versicherungsbedingungen und eine Verbraucherinformation nach § 10a des Versicherungsaufsichtsgesetzes (VAG). Die im Versicherungsschein enthaltene Widerspruchsbelehrung lautet:
-
"Sie können dem beantragten Versicherungsvertrag innerhalb einer Frist von 14 Tagen nach Erhalt des Versicherungsscheins schriftlich widersprechen. Der Lauf der Frist beginnt mit dem Zugang des Versicherungsscheins, der Versicherungsbedingungen, der Satzung und der weiteren für den Vertragsinhalt maßgeblichen Verbraucherinformationen, die dem Versicherungsschein anliegen. Für die Wahrung der Frist genügt Ihre rechtzeitige Absendung des Widerspruchs an uns. Bei einem fristgerechten Widerspruch käme der Versicherungsvertrag mit uns nicht zustande."
- 3
-
Der Kläger zahlte in der Folgezeit die Versicherungsbeiträge. Im September 2013 kündigte er den Versicherungsvertrag. Der Beklagte zahlte daraufhin den Rückkaufswert aus. Mit Schreiben vom 26. November 2013 erklärte der Kläger den Widerspruch gemäß § 5a VVG a.F.
- 4
-
Mit der Klage verlangt der Kläger Rückzahlung aller auf den Vertrag geleisteten Beiträge nebst Zinsen abzüglich des bereits gezahlten Rückkaufswerts, insgesamt 20.755,57 €.
- 5
-
Nach Auffassung des Klägers ist der Versicherungsvertrag nicht wirksam zustande gekommen. Er sei nicht hinreichend über sein Widerspruchsrecht belehrt worden. Insbesondere sei der Hinweis, dass der Lauf der Frist mit dem Zugang des Versicherungsscheins und der notwendigen Verbraucherinformationen beginne, fehlerhaft. Es fehle auch ein Hinweis auf die Jahresfrist gemäß § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. Außerdem sei die Widerspruchsbelehrung nicht hinreichend deutlich drucktechnisch hervorgehoben. Daher sei die Widerspruchsfrist nicht in Gang gesetzt worden. Das Policenmodell sei europarechtswidrig.
- 6
-
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die hiergegen gerichtete Berufung des Klägers zurückgewiesen.
- 7
-
II. Das Berufungsgericht hat einen Prämienrückerstattungsanspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung verneint. Die Voraussetzungen für ein Zustandekommen des Versicherungsvertrages seien erfüllt, so dass die Prämien mit Rechtsgrund geleistet worden seien. Die 14-tägige Widerspruchsfrist sei mit Erhalt des Versicherungsscheins sowie der Verbraucherinformationen und der Allgemeinen Versicherungsbedingungen in Gang gesetzt worden. Die im Versicherungsschein enthaltene Belehrung genüge inhaltlich den gesetzlichen Anforderungen. Hinweise auf die Jahresfrist gemäß § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. sowie auf § 10a VAG a.F. seien nicht vorgesehen. Die Formulierung im zweiten Satz der Belehrung lege keinen von § 187 Abs. 1 BGB abweichenden Fristbeginn nahe, da sie sich klar und eindeutig nur auf das Ereignis beziehe, das die Frist in Lauf setze. Sie sei aus Sicht eines durchschnittlichen, um Verständnis bemühten Versicherungsnehmers nicht geeignet, fehlerhafte Vorstellungen über die konkrete Berechnung der Frist dergestalt hervorzurufen, dass der Tag des Zugangs der Unterlagen mitzähle. Die in Fettdruck gehaltene Belehrung sei ausreichend deutlich hervorgehoben. Ob das Policenmodell europarechtlichen Bedenken unterliege, könne dahingestellt bleiben. Dem Kläger wäre es jedenfalls nach Treu und Glauben verwehrt, sich hierauf zu berufen.
- 8
-
III. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision im Sinne von § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor, und das Rechtsmittel hat auch keine Aussicht auf Erfolg (§ 552a Satz 1 ZPO).
