Beschluss vom Bundesgerichtshof (2. Strafsenat) - 2 StR 495/17

Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Marburg vom 10. Juli 2017 im Fall II. 2 der Urteilsgründe sowie im Ausspruch über die Gesamtstrafe mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Jugendschutzkammer zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

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Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes in Tateinheit mit sexueller Nötigung in zwei Fällen sowie wegen sexueller Nötigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten verurteilt. Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

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1. Der Schuldspruch im Fall II. 2 der Urteilsgründe hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.

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a) Nach den Feststellungen begab sich der Angeklagte zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt zwischen Oktober 1998 und dem 24. Oktober 2002 abends oder nachts in das Zimmer seiner noch nicht 14 Jahre alten Stieftochter S.  , zog die Bettdecke, unter der S.  lag, zur Seite und forderte das Kind auf, sich auf den Bauch zu drehen. Nachdem S.  dies getan hatte, „legte er sich auf ihren Rücken, um sich sexuell zu erregen“. Anschließend setzte er sich an das Ende des Bettes und forderte das Kind auf, seine Unterhose herunterzuziehen und die Beine zu spreizen, was S.   – „erneut aus Angst vor dem Angeklagten“ auch tat. Anschließend betrachtete er den Intimbereich des Kindes und masturbierte dabei.

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Das Landgericht hat angenommen, dass der Angeklagte eine – zu dem sexuellen Missbrauch eines Kindes hinzutretende – sexuelle Nötigung im Sinne des § 177 Abs. 1 Nr. 1 StGB a.F. begangen hat, indem er sich auf den Rücken des Kindes legte, um sich hierdurch sexuell zu erregen, „und sie in dieser Position durch sein eigenes Körpergewicht festhielt“.

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b) Die Feststellungen belegen nicht die für den Tatbestand des § 177 Abs. 1 Nr. 1 StGB a.F. erforderliche finale Verknüpfung zwischen der Gewaltanwendung und der Vornahme der sexuellen Handlung.

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aa) Der Tatbestand des § 177 Abs. 1 StGB a.F. in der Variante der Gewaltanwendung erfordert, dass der Täter physische Kraft entfaltet, um den als ernst erkannten oder erwarteten Widerstand des Opfers gegen die Vornahme sexueller Handlungen zu überwinden (st. Rspr.; vgl. Senat, Beschluss vom 5. September 2017 – 2 StR 256/17, NStZ-RR 2017, 371; Urteil vom 4. März 2015 – 2 StR 400/14, NStZ-RR 2015, 211; Beschluss vom 31. Juli 2013 – 2 StR 318/13, BGHR StGB § 177 Abs. 1 Gewalt 17).

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bb) Die sonach erforderliche finale Verknüpfung zwischen Gewaltanwendung und sexueller Handlung ist weder ausdrücklich festgestellt noch kann sie dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe zweifelsfrei entnommen werden. Die Feststellungen belegen lediglich, dass der Angeklagte bei Vornahme der sexuellen Handlung physische Kraft entfaltet hat, indem er die Nebenklägerin mit seinem Körpergewicht fixierte. Darüber hinausgehende Handlungen des Angeklagten, die auf die Duldung des Sexualkontakts zielten, sind nicht festgestellt. Aus der Vornahme der sexuellen Handlung kann auch nicht zugleich auf die Anwendung von (weitergehender) Gewalt geschlossen werden (vgl. Senat, Urteil vom 30. März 2016 – 2 StR 405/15, StV 2017, 42). Dass der Angeklagte mit der sexuellen Handlung die für die Annahme von Gewalt erforderliche Zwangswirkung beim Opfer erzielen wollte, ist nicht dargetan und versteht sich angesichts des Umstands, dass die Geschädigte der Aufforderung des Angeklagten, sich auf den Bauch zu drehen, ohne Weiteres – wenngleich aus Furcht vor dem Angeklagten – entsprach, nicht von selbst.

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2. Die Sache bedarf daher insoweit neuer Verhandlung und Entscheidung. Dabei wird das neu zur Entscheidung berufene Tatgericht gegebenenfalls die Möglichkeit einer Verurteilung nach § 177 Abs. 1 Nr. 2 StGB a.F., § 177 Abs. 5 Nr. 2 StGB n.F. in den Blick zu nehmen haben; hierfür könnte Anlass bestehen, wenn und soweit der Angeklagte durch schlüssiges Verhalten auf frühere Gewaltanwendungen hingewiesen oder frühere Drohungen konkludent bekräftigt hätte (vgl. BGH, Beschluss vom 20. März 2012 – 4 StR 561/11, NStZ 2013, 466, 467; Senat, Beschluss vom 7. Januar 2015 – 2 StR 463/14, NStZ 2015, 211, 212).

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3. Die Aufhebung des Schuldspruchs im Fall II. 2 der Urteilsgründe entzieht dem Ausspruch über die Gesamtstrafe die Grundlage.

Schäfer     

      

Appl     

      

Krehl 

      

Eschelbach     

      

Bartel     

      

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