- 9
-
1. Das Berufungsgericht hat die Revision zugelassen, da die Frage, ob die vorliegend gewählte Formulierung über den Beginn der Widerspruchsfrist als ordnungsgemäß zu erachten sei, bisher noch nicht höchstrichterlich geklärt sei. Allein deshalb kommt dieser Frage keine grundsätzliche Bedeutung zu, zumal auch nicht ersichtlich ist, dass hierüber in Rechtsprechung und/oder Literatur unterschiedliche Auffassungen vertreten werden. Ob eine Widerspruchsbelehrung inhaltlich und formal den gesetzlichen Anforderungen des § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. genügt, hat der Tatrichter im jeweiligen Einzelfall zu entscheiden. Eine höchstrichterliche Klärung, ob einzelne Belehrungen formal und inhaltlich ordnungsgemäß sind, ist nicht geboten (vgl. Senatsbeschluss vom 17. Mai 2017 - IV ZR 501/15, juris Rn. 12). Im Übrigen hat der Senat bereits entschieden, dass eine ähnlich formulierte Belehrung, die für den Beginn der Widerspruchsfrist auf das Vorliegen der in § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. genannten Unterlagen abstellt, nicht den unzutreffenden Eindruck vermitteln kann, der Tag des Zugangs zähle entgegen § 187 Abs. 1 BGB mit (Senatsbeschluss vom 17. August 2015 - IV ZR 293/14, r+s 2015, 593 Rn. 12).
- 10
-
2. Die Revision hat auch keine Aussicht auf Erfolg.
- 11
-
a) Entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung war die Berufung des Klägers nicht verspätet und damit unzulässig. Das Berufungsgericht ist - jedenfalls im Ergebnis - zutreffend davon ausgegangen, dass das erstinstanzliche Urteil dem Prozessbevollmächtigten des Klägers rechtswirksam am 30. September 2014 zugestellt wurde, so dass die einmonatige Berufungsfrist mit diesem Datum begann und mit der am 29. Oktober 2014 bei dem Berufungsgericht per Telefax eingegangenen Berufungsschrift gewahrt wurde. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers, der ihn schon vor dem Landgericht vertreten hatte, hat zwar das vorgedruckte Empfangsbekenntnis nicht zurückgesandt mit der Folge, dass insoweit eine Zustellung des Urteils nicht nachgewiesen ist. Ein wirksames Empfangsbekenntnis enthält aber die von ihm unterzeichnete Berufungsschrift, in der er sich auf das erstinstanzliche Urteil ausdrücklich mit den Worten "zugestellt am 30.09.2014" bezogen und damit seine Kenntnis von der Zustellungsabsicht der Geschäftsstelle sowie seinen Willen, das in seinen Gewahrsam gelangte Schriftstück als zugestellt anzunehmen, beurkundet hat. Dass das Empfangsbekenntnis erst später ausgestellt wurde als an dem darin bezeichneten und mithin maßgeblichen Zustellungstag, berührt seine Wirksamkeit nicht (vgl. BGH, Urteile vom 19. April 1994 - VI ZR 269/93, NJW 1994, 2295 unter II 1 c; vom 13. Mai 1992 - VIII ZR 190/91, NJW-RR 1992, 1150 unter II 1 b; jeweils m.w.N.).
- 12
-
b) Das Berufungsgericht hat die Berufung zu Recht zurückgewiesen.
- 13
-
aa) Die in Rede stehende Widerspruchsbelehrung hat es ohne Rechtsfehler als ordnungsgemäß gewertet.
- 14
-
(1) Es hat die Belehrung nach ihrer Gestaltung als drucktechnisch deutlich hervorgehoben angesehen. Diese tatrichterliche Würdigung lässt auch unter Berücksichtigung des Revisionsvorbringens keine revisionsrechtlich beachtlichen Fehler erkennen.
- 15
-
(2) Rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht weiterhin angenommen, der Beklagte habe den Kläger ordnungsgemäß über den Beginn der Widerspruchsfrist belehrt. Der erste Satz der Widerspruchsbelehrung, der Versicherungsnehmer könne innerhalb einer Frist von 14 Tagen nach Erhalt des Versicherungsscheins widersprechen, wird durch den zweiten Satz ergänzt, der für den Fristbeginn zutreffend auf den Zugang des Versicherungsscheins, der Versicherungsbedingungen und der Verbraucherinformation abstellt. Daraus ist für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer deutlich zu entnehmen, dass Voraussetzung für den Fristbeginn der Zugang des Versicherungsscheins und der weiteren genannten Unterlagen ist. Diese Information wird, anders als die Revision meint, nicht dadurch unklar, dass in der Passage über der Widerspruchsbelehrung dem Versicherungsnehmer mitgeteilt wird, etwa fehlende Unterlagen würden unverzüglich nachgereicht. Auch für den Fall einer solchen Nachreichung geht der Versicherungsnehmer aufgrund der Widerspruchsbelehrung davon aus, dass die Widerspruchsfrist erst in Lauf gesetzt wird, wenn ihm alle genannten Unterlagen vorliegen.
- 16
-
Die Formulierung im zweiten Satz der Belehrung kann ebenso wie die Belehrung, die Gegenstand des Senatsbeschlusses vom 17. August 2015 (aaO) war, nicht den unzutreffenden Eindruck vermitteln, der Tag des Zugangs des Versicherungsscheins, der Versicherungsbedingungen und der Verbraucherinformation zähle entgegen § 187 Abs. 1 BGB mit. Ohne dass der durchschnittliche Versicherungsnehmer diese Vorschrift und die damit korrespondierende Bestimmung des § 188 Abs. 1 BGB kennen muss, wird er nach seinem maßgeblichen Empfängerhorizont die Belehrung so verstehen, dass die Frist durch den Zugang der genannten Unterlagen in Gang gesetzt wird und 14 Tage später am gleichen Wochentag abläuft.
- 17
-
(3) Die Revision beanstandet weiterhin ohne Erfolg, dass die Widerspruchsbelehrung keinen Hinweis auf die Jahresfrist des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. enthalte. Ein solcher Hinweis war in § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. nicht vorgesehen. Ebenso wenig war entgegen der Auffassung der Revision eine ausdrückliche Nennung des § 10a VAG a.F. im Zusammenhang mit der Verbraucherinformation vorgegeben. Entscheidend ist, dass die Verbraucherinformation den Anforderungen dieser Vorschrift genügte. Dies war nach den von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts der Fall.
- 18
-
bb) Die Frage, ob das Policenmodell mit den Lebensversicherungsrichtlinien der Europäischen Union unvereinbar ist, ist hier nicht entscheidungserheblich. Wie das Berufungsgericht richtig gesehen hat, ist es dem Kläger auch im Falle einer unterstellten Gemeinschaftsrechtswidrigkeit des Policenmodells nach Treu und Glauben wegen widersprüchlicher Rechtsausführung verwehrt, sich nach jahrelanger Durchführung des Vertrages auf dessen angebliche Unwirksamkeit zu berufen und daraus Bereicherungsansprüche herzuleiten (vgl. im Einzelnen zu den Maßstäben: Senatsurteil vom 16. Juli 2014 - IV ZR 73/13, BGHZ 202, 102 Rn. 32 ff.). Der Kläger verhielt sich objektiv widersprüchlich. Die ihm zumindest vertraglich eingeräumte und bekannt gemachte Widerspruchsfrist ließ er bei Vertragsschluss im November 1999 ungenutzt verstreichen. Er zahlte fast 14 Jahre die Versicherungsprämien und erklärte erst dann den Widerspruch. Die jahrelangen Prämienzahlungen haben für den Kläger erkennbar bei dem Beklagten ein schutzwürdiges Vertrauen in den Bestand des Vertrages begründet.
-
Mayen
Harsdorf-Gebhardt
Lehmann
Dr. Brockmöller
Dr. Bußmann
Verwandte Urteile
Keine verwandten Inhalte vorhanden.
Referenzen
- ZPO § 543 Zulassungsrevision 1x
- § 10a VAG 2x (nicht zugeordnet)
- VI ZR 269/93 1x (nicht zugeordnet)
- BGB § 188 Fristende 1x
- § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG 3x (nicht zugeordnet)
- § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG 3x (nicht zugeordnet)
- § 5a VVG 3x (nicht zugeordnet)
- Urteil vom Bundesgerichtshof (4. Zivilsenat) - IV ZR 73/13 1x
- VIII ZR 190/91 1x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 552a Zurückweisungsbeschluss 2x
- BGB § 187 Fristbeginn 3x
- Beschluss vom Bundesgerichtshof (4. Zivilsenat) - IV ZR 293/14 1x
- IV ZR 501/15 1x (nicht zugeordnet)